bwp@ 41 - Dezember 2021

Führung und Management beruflicher Schulen

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Cornelia Wagner-Herrbach & Franz Gramlinger

Steuerungsgruppe als Modell distributiver Schulleitung – eine kritische Praxisreflexion

Beitrag von Michael Göschel & Kerstin Göschel
bwp@-Format: Aus der Praxis
Schlüsselwörter: Schulleitungshandeln, Steuerung, Schulmanagement, Rollenverständnis von Schulleitungen

Die Aufgaben von Schulleitungen werden zunehmend von ein oder zwei Personen auf Leitungsteams verteilt. In diesem Beitrag stellen die Autoren eine besondere Konstellation der distributiven Schulleitung vor, welche aus praktischen Überlegungen heraus entstanden ist. Dabei wird aufgezeigt, welche Vorteile Entscheidungsfreiheiten im Sinne einer selbstverwaltenden Schule bringen können. Die existierende Struktur wird auf Basis von theoretischen Idealvorstellungen kritisch beleuchtet und dabei Entwicklungspotenziale herausgearbeitet. Auch werden Erkenntnisse dargestellt, welche allgemein für Projekte dieser Art genutzt werden können.

Steering group as a model of distributive school management – a critical reflection on practice

English Abstract

The tasks of school management are increasingly being distributed from one or two persons to management teams. In this article, the authors present a special structure of a distributive school management, which has emerged from practical considerations. The advantages of freedom of decision in the setting of a self-governing school are shown. The existing structure is critically examined on the basis of theoretical ideals and potentials for development are worked out. Findings are also presented that can be used for projects of this kind in general.

1 Einleitung

1.1 Zielsetzung

Dieser Reflexionsbeitrag stellt das Instrument der Steuer(ungs)gruppe als Form der distributiven (Schul)Leitung aus der realen Praxis einer bayerischen Berufsfachschule für Notfallsanitäter*innen vor. In der betrachteten Einrichtung wird diese Organisationsform seit zwei Jahren formell als Form der erweiterten Schulleitung eingesetzt, existiert jedoch schon seit 2013 als Projektgruppe mit nahezu identischen Aufgaben.

Der Beitrag orientiert sich dabei an zwei zentralen Zielsetzungen:

  1. Darstellung der praktischen Umsetzung einer kombinierten Schul- und Unternehmensleitung in der Form einer distributiven Leitung an einer Berufsfachschule.
  2. Reflexion des Prozesses sowie des Ist-Zustandes der Aufgaben, Prozesse und Strukturen dieser Organisationsform.

Der Begriff der Reflexion wird in der Literatur uneinheitlich verwendet (Gillen 2007, 1). Für die Zielsetzung des vorliegenden Beitrags treffend erscheint die Überlegung von Dewey, dass Erfahrungen und deren reflektierte Verarbeitung Lernprozesse initiiert (Dewey 1986, 149 ff.). Diese Erfahrungswerte sind hilfreich, um neue Strukturen und Prozesse zu entwickeln und ein neues Bewusstsein für die aktuelle Situation zu erlangen.

Die Steuerungsgruppe der Bildungseinrichtung ist eine aus der betrieblichen / schulischen Praxis heraus entstandene Institution innerhalb der Organisation. Kröll weist darauf hin, „...dass die Implementierung von praxisorientierten Konzepten häufig nicht zum erwünschten Ziel führt“ (Kröll 2020, 247). Dieser Beitrag reflektiert die aktuelle Situation der betrachteten Bildungseinrichtung und leistet damit auch einen Beitrag zur Schul- bzw. Organisationsentwicklung.

1.2 Aufbau des Beitrags

Einleitend werden Status, Struktur und Historie der betrachteten Bildungseinrichtung beschrieben. Dies ermöglicht Lesenden einen orientierenden Überblick über die Rahmenbedingungen der Berufsfachschule. Der anschließende theoretische Abriss fasst wesentliche Grundlagen der distributiven Schulleitung, insbesondere des Instrumentes der Steuergruppe zusammen.

Die eigentliche Reflexion stellt idealtypische Strukturen und Aufgaben einer Steuergruppe dem Status quo der betrachteten Schule gegenüber. Daraus gewonnene Erkenntnisse werden anschließend kritisch diskutiert und abschließend als „Lessons learned“ zusammengefasst und mit einem Ausblick auf zukünftige Aktivitäten verbunden.

1.3 Perspektive der Autoren

Beide Autoren verbinden langjährige Erfahrungen in der betrachteten Bildungseinrichtung als angestellte bzw. freiberuflich tätige Lehrkräfte. Aus weiteren beruflichen Engagements werden Erfahrungen aus dem öffentlichen Schulsystem, der Unternehmensberatung und der Projekt- und Strukturentwicklung in Wirtschaftsunternehmen eingebracht.

Die Perspektive wechselt dabei zwischen dem internen Blickwinkel als Beteiligte des Prozesses und des Unternehmens und dem externen Blick der kritischen Reflexion. Eine Verzerrung durch die persönliche Involvierung kann dabei nicht ausgeschlossen werden.

2 Kurzportrait der betrachteten Bildungseinrichtung

2.1 Schulrechtlicher Status

Betrachtet wird in diesem Beitrag eine Berufsfachschule für Notfallsanitäter*innen im Regierungsbezirk Oberbayern des Freistaats Bayern. Die Bildungseinrichtung ist in privater Trägerschaft in Form einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gem. GmbH). Der Schulleiter ist gleichzeitig Geschäftsführer und Hauptgesellschafter des Unternehmens.

Schulrechtlich handelt es sich um eine staatlich anerkannte Ersatzschule im Sinne des Artikel 100 des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes (BayEUG). Ersatzschulen sind gemäß schulrechtlichen Bestimmungen ein Ersatz für öffentliche Schulen und müssen deshalb in wesentlichen Merkmalen den Standards der öffentlichen Schulen entsprechen. Wesentliche Merkmale sind beispielsweise Ausstattung, Qualifikation der Lehrkräfte, Anforderungen an Leistungsnachweise oder auch Vorgaben des Lehrplans. Staatlich anerkannte Schulen sind – im Vergleich zu genehmigten Schulen – den öffentlichen Schulen gleichgestellt und dürfen auch die jeweiligen Abschlussprüfungen selbst durchführen. Derartige Schulen sind jedoch häufig in privater bzw. frei-gemeinnütziger Trägerschaft.

