bwp@ Ausgabe 1 - November 2001

(K)ein Ende der Diskussion um die Reform der Berufsschullehrerausbildung?

Hrsg.: Karin Büchter, Franz Gramlinger, Martin Kipp & Tade Tramm

Berufspädagogik als technische Gebrauchsanweisung? Ausgewählte empirische Ergebnisse einer Absolventenbefragung der Universität Karlsruhe

Die Wellen in der Debatte zur Gewerbelehrerbildung schlagen (wieder einmal) hoch: Dramatische Zahlenreihen hat man in Stuttgart und anderswo entdeckt, und seit etwa zwei Jahren jonglieren die Ministerialen mit alarmierenden, ja geradezu ,aufrüttelnden‘ Hiobsbotschaften: In einem Bereich, der wie kaum ein anderer statistisch dokumentiert und daher für einigermaßen verlässliche Entwicklungs- und Bedarfsprognosen geeignet ist, erwächst quasi urplötzlich eine fehlende Bedarfsdeckung, hat sich – gleich einer unausweichlichen Naturgewalt – eine Schülerwelle aufgetürmt. Zugleich rollt – ebenso überraschend wie unausweichlich – eine Pensionierungswelle großen Umfangs auf das berufliche Schulwesen zu. Und zu alledem kommt hinzu, dass die seit der Akademisierung der Gewerbelehrerausbildung zuständigen Universitäten allenfalls ein Drittel der jährlich erforderlichen Ersatzkapazitäten produzieren, weil die Studierenden in attraktivere Beschäftigungsverhältnisse der Wirtschaft streben.

Die Zahl der von den Kultusverwaltungen der Länder ausgegebenen Losungen, Lösungen und sonstiger – formulieren wir vorsichtig – kreativer Notausgänge, Seiten- und Quereinstiege wächst beinahe täglich. Und die jenseits der Politik betroffenen Akteure aus der Wissenschaft und aus den Verbänden der Lehrerbildung sind zwischen den klugen Professionalisierungsdebatten und der notwendigen Verwaltung des Mangels hektisch darum bemüht, traditionelle Standards der Gewerbelehrerbildung, aber – auch dies sei gesagt – natürlich ebenfalls ihre berufsständischen Interessen zu wahren. Als sei dies noch nicht genug, stehen nun auch die Fachhochschulen ante portas und drängen in Münster, Mannheim, Ulm und anderswo – beflügelt durch den bildungspolitischen Rückenwind einsetzender Hochschulreformen, insbesondere aber legitimiert durch die formale Gleichstellung von Master-Abschlüssen der Universitäten und der Fachhochschulen – zunächst mit Modellprojekten ebenfalls in die Lehrerbildung hinein – zumindest im gewerblich-technischen Bereich. Angesichts der normativen Kraft des Faktischen, angesichts auch der Zwänge staatlicher Beschulungsverpflichtungen sowie der statistisch in beeindruckender Klarheit nachzuweisenden objektiven Mangelsituation geraten dabei wichtige didaktisch-curriculare sowie konzeptionelle Debatten um die Professionalisierung, um die Einheitlichkeit der Lehrerbildung bzw. um die vertikale Differenzierung der Lehrerbildung für das berufliche Schulwesen in einer Besorgnis erregenden, wenn auch nachvollziehbaren Weise in den Hintergrund der Aufmerksamkeit.

Es herrscht der technokratische Sachzwang; und in solcher Sachlage sind curriculare, konzeptionelle oder gar professionspolitische Überlegungen – frei nach Mendel – eher rezessiv als dominant. Dies ist, wie jeder, der die seit Jahrzehnten zyklisch auflebende Debatte kennt, nichts neues. Zum Beleg ein sozusagen prophetisches Zitat, welches 1982 die Situation des Jahres 2001 präzise beschreibt:

“Neben den historisch gewachsenen Besonderheiten der verschiedenen Ausbildungsgänge und den sich aus der fachwissenschaftlichen Einbindung ergebenden Unterschieden sind es vor allem die von der Kultusbürokratie in Reaktion auf tatsächliche, vermeintliche oder prognostizierte Bedarfs- und Angebotslagen auf dem Lehrerarbeitsmarkt getroffenen Entscheidungen, von denen die inhaltliche und organisatorische Studienstruktur bestimmt wird. Nicht Qualifikationsdefizite und pädagogische Überlegungen zu ihrer Überwindung haben in der Vergangenheit staatliches Handeln gelenkt, sondern vor allem politisch-ökonomische Kalküle. Die legislativen und administrativen Maßnahmen zur Veränderung von Studien- und Ausbildungsgängen, Anrechnungen und Berechtigungen sind in erster Linie auf die Beeinflussung der Marktsituation für Berufsschullehrer gerichtet und werden ihrerseits von eben dieser Marktsituation bestimmt” (Georg 1982, 97).

