bwp@ 41 - Dezember 2021

Führung und Management beruflicher Schulen

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Cornelia Wagner-Herrbach & Franz Gramlinger

Selbstverständnis und Handeln von Schulleitungen an beruflichen Schulen/Berufskollegs: Zur Wirkung curricularer, struktureller und systemischer Veränderungen und ihrer organisationspädagogischen Reflexion auf das Schulleitungshandeln an beruflichen Schule

Beitrag von Helmut Zumbrock
bwp@-Format: Aus der Praxis
Schlüsselwörter: Schulleitungshandeln, Steuerung, Schulmanagement, Rollenverständnis von Schulleitungen

Die vorliegende Studie analysiert aus organisations- und berufspädagogischer Sicht die spezifischen Anforderungen an das Schulleitungshandeln berufsbildender Schulen / Berufskollegs mit ihren eigenen Strukturen und Kontextbedingungen hinsichtlich der Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages im Spannungsfeld von Bildung, Beschäftigungssystem und Wirtschaft. Ausgehend von den internen und externen Bestimmungsfaktoren für Schulleitungshandeln im Allgemeinen werden die Unterschiede von Schulleitung im System des beruflichen Schulwesens zu den Leitungsmustern allgemeinbildender Schulen systematisch herausgearbeitet und in ein Konzept personaler und struktureller Führung berufsbildender Schulen überführt. In diesem Zusammenhang wird Schulleitungshandeln an Berufskollegs systemisch verortet im Interaktionskontext regionaler Berufsbildungsnetzwerke. Die Rolle von berufsbildenden Schulen in diesen Netzwerken verändert das Aufgabenprofil von Schulleitung nachhaltig, besonders in Bezug auf die sich daraus ergebenden Koordinierungs- und Kooperationsbedarfe. Die Überlegungen hierzu begründen, warum Leitungen beruflicher Schulen ihr System langfristig nur dann erfolgreich führen können, wenn sie die Innen- und Außenbeziehungen ihrer Schulen aktiv mitgestalten und zusammenführen. Die hierfür erforderliche Integrationskompetenz von Schulleitungen wird schließlich am erweiterten Rollenverständnis von Schulleitung nach dem „Principals“-Konzept von Michael Fullan (learning leader; system player;change agent) belegt und in ein Verständnis von School-Leadership integriert, das die spezifische politische Dimension von Schulleitungshandeln im Kontext beruflicher Bildung einbezieht. Abschließend werden die hier vorgelegten praxistheoretischen Überlegungen zu einem ersten Ansatz einer Leadership beruflicher Schulen verdichtet und mit der der Forderung nach einer grundlegenden Neuausrichtung des Anforderungsprofils für Schulleitungen, wie es bislang in den Allgemeinen Dienstordnungen der Länder vorzufinden ist, im Sinne des Leadershipgedankens verbunden. Daraus ergeben sich entsprechende qualitative Änderungen für Schulleitungsqualifizierungen und eine zusätzliche Präzisierung der grundlegenden Kriterien für die Schulleiter*innen-Auswahl wie Rollenklarheit, Kommunikative Kompetenz, Innovation und Management.

School Administration’s Self-Image and Actions at Vocational Schools/Business Colleges: The Impact of Curricular, Structural, and Systemic Changes and Their Organizational and Pedagogical Reflection on How School Administration Acts at Vocational Schools

English Abstract

The present study analyzes the requirements for school administration working at vocational schools/business colleges. Therefore, it focuses on the school’s inherent structures and context conditions regarding the institution’s educational mandate between the conflicting priorities of education, employment system, and economy. Ensuing from the internal and external determinants for the actions of school administration in general, the differences between school management within vocational schools and within schools providing general education are pointed out systematically. The results of this process are then transferred into a concept of personal and structural management for vocational education. In this context, the school administration’s actions at business colleges are systemically located in the interaction context of regional vocational education networks. The role that vocational schools play within these networks deeply changes the school administration’s tasks, especially regarding the consequential requirements for coordination and cooperation. Why the management of school administration can only be successful given that the school’s internal and external relations are actively shaped and brought together can be explained by the considerations in this paper. The integration competence necessary for this purpose is then applied to the extended understanding of the school administration’s role according to the “principals” concept by Michael Fullan (learning leader; system player; change agent) and integrated into an understanding of school-leadership that includes the specific political dimension intertwined with the actions of school administration in the context of vocational education. As a last point, the practice-theoretical considerations at hand are condensed into a first approach to leadership at vocational schools before they are connected to the demand for a fundamental realignment of the school administration’s job profile, as can be found within the official regulations by the federal states. Consequently, qualitative changes for the qualification of school administration and an additional precision of the basic criteria for the choice of school administration, such as role clarity, communicative competence, innovation, and management, are needed. 

1 Einleitung: Zum aktuellen Stand der Schulleitungsforschung und organisationspädagogische Vorüberlegungen zum Schulleitungshandeln berufsbildender Schulen

Die folgende Analyse von Schulleitungshandeln an berufsbildenden Schulen versteht sich als praxistheoretischer Beitrag der Organisationspädagogik beruflicher Schulen am Beispiel der Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen. Praktisch motiviert ist dieser Beitrag dadurch, dass es bis Mitte der 2000er Jahre in nahezu allen Bundesländern nicht einmal ein durch ein evidenzbasiertes Anforderungsprofil für Schulleitungen begründetes Qualifizierungskonzept gab.

Im theoretischen Kontext weisen Heinz S. Rosenbusch und Jochen Wissinger im Vorwort zum 50. Heft ihres Schulleiterhandbuchs (1989) bereits darauf hin, dass das Thema Schulleitungshandeln bis Ende der 1980er Jahre im deutschsprachigen Raum nicht Gegenstand der erziehungswissenschaftlichen Forschung war. Sie begründen diese Forschungslücke u.a. damit, „dass in der Pädagogik […] seit alters her, was mit Organisation, Verwaltung, Bürokratie zusammenhängt, geradezu ein Anathema (ist), das sich allenfalls dazu eignet, die angebliche Unvereinbarkeit von Organisation und Erziehung herauszuarbeiten.“ (Rosenbusch/Wissinger 1989).

Schulleitungshandeln steht deshalb nicht im wissenschaftlichen Fokus der Schulpädagogik, weil sich die Schulpädagogik immer noch von ihrem traditionellen Selbstverständnis eher als allgemeine Didaktik begreift, die institutionelle, systemische, politische und strukturelle Kontextbedingungen und ihre Bedeutung für die pädagogische Praxis in Schulen ausblendet. (vgl. Wissinger 2010, 208f.)

Darüber hinaus ist nach Durchsicht der einschlägigen Veröffentlichungen zur Schulleitungsforschung festzustellen, dass auch dreißig Jahre nach Erscheinen der ersten organisationspädagogischen Beiträge von Rosenbusch und Wissinger das Schulleitungshandeln gerade berufsbildender Schulen nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung etwa in der Berufspädagogik in Verbindung mit der Organisationspädagogik geworden ist.

Es geht hier also im ersten Teil darum, entlang der Entwicklung der erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema auf der Basis eines Vergleichs der Anforderungsprofile das Leitungshandeln allgemeinbildender und berufsbildender Schulen die Spezifika der Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen als System der Beruflichen Bildung und damit das spezifische Anforderungsprofil für die Leitung dieser Systeme als Einzelschulen und im Kontext bildungspolitischer Entwicklungen herauszuarbeiten.