Das System der beruflichen Schulen im Freistaat Bayern unterscheidet zwischen Berufsschulen und Berufsfachschulen. Berufsfachschulen in Bayern bereiten auf den Abschluss einer beruflichen Qualifizierung vor. Sie sind für verschiedenste Berufszweige eingerichtet und kooperieren üblicherweise mit Lernorten für die praktische Ausbildung. Die Ausbildungsdauer ist dabei abhängig vom Berufsbild und variiert zwischen ein und drei Jahren. Anders als Berufsschulen beinhaltet der Unterricht an Berufsfachschulen auch fachpraktische Inhalte (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2012).

Berufsfachschulen sind gemäß dem Strukturmodell der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) der Sekundarstufe II zuzuordnen (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2019, 2).

2.2 Schulportfolio

Der schulrechtlich anerkannte Kernbereich des Unternehmens ist die dreijährige Berufsausbildung zum/r Notfallsanitäter*in. Neben diesem umfassenden Ausbildungsgang werden noch verschiedene Lehrgangsformate in unterschiedlicher Dauer und Häufigkeit durchgeführt, welche nicht dem Schulrecht unterliegen.

Als aufwändigere Angebote werden beispielsweise die Ausbildung und Prüfung zum/r Rettungssanitäter*in (520 Stunden), die Weiterqualifizierung und Prüfung von Rettungsassistent*innen zu Notfallsanitäter*innen (Ergänzungslehrgang, 80 bis 480 Stunden) sowie die Ausbildung von praxisanleitenden Personen im Rettungsdienst (300 Stunden) angeboten.

Daneben runden verschiedenste medizinische und pädagogische Fortbildungsangebote und internationale Kursformate im Bereich der Reanimation das Angebot ab.

Seit etwa zwei Jahren werden regelhaft Hospitationsplätze für angehende Lehrkräfte angeboten, welche z.B. im Rahmen des Bachelorstudiums „Pädagogik im Rettungswesen“ praktische Abschnitte und auch die abschließende Lehrprobe an der Bildungseinrichtung absolvieren. Die Ausbildung von Nachwuchs-Lehrkräften erfolgt dabei in enger Kooperation mit der jeweiligen Hochschule.

Verschiedene Vertreter der Bildungseinrichtung waren und sind in unterschiedlichen Arbeitsgruppen und Gremien zur Vertretung der Interessen der Berufsfachschule auf Ebene des Regierungsbezirks sowie des Freistaats Bayern aktiv.

Tabelle 1 stellt einige Leistungskennzahlen des Unternehmens dar.

Tabelle 1: Leistungskennzahlen der Bildungseinrichtung

 

Schuljahr 2019/2020

Schuljahr 2020/2021

Lehrkräfte

29

37

davon im Angestelltenverhältnis

10

10

davon freiberuflich tätig

19

27

Schüler*innen (SuS) bzw. Teilnehmende

480

652

Notfallsanitäter*innen Vollzeit

72

(3 Klassen)

85

(4 Klassen)

Notfallsanitäter*innen Ergänzungslehrgänge

103

39

Rettungssanitäter*innen

155

232

Praxisanleitende Personen

24

11

Fortbildungsangebote

126

285

2.3 Historische Eckpunkte: Gründung und Berufsbildwechsel

Gegründet wurde die Bildungseinrichtung 2005 als Berufsfachschule für Rettungsassistent*innen mit Schwerpunkt auf die damals einjährige schulische Ausbildung. Das Berufsbild des/r Rettungsassistent*in wurde auf Bundesebene 2014 zum Berufsbild des/r Notfallsanitäter*in novelliert. Nach einer einjährigen Vorbereitungsphase wurde zu Beginn des Schuljahres 2015/2016 erstmals mit der Durchführung dieser dreijährigen Berufsausbildung begonnen.

Die Ausbildung zum/r Notfallsanitäter*in brachte aufgrund der deutlich veränderten Rahmenbedingungen neue Strukturen, neue Prozesse, neue Lehrkräfte und auch neue Herausforderungen für die Bildungseinrichtung mit sich.

Strukturen und Prozesse des Unternehmens sind noch heute vielfach von dieser historischen Entwicklung der Bildungseinrichtung geprägt.

2.4 Projektgruppe wird zur Steuerungsgruppe

Um den Veränderungsbedarf des beschriebenen Berufsbildwechsels koordiniert bearbeiten zu können, wurde 2013 eine Projektgruppe Notfallsanitäter an der Bildungseinrichtung installiert. Diese setzte sich aus dem Schulleiter, dem stellvertretenden Schulleiter sowie dem Autor als Projektleiter und einem weiteren Mitarbeiter der Schulleitung zusammen.

Im Laufe der fünfjährigen Projektarbeit wurden zunehmend Leitungsaufgaben übernommen und strategische Entscheidungen durch die Projektgruppe getroffen. In Teilen ging der ursprüngliche Projektcharakter mit zeitlicher Limitation verloren. Die einzelnen Projektmitarbeitenden übernahmen definierte Leitungs- und Koordinationsfunktionen innerhalb der Berufsfachschule bzw. des Unternehmens. Alle Mitglieder der Projektgruppe wurden im Verlauf zu Mitgliedern der Schulleitung bestellt.

Als Konsequenz dieser Entwicklungen wurde 2019 die Projektgruppe formal zur Steuerungsgruppe umbenannt und fest im Organigramm der Einrichtung als Leitungsgremium verankert. Begleitend dazu wurden die Fachbereichsleitungen (FBL) Lehr-/Lernmittel, Ausbildungsbetrieb und Pädagogik definiert und implementiert. Die Besetzung erfolgte mit den Mitgliedern der ehemaligen Projektgruppe, da diese bereits die entsprechenden Aufgaben im Alltag innehatten. Die formale Struktur wurde damit der gelebten Praxis angepasst. Auch heute noch arbeitet die Steuerungsgruppe als Mischfunktion eines Leitungsorgans kombiniert mit Projekttätigkeiten. Aufgrund des rein operativen Tätigkeitsschwerpunkts wurde der Fachbereich Kunden / Verwaltung bisher nicht in die Steuerungsgruppe integriert.