Das eigentlich dramatische an diesen neuen alten Problemen der Ausbildung von Gewerbelehrern im technisch-gewerblichen Bereich entfaltet sich auch heute in erster Linie vor dem Hintergrund bildungspolitischer Prioritäten: Technokratische Sachzwänge bzw. bildungspolitische Verpflichtungen des Staates immunisieren kurzfristig lancierte öffentliche Steuerungs- und Regulierungsmaßnahmen gegen sachlich und konzeptionell begründete Einwände aus Wissenschaft und Praxis, was schließlich dazu führt, dass – zweifelsohne notwendige – Reformbestrebungen auf dem Gebiet der universitären Ausbildung von Gewerbelehrern von der Politik aus ordnungs- bzw. bildungspolitischen Überlegungen heraus eingeleitet, umgesetzt und politisch legitimiert werden, anstatt derartige Reformbestrebungen sachlich, d.h.: durch den Bezug auf didaktisch-curriculare Argumente und – möglicherweise – mit einer stärkeren berufswissenschaftlichen Orientierung zu begründen.

Dies könnte nun das schnelle Ende eines wissenschaftlichen Aufsatzes zum Problem der Ausbildung von Gewerbelehrern im Deutschland an der Schwelle zum 21. Jahrhunderts sein. Jenseits elegischer Abgesänge bzw. gar der obstinaten Ablehnung jeglicher Reformbestrebung scheint es dennoch angebracht, das Problem der Reformierung der Lehrerbildung aus der machtpolitisch eher schwachen Position der Wissenschaft heraus zu beleuchten. Denn diese kann sich zumindest zu Gute halten, mit Sachargumenten zu arbeiten – auch wenn diese freischwebend jenseits des Prokrustesbetts politischer ,Sachzwänge‘, also sozusagen jenseits des Engels’schen ,Reiches der Notwendigkeit‘ auf der Suche nach dem ,Reich der Freiheit‘ herumgeistern mögen.

Ein möglicher Ansatzpunkt für die reformorientierte Problematisierung der Praxis der Gewerbelehrerbildung ist dabei zweifelsohne die Analyse der Praxistauglichkeit eben dieser Ausbildungspraxis – z.B. durch eine Befragung derjenigen, die als Gewerbelehrer die vielfältigen Anforderungen der Praxis des beruflichen Schulwesens kennen. Zu diesem Zweck hat der Verfasser in den Jahren 1999 und 2000 eine Absolventenbefragung des Instituts für Berufspädagogik der Universität Karlsruhe durchgeführt, deren Fragestellung erstens durch das Theorie-Praxis-Problem in der Lehrerbildung, zweitens von Fragen der Curriculum-Konstruktion und -entwicklung und drittens von studiengangtechnischen Überlegungen geprägt war.[1] Nur die ersten beiden Aspekte sollen nachfolgend erläutert werden. Zunächst allerdings sind einige Informationen zur Datengrundlage sowie zur studiengangtechnischen Ausgangslage am Ausbildungsstandort Karlsruhe erforderlich.

1 Empirisches Design und Stichprobenumfang

Die Zielgruppe der Untersuchung waren die Absolventen der in Karlsruhe angebotenen Studiengänge “Erstes Staatsexamen” und der seit 1992 ersatzweise eingeführte Studiengang “Diplom-Gewerbelehrer”. Dies waren seit der Einführung des älteren Studienganges Erstes Staatsexamen im WS 1977 und inklusive des 1992 eingerichteten Studienganges Diplom-Gewerbelehrer bis zum WS 1998 insgesamt 417 Absolventen, wovon 229 über den älteren Abschluss und 188 über den neueren Diplom-Abschluss verfügen.[2]

Tabelle 1: Grundgesamtheit und realisierte Stichproben nach Studiengang

Erstes Staatsexamen

 

Diplom-Gewerbelehrer

 

insgesamt

 

Anzahl

 

Anzahl

Anzahl

Alle (WS 77-SS 98):

229

Alle (WS 92-SS 98):

188

417

Davon WS 84-SS 96:

52

Davon WS 92-SS 96:

103

155

Davon angeschrieben:

39
(17,6%)1
(75,0%)2

Davon angeschrieben:

99
(52,6%)1
(96,1%)2

138

Rücklauf:

17
(7,4%)3
(43,6%)4

Rücklauf:

60
(31,9%)3
(60,6%)4

77
(55,8%)

Davon verwertbar:

15
(38,5%)4

Davon verwertbar:

60
(60,6%)4

75
(54,3%)

1: Prozent von allen Absolventen des Abschlusses bis WS 98; 2: Prozent von allen Absolventen des Abschlusses im Erhebungszeitraum; 3: Prozent von allen Absolventen des Abschlusses bis WS 98; 4: Prozent von allen Absolventen des Abschlusses, die angeschrieben wurden.

Aus unterschiedlichen Erwägungen heraus wurden allerdings lediglich jene Absolventen befragt, die zwischen WS 1984 und SS 1996 ihr Examen vollständig abgelegt hatten. Diese Selektion reduziert die Zahl der Absolventen von 417 auf 155 für beide Studiengänge (davon 52 für den älteren Studiengang “Erstes Staatsexamen” 103 für den neueren Abschluss “Diplom-Gewerbelehrer”). Da es bei der Untersuchung ganz wesentlich um die Einschätzung der Praxistauglichkeit der universitären Ausbildung für das berufliche Schulwesen ging, wurden nur jene Absolventen befragt, die zum Erhebungszeitpunkt das Diplom seit mindestens zwei Jahren abgeschlossen hatten. Daraus ergab sich als Stichjahr für das Ende des Erhebungszeitraums das Jahr 1996, was gewährleistete, dass weder Studierende noch Referendare Fragebögen erhielten.