Im zweiten Teil werden ausgewählte neuere Führungsmodelle daraufhin untersucht, ob ihre Erkenntnisse für die Führungspraxis berufsbildender Schulen relevant sind und welches theoretische Führungsmodell einen Orientierungsrahmen für die Leitung beruflicher Schulen darstellen könnte.

Abschließend werden auf der Basis dieser theoretischen Erkenntnisse Schlussfolgerungen für eine effiziente Vorbereitung von interessierten Lehrer*innen für ein Schulleitungsamt an Berufskollegs formuliert werden.

Die hier angestellten Überlegungen gelten gleichzeitig als Prolegomena für eine Organisationspädagogik berufsbildender Schulen, die als eigener Theorie-Praxis-Bereich im Rahmen der Berufspädagogik zu verankern wäre.

Die erziehungswissenschaftliche Debatte und der damit verbundene pädagogische Diskurs über Schulleitungshandeln von 1980 bis jetzt und ihre Bedeutung für das aktuelle Selbstverständnis von Schulleitungshandeln werden m. E. vor allem im Kontext allgemeinbildender Schulen geführt.

Wie schon eingangs erwähnt, nimmt die Erziehungswissenschaft Schulleitungshandeln kaum in den Blick theoriegeleiteter Betrachtung und praktischer Modellierung von Führung und Management der Schulen. Das Selbstverständnis von Schulleitungen ist bis weit in die 1990er Jahre hinein von hierarchisch-bürokratischen Leitungsvorstellungen der übergeordneten Schuladministration und der Schulaufsicht der ministeriellen und regionalen Schulbehörden geprägt. „Mit „Leitung“ ist (vornehmlich) die institutionell vorgegebene formelle Rolle gemeint, die Führung im Sinne direkter und indirekter Einflussnahme aufgrund vorliegender Machtbefugnisse – Positions- bzw. Amtsmacht – legitimiert.“ (Wissinger 2010, 204).

Die Aufgaben und die Rolle von Schulleitung sind in den Bundesländern in eigenen Schulgesetzen und den davon abgeleiteten und konkretisierten Allgemeinen Dienstordnungen festgeschrieben. Schulleitungen sind im Sinne der staatlichen Vorgaben in erster Linie für die Organisation und Verwaltung, für einen geordneten Unterrichts- und Schulbetrieb sowie für die Überwachung der Einhaltung curricularer und schulrechtlicher Rahmenvorgaben verantwortlich. Erst die bildungspolitische Debatte über eher mittelmäßige Schulleistungen der Schüler*innen an allgemeinbildenden Schulen im internationalen Vergleich in den 1990er Jahren richtet zunehmend den Blick von Bildungspolitik und Wissenschaft auf die Qualität der pädagogischen Arbeit der Schulen in Deutschland. Daraus ergibt sich gerade für die Schulpädagogik ein Forschungsdesiderat, das zunehmend die Rolle von Schulleitung für die Qualität schulischer Lernprozesse in den Fokus nimmt. In diesem Zusammenhang untersuchen Vertreter*innen der Erziehungswissenschaft das Erkenntnispotenzial allgemeiner Führungstheorien, die vor allem im Kontext soziologischer, psychologischer und betriebswirtschaftlicher Diskurse der Effizienz der Führungspraxis von Unternehmen in den 1960er bis 1980er Jahre vor allem im anglo-amerikanischen Raum entwickelt worden sind, in Bezug auf eine mögliche Modellierung des Leitungshandelns an Schulen. (Wissinger 2010). Die eher additive und nicht integrative Reflexion dieser allgemeinen Führungsansätze führt zu einer eher eindimensional-linearen Analyse der Wirksamkeit von Schulleitungshandeln. Die institutionellen, organisationalen, strukturellen und umweltbezogenen Kontextbedingungen für Schulleitungshandeln und ihre Wirkung auf schulische Prozesse bleiben ausgeblendet. „Die Fokussierung der Führungsperson steht auffällig dafür, dass häufig die Eigenschaften der Führenden die Beschreibungen, Analysen und Beurteilungen des Phänomens Führung kennzeichnen und zumeist Persönlichkeitsmerkmale [Belastbarkeit, Überzeugungskraft, Durchsetzungsvermögen, Autorität, Souveränität, Fachkompetenz, kommunikative Ausstrahlung, Offenheit etc.; Ergänzung H.Z.], Verhalten und [der Umgang mit Macht; H.Z.] betont werden.“ (Wissinger 2010, 204).

Situationsabhängige Variablen der Wirkung von Schulleitung im Kontext von Schulentwicklung sowie das im System der Einzelschule etablierte Qualifikations- und Erfahrungspotenzial, die Zusammensetzung des Lehrkörpers, Formate der Arbeitsorganisation, Instrumente und Verfahren der internen und externen Systemsteuerung, Kommunikation und Information, lebendige Schulkultur, Ressourcenausstattung etc. bleiben in dieser theoretischen Perspektivierung nach wie vor weitgehend unberücksichtigt. Erst die anhaltende bildungspolitische und akademische Debatte über die „gute Schule“, über Qualität von Unterricht, über Verfahren der systemischen Evaluation der pädagogischen Arbeit an Schulen und über den möglichen Einfluss von Schulleitungshandeln auf interne Innovationsprozesse im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung der Organisation Schule sowie das durch Helmut Fend eingeführte begriffliche Verständnis von Schule als pädagogischer Handlungseinheit, führt schließlich zur organisationspädagogischen Wende in der Schulleitungsforschung (Fend 2008,148ff.).

Die hiermit verbundenen systemischen Verschiebungen der professionellen Anforderungen an Schulleitung führen zu einem neuen Leitungsverständnis von Schule als offenes Interaktionssystem, das einen grundlegenden Wandel des schulischen Gesamtsystems, der mit der wissenschaftlichen Ausrichtung der Organisationspädagogik einen system- und organisationstheoretischem Zugang zur Analyse von Schulentwicklung und zur theoretischen Erschließung der Wirksamkeit von Schulleitungshandeln auf systemische Veränderungsprozesse eröffnet. Konkret lässt sich dieser Systemwandel im Schulwesen in NRW, aber auch in ähnlicher Weise in anderen Bundesländern, an der (Teil-)Auto-nomisierung von Schule, der Einführung des Konzepts „Kooperative Schulleitung“; wie es sich inzwischen in großen Schulsystemen wie Gesamtschulen und Berufskollegs etabliert hat, an entsprechenden neuen Steuerungsmodellen von Schule, am Wandel der Schulaufsicht von einer auf fach- und dienstaufsichtliche Aufgaben fokussierten Einheit der Schulbehörde zu einem Schule begleitenden Unterstützungssystem, der Einführung der Qualitätsanalyse bzw. Schulinspektion, an der Implementation neuer Formate vorbereitender Schulleitungsqualifizierung und entsprechender Auswahl- und Beurteilungsverfahren für Schulleitungen und schließlich an der Öffnung von Schulen und ihrer Vernetzung mit anderen Bildungseinrichtungen zu Bildungsnetzwerken festmachen. Schulleitungen tragen somit über die Verantwortung für ihre Einzelschulen hinaus eine wesentliche Mitverantwortung für die bedarfsgerechte Entwicklung von Bildungsangeboten für die jeweilige Gesamtregion. Schule ist fortan ein wesentliches Teilsystem im Gesamtsystem, regionaler Bildungsangebote.