Bei der Wahl der Bezeichnung wurde bewusst „Steuerungsgruppe“ gewählt und nicht der im schulischen Kontext verbreitete Begriff der Steuergruppe (Feldhoff 2011, 132). Mit der an das Projektmanagement angelehnten Bezeichnung sollte betont werden, dass das erweiterte Leitungsgremium der Berufsfachschule auch Aufgaben des Unternehmens über den schulrechtlichen Rahmen hinaus wahrnimmt. Zudem setzt die Steuerungsgruppe Impulse der Schulentwicklung und übergibt Arbeitsaufträge ins Lehrerkollegium bzw. priorisiert Anregungen aus dem Kollegium für die Umsetzung. Die hier gelebte Praxis steht in deutlichem Kontrast zum ursprünglichen Konstrukt der Steuergruppe, welche als Umsetzungsinstrument des Lehrerkollegiums gedacht war/ist (Dalin/Rolff/Buchen 1998, 67).

2.5 Aufgabenspektrum der Steuerungsgruppe

Die Steuerungsgruppe der betrachteten Bildungseinrichtung nimmt verschiedenste Aufgaben wahr. In den Verantwortungsbereich der Mitglieder fallen sowohl operative als auch strategische Aufgaben aus schulrechtlichem und unternehmerischem Kontext.

Ein Versuch definierter Stellenbeschreibungen für die Mitglieder der Steuerungsgruppe wurde einvernehmlich durch alle Beteiligten abgebrochen. Bedingt durch die hohe Dynamik der Aufgabenverteilung empfanden alle Beteiligten die feste Aufgabenzuweisung als eher hinderliches Instrument. Konsens dieser Arbeitssitzung war, dass allgemein definierte Aufgabenschwerpunkte (vgl. Tabelle 2) kombiniert mit einer Abstimmung im Einzelfall die aktuell für das Unternehmen passende Lösung sind. Zudem soll jedes Mitglied der Steuerungsgruppe Anlaufstelle für Fragen, Feedback oder Probleme der Mitarbeitenden und SuS sein. Die weitere Bearbeitung erfolgt dann in enger Abstimmung innerhalb der Steuerungsgruppe. Ergänzende Projektaufgaben werden nach zeitlichen Ressourcen und persönlichem Kompetenzprofil der Leitungskräfte verteilt.

Diese besondere interne Struktur wird auch im Organigramm der Bildungseinrichtung (Abbildung 1) deutlich. Die kreisförmigen Fachbereiche gehen als Schnittmengen in die Steuerungsgruppe ein – ein Symbol für die (bewusst) unscharfe Abgrenzung der Aufgaben.

Abbildung 1: Organigramm der BildungseinrichtungAbbildung 1: Organigramm der Bildungseinrichtung

Strategische Entscheidungen, wie beispielsweise die Aufnahme neuer Angebote ins Portfolio, die Definition von Fortbildungsschwerpunkten oder auch die Jahresplanung werden gemeinsam getroffen. Die gemeinsame Planung und autarke Ausübung von Aufgaben mit Rückmeldung in die Steuerungsgruppe haben sich insbesondere während der dynamischen Schulschließungsphasen der CoViD-19-Pandemie bewährt.

Tabelle 2: Aufgabenschwerpunkte der Steuerungsgruppenmitglieder

Funktion

Aufgabenschwerpunkte

Schulleiter*in (gleichzeitig Geschäftsführer*in) und Stellvertreter*in

- Kontakt und Ansprechpartner*in für Behörden, Ämter und sonstige Externe

- Erfüllung der Funktionen gem. BFSO Pflege und BayEUG

- Personaleinsatzplanung

- Planung des Jahresprogramms

- Qualitätsmanagement und Schulentwicklung

- Marketing und Social Media-Präsenz

- „Tages-Krisenmanagement“, Kontaktperson für alle Lehrkräfte / SuS aufgrund der nahezu täglichen physischen Anwesenheit

FBL Ausbildungsbetrieb (gleichzeitig stellvertretende*r Schulleiter*in)

- Kontakt zu Kooperationspartnern Rettungsdienst und Klinik

- Organisation und Evaluation von Praxisbegleitungen

- Klärung von Lehraussagen

FBL Lehr-Lernmittel

- Trainingsmaterialien und Lager

- Ausstattung von Unterrichtsräumen

- Medien und Fachbibliothek

- Lehrunterlagen

- Entwicklung der Unterrichtspläne

- Leistungsnachweise (hier erfolgt eine zentrale Planung und Erstellung für alle Klassen)

FBL Pädagogik

- Didaktische Beratung

- Unterrichtsbegleitung

- Interne Fortbildung

- Beratung bezüglich Leistungsbeurteilung und -bewertung (bezogen auf SuS)

- Einarbeitung neuer Lehrkräfte

- Betreuung von Hospitant*innen

Aufgrund von schul- und unternehmensrechtlichen Vorgaben liegt die Gesamtverantwortung und Entscheidungsbefugnis in vielen Aspekten ausschließlich bei dem Schulleiter und Geschäftsführer des Unternehmens (vgl. auch Abschnitt 3.3).

2.6 Leitungsstruktur außerhalb der Steuerungsgruppe

Den Fachbereichsleitungen selbst unterstehen verantwortliche Personen für spezifische Schwerpunkte. Diese sind für die operative Umsetzung der Strategien in diesem Bereich verantwortlich, arbeiten jedoch auch an der Weiterentwicklung der Teilstrategie mit.

Für temporäre Aufgaben werden bei Bedarf zusätzlich Projektteams außerhalb der Steuerungsgruppe gebildet, die sich – zeitlich begrenzt – einer konkretisierten Aufgabenstellung widmen.

Alle Mitarbeitenden sind organisatorisch direkt dem Schulleiter beziehungsweise dessen Stellvertreter unterstellt. Diese sind die Linienvorgesetzten der Mitarbeitenden, die Fachbereichsleitungen üben ergänzend die Rolle eines Fachvorgesetzten aus. Die Philosophie des „ersten Ansprechpartners“ erlaubt es jedoch dem Mitarbeitenden, selbst auszuwählen, mit welchem Steuerungsgruppen-Mitglied kritische Themen besprochen werden sollen. Aus Sicht der Autoren entsteht hieraus ein realistischeres Feedback aus der Mitarbeiterschaft als in einer Mono- oder Duo-Führungskultur.