Die Ermittlung der Rücklaufquote ergab folgende Zahlen (vgl. Tabelle 1): Von den 52 Absolventen des Studienganges Erstes Staatsexamen (1984-1996) konnten 39 mit einem Rücklauf von 17 Fragebögen (ca. 44% von allen) angeschrieben werden; davon waren 15 Fragebögen (ca. 38%) verwertbar. Und von den 103 Absolventen des Studienganges Diplom-Gewerbelehrer (1992-1996) konnten 99 mit einem Rücklauf von 60 Fragebögen (ca. 32% von allen Dipl-Gwl. Absolventen und 61% der kontaktierten) angeschrieben werden; die Antworten der Diplom-Gewerbe­lehrer waren ohne Ausnahme verwertbar. Von den 77 zurückgesendeten Fragebögen konnten insgesamt 75 Exemplare berücksichtigt werden.

Insgesamt gesehen bleibt also die Menge der ausgewerteten Fragebögen (N=75) in Relation zu der Gesamtzahl der Absolventen seit Eröffnung des ersten Studienganges im Jahre 1977 bis Ende 1996 (N=417) gering; bezogen auf den eigentlich interessierenden Erhebungszeitraum und – mehr noch – bezogen auf die Teilgruppe der Diplom-Gewerbelehrer, die in diesem Zeitraum ihr Examen abgelegt haben, ist allerdings die Rücklaufquote mit rund 56% weit höher, als dies in vergleichbaren Studien üblicherweise erwartet wird.

2 Das Modell der Diplom-Gewerbelehrerausbildung in Karlsruhe und die Struktur der Absolventen

Der Ausbildungsstandort Karlsruhe bietet den Abschluss “Diplom-Gewerbelehrer” in einer grundständigen Variante (vgl. Abb. 1) sowie als Aufbau-Studiengang für FH/TH/BA Absolventen an (vgl. Abb. 2). Die Übersichten belegen, dass das Karlsruher Modell aufgrund des hohen curricularen Anteils der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung und des daraus resultierenden relativ geringen fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Anteils einen Abschluss anbietet, der sich in großer fachwissenschaftlicher Nähe zum Diplom Abschluss der Ingenieurwissenschaften befindet, weshalb Lipsmeier, der für die Einführung dieses Diplom-Abschlusses im Jahre 1992 verantwortlich zeichnet, von einem “Ingenieur-Modell” spricht (Lipsmeier 1992, vgl. ebenso Nickolaus 1996).

Abb. 1: Modelle des Studiengangs Diplom-GewerbelehrerAbb. 1: Modelle des Studiengangs Diplom-Gewerbelehrer

Abb. 2: FH-/BA-Modell des Studiengangs Diplom-GewerbelehrerAbb. 2: FH-/BA-Modell des Studiengangs Diplom-Gewerbelehrer

Diese curriculare Schwerpunktsetzung auf die ingenieurwissenschaftliche Kompetenz bildet in Baden-Württemberg – und damit ebenfalls am zweiten Ausbildungsstandort Stuttgart – die vorherrschende Struktur und ist insofern eine südwestdeutsche Antwort auf das Theorie-Praxis-Problem in der Gewerbelehrerausbildung, welche möglichst hohe Standards der Professionalisierung anstrebt – dazu später mehr.

Bezogen auf den Untersuchungszeitraum sowie auf die erfasste Grundgesamtheit verteilen sich die unterschiedlichen Modelle innerhalb des Diplom-Studienganges in Karlsruhe wie folgt (vgl. Abb.3):

Abb. 3: Verteilung innerhalb des Diplom-StudiengangesAbb. 3: Verteilung innerhalb des Diplom-Studienganges

Die Zahlen spiegeln die quantitativ überragende Bedeutung des FH-Modells und der weiteren Seiteneinsteiger nach BA-/TH-Modell wider. Dies ist für den hier vorgestellten Teilausschnitt der Untersuchung bedeutsam, weil gerade die FH-Studierenden erfahrungsgemäß und aus naheliegenden Gründen die starke ingenieurwissenschaftliche Orientierung des Studienganges als praxisfern kritisieren. Mit diesem “Theorie-Praxis-Problem” ist zugleich das zentrale curriculare Erkenntnisinteresse der Karlsruher Absolventenbefragung angesprochen, deren Ergebnisse sich – so viel sei schon vorab angedeutet – in wesentlichen Punkten mit der Längsschnittstudie, die der Ausbildungsstandort Stuttgart in den 90er Jahren mit den dort Studierenden angestrengt hat, deckt (vgl. Nickolaus/Ziegler 1999).

