bwp@ 41 - Dezember 2021

Führung und Management beruflicher Schulen

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Cornelia Wagner-Herrbach & Franz Gramlinger

Schulqualität im Blick!? – Führungshandeln an beruflichen Schulen aus der Perspektive von Lehrkräften

Beitrag von Cornelia Wagner-Herrbach
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: Schulleitung, mittleres Management, Qualitätsmanagement, Schulentwicklung, Unterrichtsentwicklung

Nationale und internationale Forschungsarbeiten sehen die Schulleitungen als „gate keeper“ für Innovation und Entwicklung sowie für das Gelingen schulischer Prozesse. Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag, inwieweit sich Aufmerksamkeitsschwerpunkte von Schulleitungen an beruflichen Schulen im Bundesland Berlin über die Zeit verändert haben. Weiterhin wird hinterfragt, in welcher Form sich Führungskräfte der mittleren Ebene der Abteilungs- und Fach(bereichs)leitungen (Mit)Verantwortung im Führungshandeln übernehmen. Zur Beantwortung dieser Fragen werden quantitative Erhebungsdaten aus 17 beruflichen Schulen in Berlin über die Zeiträume 2006-2010 sowie 2012-2021 hinweg ausgewertet.

Focus on school quality!? – Teacher’s perception of leadership in German vocational schools

English Abstract

Empirical research often views school principals as “gate keepers” for school development and pedagogic innovations. This research paper explores changes in leadership orientations and visibility of leadership in German vocational schools as well as the distribution of leadership tasks at the school’s middle management level in the past 15 years. The quantitative survey includes 17 vocational schools in Berlin over two periods 2006-2010 and 2012-2021.

1 Einleitung

Gesellschaftliche und technologische Entwicklungen stellen die beruflichen Schulen vor immer neue Herausforderungen, hierzu gehört u. a. die Digitalisierung der Schulen, die Umsetzung von Konzepten der Inklusion, der Umgang mit Heterogenität der Lernenden, die Integration von Geflüchteten in den Unterricht und die Kompensation des Lehrkräftemangels. Im Rahmen einer erweiterten Selbstverantwortung sind vor allem die jeweiligen Schulstandorte gefordert, Qualitätssicherung und Schulentwicklung anzustoßen bzw. aufrecht zu erhalten.

Berufliche Schulen sind häufig größere und komplexere Einheiten, so dass mit Blick auf die Schulführung ein erweiterter Personenkreis und unterschiedliche Ebenen der Organisation in den Blick genommen werden müssen. Die Mehrzahl der beruflichen Schulen in Berlin sind sogenannte Oberstufenzentren (OSZ). Sie integrieren verschiedene berufsorientierende, berufsbildende und studienbezogene Bildungsgänge. Aufgrund ihrer Größe verfügen sie häufig über insgesamt mehr Führungspersonal und eine ausgeprägte mittlere Führungsebene, welche jedoch nicht proportional zur Anzahl der Lehrkräfte zunimmt. Berufliche Schulen sind häufig stärker beeinfluss durch Entwicklungen des regionalen Arbeits- und Ausbildungsstellenmarktes. Nicht selten konkurrieren sie einerseits untereinander bzw. mit anderen Bildungseinrichtungen um Lernende, während sie andererseits vollzeitschulische bzw. berufsvorbereitende Bildungsgänge ausbauen, um Lernenden, die aufgrund geringer schulischer Vorbildung und/oder fehlender Ausbildungsreife keinen alternativen Bildungsweg einschlagen können (vgl. Ländermonitor berufliche Bildung 2019, 16).

Mit der Erweiterung der schulischen Selbstverantwortung hat sich das Verantwortungs- und Tätigkeitsspektrum von Schulleitungen in Deutschland erheblich vergrößert, auch wenn dies von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich stark reguliert ist (vgl. Brauckmann 2016, 238f.). Die Entscheidungs- und Gestaltungsräume beziehen sich vor allem auf die Profilierung der Schule, die Schulprogrammarbeit und die flexible Gestaltung der Unterrichtsorganisation (u. a. Ausarbeitung schulinterner Lehrpläne, Stundentafeln sowie Zeiteinteilung).

Im Jahr 2004 hat das Berliner Schulgesetz eine erhebliche Überarbeitung erfahren. Für die Schulen wurden erweiterte Räume der Selbstverantwortung definiert (§ 6 Berliner Schulgesetz) und diese mit Pflichten zum Qualitätsentwicklung, zur Rechenschaftslegung und Evaluation verbunden (§ 7 und § 8 Berliner Schulgesetz). Im Bundesland Berlin ist damit im nationalen Vergleich der Grad der Selbstverantwortung von Schulleitungen eher hoch ausgeprägt, vor allem im Bereich des Personalmanagements (insbesondere Mitwirkung bei Lehrkräfteeinstellungen und -umsetzungen), in der Mittelbewirtschaftung sowie im Rahmen der Evaluation (vgl. Greubel 2017, 55). Weniger große Entscheidungsräume werden in Berlin in Bezug auf die Veränderungen organisationaler Strukturen gewährt. Internationale Vergleiche verweisen jedoch auch darauf, dass Schulleitungen in Deutschland über alle Bundesländer hinweg vor allem in Personal- und Budgetfragen weniger eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können, als Führungskräfte in anderen europäischen und anglo-amerikanischen Ländern. Zudem schränken eigene Unterrichtsverpflichtungen die für Führung und Management verfügbaren Zeitbudgets erheblich ein (vgl. Brauckmann et al. 2019, 397).