2.7 Interne Abstimmung

Eine geteilte Führung bedeutet immer auch Abstimmungsaufwand. Im Laufe der Jahre wurde hierzu ein kombiniertes System aus regelhaften Online-Meetings, ganztägigen Meetings jeden zweiten Monat und ein mehrtägiges, jährliches Strategiemeeting entwickelt. Daneben erfolgt die ad hoc-Abstimmung via Telefon / Videokonferenz, persönlicher Treffen im Rahmen der Anwesenheit an der Bildungseinrichtung oder bei zusätzlich angesetzten Projektmeetings. Für die Nachverfolgung von Aufgabenstati und die Entwicklung von Besprechungsagenden wird das webbasierte Tool Trello® genutzt.

3 Organisation moderner Schulleitungen

3.1 Führungsbegriff aus Schulleitungssicht

Führung, Leitung und Management sind drei schwer voneinander abzugrenzende Begriffe. Sie werden teils synonym, teils für unterschiedliche Aspekte genutzt (Schmerbauch 2017, 34 ff.). Allen ist gemein, dass die Kernaufgabe die Lenkung aller Beteiligten des Unternehmens in eine gemeinsame Richtung ist. Dieses Verständnis soll auch im weiteren Verlauf dieses Beitrags verwendet werden.

3.2 Aufbau einer Schulleitung

Der organisatorische Aufbau einer Leitung beschreibt den Zusammenhang zwischen der obersten Leitung eines Unternehmens und den Mitarbeitenden.

Das BayEUG definiert dabei den Einsatz einer/s Schulleiters/in sowie eines/r Stellvertreters/in als Mindestanforderung (Art. 57 BayEUG). Eine erweiterte Schulleitung kann im Ermessen des Schulträgers eingerichtet werden und muss für den angestrebten Zweck passend gestaltet sein (Art. 57a BayEUG). Weitere Vorgaben für die Ausgestaltung dieser erweiterten Schulleitung existieren für die Schulart der Berufsfachschulen nicht.

Ungeachtet dieses (schulrechtlich) theoretischen Aufbaus können prinzipiell Aufgaben an andere Mitarbeitende delegiert werden, sofern Aufgaben nicht exklusiv für den/die Schulleiter*in vorbehalten sind.

3.3 Schulleitung und Geschäftsführung

Bei Schulen in privater oder frei-gemeinnütziger Trägerschaft existieren häufig zwei organisatorische Funktionen, welche das Aufgabenportfolio der obersten Leitung der Bildungseinrichtung definieren. Aus schulrechtlicher Sicht ist dies die Schulleitung, aus Perspektive der Gesellschaft die Geschäftsführung. Tabelle 3 stellt die gesetzlich definierten Aufgaben der beiden Rollen gegenüber. Aufgrund der Struktur der betrachteten Bildungseinrichtung wurde die Geschäftsführung nach dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) sowie das Handelsgesetzbuch (HGB) gewählt.

Zu den Aufgaben ist festzustellen, dass diese in den gesetzlichen Grundlagen sowohl für die Schulleitung als auch die Geschäftsführung nur oberflächlich beschrieben werden. Das Modell von Huber versucht, das komplexe Aufgabengefüge der Rolle Schulleitung in Handlungsfelder des Schulmanagements zusammenzufassen (Huber, 2010, S. 10).

Die Gegenüberstellung des „Idealmodells“ von Huber mit den definierten Anforderungen der rechtlichen Grundlagen macht auch deutlich, dass ganze Handlungsfelder hier keine Erwähnung finden. Sie sind aber teilweise durch ministerielle Weisungen oder auch handelsrechtliche Vorgaben näher definiert.

Tabelle 3:      Aufgaben von Schulleitung und Geschäftsführung; BSchO: Schulordnung für schulartübergreifende Regelungen an Schulen in Bayern

Handlungsfelder Schulmanagement

(Huber 2010, 8ff.)

Aufgaben der Schulleitung

(BayEUG, BSchO, BFSO)

Aufgaben der Geschäftsführung

(GmbHG, HGB)

Organisation

Geordneter Schulbetrieb

Gesamtverantwortung rechtlich, pädagogisch, organisatorisch

Ordnungsgemäße Buchführung, Lagebericht und Jahresabschluss

Alle Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb mit sich bringt

Personal

   

Qualitätsmanagement

   

Unterricht und Erziehung

Bildung und Erziehung der SuS

Überwachung der Schulpflicht

Beratung der Lehrkräfte

 

Kooperation (innerhalb der Schule und nach außen)

Vertretung nach außen

Vertretung nach innen und außen

3.4 Steuergruppen als Instrument distributiver Schulleitungen

Rolff stellte schon 2012 fest, dass in der Organisation Schule „[...]niemand mehr allein leiten sollte (und wohl auch nicht kann)“ (Rolff 2012). Für die Verteilung von Leitungs-/Führungs­aufgaben in einer Schulleitung werden in der Literatur verschiedene Bezeichnungen verwendet, beispielsweise kooperative Führung, distributive Leadership, erweiterte Schulleitung oder konfluente Leitung (Rolff 2012).

Das von Dalin und Rolff entwickelte Institutionelle Schulentwicklungs-Programm (ISP) beinhaltete bereits 1998 eine Steuergruppe. Als Begründung der Notwendigkeit geben die Autoren an, dass für die Implementierung des Programms

  • mehr Kompetenz notwendig ist, als zwei Personen aufweisen,
  • eine demokratische Arbeitsweise notwendig ist,
  • zahlreiche Aktivitäten zu koordinieren sind und
  • gruppeninterne Lernprozesse ein wichtiger Bestandteil der Organisationsentwicklung sind (vgl. Dalin/Rolff/Buchen 1998, 174).

Durch die Verteilung der Leitungsaufgaben ergibt sich eine zusätzliche Führungsebene, welche auch als „Mittelmanagement“ bezeichnet wird (Sassenscheidt, 2016).

Eine funktionierende Steuergruppe kann die Schulleitung entlasten, in dem sie Vorbereitung und Beratung von Entscheidungen übernimmt, Aufgaben der Schulleitung ausführt oder als Vermittler und „Übersetzer“ zwischen Schulleitung und Kollegium fungiert (Holtappels 2007, 28 f.).