3 Das Theorie-Praxis-Problem und das südwestdeutsche Modell der Gewerbelehrerausbildung

Die Frage nach dem Leitbild der Lehrerbildung mit dem Prinzip der Wissenschaftsorientierung auf der einen und dem Prinzip der Berufsorientierung auf der anderen Seite ist so alt wie der Lehrerberuf selbst. Es ist die Frage danach, wie Resewitz schon 1773 formulierte, ob der Lehrer ein “Studierter” und ein “gemeiner Professionist” ist (Resewitz 1773, 84), oder ob er zugleich Fachmann und Pädagoge zu sein hat. Dieser Zielkonflikt wurde schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts von dem Karlsruher Ingenieurwissenschaftler Redtenbacher gesehen: “Meine Bestrebungen als Lehrer richten sich nicht allein auf die wissenschaftliche Theorie der Maschine, mir liegt die Cultur des industriellen Publikums im Allgemeinen am Herzen” (Redtenbacher 1840/41, 33). Diese offensichtlich Jahrhunderte alte Debatte um die “Verwissenschaftlichung” der Lehrerbildung zielt auf den curricularen Kern der Lehrerbildung, nämlich auf die Frage nach den Standards und nach den Zielen der beruflichen Professionalisierung von Gewerbelehrern.

Die Bandbreite der Antworten reicht auch heute noch von einem Ende des Extrems zum anderen: Erwähnt sei auf der einen (sozusagen norddeutschen) Seite der maßgeblich von Rauner entwickelte Ansatz der Berufsfeldwissenschaften (vgl. Gerds, Heidegger/ Rauner 1998; kritisch dazu: Münk 2001, 81 ff.) welcher die für die Gewerbelehrerbildung notwendigen ingenieurwissenschaftlichen Anteile auf die Bedürfnisse von Schule und Betrieb bzw. auch der Facharbeit zuschneidet, und auf der anderen (sozusagen süddeutschen) Seite die weitgehende, einem “szientistischen Ansatz” (Münk 2001, 35 ff., Lempert 2000, 258) verpflichtete Übernahme des Leitbildes “Diplomingenieur”. Zwar sind sich die Vertreter des süddeutschen Modells der Vorteile des hier favorisierten “Diplom-Ingenieur-Modells” durchaus bewusst (nämlich die hohe Akzeptanz dieses Professionalisierungsprofils durch die Wirtschaft sowie die relativ hohe Halbwertzeit der erworbenen (ingenieur-)wissenschaftlichen Qualifikation, und zwar insbesondere auch als Basis für die heutzutage unumgängliche Weiterbildung (vgl. Lipsmeier 2001). Aber auch die mit diesem Ansatz verbundenen Probleme sind sowohl in der Universität als auch anschließend auf der Seite der beruflichen Schulen als Abnehmer der in dieser Weise qualifizierten Gewerbelehrer nicht zu übersehen. Gerade das Wissen um die Probleme der Orientierung an diesem szientistischen, den Ingenieurwissenschaften verpflichteten Prinzip – nämlich die Dominanz der theoretischen Grundlagenfächer Mathematik, Physik und Mechanik und die Konzentration auf die Kerndisziplinen der Ingenieurwissenschaft (z.B. Fertigungstechnik und Konstruktionswissenschaft; (vgl. kritisch etwa Jenewein 1994) – war daher ein wesentliches Motiv für die Absolventenanalyse, die auf Anregung des Institutsleiters Antonius Lipsmeier entstand.4 Die Ergebnisse im Lichte des Theorie-Praxis-Problems der Gewerbe­lehrerbildung

Gleichsam zur Einstimmung auf die Karlsruher Ergebnisse sei eine Passage aus der bereits erwähnten Untersuchung des ebenfalls dem Diplom-Ingenieur-Modell verpflichteten Stuttgarter Studiengangs “Technikpädagogik” zitiert, die sozusagen schon im Vorfeld belegt, dass die von den Absolventen in Karlsruhe vorgebrachten Kritikpunkte auf Strukturprobleme und weniger auf standortspezifische Mängel deuten:

„Bemängelt wird von den Studierenden z.T. die enge Anlehnung der ,Gewerbe­leh­rer­studiengänge‘ an die ingenieurwissenschaftlichen Diplomstudiengänge und ein zu geringes Gewicht der Pädagogik. Das klingt für den Erziehungswis­sen­schaftler zunächst erfreulich, doch zeigt die weitere Analyse der Daten, dass sich die Studierenden überwiegend eine ,andere‘ Lehre wünschen, die nach Mei­nung der Studierenden eher geeignet ist, die Handlungsfähigkeit des zu­künf­tigen Lehrers zu fördern” (Sommer/Nickolaus 1995, 136).

4.1 Motive für die Aufnahme des Studienganges „Diplom-Gewerbelehrer“

Bereits die erste Auswertung (vgl. Abb. 4) zeigt ein überraschendes Ergebnis, das sich in praktisch allen untersuchten Einzelfragen wiederholt: Es gibt in der Bewertung ganz offenbar nur sehr geringe und jedenfalls keine signifikanten Unterschiede zwischen den untersuchten Modellen und Varianten des Studienganges. Die hier zunächst vorgestellte Frage nach den Motiven zur Aufnahme des Studiums gibt – wenn auch möglicherweise durch die Retrospektive verzerrte – Hinweise auf das dominante Leitbild des Lehrerberufes.