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Studien zeigen, dass Schulleitungen zum Teil als erheblich belastet oder sogar gesundheitsgefährdend überlastet fühlen (vgl. Dadaczynski/Paulus 2016, 174; Cramer et al. 2020, 3f.). Vor diesem Hintergrund werden Bedingungen der Verteilung von Führungsverantwortung auf Abteilungsleitungen und (Fach)bereichsleitungen in diesem Beitrag empirisch untersucht.

2 Methodisch-methodologisches Vorgehen

2.1 Fragestellungen

Quantitative Erhebungsdaten aus einer Untersuchung an 17 beruflichen Schulen in Berlin werden bezüglich der Frage ausgewertet, wie sich die Wahrnehmung von Führungshandeln durch die Lehrkräfte im Zeitraum 2006-2010 im Vergleich zum Zeitpunkt 2010-2021 entwickelt hat. Dabei werden folgende Hypothesen geprüft:

H1: Das Führungshandeln der Schul- und Abteilungsleitungen wird zum zweiten Erhebungszeitpunkt von den Lehrkräften als insgesamt stärker ausgeprägt wahrgenommen.

Begründung: Mit der Novellierung des Berliner Schulgesetzes 2004 wurde die Selbstverantwortung der beruflichen Schulen gestärkt sowie die Implementierung umfangreicher Qualitätsmanagementinstrumente verpflichtend vorgeschrieben. Mit dem Schuljahr 2009/10 haben alle beruflichen Schulen regulär den ersten Zyklus der Schulprogrammerstellung, Schulentwicklungsarbeit sowie der internen und externen Evaluation durchlaufen (vgl. Wagner-Herrbach 2019). Es wird erwartet, dass diese Erfahrungen zu verstärkten Führungsaktivitäten insgesamt führen.

H2: Insbesondere werden stärkere Ausprägungen in den Führungsdimensionen erwartet, die mit der Unterrichtsentwicklung in Verbindung stehen.

Begründung: Die empirische Begleitforschung zu den am Beginn der 2000er Jahre angestoßenen Schulentwicklungsprozessen in Verbindung mit der erweiterten Selbstverantwortung von Schule in Deutschland legen nahe, dass durch die angedachte selbstständige Schulentwicklung eine systematische Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Schulsystems nicht in geplanten Ausmaß erreicht werden kann (vgl. Schlee 2014). So kommt es Ende der 2000er Jahre zu einer bildungspolitischen Fokusverschiebung auf den Bereich der Unterrichtsentwicklung (vgl. Altrichter/Kemethofer/George 2018, 18).

H3: Die Fach(bereichs)leitungen übernehmen Führungsverantwortung lediglich in sehr eingeschränktem Umfang.

Begründung: Die wahrgenommene Funktionenvielfalt, die weiterhin bestehenden uneingeschränkten Unterrichtsverpflichtungen sowie das Fehlen von Fort- und Weiterbildungsangeboten führen dazu, dass Fach(bereichs)leitungen häufiger Unsicherheit und Schwierigkeiten bei der Ausübung der Führungsrolle erleben und diese daher kaum annehmen (vgl. Kriesche 2014, 135).

H4: Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Ausprägung des Führungshandelns und der Einrichtung der Funktionsstelle für Qualitätsbeauftragte an der Schule.

Begründung: Berufliche Schulen können seit 2006 selbst entscheiden, ob sie eine Funktionsstelle auf der Ebene der Fach(bereichs)leitung umwandeln in eine Funktionsstelle für Qualitätsbeauftragte. Voraussetzung hierfür ist, dass eine entsprechende Funktionsstelle an der Schule frei ist bzw. frei wird. Erwartet wird, dass vor allem Schulen mit einer ausgeprägten Orientierung hin zur Nutzung der Handlungsspielräume im Rahmen der erweiterten Selbstverantwortung von Schule eine solche Position einrichten.

2.2 Theoretische Grundlagen der Konstruktion des Erhebungsinstruments

Der Fragebogenkonstruktion liegt das Rahmenmodell erfolgreicher Führung nach Bolman/Deal (1997) zugrunde. Es integriert vier verschiedene organisationstheoretische Perspektiven von Führung in einem Gesamtmodell: den Rahmen der Struktur- und Schulorganisation, den Rahmen der Personalführung, den Rahmen der Mikropolitik sowie den Rahmen der visionären und symbolischen Führung. Wesentlich für den Erfolg ist dem Modell zufolge die Fähigkeit der Führungskraft zwischen den Rahmen zu wechseln, eine Situation aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und den passenden Impuls entsprechend des jeweils angemessenen Rahmens zu wählen. Dies impliziert, dass die Führungskräfte umso erfolgreicher sind, je mehr unterschiedliche Rahmen sie beherrschen und anwenden können (vgl. Bonsen 2003, 143). Dubs (2006, 147f.) folgend erfährt das Modell in der hier vorgelegten Untersuchung eine Erweiterung durch eine inhaltliche Dimension – den Pädagogischen Rahmen. Dabei wird unterstellt, dass pädagogisches Wissen und Können zur Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen für Unterricht sowie für die Beratung und Unterstützung von Lehrkräften von zentraler Bedeutung sind.