Schulleitung ist Interaktionspartner in einem komplexen System verschiedener Lernorte und der damit entstehenden pädagogischen Netzwerke. Nur wenn Schulleitungen vor dem Hintergrund der beschriebenen Veränderungen ihre neue Rolle als Bildungsnetzwerker*in als politische Dimension ihres Schulleitungsverständnisses aktiv annehmen, werden sie ihre Schule langfristig im regionalen Bildungsmarkt erfolgreich positionieren können. Die Konsequenzen dieses strukturellen Wandlungsprozesses in den 1990er und 2000er Jahren sind bereits 1999 in einem neuen Anforderungsprofil für Schulleitung durch das damalige Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW zusammengefasst und veröffentlicht worden: „Das Anforderungsprofil für Schulleiter*innen umfasst die folgenden Elemente:

  1. Handlungsfelder (übergreifende Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche):

Schulentwicklung, Personalführung und Personalentwicklung, Organisation und Verwaltung, Kooperation mir Schulaufsicht und Schulträgern sowie Partnern der Schule.

  1. Handlungstypen (Formen der Interaktion innerhalb der Schule und mit dem Umfeld der Schule):

Planung und Entwicklung, Kommunikation, Beratung, Moderation, Kontrolle/Controlling, Anweisen, Entscheiden

  1. Kompetenzen (Befähigungen und Dispositionen):

Sozialkompetenz, Fachkompetenz, Leitungskompetenz

  1. Führung und Management als Handlungsfelder, Handlungstypen und Kompetenzen verschiedener umfassender Rollenbeschreibungen

Daraus ergibt sich ein Selbstverständnis von Schulleitungshandeln, das vereinfacht folgendermaßen dargestellt werden kann (MSWWF 1999, 6-8):

Abbildung 1: Schulleitungshandeln im früheren Verständnis (in Anlehnung an Rolff 2017, 11).Abbildung 1: Schulleitungshandeln im früheren Verständnis (in Anlehnung an Rolff 2017, 11).

„Führung bedeutet hier die zielbezogene Einflussnahme auf die Menschen in einem sozialen System (hier der Schule) mit verschiedenen Mitteln (Vorgaben von Zielen, Verfahren und Strukturen der Arbeit, Zielvereinbarungen, Kontrolle und Bewertung von Arbeitsergebnissen, mündliche und schriftliche Kommunikation). Führung ist darauf gerichtet, das Potenzial der Mitarbeiter*innen für die Erfüllung der Aufgaben und die angestrebten Leistungen zu aktivieren, Partizipation und Mitwirkung zu fördern und andere zu befähigen, selbständig und selbstverantwortlich zu handeln. Führung ist deshalb sowohl an der Sache wie an den Personen und dem Konsens mit ihnen orientiert. Management bedeutet allgemein eine systematische, rational mit Ressourcen [Personal und Sachmitteln; H.Z.] umgehende Gestaltung und Verwaltung einer Institution und der in ihr fachlich zu leistenden Arbeit.“ (MSWWF NRW 1999, 10).

Es wird deutlich, dass sich in diesem Aufgaben- und Rollenverständnis von Schulleitung die Sicht der verantwortlichen staatlichen Instanzen nach wie vor nur auf die Einzelschule als geschlossene Organisation oder Handlungseinheit bezieht und die interaktionellen Beziehungen zu den System-Umwelten außer Acht gelassen werden. Aber gerade hierin erweist sich die Wirkung von Schulleitungshandeln als effektiv und eine Schule als erfolgreich.

2 Organisationspädagogische Wende und Neue Steuerung von Schule

Seit den 2000er Jahren gelingt erst durch die organisationspädagogische Fokussierung auf die Wirkung von Schule und die Bedeutung des Schulleitungshandelns auf Schulwirksamkeit nach innen und außen unter Berücksichtigung der Beziehungen zu den Stakeholdern der Schule, das Selbstverständnis von Schule als pädagogischer Handlungseinheit und offener Bildungsorganisation und somit als offenes und dynamisches Interaktionssystem theoretisch zu fundieren. Die Umdrehung des theoretischen Blicks von den Führungspersonen im Einzelnen zur Schule als Ganzes im Sinne einer lebendigen sozialen Figuration in Bewegung führt zu folgender Erweiterung des Modells von Schulleitungshandeln um die Dimensionen Steuerung und Networking.

Abbildung 2: Modernes Verständnis von Schulleitungshandeln (nach Rolff 2016, 191 und 2017, 11, 17 und 18; Bonsen 2016, 302).Abbildung 2: Modernes Verständnis von Schulleitungshandeln (nach Rolff 2016, 191 und 2017, 11, 17 und 18; Bonsen 2016, 302).

„Zu den dezentralen Merkmalen der sog. Neuen Steuerung gehören Deregulierung und Dezentralisierung staatlicher Steuerung, die Stilisierung der einzelnen Schule zur pädagogischen Handlungseinheit, die normativ-rechtliche Stärkung der Schulleitung gegenüber den professionellen Akteuren in der Schule sowie die Orientierung am Konzept organisationalen Managements und pädagogischer Führung, an Programmentwicklung, Evaluation und Schulentwicklung.“ (Wissinger 2014, 145).

Steuerung umfasst auch die Notwendigkeit für Schulleitungen, nach innen die vielfältigen professionellen Kompetenzen und Erfahrungen von Lehrer*innen und deren Identifikationsmuster mit ihrer Arbeit auf der Basis eines konsensfähigen Leitbildes und eines schulischen Leitzielkonzeptes zu einem Qualitätsprofil pädagogischer Arbeit für die Gesamtorganisation zusammenzuführen und nach außen Netzwerkkontakte und die damit verbundenen synergetischen Potenziale für die Entwicklung der eigenen Organisation zu nutzen. Das zeigt unmittelbar, dass Steuerung und Networking in Bezug auf Schulentwicklung und damit auch für das Schulleitungshandeln eine taktische und strategische Einheit bilden. Das wird m.E. besonders deutlich bei der Untersuchung der spezifischen Anforderungen an Leitungen berufsbildender Schulen, da ihre systemischen Zusammenhänge und Strukturen vielschichtiger und komplexer sind als bei relativ homogenen Systemen im allgemeinbildenden Schulsektor, zumal berufsbildende Schulen aufgrund ihrer Zweckbestimmung immer im Spannungsfeld von Bildung und Ökonomie verortet werden.

3 Strukturelle, curriculare und systemische Wandlungsprozesse im berufsbildenden Schulwesen und ihre spezifische Bedeutung für das Schulleitungshandeln an Berufskollegs als besondere Form der berufsbildenden Schule