Abb. 4: Mittelwertvergleich der Motive für die Aufnahme des Studiums nach StudiengangmodellenAbb. 4: Mittelwertvergleich der Motive für die Aufnahme des Studiums nach Studiengangmodellen

Aufschlussreich sind insbesondere die Extrempositionen zu den einzelnen Motiven: Deutlich wird, dass – neben dem technischen Interesse, welches für einen Gewerbelehrer selbstverständlich sein dürfte, und neben der im Vergleich zu den Arbeitsbedingungen von Diplom-Ingenieuren attraktiveren Arbeitszeitgestaltung – insbesondere jene Charakteristika motivbildend sind, die dem Leitbild des Pädagogen anhängen, dem Berufsbild des Lehrers also, dessen Arbeitsmittelpunkt die Ausbildung junger Menschen auf einem inhaltlich vielfältig gefächerten Tätigkeitsbereich ist. Weniger wichtig sind demgegenüber der akademische Titel sowie – was angesichts der statistisch nachweisbaren Abhängigkeit der Auf- und Abwärtsbewegungen der Studierendenzahlen vom Arbeitsmarkt für Ingenieure eher zweifelhaft scheint (vgl. Rützel 1994, 47) – der Arbeitsmarkt für Ingenieure bzw. die Enttäuschung in der Wirtschaft. Zumindest zu Beginn des Studiums war also offensichtlich das Ausbildungsziel der Mehrheit der Absolventen der Lehrerberuf.

4.2 Praxisrelevanz der in der Bildungsbiographie erworbenen Qualifikationen

Der Studiengang Diplom-Gewerbelehrer erhebt mit seiner curricularen Struktur, d.h. durch die Berücksichtigung von zwei bzw. – sofern die allgemeine Technik- sowie die Fachdidaktiken als eigenständige Bestandteile gewertet werden – von drei unterschiedlichen Disziplinen den Anspruch auf eine praxistaugliche Ausbildung. Die Kritik an einer zu starken Orientierung am Prinzip der Wissenschaftlichkeit – und zwar sowohl in dem erziehungs- als auch in dem ingenieurwissenschaftlichen Teil der Ausbildung – ist im Kern die Kritik an mangelhafter Praxistauglichkeit für das Arbeitsfeld berufliches Schulwesen. Interessant schien daher die Frage nach der subjektiven Einschätzung der Quellen, aus denen sich die Praxistauglichkeit speist, welche die Befragten täglich im Vollzug ihrer Arbeitsaufgaben nachweisen müssen (vgl. Abb. 5).

Abb. 5: Praxisrelevanz der in der Bildungskarriere erworbenen QualifikationenAbb. 5: Praxisrelevanz der in der Bildungskarriere erworbenen Qualifikationen

Diese Selbsteinschätzung jedoch belegt sehr deutlich, dass aus der Sicht der praktizierenden Gewerbelehrer eher die Betriebspraxis, die bereits erfahrene Berufspraxis als Gewerbelehrer, die berufliche Weiterbildung und – mit Einschränkungen – das Referendariat diejenigen Orte bzw. Phasen der absolvierten Bildungskarriere waren, welche berufsvorbereitende und -qualifizierende Funktionen hatten. Das universitäre Studium hingegen zeigt in dieser Hinsicht die schlechtesten Werte. Anders herum formuliert, bedeutet dies, dass die zum Befragungszeitpunkt fast durchweg berufstätigen Lehrer in ihrer subjektiven Einschätzung die Qualifikationen, die sie sich in ihrem wissenschaftlichen (d.h. genauer: in ihrem ingenieur- und erziehungswissenschaftlichen) Studium angeeignet haben, ganz überwiegend als weniger relevant einschätzten.

Die Befunde scheinen zunächst eindeutig und lassen sich von Auswertung zu Auswertung erhärten: Das Leit- und Selbstbild der Befragten ist ganz überwiegend das eines Pädagogen, und von einem solchen wird in erster Linie eine berufsorientierte Qualifizierung erwartet, die didaktisch und curricular möglichst passgenau und situationsorientiert auf das Handlungsfeld berufliches Schulwesen vorbereitet. In besonderer Weise interessant ist daher die inhaltliche, d.h. die Kritik am Curriculum der universitären Ausbildung in den beiden Teilbereichen Ingenieurwissenschaften und Erziehungswissenschaften/Berufspädagogik.