Für die Operationalisierung im Fragebogen und die Itemkonstruktion wurden die Führungsrahmen auf ihre Passfähigkeit für den Kontext beruflicher Schulen in Deutschland geprüft und adaptiert. Formale Begrenzungen in der Führungsverantwortung sind insbesondere im personalen Rahmen zu bemerken. In Deutschland und Berlin sind Schulleitungen gegenüber den Lehrkräften nur eingeschränkt Dienstvorgesetzte. Daraus folgt, dass Personalentwicklung nur eingeschränkt im Verantwortungsbereich der Schule liegt. Zudem werden Fortbildungen überwiegend durch Institute der jeweiligen Bundesländer angeboten. Aus diesem Grund werden zu diesem Rahmen lediglich zwei Aspekte herausgehoben und operationalisiert. Folgende sechs Dimensionen einzelschulischer Führung werden zugrunde gelegt:

Organisation: Dieser Rahmen umfasst die Gestaltung der einzelschulischen Strukturen, Prozesse, Informationssysteme und Abläufe. Die Rolle der einzelschulischen Führungskräfte wird in der Interpretation und Auslegung dieser gesehen. 

Personale Orientierung: Die Aufmerksamkeit liegt auf der Balance zwischen den Organisationszielen und den Bedürfnissen der Lehrkräfte. Im Zentrum steht die Unterstützung der Lehrpersonen.

Personalentwicklung: Die Unterstützung von Fortbildungswünschen und die Beratung in Fortbildungsangelegenheiten sowie Maßnahmen der schulinternen Fortbildung sind unter dieser Dimension zusammengefasst.

Kooperation: Hierbei wird die Steuerung innerschulischer politischer Prozesse der Entscheidungsfindung, der Verteilung und Konfliktaustragung betrachtet.

Repräsentation: Dieser Rahmen bezieht sich auf die Bedeutung und Sinngebung gemeinsamer Arbeit durch Visionen und Symbole nach innen, wie nach außen.

Pädagogische Orientierung: Hier wird Führungsverhalten erfasst, welches wesentlichen Einfluss auf die Organisation, Durchführung und Entwicklung des Unterrichts nimmt.

Der spezifische Befragungszweck erfordert weitgehend eine Neukonstruktion des Instruments. In Teilen wird auf geprüfte Items aus der Führungskräfte-Untersuchung von Seeber (2003), der Untersuchung zur Wirksamkeit von Schulleitung von Bonsen et al. (2002) sowie der QuaSSU-Studie (Ditton/Merz 2000) zurückgegriffen. Als Antwortformat dient eine vierstufige Likert-Skala mit den Ausprägungen 1= „trifft nicht zu“, 2 = „trifft eher nicht zu“, 3 = „trifft eher zu“, 4 = „trifft voll und ganz zu“. Die Auswertung der Daten erfolgt unter Anwendung der statistischen Software IBM SPSS 23.0 und IBM SPSS Amos 23.0. Fehlende Werte werden mit Hilfe eines multiplen Imputationsverfahrens durch SPSS ersetzt.  Die Überprüfung des Modellfits erfolgt zunächst durch explorative Faktorenanalyse. Zur Überprüfung der Eindimensionalität findet eine konfirmatorische Faktorenanalyse Anwendung (entsprechend Backhaus/Erichson/Weiber 2013, 123ff., vgl. Wagner-Herrbach/Skenderski 2019).

2.3 Einbezogene Führungsebenen und Zuordnung von Befragungsschwerpunkten

Die Schulleiter*innen und deren ständige Vertretungen (je nach Schulgröße stellvertretende Schulleiter*in oder OSZ Koordinator*in) bilden in beruflichen Schulen die Schulleitung im engeren Sinn. Die Schulleiter*innen sind die Vorgesetzten der an der Einzelschule tätigen Beamt*innen und Angestellten. Sie tragen die Gesamtverantwortung für die Schule (vgl. Bayer 2007, 402). Die Aufgabenbereiche sind in §69 BerlSchG geregelt. Er/sie überwacht die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, nimmt das Hausrecht wahr, entscheidet über die Verteilung der zugewiesenen Ressourcen, schließt Rechtsgeschäfte ab, stellt Anträge, wirkt bei Einsetzung/Umsetzung von Lehrkräften mit, entscheidet über den Personaleinsatz an der Schule und nimmt die Außenvertretung wahr.  In der entsprechenden Aufzählung zudem auf die Verantwortung für die Erstellung des Schulprogramms sowie für die Durchführung interner Evaluation verwiesen. Zum ständigen Aufgabenbereich der stellvertretenden Schulleiter*innen zählen die Unterstützung und Beratung der Schulleiter*innen im Bereich Unterricht, Organisation und in der Bewirtschaftung der Haushaltsmittel, weiterhin die Wahrnehmung von Organisations- und Verwaltungsaufgaben (z. B. Stundenpläne, Raumverteilung, Vertretungsregelung) sowie das Führen von Statistiken, das Bestellwesen und das Ausstellen von Bescheinigungen (VV Zuordnung Berlin 2018, 8).

Die Abteilungsleiter*innen und Abteilungskoordinator*innen bilden gemeinsam die Ebene der Abteilungsleitung, vorausgesetzt die Schule weist eine gewisse Mindestgröße auf und besteht aus mehreren Bildungsgängen. Spezifisch für das Aufgabenprofil der Ab-teilungsleiter*innen sind die Durchführung von Abteilungskonferenzen, die Zuständigkeit für curriculare Entwicklungen und Abstimmungen in der Unterrichtsarbeit der Abteilung (Stundentafel, Abstimmung von Lehrplänen, Leistungsbeurteilung) sowie die Evaluation des Unterrichtsbetriebs. Eine Mitwirkung beim Schulprogramm ist möglich (VV Zuordnung Berlin 2018, 11). Die Abteilungskoordinator*innen unterstützen insbesondere administrativ. Für das Qualitätsmanagement haben die Abteilungsleitungen eine besondere Bedeutung, da sie die Unterrichtsentwicklung bildungsgangspezifisch gezielt begleiten können.