Die berufspädagogische Diskussion über die systematische Verzahnung von betrieblicher und schulischer Berufsausbildung in der Berufsschule und das darum entwickelte Konzept der Lernfelddidaktik sowie ihre Umsetzung in lernfelddidaktische Rahmenlehrpläne für die Bildungsgänge der dualen Berufsausbildung Mitte der 1990er Jahre führt vor allem in NRW zu einer erweiterten bildungspolitischen Debatte über die systematische Verknüpfung von allgemeiner und beruflicher Bildung im beruflichen Schulwesen . Ein konkretes schul- und berufspädagogisches Umsetzungsformat für das bereits Anfang der 1970er Jahre von Herwig Blankertz angestoßene Reformprojekt einer „Kollegstufe“ (Kutscha 2020, 321f.) erprobt das Land NRW im sog. Kollegschulversuch, der Ende der 1990er Jahre erfolgreich abgeschlossen wird und mit dem Berufskolleg-Gesetz 1999 formal und strukturell zur integrativen Zusammenlegung der Kollegschulen mit den Berufsbildenden Schulen des Regelsystems zu Berufskollegs führt. Im Sinne der Zielsetzung der systemischen, d.h. didaktischen Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung, sind die Bildungsgänge der Berufskollegs in drei Lernbereiche untergliedert: den berufsbezogenen Lernbereich, den berufsübergreifenden Lernbereich und einem Differenzierungsbereich. Die systemische Konsequenz für die Bildungsarbeit ist die Notwendigkeit der inhaltlichen Verbindung aller Fächer der drei Lernbereiche und ihrer Zusammenführung zu einem in sich stimmigen, kompetenzorientierten Bildungsgangprofil. Bildungsgangspezifische didaktische Jahresplanungen bilden das Funktionssystem, über das entsprechende interne Curricula von den Fachgruppen und Bildungsgangteams für jedes Ausbildungsjahr erarbeitet werden. Die Didaktischen Jahresplanungen sind dann im Schulprogramm zu verankern und bilden die Grundlage für die weitere Unterrichtsentwicklung. Diese Vorgehensweise erfordert von den Lehrkräften wie von der Schulleitung ein über die Fächergrenzen hinausgehendes berufspädagogisches Selbstverständnis für die Bildungsgangarbeit an einer berufsbildenden Schule. Diese Veränderungen auf der curricularen Ebene führen in den Folgejahren zu einer höheren angebotsbezogenen Diversifikation und Ausdifferenzierung des beruflichen Schulwesens, wie es sich schließlich in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen (APO-BK) abbildet.

Abbildung 3: Berufsbildende Bildungsgänge an Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen (Quelle: https://www.berufsbildung.nrw./bildungsgaenge/übersichten/index)Abbildung 3: Berufsbildende Bildungsgänge an Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen (Quelle: https://www.berufsbildung.nrw./bildungsgaenge/übersichten/index)

Unter dem Dach eines Berufskollegs vereinigen sich fünf verschiedene Schulformen, die insgesamt alle Bereiche der beruflichen Bildung abdecken. Den fünf Anlagen sind teilweise oder je nach Anlage auch vollständig sieben Fachbereiche der Beruflichen Bildung mit ihren spezifischen Bildungsgängen zugeordnet. Diese sieben Bereiche sind die Fachbereiche: Wirtschaft und Verwaltung, Technik/Naturwissenschaft, Gesundheit, Erziehung und Soziales, Informatik, Gestaltung und Agrarwirtschaft. Diese strukturelle und inhaltliche Komplexität des beruflichen Schulwesens erfordert ein Lehrpersonal, das in seiner Zusammensetzung hinsichtlich der jeweiligen beruflichen, fachlichen und akademischen Qualifikation und Sozialisation sehr unterschiedlich ist und damit auch unterschiedliche berufliche Identifikationsmuster aufweist, die von Schulleitung im Sinne eines Gesamtprofils der Schule zusammengeführt und integriert werden muss. Es liegt auf der Hand, dass die damit verbundene Integrationsleistung in der Führungspraxis einer berufsbildenden Schule anders bewertet werden muss als hinsichtlich der Leitung allgemeiner Schulsysteme, da hier eine Vielzahl unterschiedlicher Berufsidentitäten zu einem Gesamtprofil beruflicher Bildung in den Bereichen Technik und Wirtschaft und Allgemeines Gewerbe zusammengeführt werden müssen. Die Vielfalt der Bildungsgänge eines Berufskollegs mit den genannten Fachbereichen zeigt, dass ein Berufskolleg nicht nur als Einzelschule, die als Lernort beruflicher Bildung und als Partner der Wirtschaft allgemeine Lern- und Wertedispositionen und berufliche Qualifikationen liefert, gesehen werden kann, sondern als Institution, die politisch gewertet einen erheblichen Beitrag zur Wirtschaftsförderung, Standortsicherung und Attraktivität einer Region liefert. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass Ausbildungsbetriebe, Unternehmen der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung und Betriebe von NPOs, die Kammern mit ihren Untergliederungen (z.B. Innungen) und die Dienstleistungsstellen der Agentur für Arbeit nicht nur Interaktionspartner der Einzelschule und des Systems, sondern im Unterschied zu allgemeinbildenden Schulen echte Stakeholder mit eigenen Interessenslagen sind, die Schulleitungen berufsbildender Schulen bei ihrer Schulentwicklung mit berücksichtigen müssen. Aus diesem Grund gibt es in Nordrhein-Westfalen Modellversuche, die im städtischen (Stadt Dortmund) und im ländlichen Raum (Ostwestfalen-Lippe) Berufskollegs zu Kompetenz- bzw. Innovationszentren Beruflicher Bildung (z.B. IBB-OWL) institutionell und organisatorisch miteinander verbinden, um synergetische Effekte für die Region bzw. Stadtkommune zu generieren. Da in dieser Struktur Schulleitungen, Schulaufsichten und Schulträger in den Steuerungsgremien zusammenwirken, wird klar, dass sich die bislang im Schulgesetz definierten Grenzen interner und externer Schulangelegenheiten (Schulgesetz NRW 2005, §§78-96) zunehmend auflösen und neue Rollenverständnisse der Beteiligten für den Erfolg dieser interkommunalen Zusammenarbeit unabdingbar sind. Der hiermit beschriebene Entwicklungszusammenhang in der regionalspezifischen Entwicklung beruflicher Bildung verweist auf die Bedeutsamkeit von Steuerung und Networking als weitere Dimensionen in dem hier evozierten vierdimensionalen Modell von Schulleitungshandeln und eine entsprechende Ausdifferenzierung der Schulleitungsrolle im Kontext beruflicher Bildung. Das Rollenkonzept von Michael Fullan könnte hier eine erste Orientierung im Sinne der beschriebenen Anforderungen für Schulleitungen berufsbildender Schulen sein.

4 Michael Fullans Rollenkonzept für Schulleitungshandeln im Kontext des Konzepts „Neue Steuerung“ berufsbildender Schulen

Vor dem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen des Schulwesens und der internationalen Debatte über Schulentwicklung und die Erfolgswirksamkeit von Schulen für Studierende, Lehrkräfte und Schulleitungen entwickelt der kanadische Bildungsforscher Michael Fullan über mehrere Jahrzehnte hinweg in seinem vielzitierten Werk „The Principle“ ein Rollenkonzept von Schulleitung, das m.E. gerade den von mir aufgezeigten Anforderungen der Leitung beruflicher Schulen gerecht wird und einen ersten Orientierungsrahmen liefert. Fullan exploriert drei Schlüsselrollen für wirksames systemisches Schulleitungshandeln nach innen (Einzelschule) und nach außen (Schule im Netzwerk mit anderen Schulen und Bildungsreinrichtungen und weiteren regionalen Stakeholdern):

Schulleitung als

  • learning leader (auch learning leader und lead learner, leading learning role),
  • system player,
  • agent of change,

(Fullan 2014, 9).

Für Fullan machen diese drei Rollensegmente zusammengenommen die Schulleitungsrolle aus. Sie bezeichnen also drei Dimensionen von Schulleitungshandeln, die erst durch ihre systemische Verknüpfung in der Führungspraxis ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Realisierung von Schulerfolg entfalten. Diese drei Rollen bzw. Leitungsdimensionen evozieren eine neue Art von „school leaderships“, die in der Lage sind, die Menschen, die Organisation und die Schule als System nach vorne zu bringen. (Fullan 2014, 13). Demzufolge kann ein*e Schulleiter*in nur erfolgreich sein, wenn es ihm*ihr gelingt, zwischen inneren und äußeren Anforderungen an einer positiven Qualitätsentwicklung von Schule eine produktive Balance zwischen den drei Rollenanforderungen herzustellen. „The principal needs to become a balanced leader – minimizing the counterproductive actions and specializing in the generative actions that yield positive results.” (Fullan 2014, 21).