4.3 Die Bewertung des ingenieurwissenschaftlichen und erziehungswissen­schaftlichen Curriculums

Eines der – angesichts der Beratungserfahrungen insbesondere von FH-Absolventen – überraschendsten Ergebnisse war die Einschätzung der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildungsanteile, da gerade hier das Karlsruher ,Diplom-Ingenieur-Modell‘ seine Spezifik besitzt: “Nur 33 Personen wollten das Lehrangebot in der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung verringern, 19 Personen wollten es mit ausdrücklichem Bezug auf einzelne Vertiefungsgebiete bzw. Wahlpflichtfächer erweitern bzw. vertiefen, und lediglich 11 Personen befürworteten die Forderung, weitere gegenstandsbezogene Inhalte zu ergänzen. Insgesamt ist also unter quantitativen Aspekten festzuhalten, dass der Wunsch nach Änderungen in diesem ingenieurwissenschaftlichen Teil des Studiums erkennbar und deutlich geringer ist als in dem erziehungswissenschaftlichen Teil. ... Der eigentlich erstaunliche Aspekt dieses Ergebnisses ist jedoch, dass für den ingenieurwissenschaftlichen Anteil der Ausbildung dessen szientistischer Charakter gar nicht so sehr im Zentrum der Fundamentalkritik steht, auch wenn in anderen Kontexten Details des Zuschnittes des Studienganges (Höhere Mathematik III usw.) hinreichend deutlich kritisiert werden. Aber diese Kritik bleibt gleichsam systemimmanent, ohne dass die Forderung nach einer grundlegenden Änderung der Ausbildung formuliert würde.” (Münk 2001, 185).

Hier kündigt sich an, dass das sich zunächst so eindeutig herauskristallisierende Selbstbild des Gewerbelehrers als Pädagoge eher ein Wunsch- als ein Leitbild zu sein scheint: Die prinzipielle Akzeptanz des curricularen Zuschnitts der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung deutet darauf hin, dass hier eher ein Ingenieur als ein Pädagoge wertet – ein Befund der möglicherweise auch als Folge der universitären Sozialisation gewertet werden kann.

Ganz anders dagegen das Bild bei den Änderungswünschen für die erziehungswissenschaftliche Qualifizierung; ein kurzer Blick auf die zusammenfassende Auswertung (vgl. Abb. 6) ergibt ein sehr deutliches Urteil.

Abb. 6: Änderungswünsche im Fach Erziehungswissenschaften/BerufspädagogikAbb. 6: Änderungswünsche im Fach Erziehungswissenschaften/Berufspädagogik

Hier wird nicht die Wissenschaft eingeklagt, sondern kritisiert; im Vordergrund der Wünsche steht die situationsorientierte Handreichung für den Praxisvollzug. Und zwar nicht nur durch “praxisorientierte Zusatzangebote und Seminare”, sondern auch durch die Pädagogische Psychologie, die kaum als wissenschaftliche Disziplin entbehrt werden dürfte, sondern als situationsorientierte Hilfe für den Umgang mit Schülern. Die Vermutung liegt nahe, dass ein quantitativer Ausbau der Pädagogischen Psychologie als Wissenschaft kaum das sein dürfte, wonach den Befragten der Sinn steht – die Ablehnung eines theorie- und wissenschaftsorientierten Curriculums in der Erziehungswissenschaft wird nicht zuletzt auch durch den ausgeprägten Wunsch nach einem Mehr an fachdidaktischen Angeboten deutlich. In diesem Kontext präsentiert sich der ausgeprägte Wunsch nach Fachdidaktik als die zentrale Anforderung an das erziehungswissenschaftliche Studium – und zwar weniger aus fachwissenschaftlichen Gründen, sondern weil von ihr offenbar erwartet wird, dass sie ingenieurwissenschaftliche Theorie mit unterrichtspraktischen und situationsorientierten Anforderungen verklammert – eine Erwartung, die weit hinter dem Anspruch der Fachdidaktik als Wissenschaft zurückbleibt.

Dieses ambivalente Bild wiederholt sich, wenn die Frage der unmittelbaren Verwendungstauglichkeit der in der Universität erworbenen Qualifikationen in Rede steht.

4.4 Brauchbarkeit des Studiums im ersten Berufsjahr

Abgesehen von der Gruppe der BA-Absolventen, deren Angaben aufgrund zu niedriger Fallzahlen (3) keine verlässlichen Aussagen erlauben, kann man grob zusammenfassen, dass die in der Universität erworbenen spezifisch pädagogischen Qualifikationen als unzureichend beurteilt wurden, während die ingenieurwissenschaftlichen Anteile des Curriculums mehrheitlich mit dem Prädikat “gut vorbereitet” versehen wurden (vgl. Abb. 7).

Abb. 7: Einschätzung der Brauchbarkeit des Studiums im ersten BerufsjahrAbb. 7: Einschätzung der Brauchbarkeit des Studiums im ersten Berufsjahr

Auch dies deutet auf eine Ablehnung der berufspädagogischen Qualifizierung auf wissenschaftlichem Niveau bzw. auf eine Reduktion der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung zu einem schlichten, situationsorientierten Vademecum, wohingegen die gleichermaßen anspruchsvolle ingenieurwissenschaftliche Qualifizierung als angemessen bewertet wird: Hier spricht nicht der Pädagoge, sondern der Ingenieur, der nach möglichst griffigen und schnellen ,Gebrauchsanweisungen‘ für seine Schüler sucht.