Die Fach(bereichs)leiter*innen übernehmen Führungsfunktionen, die im Zusammenhang mit der Unterrichts- und Erziehungsarbeit in einem bestimmten Fachbereich, einem Lernfeld, einer Fächergruppe oder einem Fach stehen. Sie sind häufig über verschiedene Abteilungen einer Schule in der Verantwortung, sofern die Fachbereiche, Lernfelder, Fächergruppen oder Fächer abteilungsübergreifend organisiert sind (vgl. VV Zuordnung Berlin 2018, 13). Fach(bereichs)leiter*innen können für das Qualitätsmanagement im Unterricht die größte Wirksamkeit erreichen, allerdings zeigen empirische Befunde, dass gerade diese Funktionsgruppe sich selbst nur selten als Führungskraft versteht (vgl. Thillmann/Thiel 2009, Kriesche 2014, 140, Steingruber 2014, 359).

Seit Mai 2006 erhalten die beruflichen Schulen in Berlin die Möglichkeit, Funktionsstellen für Qualitätsbeauftragte einzurichten. Hierfür kann eine Funktionsstelle auf der Ebene der Fachbereichsleitung umgewandelt werden. Die Qualitätsbeauftragten steuern und koordinieren im Auftrag der Schulleitung die Schul- und Unterrichtsentwicklung der Einzelschule, die Schulprogrammarbeit sowie die interne und externe Evaluation (vgl. VV Zuordnung Berlin 2018, 14). Sie fördern die externe Zusammenarbeit der Schule und wirken bei der Fortbildungsplanung mit.

Grundsätzlich sehen schulgesetzliche Bestimmungen eine Verteilung von Leitungsaufgaben zwischen den Leitungsebenen und dem Funktionspersonal einer Schule vor. Bei der Erstellung des Erhebungsinstruments wurde jedoch bewusst darauf verzichtet, diese vorgegebene Aufgabenverteilung zwischen Schul- und Abteilungsleitungen zu berücksichtigen. Die Verwendung identischer Befragungsinhalte erlaubt Aussagen darüber, inwieweit das Führungshandeln durch das Kollegium als Produkt einer gemeinsamen Führungsstrategie wahrgenommen wird bzw. welche Aufgaben und Aufmerksamkeitsschwerpunkte den einzelnen Führungspersonen zugeordnet werden. Lediglich für die Fachbereichsleitungen erfolgt eine Konzentration auf die Führungsrahmen Organisation, Repräsentation des Faches/Fachbereiches innerhalb der Schule, Personalentwicklung und Personale Orientierung. Die beiden Führungsrahmen, die das strategische Führungshandeln in Personalverantwortung betreffen, werden für die Führungsebene der Fach(bereichs)leitungen ausgeblendet.

2.4 Stichprobe

Im gesamten Erhebungszeitraum beteiligten sich N=1.529 Lehrkräfte, die insgesamt N=6.138 Bewertungen zu den Führungskräften aus den Schul- und Abteilungsleitungen an ihren Schulen vornehmen. Zu den Fach(bereichsleitungen) liegen N=533 Lehrkräfterückmeldungen aus sechs Schulen vor. Die Zusammensetzung der Stichprobe ist in Tabellen 1 dargestellt. 

Bei den 17 beruflichen Schulen handelt es sich mit der Ausnahme einer Berufsschule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt um große Einrichtungen mit mehr als 1.000 Lernenden und mind. 50 Lehrkräften, die verschiedene Bildungsgänge von der Berufsvorbereitung über die duale und vollzeitschulische Berufsausbildung bis hin zur gymnasialen Oberstufe unter einem Dach vereinen. 

Aus der Verteilung des Merkmals Geschlecht ist ersichtlich, dass knapp als die Hälfte der Befragten weiblich sind. Dies entspricht nicht den aktuellen Statistiken des Bundeslands Berlin, die einen Anteil weiblicher Lehrkräfte von knapp 60% ausweisen. Dies ist auf eine Überrepräsentation großer Oberstufenzentren mit technischer Ausrichtung in der Stichprobe zurückzuführen, deren Personal wiederum männlich dominiert ist. 

Die Selbsteinschätzung der Lehrkräfte zur Einbindung in die laufenden Qualitätsentwicklungsmaßnahmen wird als Indikator für das professionelle Selbstbild der Befragten und die Offenheit gegenüber der Mitwirkung an Aktivitäten zu Entwicklung und Innovation an der Schule angesehen. Mit Hilfe eines Person-Chi-Quadrattest ist positiver, jedoch schwacher Zusammenhang (p<0,001, eta²=0,068) zwischen der Einbindung der Lehrkräfte in die Schulentwicklung und dem Befragungszeitpunkt erkennbar erkennbar. Dies bedeutet, dass im Befragungszeitraum 2012 bis 2021 die Einbindung der Lehrpersonen in die Schulentwicklung in der Selbstwahrnehmung der Personengruppe leicht zugenommen hat.