Abzugrenzen von den Leitungsfunktionen sind Stabsstellen, welche besondere Aufgaben, im Regelfall ohne Führungsverantwortung, ausüben (Vahs 2009, 112 f.). Im Kontext der Berufsfachschule sind dies beispielsweise beauftragte Personen für Medizinprodukte, Datenschutz, Qualitätsmanagement, Brandschutz oder ähnliche Querschnittsaufgaben.

In der Gesamtbetrachtung des realen Aufgabenspektrums der Aufgaben einer Schulleitung und Geschäftsführung wird deutlich, dass Rolff´s Feststellung absolut zutreffend ist. Die Leitung einer Berufsfachschule – noch dazu in eigener Trägerschaft – kann nur in einem interdisziplinären Team erfolgen.

4 Reflexion des Status quo

4.1 Referenzmaßstab

Als Referenzmatrix der Reflexion dient das von Holtappels entwickelte Aufgabenprofil für Steuergruppen, vereinfacht dargestellt in Abbildung 1. Im Folgenden werden die Ausführung der beschriebenen Aufgabenbereiche durch die Steuerungsgruppe kurz analysiert und Empfehlungen für die Weiterentwicklung abgeleitet.

Abbildung 2: Aufgabenprofil von Steuergruppen (nach Holtappels 2017, 30 f.)Abbildung 2: Aufgabenprofil von Steuergruppen (nach Holtappels 2017, 30 f.)

4.2 Aufgabenbereich Prozesssteuerung und Koordination

Die Steuerungsgruppe ist das zentrale Koordinierungsgremium der Bildungseinrichtung. Sie entscheidet über die Bildung von Arbeitsgruppen oder Projektteams und überwacht deren Tätigkeit, meist delegiert an die jeweilige Fachbereichsleitung.

Die Weiterentwicklung des Schulprogramms und der Unterrichtsqualität sind stetige Themen auf den Agenden der Besprechungen. Aus den Überlegungen und Wahrnehmungen werden beispielsweise Fortbildungsangebote, Personalentwicklungsmaßnahmen und auch strukturelle Veränderungen der Berufsfachschule entwickelt und durch die Mitglieder selbst oder entsprechende Arbeitsgruppen umgesetzt.

Die agile Ressourcennutzung innerhalb der Steuerungsgruppe ermöglicht eine "Ballastverteilung" in kritischen Situationen. Dies hat sich wiederholt z.B. in der Pandemiebewältigung bewährt, in welcher teilweise am Donnerstag/Freitag behördliche Vorgaben für die Gestaltung des Schulbetriebs in der Folgewoche erlassen oder verändert wurden.

Entscheidungen können nach vorheriger Beleuchtung aus unterschiedlichen Perspektiven getroffen werden. Dies ist bedingt durch die verschiedenen beruflichen und Lebenshintergründe der Mitglieder. Daraus entstehende (teils kontroverse) Diskurse führen meist zu einem gemeinschaftlichen Ergebnis oder zumindest einem gemeinschaftlichen Verständnis der Entscheidung.

Ein schulweites Controlling erfolgt vorwiegend qualitativ. Ziele werden meist unpräzise definiert und nicht mit messbaren Kennzahlen versehen. Viele Lagebewertungen scheinen daher einen subjektiven Charakter zu haben, was durch die teils differenten Wahrnehmungen durch die einzelnen Steuerungsgruppen-Mitglieder gestützt wird.

4.3 Aufgabenbereich Information, Wissensmanagement, Dokumentation

Bewertung von aktuellen Beobachtungen, Diskussion und Implementierung von neuen Erkenntnissen oder auch Analyse von Feststellungen sind Kernaufgabe der betrachteten Steuerungsgruppe. Diese Aufgaben nehmen einen hohen Anteil der gemeinsamen Besprechungszeit des Leitungsteams ein.

Entwicklungen innerhalb der Bildungseinrichtung werden in den Besprechungen regelhaft thematisiert und auch in Form von Protokollen dokumentiert. Die Schulleitung nimmt Veranstaltungen der Schule zum Anlass, um Rück- und Einblicke in stattgefundene und zukünftige Veränderungen für alle Mitarbeitenden zugänglich zu machen.

4.4 Aufgabenbereich Beratung und Unterstützung von Schulleitung und Lehrerteams

Im Zuge der Implementierung von Steuerungsgruppe und Fachbereichsleitungen wurden auch zahlreiche weitere Funktionen und Verantwortlichkeiten definiert. Insbesondere im Fachbereich Lehr-Lernmittel agieren eigenständige Teams für die Erstellung von Lehrunterlagen, der Planung von Unterrichtsausstattung sowie der Gestaltung von Trainingsequipments für die fachpraktische Ausbildung in allen angebotenen Formaten.

Diese Teams / verantwortlichen Personen erhalten Arbeitsaufträge von der Steuerungsgruppe und setzen diese um bzw. erarbeiten Konzepte oder Empfehlungen. Die Umsetzungsentscheidung obliegt dann der Steuerungsgruppe. Die vorrangige Begleitung erfolgt durch eine Fachbereichsleitung.

Durch diese Struktur / Arbeitsweise werden Schulleiter und dessen Stellvertreter von zeitlich aufwändigen Aufgaben, welche teilweise Expertenwissen erfordern, entlastet. Zugleich besteht für jeden Mitarbeitenden die Möglichkeit, eigene Ideen und Wünsche in entsprechende Arbeitsgruppen einzubringen und den eigenen Arbeitsplatz mitzugestalten. Die personale Struktur der Steuerungsgruppe erlaubt es auch, kurzfristige Ressourcenerweiterungen der Schulleitung zu ermöglichen. Damit können ungeplante Ereignisse strukturiert bearbeitet werden.

4.5 Aufgabenbereich Expertenfunktion in Schulorganisation und Change Management

Dieser Bereich bildet die Kernaufgaben der ehemaligen Projektgruppe ab. Die (Weiter)Entwicklung und Umsetzung von Konzepten und Plänen sowie die Organisation interner Fortbildungen sind seit Gründung wiederkehrende Aufgaben der Steuerungsgruppe. Aufgrund fehlender externer Vorgaben zur Evaluation wird aktuell an unternehmensinternen Standards für die interne Evaluation des Unterrichts gearbeitet. Einen Teilbereich stellen dabei z.B. kollegiale Unterrichtsbegleitungen dar. Gleiches gilt für die strukturierte Erhebung und Auswertung von Leistungsnachweisen und Lernstandsanalysen, vor allem für die SuS der Vollzeit-Notfallsanitäterklassen. Nach Einschätzung der Autoren besteht hier ein weites Entwicklungsfeld, teilweise bedingt durch die fehlende pädagogische (akademische) Expertise im Leitungsgremium.