4.5 Änderungsvorschläge zur Gewerbelehrer-Ausbildung

Insofern passt zum Gesamtbild, dass sich die Wünsche der Befragten genau an dieser Ziel­konfiguration orientieren, wenn Sie um Änderungsvorschläge gebeten werden (vgl. Abb. 8).

Abb. 8: Änderungsvorschläge zur Gewerbelehrer-AusbildungAbb. 8: Änderungsvorschläge zur Gewerbelehrer-Ausbildung

Mehr Fachdidaktik, weniger erziehungswissenschaftlich-berufspädagogische Theorie, längeres Schulpraktikum, Orientierung der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung am Beruf: Fast scheint es so zu sein, als ob die mit der zweiten Phase verbundenen Qualifizierungsziele ohne weitere Reflektion in die erste, universitäre Ausbildungsphase verlagert werden sollen – was dann auch den relativ ausgeprägten Wunsch nach der Integration des Referendariats in die erste Phase erklären würde. Es stellt sich daher die Frage, an welchen Lernorten die Absolventen ihrer Selbsteinschätzung nach die pädagogischen bzw. ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen erworben haben.

4.6 Aneignungsorte der erziehungs- und ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen

Um hierüber differenziert Aussagen zu erhalten, wurde die ingenieurwissenschaftliche und pädagogische Kompetenz jeweils in vier sachlogisch analoge Teilkompetenzen unterteilt: Kompetenzen mit primär wissenschaftlich-theoretischer Qualität; fachwissenschaftliche Spezialbereiche mit erkennbarem situativem Bezug (Didaktik, Methodik, spezifische Aspekte von Lehr-/Lernprozessen) bzw. berufskontextbezogenes Wissen (Arbeitsfeld Schule/Betrieb), pädagogisches bzw. ingenieurmäßiges Denken). Vergleicht man die beiden Abbildungen 10 und 11, so wird deutlich, dass alle erfragten Kompetenzen ganz überwiegend an jenen Orten erworben wurden, die institutionell dafür zuständig sind: Die pädagogischen Kompetenzen wurden in erster Linie im Universitätsstudium und im Referendariat erworben, – die erstaunlich geringe Bedeutung des Schulpraktikums ist möglicherweise ein Effekt der kurzen Dauer von vier Wochen – und die ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen wurden an der Universität und/oder der FH erworben. Sowohl bezogen auf die pädagogischen als auch auf die technischen Qualifikationen scheinen also praktische Tätigkeiten, eine Berufsausbildung, die Lehrerfortbildung und dergleichen eine eher geringe Rolle zu spielen.

Bei näherer Betrachtung der Verteilungen erweist sich zudem, dass theoretisch-wissenschaftliche Aspekte in erster Linie im Studium und in zweiter Linie im Kontext des Referendariats bzw. – im Falle der ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen – in der Universität bzw. der FH erworben wurden.

Abb. 9: Aneignungsorte der pädagogischen KompetenzenAbb. 9: Aneignungsorte der pädagogischen Kompetenzen

Abb. 10: Aneignungsorte der ingenieurwissenschaftlichen KompetenzenAbb. 10: Aneignungsorte der ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen

Diese Konzentration des Erwerbs der vier Teilqualifikationen jeweils im pädagogischen oder ingenieurwissenschaftlichen Bereich auf im Wesentlichen zwei unterschiedliche institutionelle Ausbildungskontexte (Universität/Referendariat bzw. Universität/FH) und die damit verbundene relative Bedeutungslosigkeit anderer potentieller ,Lernorte‘ gilt – cum grano salis – gleichermaßen für die Aneignung der erziehungs- wie für die Aneignung der ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen. Deutlich wird zudem, dass offenbar die Informationen über das ,Arbeitsfeld Schule‘ und die Schulung zu ,pädagogischem Denken‘ relativ schwächer ausgeprägt ist und dass diese geringere Ausprägung auch für die ingenieurwissenschaftliche Vorbereitung auf das ,Arbeitsfeld Betrieb‘ und (wenn auch in geringerem Umfang) für die Ausformung ,ingenieurgemäßen Denkens‘ gilt.

Dies wiederum relativiert die zuvor ermittelte Geringschätzung der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung: “Insbesondere die beiden Schwerpunkte der theoretischen Ausbildung für die Universität und der Ausformung des schulorganisatorischen Wissens für das Referendariat belegen hier eine funktionale Aufgabenteilung der beiden Ausbildungsorte und -phasen, die letztlich auch in diesem Sinne gewollt ist” (Münk 2001, 206). Jedenfalls lässt sich vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse kaum die sich zunächst abzeichnende Tendenz erhärten, dass die Ausbildung – und zwar insbesondere die erziehungswissenschaftlich-pädagogische – “einen derart praxisfernen Charakter besitzt, dass sie völlig unerheblich für die nachfolgende Berufstätigkeit ist. Wahrscheinlicher scheint vielmehr, dass die im Fragebogen enthaltenen Aufforderungen zu möglichst konkreter Kritik an der universitären Ausbildung zu einer Isolierung der subjektiv erfahrenen ersten Ausbildungsphase aus dem gesamten Ausbildungskontext und ‑verlauf führt, so dass die Kritik notwendig einseitiger werden muss, als sie re vera und ex post betrachtet zu sein scheint. Der Kern der Detailergebnisse lässt sich jedenfalls in der Feststellung zusammenfassen, dass die im biographischen Verlauf erworbenen pädagogischen Kompetenzen ganz überwiegend entweder in der Universität oder im Referendariat erworben wurden” (Münk 2001, 206).