Tabelle 1:     Stichprobe nach Schulen (mit __ gekennzeichnete Felder wurden schulspezifisch nicht erfasst)

Schule

N

weiblich

in %

Fach(bereichs-)
leitungen

Qualitäts-
beauftragte

Zeitraum 2006-2010

Schule 1

61

44,3%

---

 

Schule 2

79

70,9%

---

 

Schule 3

25

56,0%

---

 

Schule 4

56

60,7%

---

 

Schule 5

119

75,6%

---

 

Schule 6

51

13,74%

---

 

Schule 7_1

116

30,2%

---

ja

Schule 8_1

50

54,0%

---

 

Gesamt ZR1

557

52,1%

---

 

Zeitraum 2012-2021

Schule 7_2

108

32,7%

ja

ja

Schule 9_1

109

39,4%

---

ja

Schule 10

44

61,4%

ja

ja

Schule 11

38

55,3%

ja

 

Schule 8_2

55

51,7%

---

ja

Schule 12_1

67

52,2%

ja

ja

Schule 13

73

54,1%

---

ja

Schule 14

63

68,3%

---

 

Schule 15

48

---

---

ja

Schule 9_2

68

44,4%

---

ja

Schule 16

62

46,1%

ja

 

Schule 17

104

31,2%

---

ja

Schule 8_3

72

 

ja

ja

Schule 12_2

61

46,7%

---

ja

Gesamt ZR2

367

41,7%

 

 

Gesamt

N=1529

49,9%

   

3 Ergebnisse

3.1 Lehrkräfteurteile zum Führungshandeln der Schul- und Abteilungsleitungen

Tabelle 2 enthält eine Übersicht zu den Befunden zum Führungshandeln der Schul- und Abteilungsleitungen nach Erhebungszeiträumen.

Tabelle 2:     Lage- und Streuungsmaße für die Skalen nach Erhebungszeitpunkten für die Schul- und Abteilungsleitungen

Schule

2006-2010

2012-2021

Gesamt

MW

s

N

MW

s

N

MW

s

N

Repräsentation
(α=0,73)

3,09

0,60

1.832

3,19

0,62

3.456

3,15

0,61

5.288

Organisation

(α=0,86)

2,97

0,61

1.832

3,19

0,60

3.526

3,11

0,61

5.358

Personal Orientierung

(α=0,91)

2,89

0,66

1.832

3,04

0,61

3.465

2,99

0,63

5.390

Kooperation

(α=0,76)

2,91

0,65

1.832

3,00

0,70

3.456

2,97

0,68

5.297

Pädagogische Orientierung

(α=0,84)

2,70

0,65

1.832

2,91

0,64

3.401

2,84

0,65

5.233

Personalentwicklung

(α=0,77)

2,56

0,70

1.832

2,78

0,69

3.370

2,70

0,70

5.202

Keine der Führungsdimensionen hat einen Mittelwert unterhalb des theoretisch festgelegten Mittelwerts von 2,5. Dies impliziert, dass das Führungshandeln in allen sechs Führungsrahmen als ausgeprägt wahrgenommen wird. Die Dimension Repräsentation wird von den Befragten im Vergleich als besonders stark berücksichtigt empfunden. Demzufolge wird die Führungsarbeit an der Entwicklung der Identität der Schule sowie der schulischen Vertretung nach außen als Aufmerksamkeitsschwerpunkt des Führungshandelns wahrgenommen. Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Führungskräfte ebenfalls sehr aktiv in der Organisation der schulischen Abläufe und der Abwicklung administrativer Aufgaben wahrgenommen werden. Für beide Skalen liegen die 3. Quartile bei x0,75=3,5, d. h. mind. 25% der Lehrkräfte nehmen diese Führungsdimensionen in ihren Schulen als sehr zutreffend wahr. 

Zwischen den verschiedenen Führungsebenen können insgesamt kaum Urteilsunterschiede festgestellt werden. Lediglich im Bereich Personale Orientierung werden die Abteilungskoordinator*innen am stärksten unterstützend wahrgenommen. Dies entspricht den Funktionsbeschreibungen, die dieser Führungsebene eine besondere Nähe zum Kollegium zuweisen. Sie unterstützen diese in der Verwaltungsarbeit und beraten zu den Bildungsangeboten der Abteilungen (vgl. Berliner Zuordnungsrichtlinie, Abschnitt 3.6). 

Das geringste Engagement der Führungskräfte nehmen die Lehrkräfte im professionell entwickelnden Bereich wahr. Rund ein Viertel der Befragten sind der Meinung, dass der Einfluss auf die Personalentwicklung sowie die Pädagogische Orientierung eher gering bis sehr gering ausgeprägt ist. 

Auffällig für alle sechs Führungsdimensionen ist ein Anstieg des wahrgenommenen Engagements im zweiten Erhebungszeitraum. Ob ein entsprechender Zusammenhang besteht, wird eine Korrelationsanalyse zum Erhebungszeitpunkt ermittelt, deren Ergebnisse die folgende Tabelle 3 zusammenfasst (nach Bravais/Pearson, vgl. Bortz/Schuster 2010, 170f.).

Tabelle 3:     Korrelationsanalysen Skalen und Erhebungszeitraum
(Signifikanzniveaus: * p≤0,05; ** p≤0,01; *** p≤0,001)

 

Repräsen-tation

Organi-sation

Personale Orientierung

Koope-ration

Pädagogische Orientierung

Personalent-wicklung

Erhebungs-zeitraum

0,077***

0,166***

0,113***

0,058***

0,149***

0,154***

Im ersten Erhebungszeitraum sind die Schulen vorwiegend zur Umsetzung zentraler Instrumente des Qualitätsmanagements verpflichtet. Bis zum Jahr 2007 werden Schulprogramme eingefordert, zum Jahr 2009 geben die Einzelschulen ihre Berichte zur internen Evaluation ab. In diesen Zeitraum fällt auch die Einführung der externen Schulinspektion in Berlin. Im zweiten Untersuchungszeitraum wird eine Konzentration auf pädagogische Entwicklungsthemen in den bildungspolitischen Aktivitäten sichtbar. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass solche Herausforderungen das Führungsengagement für die Lehrkräfte bemerkbar beeinflusst haben.