Fullan betrachtet Schulen als offene Systeme, die nur dann erfolgreich gestaltet und weiterentwickelt werden können, wenn man die Kontextbedingungen innen und außen berücksichtigt.

Die „leading learner-role“ von Schulleitung richtet in Bezug auf Schulentwicklungsprozesse den Blick nach innen. In dieser Dimension von Schulleitungshandeln geht es vor allem darum, die Lern- und Verbesserungspotenziale für Studierende wie für Lehrkräfte durch personale und strukturelle Führung im Sinne der systematischen Förderung von Teamkultur und Zusammenarbeit durch den Aufbau von professionellen Lerngemeinschaften und damit verbunden durch eine Bündelung vorhandener Potenziale für einen positiven systemischen Wandel zu nutzen, d.h. durch aktive Gestaltung von Personalentwicklung in Verbindung mit einer entsprechenden Organisationsgestaltung und zielorientierter Unterrichtsentwicklung für die Schulen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in Gang zu setzen.

Der staatlich vorgegebene Bildungs- und Erziehungsauftrag, rechtliche und curriculare Vorgaben wie Ausbildungs- und Prüfungsordnungen, Bildungsstandards, Bildungspläne und Referenzrahmen für Schulqualität bilden in diesem Zusammenhang einen unterstützenden Orientierungsrahmen für die Führung des Systems als Ganzes. Das gilt sowohl für die Steuerung interner Interaktionssysteme als auch für die Gestaltung der Außenbeziehungen der jeweiligen Schule zu ihren Stakeholdern und im Kontext ihrer Mitwirkung in einem lokalen, regionalen und überregionalen Bildungsnetzwerk. Auf die Außenperspektive verweist gerade das Rollensegment „system player”:

„The boundary between the school and the outside is becoming more permeable. This has openend up an exciting ne (and daunting) world for principals. Remember that the mail goal is to use all resources, including those outside the school, to build the professional capital of teachers so that student learning can flourish. In so doing, principals need to become ‘system players’ – school leaders who contribute to and benefit the increased performance of other schools in the district and of the system as a whole.” (Fullan 2014, 97).

Im Falle von Schulleitungen berufsbildender Schulen konkretisiert sich diese Rolle in der Art und Weise, wie Schulleitungen sich in kommunalpolitischen Beziehungsnetzwerken, in der Zusammenarbeit mit den Kammern als zuständige Stellen beruflicher Bildung im Dualen System, in kooperativen Netzwerken und in Kooperation mit NPOs bewähren und Synergieeffekte sinnvoll nutzen.

„Align internal and external forces. Be selfish: as part of a cluster of schools, you can use the network to improve your own school by accessing new ideas, and by participating in networks, you create another source of pressure accompanied by ideas for you and your staff to take action.” (Fullan 2014, 99)

Das dritte Rollensegment des „change agent“ umfasst die Handlungsperspektive von Schulleitung, die die verschiedenen internen und externen Interessenlagen auf der Basis des eigenen Leitbildes und des daraus abzuleitenden Leitzielkonzeptes zu einem dynamischen Qualitätsprofil der eigenen Schule zusammenzuführt. Hieraus ergeben sich Anforderungs- und Kompetenzprofile für Schulleitungen gerade von berufsbildenden Schulen, die durch eine Verknüpfung von verschiedenen Führungsmodellen zu einem neuartigen Leadership berufsbildender Schule theoretisch weiterzuentwickeln sind, um als Rahmenkonzept der Schulleitung komplexer Systeme wie berufsbildender Schulen genutzt werden zu können. Als Modell vorstellbar ist ein Konzept „Kohärenter Führung“, das das jeweilige System in spezifischer Weise stärkt. Fullans Maxime in diesem Zusammenhang lautet: „Looking out to improve within.“ (Fullan 2014, 98).

Diese Maxime konkretisiert Fullan schließlich in sieben Handlungsdispositionen, die eine erfolgreiche Schulleitung ausmachen. „You will find that strengthening the seven competencies will help you develop professional capital inside and outside your school. […] A competent leader:

  1. Challenges the status quo.
  2. Builds trust through clear communications und expectations.
  3. Creates a commonly owned plan.
  4. Focuses on team over self.
  5. Has a sense of urgency for sustainable results.
  6. Commits to continuos improvement for self.
  7. Builds external networks and partnerships.”

(Fullan 2014, 127-128.).

Diese sieben Kompetenzen zeigen immanent die Notwendigkeit einer systematischen Verbindung der Innenperspektive der Führung eines Schulsystems mit der Außenperspektive. In diesem Sinne wird systemische Kohärenz gerade in Schulentwicklungsprozessen entscheidend für nachhaltig positive Entwicklungsergebnisse sein.

5 Kohärente Führung berufsbildender Schulen: Vom Konzept „Kooperative Führung“ über das Konzept „Konfluente Leitung“ zur Leadership berufsbildender Schulen

Bevor ich hier die Eckpunkte der genannten Führungsmodelle herausarbeite und darstelle und ihre spezifische Bedeutsamkeit für ein effizientes Schulleitungshandeln berufsbildender Schulen analysiere und fokussiert bewerte, will ich noch einmal auf die Komplexität und Vielfalt der Interaktionsbeziehungen zwischen den Akteuren beruflicher Bildung eingehen und daraus die besonderen Kooperations- und Koordinierungsbedarfe dieses Systems ableiten.

Das berufliche Schulwesen in Deutschland umfasst in den fünf bereits genannten Schulformen beruflicher Bildung mit ihren sieben Fachbereichen und zahlreichen Fachrichtungen, Schwerpunkten und Akzentuierungen ca. 1.200 Bildungsgänge, davon allein im Dualen System der Berufsausbildung 325 verschiedene Bildungsgänge mit ihren jeweiligen Berufsabschlüssen. Allein hierdurch wird schon die strukturelle Komplexität des Systems deutlich, der im Bildungs- und Erziehungsauftrag der Berufsschule als Basisform berufsbildender Schulen eine inhaltliche Komplexität entspricht:

„Zusammen mit allen […] Beteiligten der Berufsausbildung hat die Berufsschule die Aufgabe, ihren Schüler*innen die Stärkung berufsbezogener und berufsübergreifender Handlungskompetenzen zu ermöglichen. Damit werden die Schüler*innen der Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur nachhaltigen Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer, ökonomischer, ökologischer und individueller Verantwortung, insbesondere vor dem Hintergrund sich wandelnder Anforderungen, befähigt.

Dies umfasst die Förderung der Kompetenzen der jungen Menschen zur persönlichen und strukturellen Reflexion, zum verantwortungsbewussten und eigenverantwortlichen Umgang mit zukunftsorientierten Technologien, digital vernetzten Medien sowie Daten- und Informationssystemen, in berufs- und fachsprachlichen Situationen adäquat zu handeln, zum lebensbegleitenden Lernen sowie zur beruflichen und individuellen Flexibilität zur Bewältigung der sich wandelnden Anforderungen in der Arbeitswelt und Gesellschaft und zur beruflichen Mobilität in Europa und einer globalisierten Welt.“ (Enquête-Kommission 2021, 28)

Die didaktische Vielfalt und die strukturelle Komplexität beruflicher Schulen evozieren einen ebenso komplexen Steuerungsaufwand auf den Ebenen der an der Gestaltung beteiligten Instanzen (Institutionen und Organisationen).