4.6 Aufgaben außerhalb des Holtappels-Modells

Die Steuergruppe im Modell von Holtappels ist ein zentrales Koordinierungsgremium. Die Steuerungsgruppe der betrachteten Berufsfachschule ist hingegen ein Koordinierungs- und Entscheidungsgremium, welches auch exekutive Aufgaben übernimmt.

Die Bündelung von Kompetenzen der Schul- und Unternehmensführung ermöglicht kurze Entscheidungswege im Unternehmen.

Anders als in der Forderung Dalins, Steuergruppen durch die Lehrerkonferenz zu autorisieren (Dalin/Rolff/Buchen, 1998, 58), erfolgte die Einsetzung durch die Schulleitung und Geschäftsführung im Top-Down-Ansatz. Bis heute führte dies zu keinen wesentlichen Konflikten mit dem Kollegium. Die Autoren vermuten, dass dies im deutlich anderen (Selbst)Verständnis der Steuerungsgruppe als gemeinschaftliche Unternehmensleitung begründet sein könnte.

5 Diskussion

5.1 Besonderheiten des vorgestellten Systems

Neben den bereits herausgearbeiteten positiven Erkenntnissen und Potenzialen werden im Folgenden einige Merkmale der betrachteten Bildungseinrichtung herausgestellt, die aus Sicht der Autoren nur an wenigen Schulen anzutreffen sein dürften.

Mit Herausstellung dieser Besonderheiten werden gleichzeitig in Kurzform relevante Vor- und Nachteile diskutiert, ohne jedoch dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

5.1.1 Personalunion Schulleitung und Geschäftsführung

Die Konstellation einer Schule in privater Trägerschaft mit Personalunion von Schulleitung und Geschäftsführung (und Gesellschafter) ermöglicht zweifelsohne kurze und dynamische Entscheidungen, welche im öffentlichen Schulsystem so nicht ohne weiteres möglich sind. Neben der hohen Dynamik ist auch die Flexibilität der internen Strukturen ein denkbarer Grund für das entstandene Führungssystem. Limitierend an dieser Struktur kann sein, dass der Fokus auf den Mikrokosmos des eigenen Unternehmens eine zu deutliche Ausprägung erfährt und der „Wettbewerbsgedanke“ im Vergleich mit Mitbewerbern verloren geht.

Die Kombination beider Verantwortungsbereiche in einer Führungseinheit verleitet in der Praxis auch dazu, beispielsweise pädagogische Aspekte / Anforderungen gegen wirtschaftliche Überlegungen abzuwägen. Dies kann nach Erfahrungen der Autoren Innovationen verhindern oder verzögern, trägt aber auch dazu bei, Entwicklungen und Ideen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und nachhaltigere Entscheidungen zu treffen.

5.1.2 Personenzentrierter Strukturaufbau

In der betrachteten Berufsfachschule wurde die Struktur der distributiven Schulleitung sowie die Aufgabenbereiche und -schwerpunkte an das persönliche Profil der beteiligten Personen angepasst. Diese personenabhängige Struktur ermöglicht die ideale Ausnutzung individueller Kompetenzen und Präferenzen und trägt wesentlich zur Zufriedenheit der Leitungskräfte mit Ihrer Position und Aufgabe bei. Personelle Wechsel oder eine Erweiterung der Steuerungsgruppe um weitere Mitglieder gehen dabei aber auch mit einem hohen Aufwand einher. Aufgabenbereiche müssen neu verhandelt und fachliche Unterstellungen damit unter Umständen verändert werden. Das neue Leitungsmitglied muss in den internen Mikrokosmos der existierenden Steuerungsgruppe integriert werden. Es ist anzunehmen, dass diese Integration zeitlich aufwändig sein wird und zugleich auch Veränderungen der Steuerungsgruppe bewirken wird – quasi eine Organisationsentwicklung in der Organisationsentwicklung.

5.1.3 Akademisierung der Schulleitung

Schulen des öffentlichen Sektors werden nahezu ausnahmslos durch akademisierte Lehrkräfte geleitet. Dies ist allein durch den üblichen Karriereweg der/s Schulleiters*in bedingt, auch wenn die spezifische Qualifizierung in/für die Schulleitungsrolle zumeist nicht-akademisch beispielsweise durch Weiterbildungsangebote des jeweiligen Bundeslandes erfolgt (Erckrath, 2019, S. 21 ff.).

Eine akademische Qualifizierung von Lehrkräften und Schulleitungen wurde für Berufsfachschulen für Notfallsanitäter*innen erst mit Erlass des Notfallsanitätergesetzes (§ 6 Abs. 2) in 2014 verpflichtend. Die Regelungen zu Zulassung von Lehrkräften des Freistaates Bayern sowie des Notfallsanitätergesetzes konstruieren dabei für zum Zeitpunkt des Berufsbildwechsels aktive Schulleitungen einen Bestandsschutz. In der betrachteten Bildungseinrichtung bietet sich das in Tabelle 4 dargestellte Akademisierungsbild. Gewertet wurde hier nur der höchste Bildungsabschluss je Person. Mit Blick auf das Gesamtunternehmen ergibt sich eine Akademisierungsquote von 42,0 %, in der Schulleitung beträgt diese lediglich 25,0 %, bei den Lehrkräften 45,5 %. Ein Umstand, welcher aktuell nur von einzelnen Mitarbeitenden kritisch beäugt wird. In der Zukunft ist jedoch mit einer noch höheren Akademisierungsquote bei den Lehrkräften zu rechnen, so dass die Frage nach einer akademischen (Nach)Qualifizierung der Schulleitungsmitglieder berechtigt ist, insbesondere in der Rolle als Fachvorgesetzter. Eine formal adäquate Qualifizierung kann auch interne „Kompetenzdiskussionen“ vermeiden.