Die sechs ermittelten Assoziationsmaße deuten auf einen schwachen, positiven Zusammenhang hin. Die nachfolgende Tabelle 4 fasst Unterschiede in den Parametern der Skalen nach Erhebungszeitpunkt zusammen. Die Testergebnisse zeigen signifikante Unterschiede bei den Lehrkräfteurteilen für alle Ska­len. Die Determinationskoeffizienten fallen für die Skalen Personalentwicklung, Pädagogische Orientierung sowie Organisation am höchsten aus. Trotzdem überschreiten diese Werte den Grenzwert in Höhe von 0,26 und können damit nicht als starke Effekte betrachtet werden. 

Obwohl keine tatsächliche Zeitreihenanalyse vorliegt, lassen sich auf Basis der Daten Effekte der bildungspolitischen Reformbestrebungen auf das Führungshandeln vermuten. Die Zuwächse im Bereich der Organisation und Personalentwicklung deuten auf Effekte des einzelschulischen Qualitätsmanagements hin. Die höheren Zunahmen im Bereich der Pädagogischen Orientierung könnten dem Perspektivwechsel in der Schulqualitätsdebatte hin zur Unterrichtsentwick­lung zugrunde liegen.

Tabelle 4:     Mann-Whitney-U-Test
(Signifikanzniveaus: * p≤0,05; ** p≤0,01; *** p≤0,001)

 

Repräsen-tation

Organi-sation

Personale Orientie-rung

Koope-ration

Pädagogische Orientierung

Personal-ent-wicklung

Alle Schulen

Z=-6,1***
N=5.288

Z=-12,5***
N=5.358

Z=-7,8***
N=5.390

Z=-5,0***
N=5.297

Z=-10,9***
N=5.233

Z=-11,1***
N=5.202

Weiterhin wird ein Vergleich der Entwicklungen in Abhängigkeit von der Zeit an den vier Schulen angestrebt, die mehrfach an der Befragung teilgenommen haben. Davon haben zwei Schulen jeweils an einer Befragung im ersten Zeitraum 2006-2010 sowie an einer bzw. zwei Befragungen im zweiten Erhebungszeitraum 2012-2021 teilgenommen (Schulen 7 und 8). Zwei Schulen haben wiederholt im zweiten Befragungszeitraum teilgenommen (Schulen 9 und 12). Zwischen den Teilnahmen lagen in jeder Schule mindestens 3, maximal 5 Jahre. Tabelle 5 stellt die deskriptiven Befunde zusammen.

Tabelle 5:     Korrelationsanalysen für wiederholt teilnehmende Schulen nach Skalen und Erhebungszeitraum (Signifikanzniveaus: * p≤0,05; ** p≤0,01; *** p≤0,001)

 

Repräsen-tation

Organi-sation

Personale Orientierung

Koope-ration

Pädagogische Orientierung

Personalent-wicklung

Schule 7

0,073*

0,128***

0,048

0,073*

0,180***

0,178***

Schule 8

0,126**

0,435***

0,411***

0,343***

0,207***

0,356***

Schule 9

0,235**

0,06

0,100*

0,120**

0,18***

0,164***

Schule 12

0,138**

0,138**

-0,23***

-0,58***

0,07

0,24***

Die Assoziationsmaße deuten überwiegend auf schwach bis mittelstark positive Zusammenhänge zwischen den Einschätzungen der Lehrpersonen zum Führungsengagement der Schul- und Abteilungsleitungen sowie dem Erhebungszeitraum hin. Dies bedeutet, dass i. d. R. ein stärkeres Engagement der Schul- und Abteilungsleitungen mit Zunahme der Zeit wahrgenommen wird. Am geringsten fallen die Zusammenhänge in den Schulen 7 und 9 aus. In beiden Schulen haben die Lehrpersonen zur Erstbefragung jedoch bereits hohe Zustimmungswerte über alle Führungsrahmen hinweg zurückgemeldet.

Bei Schule 12 fallen schwache bis mittelstarke negative Zusammenhänge bei den Skalen Personale Orientierung und Kooperation auf. Dies kann ggf. auf dem Umstand zurückgeführt werden, dass kurz vor dem Zeitpunkt der Umfrage die Schulleitung für das Kollegium überraschend ihren Wechsel in eine andere berufliche Position bekannt gab. Den Führungskräften wurde – auch in den offenen Antworten – eine mangelnde Transparenz im Umgang mit dieser Information vorgeworfen.

3.2 Lehrkräfteurteile zu den Fach(bereichs)leitungen

Tabelle 6 stellt die Befunde zum Führungshandeln der Fach(bereichs)leitungen dar.

Tabelle 6:     Lage- und Streuungsmaße für die Skalen zu den Fach(bereichs)leitungen

Schule

Gesamt

MW

s

N

Repräsentation des Fach(bereich)s in der Schule (α=0,83)

3,02

0,82

484

Organisation (α=0,91)

3,25

0,71

526

Pädagogische Orientierung (α=0,91)

3,21

0,73

511

Personalentwicklung (α=0,90)

2,69

0,85

505

Auch für die Fach(bereichs)leitungen kann bei keiner der Führungsdimensionen ein Mittelwert unterhalb des theoretisch festgelegten Mittelwerts von 2,5 festgestellt werden. Dies impliziert, dass in der Wahrnehmung der Lehrpersonen die Fach(bereichs)leitungen an den beruflichen Schulen in Berlin in ihrem Handeln als Führungskräfte durchaus als wirksam erlebt werden. Sowohl die Organisation der Arbeit im Fachbereich wird von den befragten Lehrkräften überwiegend als Aufmerksamkeitsschwerpunkt wahrgenommen wie auch die Pädagogische Orientierung. So stimmen rund 40% aller Befragten Lehrpersonen der Aussage voll und ganz zu, die Fach(bereichs)leitung würde Projekt zur Entwicklung von Unterricht unterstützen. Hier erscheint es – zumindest für die hier betrachtete Stichprobe –, dass die Fach(bereichs)leitungen die sowohl in der Bildungsforschung als auch in der Bildungspolitik geäußerten Hoffnungen erfüllen kann, eine entscheidende Promotorengruppe für die Unterrichtsentwicklung darzustellen.