Detlef Buschfeld, sachverständiges Mitglied der Enquête-Kommission Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt, unterscheidet in seinem Makro-Modell der Organisation beruflicher Bildung drei Ebenen der Kooperation und Koordinierung im Zusammenhang einer nach vorne gerichteten Weiterentwicklung der beruflichen Bildung:

  • Politische Ebene
  • Administrative Ebene
  • Didaktische Ebene

(Enquête-Kommission 2021, 24)

„Auf der didaktischen Ebene sind die unmittelbar Beteiligten zu nennen: Jugendliche und Erwachsene, die sich als Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Nachfrage) beruflich orientieren und entwickeln wollen und Schulen, Unternehmen und sonstige Träger (Anbieter), in denen sich das Personal der Berufsbildung dieser Ebene um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kümmert. Auf der administrativen oder regionalen Ebene sind etwa Arbeitsagenturen, Kammern, Schulträger oder Bezirksverwaltungen zu nennen, die einerseits Interessen der Berufsbildung vertreten, andererseits Bereiche der Berufsbildung organisieren und über Gremien bestimmte Rahmenbedingungen gestalten. Die Länder und der Bund legitimieren auf der politischen Ebene (hier: das Ministerium für Schule und Weiterbildung (MSW) und das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des Landes NRW sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Kultusminister*innenkonferenz (KMK) durch Vorgaben und Richtlinien (und interministerielle Vereinbarungen und Programme) die Grundstruktur des Systems der Berufsbildung bzw. verständigen sich auf gemeinsame Grundlagen, wie etwa (Bildungsstandards und) den Deutschen Qualifikationsrahmen. Die Organisation der beruflichen Bildung wird durch die Koordination und Kooperation auf einer jeweiligen Ebene geprägt. Die institutionelle Struktur der beruflichen Bildung wird durch die Art der Zusammenarbeit zwischen den drei Ebenen bestimmt.“ (Enquête 2021, 23f.).

Die vielfältigen Netzwerk- und Interaktionsbeziehungen, die dieses Gesamtsystem ausmacht und nutzt, bedeutet auch für jede berufliche Schule einen vielschichtigen und umfassenden Kommunikations- und Informationsaufwand mit entsprechenden Austausch- und Verhandlungsprozessen, den nicht ein/e einzelne/r Schulleiter*in mit ihren Stellvertretungen bewältigen kann. Das Land NRW und auch andere Bundesländer haben deshalb Formate einer „Kollektiven Schulleitung“„ für Berufskollegs/Berufsbildende Schulen eingeführt. Nach innen ist Schulleitung damit veranlasst, das Konzept „Kooperative Führung“ zu implementieren.

Der Begriff der „Kooperativen Führung“ fasst aus wissenschaftlicher Sicht, d.h. aus der Erkenntnisperspektive verschiedener Sozialwissenschaften wie Soziologie, Pädagogik, Philosophie, Ökonomie und Psychologie und ihren unterschiedlichen auf Führungsprozesse gerichteten Forschungszusammenhängen die wesentlichen Dimensionen und Merkmale dieses Konzeptes zusammen. Wunderer / Grunwald liefern bereits im Vorwort ihrer immer noch als Standardwerk geltenden Führungslehre eine allgemeine Definition dieses Konzepts. Demnach verstehen wir unter Kooperativer Führung allgemein: Die zielorientierte soziale Einflussnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in einer Organisation einer strukturierten Arbeitssituation unter wechselseitiger tendenziell symmetrischer Einflussausübung und konsensfähiger Gestaltung der Arbeits- und Sozialbeziehungen (Wunderer/Grunwald 1980, Vorwort).

Wunderer und Grunwald (1980) leiten aus dieser Definition neun Merkmale bzw. Handlungstypen für die Führungspraxis von Organisationen ab, die m.E. gerade in komplexen Systemen mit verschiedenen Leitungsebenen für die Effizienz von Leitung bedeutsam sind:

1. Ziel- und Leitungsorientierung,

2. Funktionale Rollendifferenzierung und Sachautorität

3. Multilaterale Informations- und Kommunikationsbeziehungen

4. Gemeinsame Einflussausübung

5. Konfliktregulierung durch Aushandeln und Verhandeln

6. Gruppenorientierung, partnerschaftliche (partizipative) Zusammenarbeit

7. Vertrauen als Grundlage der Zusammenarbeit

8. Bedürfnisbefriedigung von Mitarbeitern und Vorgesetzten

9. Organisations- und Personalentwicklung.“ (Wunderer/Grunwald 1980, Vorwort).

Bezogen auf die Leitung einer berufsbildenden Schule stellen die aufgelisteten Handlungstypen Anforderungen für alle Führungspersonen dar, die die Leitung einer Organisation wahrnehmen. In einem Berufskolleg sind dies die Schulleitung und die Mitglieder der sogenannten Erweiterten Schulleitung. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die Erweitere Schulleitung (EWSL) funktional anders in die Organisation der Schule eingebettet ist als etwa eine EWSL im allgemeinbildenden Schulwesen. An einem Berufskolleg leiten die Studiendirektor*innen entweder eine Schulform (z.B. Berufsfachschule, Berufliches Gymnasium, Fachschule) oder einen beruflichen Fachbereich oder eine Abteilung mit affinen Bildungsgängen. Das hoch diversifizierte und differenzierte System eines Berufskollegs erfordert auf allen Zuständigkeitsebenen von Leitung die gleichen Handlungstypen in der Führungspraxis wie im Gesamtsystem. Die bisherige funktionale Stellenbeschreibung der Leitungspersonen auf der zweiten Ebene als Fachleiter*innen zur Koordinierung schulfachlicher Aufgaben und die explizite formale Verankerung dieser Aufgaben in der Allgemeinen Dienstordnung (ADO) (NRW) deckt aber das beschriebene Anforderungsprofil für Mitglieder der EWSL nicht ab. Meines Erachtens müssen Studiendirektor*innen an einem Berufskolleg die Schulleitung in ihrer Gesamtverantwortung dadurch entlasten, dass sie in ihrem Zuständigkeitsbereich Personalverantwortung wahrnehmen (im Sinne von Personalführung, Personalförderung und Personalentwicklung), die Organisation der Schule integrativ im Sinne der Stabilisierung des Gesamtsystems mitgestalten und die Schule als Ganzes miteinander weiterentwickeln. Das Problem, das sich bis heute hier ergibt, ist die Tatsache, dass es für Leitungspersonal auf der sogenannten mittleren Führungsebene keine entsprechenden Rollendifferenzierungen gibt, die das Verhältnis von Schulleitung und EWSL klären könnten. Kooperative Führung als Gestaltungsoption für die interne Zusammenarbeit im Schulleitungsteam funktioniert aber nur dann, wenn diese Rollenklarheit hergestellt ist. Wir erleben immer wieder, dass es gerade in den Schulentwicklungsprozessen zu Widersprüchen, Interessenskonflikten und unterschiedlichen pädagogischen Grundpositionen zwischen den Beteiligten kommt, die auf Grund fehlender Rollenbasen und Wertefundamente nicht überwunden werden können. Für eine effiziente Teamleitung berufsbildender Schulen ist das Konzept „Kooperativer Führung“ speziell systemisch auszuarbeiten. Ein Ansatz hierzu könnten intern vereinbarte und etablierte strategische Leitungskonzepte sein, die auf wertebasierten Referenzsystemen wie Corporate Identity (CI), Leitbild- und Leitzielkonzept beruhen. Da das Konzept der Kooperativen Führung vornehmlich fokussiert ist auf Zusammenarbeit und partnerschaftlichen Umgang mit Macht erfordert die Gesamtverantwortung für das System als Ganzes und damit für die Schulleitung, die Notwendigkeit, gerade die Ergebnisse der vielschichtigen internen Einzeldiskurse von Austausch-, Verhandlungs- sowie Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen in der Praxis personaler und struktureller Führung und prozessualer Steuerung im Sinne von systemischer Effizienz und Nutzen der an Schule Beteiligten systematisch zusammenzuführen. Hans-Günther Rolff von der Dortmunder Akademie für pädagogische Führungskräfte (DAPF) nennt diese Anforderungen an Schulleitungen „Konfluente Leitung“.