Wird versucht, das Aufgabenfeld der Schulleitung / Steuerungsgruppe einer Stufe des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) zuzuordnen, so erscheint die Niveaustufe 7 (Masterabschluss) am ehesten zutreffend. Maßgeblich für diese Einschätzung sind aus Sicht der Autoren die notwendigen Kompetenzen, um neue und komplexe Aufgabenstellungen in einem strategieorientierten Berufsfeld umzusetzen (Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR), 2011, S. 8). Vor diesem Hintergrund ist eine Qualifizierung mit einem Masterabschluss wünschenswert, idealerweise spezifiziert für die Leitungsaufgaben einer Schule.

Tabelle 4:      Akademisierungsanteil im Schuljahr 2020/2021; cand. = im Qualifizierungsweg zum jeweiligen Abschluss

Arbeitsbereich

Mitarbeitende

Davon akademisiert mit

Bachelor

Master

Promotion

Schulleitung / Steuerungsgruppe

4

0

0 %

1

25 %

0

0 %

Lehrkräfte

33

1

Cand.: 5

18,2 %

3

Cand.: 1

12,1 %

4

Cand.: 1

15,2 %

Verwaltung

3

0

0 %

0

0 %

0

0 %

Summe

40

1 + Cand.: 5

15,0 %

4 + Cand.: 1

13,5 %

4 + Cand.: 1

13,5 %

5.2 Potenziale zur Weiterentwicklung der existierenden Struktur

Die nicht eindeutige Trennung der Verantwortlichkeiten innerhalb der Steuerungsgruppe kann auf Mitarbeitende verwirrend wirken. Insbesondere das Berufsfeld des Rettungsdienstes ist geprägt von klar hierarchischen Strukturen – neue Lehrkräfte werden häufig erstmalig mit einer partizipativ-distributiven Führungsstruktur und -kultur konfrontiert.

Die direkte Ansprechbarkeit aller Steuerungsgruppenmitglieder zu jedem Thema durch jeden Mitarbeitenden bringt wie beschrieben einige Vorteile mit sich. Jedoch bietet sie auch das Potenzial, Leitungskräfte gegeneinander „auszuspielen“. Auf Seiten der Leitungskräfte bedarf es hoher Disziplin, bei nicht zeitkritischen Anliegen bewusst keine unmittelbare Bewertung oder Entscheidung zu fällen, sondern die weitere Klärung mit in den Rahmen der Steuerungsgruppe zu nehmen. Dieser Umstand wird gerade von den Lehrkräften auch teils kritisch bewertet, da Entscheidungswege dadurch subjektiv (und ggf. auch objektiv) verlängert werden.

Prinzipiell birgt das gelebte System das Risiko der Verantwortungsdiffusion. Anregungen oder Informationen von Mitarbeitenden werden an ein Mitglied der Steuerungsgruppe herangetragen, von diesem dann aber ohne die notwendige Bedeutung in die Steuerungsgruppe eingebracht – oder auch nicht. Auch können Wünsche oder Anregungen zwischen den Fachbereichen unterschiedliche Prioritäten haben, was zu widersprüchlichen Aussagen gegenüber den Mitarbeitenden führen kann.

Die notwendigen Abstimmungen für diese Art der Erreichbarkeit bedingt auch eine aufwändige Kommunikation innerhalb der Steuerungsgruppen-Mitglieder. Erschwert wird dies durch den Umstand, dass nur der Schulleiter und die Stellvertretung an mindestens vier Wochentagen physisch in der Berufsfachschule anzutreffen sind. Dem muss durch geeignete Kommunikationsstrukturen und auch technische Lösungen Rechnung getragen werden. Insbesondere sind ausreichende Zeitressourcen hierfür vorzusehen.

Zeitressourcen sind nicht nur für die Kommunikation, sondern auch die jeweilige Führungsaufgabe selbst einzuplanen. Die beschriebene Konstellation der Berufsfachschule in selbständiger Trägerschaft erlaubt es dabei, Freistellungsanteile variabel zu gestalten. Es sind aktuell keine behördlichen Vorgaben eines Unterrichtsdeputats zu beachten. Diese können intern frei definiert werden. Diese Anteile sind im Verlauf zu überwachen, um Nachsteuerungsbedarf rechtzeitig zu erkennen und einer Überlastung der Leitungskräfte vorzubeugen. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass eine Finanzierung dieser Stellenanteile nur durch Eigenmittel des Unternehmens möglich ist.

Interne Verantwortungsverteilungen können gesetzlichen Vorgaben widersprechen. Exemplarisch sei hier die Funktion der Fachbereichsleitung Pädagogik genannt, welche aus der „Idee der ersten Stunde“ zahlreiche Aufgaben hätte übernehmen sollen, welche per BayEUG oder auch Schulordnung eindeutig dem/r Schulleiter*in zugeordnet sind. Teilweise sehen die juristischen Vorgaben eine Delegation dieser Aufgaben nicht vor, so dass ein Graubereich entsteht, in welchem Entscheidungen getroffen werden.

Abschließend darf auch kritisch hinterfragt werden, ob nicht eine vollständige Integration der Fachbereichsleitung Kunden / Verwaltung in die Steuerungsgruppe zukunftsweisend ist. Hierdurch können beispielsweise strategische Entscheidungen im schulischen Bereich auch aus der organisatorisch-administrativen Perspektive betrachtet werden.

5.3 Notwendige Bedingungen für derartige Führungssysteme

Eine geteilte Leitung einer Berufsfachschule in einem frei gestalteten Rahmen wie dem vorgestellten bedarf eines hohen persönlichen Vertrauens zwischen den Leitungskräften. Dies ist insbesondere in den Situationen vorteilhaft, bei welchen schnellen Entscheidungen ohne Rücksprache im Leitungsteam notwendig sind, z.B. im bei Personalausfall oder hochdynamischen Planungsänderungen im Rahmen einer Pandemielage.

Trotz allem Vertrauens und der Philosophie der gemeinschaftlichen Führung ist die klare Definition von (Entscheidungs)Kompetenzen und deren Grenzen unabdingbar. Ohne definierte Rahmenbedingungen kann auch eine Überschreitung nicht kritisch thematisiert werden. Hierzu ist es auch erforderlich, den Umgang mit internen Ressourcen wie eigener Arbeitszeit, fremder Arbeitszeit oder auch finanziellen Mittel abzustecken.