Einschränkend ist bei der Interpretation der Befunde zu berücksichtigen, dass eher hohe intrainstitutionelle Varianzen auftreten. Dies bedeutet, dass es vor allem in den größeren Oberstufenzentren nicht gelingt, einheitliche Werte und Standards für die Führungsarbeit in den Fächer bzw. Fachbereichen zu implementieren und somit schulweit ähnlich förderliche Bedingungen für Unterrichtsentwicklung zu garantieren.

Das geringste Engagement der Fach(bereichs)leitungen nehmen die befragten Lehrpersonen im Bereich der Personalentwicklung wahr. Etwa die Hälfte der Lehrpersonen gibt an, in ihrem Fach bzw. Fachbereich würde regelmäßig der Fortbildungsbedarf ermittelt. Lediglich knapp 20% der Befragten geben an, dass durch die Fachleitung bzw. Fachbereichsleitung in Fortbildungsangelegenheiten beraten würde bzw. dass Erkenntnisse aus Fortbildungen im Fachbereich verbreitet würden. Diese Befunde sind vor dem Hintergrund der selbstverantworten Schulentwicklung vor allem auch deshalb kritisch einzuschätzen, da die Personalentwicklung auch durch das Führungshandeln der Schul- und Abteilungsleitungen am wenigsten abgedeckt wird und somit scheinbar primär in der individuellen Verantwortung der Lehrpersonen verbleibt.

3.3  Qualitätsbeauftragte und Führungshandeln

Acht Schulen in der Stichprobe haben seit 2006 die Möglichkeit wahrgenommen, eine Funktionsstelle der Fach(bereichs)ebene für Qualitätsbeauftragte umzuwandeln.

Tabelle 7:     Korrelationsanalysen Skalen und Einrichtung Funktionsstelle für Qualitätsbeauftragte (Signifikanzniveaus: * p≤0,05; ** p≤0,01; *** p≤0,001)

 

Repräsen-tation

Organi-sation

Personale Orientierung

Koope-ration

Pädagogische Orientierung

Personalent-wicklung

Qualitäts-beauftragter ja

0,112***

0,110***

0,024

0,055***

0,049***

0,075***

Es zeigen sich bis auf die Skala Personal Orientierung durchgängig schwach positive Zusammenhänge zwischen dem wahrgenommenen Engagement der Schul- und Abteilungsleitungen in den Führungsrahmen sowie dem Vorhandensein der Funktionsstelle für Qualitätsbeauftragte.

4 Fazit und Ausblick

4.1 Zusammenfassung der Befunde

Die Befunde lassen auf eine verstärkte Übernahme von Führungsverantwortung im Zuge der erweiterten schulischen Entscheidungs- und Gestaltungsräume vermuten. Der bildungspolitische Perspektivwechsel im Verständnis von Schulleitungen von einer Lehrkraft mit erweiterten Verwaltungsaufgaben hin zu einer pädagogischen Führungskraft wird aus Sicht der befragten Lehrkräfte von ihren Schul- und Abteilungsleitungen übernommen. Für das Gelingen der aktuellen bildungspolitischen Reformbemühungen ist dies von zentraler Bedeutung. Internationale Forschung, wie auch Untersuchungen im deutschsprachigen Raum sehen die Schulleitungen in der Rolle „gate keeper“ von Innovationen zu sein und entwicklungsförderliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

H1: Das Führungshandeln der Schul- und Abteilungsleitungen wird zum zweiten Erhebungszeitpunkt von den Lehrkräften als insgesamt stärker ausgeprägt wahrgenommen.

Diese Annahme bestätigt sich auf Basis der Befunde für alle untersuchen Führungsrahmen, wenngleich die Unterschiede wenig stark ausgeprägt sind. Für diesen Befund kann es eine Rolle spielen, dass es sich um eine selektierte Stichprobe handelt, in der sich alle beruflichen Schulen aus eigenem Wunsch an der Befragung teilgenommen haben und nicht zufällig ausgewählt sind. Allerdings weisen die Befunde aus den Einzelschulanalysen darauf hin, dass auch in diesen Schulen über die verschiedenen Befragungszeitpunkte hinweg ein positiver Zusammenhang festgestellt werden konnte, d. h. die Schul- und Abteilungsleitungen über die Zeit in ihrem Führungshandeln von den Lehrpersonen als stärker sichtbar wahrgenommen werden.

H2: Insbesondere werden stärkere Ausprägungen in den Führungsdimensionen erwartet, die mit der Unterrichtsentwicklung in Verbindung stehen.