„Die bisher wenig diskutierte Frage lautet also, wie die zahlreichen Einzelaktivitäten (gerade auf den Leitungsebenen) wieder zu einem handlungsorientierten Ganzen zusammengeführt werden können, für das die Person der Schulleiterin bzw. des Schulleiters letztverantwortlich ist.“ (Rolff 2017, 18f.) Die beiden bereits als Referenzsysteme für die Leitung eingeforderten Basiselemente effizienter Führung bezeichnet Rolff als Medien der Integration. Neben Schulleitbild und Schulprofil nennt Rolff noch Führungsleitbild, Feedbackkultur, Masterplan für Schulentwicklung, System des Qualitätsmanagements, Gesundheitsmanagement und Wissensmanagement. (ebd.)

Letztendlich geht es m.E. um die theoretische Ausarbeitung eines Leadership-Konzepts speziell für berufsbildende Schulen, das dem dreidimensionalen Rollenkonzept von Fullan folgt und dem oben skizzierten vierdimensionalen Konzept von Schulleitung berufsbildender Schulen mit den Dimensionen Führung, Management, Steuerung und Networking gerecht wird.

Wie schon erwähnt, haben die (Teil-)Autonomisierung der Schule und die Dezentralisierung der Verantwortung für Schulentwicklung zu einer neuen Sicht auf die Einzelschule wie auf das Schulsystem als Ganzes geführt. Die Einzelschule wird nicht mehr als geschlossenes System, sondern als dynamische und offene Bildungseinrichtung gesehen, die vielfältige Interaktionsbeziehungen nach innen und nach außen realisiert und zugleich eingebettet ist in eine regionale Bildungslandschaft mit zahlreichen Bildungsaktivitäten in verschiedenen Bildungsbereichen (Schule, Berufsbildung, Freizeit, kulturelle Bildung, zivilgesellschaftlichen Engagement, Jugendbildung etc.) Diese strukturelle und systemische Neuausrichtung von Schule allgemein hat im regionalen beruflichen Schulwesen zunehmend institutionalisierten Vernetzung berufsbildender Schulen/Berufskollegs auf interkommunaler Ebene zu Kompetenz- bzw. Innovationszentren beruflicher Bildung wie etwa das Innovationszentrum Berufliche Bildung in Ostwestfalen-Lippe (IBB-OWL) veranlasst. Im Sinne der Zielsetzung beruflicher Bildung (Vermittlung beruflicher Qualifikationen, Wirtschaftsförderung, Infrastrukturentwicklung, Standortsicherung) arbeiten hier BK-Leitungen, Schulträger und Schulaufsichten miteinander abgestimmt in zahlreichen Entwicklungsprojekten zusammen. Schulleitungen beruflicher Schulen werden in diesen Netzwerken notwendigerweise zu politischen Akteuren, die die Interessen ihrer Einzelschulen einbringen und gleichzeitig das Gesamtsystem beruflicher Bildung in der Region gemeinsam mit anderen Bildungspartnern strategisch weiterentwickeln. Sie müssen also nicht nur die unterschiedlichen pädagogischen Konzepte und Haltungen in der eigenen Schule zu einem qualitativen Profil zusammenzuführen, sondern auch die vielfältigen interaktionellen Strömungen von außen sinnvoll und nutzbringend in das eigene System integrieren. Hier spielen also Visionen der Schule und ein entsprechendes Leadership der Schulleitung für den langfristigen Erfolg der Schule eine wesentliche Rolle.

Es geht im Zusammenhang von Führung darum, auf der Basis eines von allen Beteiligten akzeptierten und mitgetragenen Schulprofils und Leitbildes eine Corporate Identity der Schule zu schaffen, die noch immer einen gemeinsamen sinnstiftenden Horizont für die pädagogische Arbeit sichert und nach außen gegenüber den Anspruchsgruppen/Stakeholdern in ihren jeweiligen Umweltsphären als effizientes System und verlässlichen Partner zu etablieren. Die hierzu erforderliche Professionalität von Schulleitung fasst Rolf Dubs programmatisch unter dem Titel „Leadership der Schule“ zusammen. Er meint damit gerade im Selbstverständnis von Schule als offenes und sich kontinuierlich entwickelndes System die Integrationskraft von Schulleitungen, die interne und externe Einflussströme zur Stärkung des Systems nutzt. Erfolgreiches Leadership (vor allem komplexer Schulsysteme wie berufsbildende Schulen) entfaltet sich nach Dubs (2019) durch und in fünf Dimensionen oder Leistungsmerkmalen effizienter Führung:

  1. Die administrative Kraft (effektives Management)
  2. Die symbolische Kraft (Führung der Schule als Wertegemeinschaft)
  3. Die politisch-moralische Kraft (Umgang mit Macht auf der Basis eines Führungsleitbildes, Vorbildfunktion nach innen und Authentizität nach außen)
  4. Human-soziale Kraft (Wahrnehmung und Gestaltung von Beziehungen)
  5. Pädagogische Kraft (Gelebte Vision von Schule als Initiativkraft für Schulentwicklung (Dubs 2019, 141ff und 173ff).

Systemisch gewendet ist Leadership mehr als Führung, weil Führung für sich genommen immer nach innen gerichtet ist und die Außenbeziehungen häufig nicht berücksichtigt (ebd.). Die Schulleitung berufsbildender Schulen erfordert vor allem im Kontext von Schulentwicklungsprozessen eine strukturelle Führung, die Netzwerkaktivitäten und -kontakte integriert.

In Bezug auf die mentalen Dispositionen von Leadership bedeutet dies, dass Schulleitungen darauf zu achten haben, auf allen Ebenen ihres Leitungshandelns die systemische Balance zu halten, d.h. durch Strategie (inhaltliche Ausrichtung der Schule), Struktur (Organisation, Koordinierung und Steuerung) und Kultur (Sinnstiftung) der Schule das Gleichgewicht von

  • Macht und Vertrauen,
  • Individuum und System,
  • System und Umwelt (Dubs 2019, 107)

sicherzustellen, um Kohärenz im eigenen System zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Studien zum weiblichen Leitungsverständnis aufzeigen, dass Frauen in Führungspositionen eher als ihre männlichen Kollegen ein diesen Anforderungen entsprechendes Leadership-Konzept verfolgen, z.B. „Relational Leadership“, „Leadership for Social Justice“, „Spiritual Leadership“, „Instructional Leadership“, „Balanced Leadership“ (Fahrenfeld 2011, 250ff.).