6 Fazit für die Praxis

6.1 Handlungsempfehlungen für Implementierungsprojekte dieser Art

In diesem Abschnitt möchten die Autoren einige Aspekte zusammentragen, welche aus persönlicher Sicht bei einem identischen Projekt in der Zukunft in anderer Form umgesetzt würden.

Für die beteiligten Leitungskräfte wurde der Umfang des Aufgabenbereichs Schulleitung und Geschäftsführung erst im Laufe der Tätigkeit in vollem Umfang deutlich. Bei einem ähnlichen Projekt wäre es vermutlich hilfreich, mit Expert*innen oder externer Beratung zu Beginn mögliche Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten zu definieren. Insbesondere erfolgskritische Aspekte wie Kommunikation in der Einrichtung oder Unterrichtsentwicklung benötigen von Beginn an eine*n eindeutig definierten Verantwortliche*n.

Bereits in frühen Phasen der Implementierung ist es notwendig, Entscheidungsrahmen / -kompetenzen der Leitungskräfte abzustecken. Klare Handlungsspielräume kombiniert mit der Kompetenz, über zeitliche oder auch finanzielle Ressourcen entscheiden zu können, fördern die Eigenständigkeit der Fachbereiche und können schnellen zu sichtbaren Ergebnissen in der Bildungseinrichtung führen.

Ergebnisse, Entscheidungen, Überlegungen und Perspektiven müssen auf direktem und kurzem Weg an alle Mitarbeitenden kommuniziert werden. Nicht jede Entscheidung muss in breiter Masse diskutiert werden, aber relevante Aspekte müssen transparent kommuniziert werden. Veränderungen können abschreckend und blockierend wirken – transparente Kommunikation kann diese Hemmnisse abbauen oder sogar vermeiden.

Veränderungen bringen auch neue Anforderungen mit sich. Feldhoff stellt heraus, dass die Aufgaben regelhaft außerhalb des Profils der Lehrkraft liegen und einzelne empirische Ergebnisse andeuten, dass Qualifizierungsmaßnahmen einen wichtigen Beitrag zur Wirksamkeit der Steuergruppen leisten können (Feldhoff 2011, 155 f.  und 164 f.). Aus diesem Grund sollte begleitend zur Implementierung der Leitungsfunktionen auch eine Qualifizierung für die jeweiligen Rollen und Funktionen erfolgen (vgl. auch 5.1.3).

6.2 Distributive Schulleitung als Organisationsentwicklung

Aus Sicht der Autoren war die Entwicklung der Projektgruppe hin zur Steuerungsgruppe ein Meilenstein für die Berufsfachschule. Begleitend zur Entwicklung dieser distributiven Leitungsorganisation wurden auch zahlreiche kleine und große strukturelle Veränderungen vorgenommen, welche prägend für den Status quo der Bildungseinrichtung sind.

Einige Erkenntnisse und Erfahrungen sind aufgrund der besonderen Organisationsstruktur nicht ohne weiteres auf z.B. öffentliche Schulen übertragbar. Viele Grundprinzipien der Leitungsorganisation und der Implementierung einer zusätzlichen Führungsebene sind aber durchaus auch auf andere Bildungseinrichtungen anwendbar.

Ungeachtet des organisatorischen Aufwands der internen Abstimmung und des Aufbaus neuer Strukturen verschafft die geteilte Führung mit Aufgabenschwerpunkten für die einzelnen Führungskräfte zusätzliche Ressourcen im Team Schulleitung.

Offen bliebt die Frage, ob die subjektive Verbesserung der Leitungsarbeit auch Verbesserungen im Alltag von Lehrkräften und Schüler*innen mit sich bringen. Hier ist weitere Forschung notwendig.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Erweiterung von Schulleitungen lohnend erscheint, aber mit Bedacht und Geduld geplant werden muss. Organisations- oder Schulentwicklung ist ein Prozess, welcher Zeit und Mut braucht.

Unsere Botschaft an alle Schulleitungen:

„Wer seiner Führungsrolle gerecht werden will, muss genug Vernunft besitzen, um die Aufgaben den richtigen Leuten zu übertragen, und genügend Selbstdisziplin, um ihnen nicht ins Handwerk zu pfuschen.“ (Theodore Roosevelt)

Literatur

Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR) (2011): Der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. DOI: 10.5771/0340-8574-2011-3-95.

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2012): Die beruflichen Schulen in Bayern. Online: https://www.km.bayern.de/epaper/berufliche_schulen_2012/index.html (01.08.2021).

Dalin, P./Rolff, H.-G/Buchen, H. (1998): Institutioneller Schulentwicklungs-Prozess. 4. Aufl. Soest.

Dewey, J. (1986): Erziehung durch Erfahrung. Stuttgart.

Erckrath, M. (2019): Auswahl und Qualifizierung zukünftiger Schulleitungen -Organisationstheoretische Analysen zur Implementierung eines Assessment-Centers. Wiesbaden.

Feldhoff, T. (2011): Schule organisieren: Der Beitrag von Steuergruppen und Organisationalem Lernen zur Schulentwicklung. Wiesbaden.

Gillen, J. (2007): Reflexion im beruflichen Handeln. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 103(4), 525-537.

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Huber, S. G. (2010): Schulleitung und Schulaufsicht. In: Schulentwicklung, 28, 339.

Kröll, M. (2020): Innovationsprojekte und organisationalen Wandel professionell gestalten. DOI: 10.1007/978-3-658-29137-2.

Rolff, H.-G. (2012): Unterrichtsbezogenes Qualitätsmanagement (UQM). In Huber, S. G./Skedsmo, G. (Hrsg.): Jahrbuch Schulleitung 2012. Befunde und Impulse zu den Handlungsfeldern des Schulmanagements. Köln.

Sassenscheidt, H. (2016): Einen Mitarbeiter nicht mögen: Darf man das? In: SchulVerwaltung spezial. 1, 27.

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Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2019): Grundstruktur des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland. Online: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Dokumentation/de_2019.pdf (26.07.2021).

Vahs, D. (2009): Organisation. Ein Lehr- und Managementbuch. Stuttgart.

Zitieren des Beitrags

Göschel, M./Göschel, K. (2022): Steuerungsgruppe als Modell distributiver Schulleitung – eine kritische Praxisreflexion. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 41, 1-19. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe41/goeschel_goeschel_bwpat41.pdf (24.06.2022).