Diese Annahme bestätigt sich durch die Befunde nicht in vollem Umfang. Zwar werden leicht höhere Zuwächse in den Führungsrahmen Pädagogische Orientierung festgestellt, dies gilt jedoch gleichfalls für den Führungsrahmen Organisation und Personalentwicklung. Insgesamt unterscheiden sich die positiven Veränderungen in den Führungsdimensionen nach Zeit jedoch kaum. Es ist davon auszugehen, dass sich die Schul- und Abteilungsleitungen insgesamt über die Zeit proaktiv in der Rolle der Führungskraft in der Schule in erweiterter Selbstverantwortung wiederfinden, dies jedoch nicht mit dem bildungspolitisch intendierten Fokus auf der Unterrichtsentwicklung.

H3: Die Fach(bereichs)leitungen übernehmen Führungsverantwortung lediglich in sehr eingeschränktem Umfang.

Auch diese Annahme bestätigt sich nicht in der vorformulierten Form. Überwiegend werden die Fach- bzw. Fachbereichsleitungen von den Lehrpersonen in ihrem Führungshandeln als engagiert wahrgenommen, wenngleich dieser Befund innerhalb einer Schule z. T. nicht für alle beurteilten Führungskräfte zutreffend ist. Die Unterschiede innerhalb einer Schule sind bei den Rückmeldungen zu den Fach(bereichs)leitungen größer als auf der Ebene der Schul- und Abteilungsleitungen. Anders als die Schul- und Abteilungsleitungen ist auf der Ebene der Fach(bereichs)leitungen eine Fokussierung auf die Unterrichtsentwicklung überwiegend deutlich erkennbar. Hingegen erfährt die Personalentwicklung sowohl in der Aufmerksamkeit der Schul- und Abteilungsleitungen als auch in der Aufmerksamkeit der Fach(bereichs)leitungen eine zu geringe Berücksichtigung.

H4: Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Ausprägung des Führungshandelns und der Einrichtung der Funktionsstelle für Qualitätsbeauftragte an der Schule.

Dieser Zusammenhang wird durch die Befunde bestätigt, wenngleich dieser schwach ausgeprägt ist. Dieser Zusammenhang deutet darauf hin, dass Führungskräfte mit einem ausgeprägten Führungsverständnis und einem nach außen sichtbaren engagierten Führungshandeln ebenfalls die Aufmerksamkeit für die Qualitätsentwicklung betonen und entsprechende Funktionsstellen einrichten. Weiterhin ist zu vermuten, dass die Tätigkeit der Qualitätsbeauftragten positive Wirkungen auf die Schulorganisation bzw. die Entwicklungsorientierung an der Schule entfaltet.

4.2 Ausblick

Konfrontiert mit zunehmenden und sich stark verändernden Aufgaben und Funktionen wird die individuelle Interpretation und Ausgestaltung der Führungsrolle zu einer wesentlichen und dauerhaften Aufgabe der professionellen Selbstentwicklung der schulischen Führungskräfte auf allen Leitungsebenen. Die Schulleitung steht dabei in einem Beziehungsnetzwerk mit den Abteilungs-/Bereichsleitungen, den Fach(bereichs-)leitungen, mit Lehrkräften mit zugewiesenen Führungsaufgaben und ggf. erweiterten Schulleitungen (vgl. Greubel 2017, 474, Kummer Wyss/Rolff 2019, 5). Schulleitungen benötigen vor allem Kompetenzen und Erfahrungen, um gemeinsam mit den weiteren Führungskräften der Schule und dem Kollegium geteilte schulische Leitvorstellungen zu entwerfen, Veränderungsbedarfe zu priorisieren, ein Gesamtkonzept zur datenbasierten Schulentwicklung zu entwerfen sowie projektförmiges Arbeiten in Bezug auf Innovations- und Entwicklungsaufgaben zu initiieren, zu begleiten und zu evaluieren. Die zugewiesene Schnittstellenposition der schulischen Führungskräfte zwischen staatlichen Reformvorhaben und innerschulischen Implementierungsstrategien kann dabei als durchaus herausfordernd betrachtet werden (vgl. Warwas 2014).

Eine breite Verteilung von Führungsaufgaben im Sinne kooperativer bzw. verteilter Führung erscheint vor diesem Hintergrund notwendig, um die selbstverantwortliche Entwicklung der Schule in allen Bereichen voranzubringen. Zumindest die Befunde aus dieser Studie verweisen auf leichte Veränderungen im Führungshandeln in Richtung der Leitvorstellung kooperativer und schulentwicklungsorientierter Führung. Diese gilt es zu stabilisieren und weiter auszubauen.

Um entsprechende Entwicklungen anzustoßen bzw. zu beschleunigen sind vor allem drei Bereiche relevant: (1) Eine breitere Verteilung von Führungsverantwortung in der selbstständigen Schule stößt auch aktuell in vielen deutschen Bundesländern an enge schulrechtliche Grenzen. Diesbezüglich ist ein stärkerer bildungspolitischer Fokus erforderlich. (2) Im wissenschaftlichen Diskurs und in der (empirischen) Schulleitungsforschung finden Konzepte des kooperativen bzw. verteilten Führens eine zu geringe Beachtung. (3) Das Angebot an Aus- und Fortbildungen für Schulleitungen ist nach wie vor nicht ausreichend; für die Qualifizierung von Führungskräften auf den mittleren Führungsebenen von Schulen stehen sogar noch weniger Angebote zur Verfügung.

Literatur

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Kummer Wyss, A./Rolff, H. G. (2019): Verteilte Führung. In: Journal für Schulentwicklung, H. 2/2019, 6-10.

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Zitieren des Beitrags

Wagner-Herrbach, C. (2022): Schulqualität im Blick!? – Führungshandeln an beruflichen Schulen aus der Perspektive von Lehrkräften. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 41, 1-16. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe41/wagner-herrbach_bwpat41.pdf (27.06.2022).