6 Schlussfolgerungen

Das bisherige Selbst- und Rollenverständnis von Schulleitungen, auch oder gerade berufsbildender Schulen, ist nach wie vor von ihren Managementfunktionen geprägt. In den letzten Jahren hat der Digitalisierungsdruck in Wirtschaft und Gesellschaft und in Schulen diese mentale Disposition bei Schulleiter*innen noch verstärkt. Die folgende spontane unstrukturierte Auflistung von Tätigkeiten im Kontext der Schulleitung eines mittelgroßen Berufskollegs illustriert diesen Sachverhalt deutlich:

Tätigkeiten und Aufgaben der Schulleitung eines mittelgroßen Berufskollegs im Schuljahresverlauf:

  • Arbeitsschutzgesetz (mit Gefährdungsbeurteilung, jährlich)
  • Wirksame Erste Hilfe bei Unfällen (Ersthelfer organisieren)
  • Sofortige Reaktion zur Gefahrenabwehr bei Bedrohungen oder Amok-Attacken, Schulung des Notfallteams
  • Bedarfsdeckender Unterricht durch Lehramtsanwärter
  • Besetzung von Beförderungsstellen
  • Dienstliche Beurteilungen (Probezeit-Ende, Lehramtsanwärter und erstes Beförderungsamt)
  • Leistungsberichte, Erteilung von Dienst- und Arbeitszeugnissen
  • Landesgleichstellungsgesetz (mit Ansprechpartnerin für Gleichstellungsfragen)
  • Kommunikation und Koordination der Schulmitwirkungsgremien (Lehrerrat, Schülervertretung, Schulpflegschaft, Schulkonferenz)
  • Lernstandserhebungen, Zentrale Prüfungsarbeiten und Evaluation, Auswertungen
  • Schulprogramm (Qualitätssicherung)
  • Schulscharfe Einstellungen (Ausschreibungsverfahren und Auswahlgespräche)
  • Erteilung von Sonderurlaub und Dienstbefreiung
  • Schulinterne Fortbildung, sonstige Lehrerfortbildung, Veranstaltungsangebote, Auswahl der Teilnehmer
  • Einstellung von Vertretungslehrkräften mit dem Programm „Flexible Vertretungsmittel“
  • Konfliktmanagement (Teilzeitkräfte, Mobbing, Gewalt an Schulen, unzufriedene Eltern)
  • Fehlzeitenmanagement, Gesundheitsmanagement, Wiedereingliederungsmanagement (BEM)
  • Jahresgespräche mit schwerbehinderten oder gleichgestellten Lehrkräften führen
  • Vertretungspläne bei Lehrerausfall zur Vermeidung von Unterrichtsausfall
  • Personalbudgetierung nach dem Programm „Geld aus Stellen“
  • Erledigung der täglichen Korrespondenz und Verwaltungsarbeit
  • Budgetierung, Verwaltung der Haushaltsmittel, des Reisekostenkontingents und des Fortbildungsbudgets
  • Sponsoring
  • Abordnungen von Lehrerinnen und Lehrern bis zu einem Jahr
  • Befristete Einstellungen bis zu einem Jahr
  • Beförderungen und Höhergruppierungen, Laufbahnwechsel
  • Stundenpläne, Datenerhebungen und Statistiken, ASDPC, SchILD, SchIPS, COSMO
  • Organisation von Schulveranstaltungen
  • Bußgeldverfahren, Widerspruchsverfahren
  • Übermittagsbetreuung und Ganztagsbetrieb, Organisation von zusätzlichen Betreuungsangeboten
  • Beschäftigung von Nicht-Lehrkräften (Schulverwaltungsassistenten, Sozialarbeitern u.a.)
  • Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern, Kooperationsverträge, Partnerschaften
  • Schulinspektionen und Qualitätsanalyse, Qualitätsentwicklung und –Sicherung
  • Betreuung von Studenten, Praxissemester
  • Auswahl für die Übernahme in befristete oder unbefristete Beschäftigungsverhältnisse
  • Einstellung von Tarifbeschäftigten (mit Ausnahme der Eingruppierung und Stufenzuordnung)
  • Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch Auflösungsvertrag oder eigene Kündigung durch die Tarifbeschäftigten
  • Anordnung, Genehmigung und Widerruf von Mehrarbeit
  • Anordnung, Genehmigung und Ablehnung von Dienstreisen
  • Auswahl für die Berufung ins Beamtenverhältnis auf Probe
  • Verleihung der Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit
  • Inklusion: Organisation von Fördergruppen, Gewährung von Nachteilsausgleichen
  • Überwachung des Datenschutzes und der automatisierten Verarbeitung von Daten.

Diese Übersicht über mehr oder weniger immer wiederkehrende Tätigkeiten und Aufgaben der Leitung eines Berufskollegs im Schuljahresverlauf unterstreicht, dass die meisten Anforderungen dem Management, vor allem dem Personal- und Ressourcenmanagement sowie dem Handlungsfeld Organisation und Verwaltung zugeordnet werden können. Das evoziert eher ein additives und eklektisches Selbstverständnis von Schulleitung als ein ganzheitliches Verständnis des Gesamtsystems!

An dieser Stelle konstatiert nun Dubs, „Leadership ist mehr als nur Führung!“ (Dubs 2019, 173). Leadership nutzt Managementprozesse und Management-Techniken, um Anforderungen an die personale und strukturelle Führung der Organisation zielgenau erfüllen zu können, gibt Hinweise auf Führungsnotwendigkeiten im Kontext von Schulentwicklung und leitet daraus Koordinierungs- und Steuerungsmaßnahmen ab und zeigt schließlich, wie die Mitwirkung in Netzwerken effektiv im Sinn von Systemstabilisierung und -entwicklung energetisch eingesetzt werden kann.

Dem dreidimensionalen Rollenkonzept von Fullan folgend verbindet Leadership als ganzheitliches Konzept von Schule systematisch die vier Dimensionen von Schulleitungshandeln, nämlich Führung, Management, Steuerung und Networking in einem interdependenten Führungszusammenhang.

Auf der erkenntnistheoretischen Ebene einer Leadership berufsbildender Schulen müsste das Rollenkonzept von Fullan und die Rolle des/r Schulleiters*in als praktische / praktischer Akteur*in ausgearbeitet und hinzugefügt werden und das Leadership-Konzept müsste dann um die politische Dimension von Schulleitungshandeln erweitert werden.

Das ursprünglich in der Allgemeinen Dienstordnung (hier für Nordrhein-Westfalen) formulierte Anforderungsprofil für Schulleiterinnen und Schulleiter (Ministerium für Schule und Berufsbildung 1999, 6 f.) ist dem Leadership-Gedanken folgend zu einem eigenen Berufsbild für Schulleitungen weiterzuentwickeln und systemisch zu verankern.

In Bezug auf berufsbildende Schulen ist hier das Verhältnis von Schulleitung und Erweiterter Schulleitung zu präzisieren und über funktionale Anforderungsprofile für Studiendirektor*innen klar und systemisch begründet zu definieren.

Die Kriterien für die Auswahl von Leitungspersonal wie Rollenklarheit, Management, Innovation und Kommunikation (siehe Eignungsfeststellungsverfahren NRW) sind im Sinne von Leadership neu zu fassen. Das bedeutet auch, dass die Konzepte für die Schulleitungs- und Bereichsleitungsqualifizierung entsprechend überarbeitet und angepasst werden müssten.

In dieser normativen Perspektivierung des Schulleitungshandelns berufsbildender Schulen verstehen sich die vorgelegten Überlegungen, das möchte ich abschließend noch sagen, als Skizze bzw. als Prolegomena einer noch auszuarbeitenden „Leadership berufsbildender Schulen“.

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Zumbrock, H. (2021): Selbstverständnis und Handeln von Schulleitungen an beruflichen Schulen/Berufskollegs: Zur Wirkung curricularer, struktureller und systemischer Veränderungen und ihrer organisationspädagogischen Reflexion auf das Schulleitungshandeln an beruflichen Schulen. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 41, 1-21. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe41/zumbrock_bwpat41.pdf (20.12.2021).