4.7 Brauchbarkeit von Kenntnissen und Fähigkeiten in der Berufspraxis

Angesichts der offenbar stark ausgeprägten Kritik der Praxisferne – bezogen auf die grundlagentheoretischen Orientierungen der ingenieurwissenschaftlichen, insbesondere aber bezogen auf die szientistische Orientierung der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung – stellt sich abschließend das Problem des Umfangs des Umsetzungspotenzials dieser Kompetenzen und Qualifikationen im beruflichen Kontext (vgl. Abb. 11). Denn die zuvor getroffene Feststellung des Erwerbs erziehungs- bzw. ingenieurwissenschaftlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten im Ausbildungsverlauf beantwortet nicht zwangsläufig die Frage nach der Brauchbarkeit dieser Qualifikationen in der Ernstfallsituation. Hier scheint offenbar eine differenziertere Betrachtung notwendig.

Abb. 11: Rückgriff auf Kenntnisse und Fähigkeiten unterhalb bzw. oberhalb des FacharbeiterniveausAbb. 11: Rückgriff auf Kenntnisse und Fähigkeiten unterhalb bzw. oberhalb des Facharbeiterniveaus

Augenscheinlich verläuft eine klare Scheidelinie der auf den differenten Niveaus eingesetzten Qualifikationen in der Weise, dass oberhalb der Fachschulreife überwiegend ingenieurwissenschaftliche Qualifikationen eingesetzt werden müssen, während unterhalb dieses Niveaus die pädagogisch-erziehungs­wissen­schaftlichen Qualifikationen eine erkennbar größere Bedeutung haben. Das ,Wissen um die theoretischen Grundlagen der Ingenieurwissenschaften‘ zählt ebenso wie das ,ingenieurmäßige Denken‘ zu den am häufigsten genannten Anwendungsprofilen der Qualifikationsstruktur eines Gewerbelehrers. Allen Forderungen nach größerer Praxisorientierung zum Trotz scheint im Vergleich hierzu das – in der Universität nicht oder durch das obligatorische Betriebspraktikum nur defizitär vermittelte – konkrete Wissen um die Arbeitsumgebung des Ingenieurs bzw. um die betriebliche Arbeitsumgebung eine deutlich geringere Rolle zu spielen.

Ähnlich differenzierte Bewertungen ergibt auch die Analyse der auf die Erziehungswissenschaft und auf das pädagogische Denken bezogenen Variablen: Bei einer – unter Praxisaspekten – insgesamt eher kritischen Position gegenüber dem an der Universität vermittelten erziehungswissenschaftlichen Curriculum ist die Verfügbarkeit dieser Qualifikationen im Unterricht an beruflichen Schulen unterhalb der Fachschulreife augenscheinlich bedeutsamer als in Schularten mit fachwissenschaftlich höherem Anspruchsniveau. Insoweit belegt die Auswertung auch, dass sich die zum Teil heftig kritisierte Erziehungswissenschaft im konkreten Anwendungskontext schließlich doch nicht als ganz so überflüssig erweist, wie dies einige der zuvor präsentierten Ergebnisse hätten vermuten lassen: Immerhin markiert der erreichte Durchschnittswert die Grenze und liegt keineswegs im negativen Bereich.

Dominantes Selbstkonzept und Leitbild des Gewerbelehrers ist – und zwar sowohl vor dem Hintergrund des Ausbildungs- als auch vor dem des Tätigkeitsprofils – das des primär ingenieurwissenschaftlich versierten Fachmannes mit pädagogischen, jedoch weniger erziehungswissenschaftlichen Ambitionen. Durchgängig scheint es so zu sein, dass sich diese pädagogischen Ambitionen vor allem aus der Erwartung speisen, durch eine situativ definierte Pädagogik ein möglichst hohes Maß an praktischer Handlungsorientierung zu erhalten. Die dieses Strukturproblem legitimierende Argumentation der szientistischen Erziehungswissenschaften, dass eine solchermaßen situativ und praxisnahe definierte Ausbildung nur auf der Grundlage eines soliden Gerüstes der theoretischen Grundlagen realisiert werden könne, wird von den Absolventen in Bezug auf die Ingenieurwissenschaften offenbar weit eher akzeptiert als für den erziehungswissenschaftlichen Teil der Ausbildung.

5 Der Gewerbelehrer als Anpassungsvirtuose?

Der Wunsch nach einer situationsorientierten Ausbildung ist so alt wie das Theorie-Praxis-Problem selbst und durchzieht schließlich auch die Forschung zur Curriculumentwicklung und -konstruktion wie ein roter Faden. Der Spagat zwischen ingenieurwissenschaftlichen Gegenständen des Berufes des Gewerbelehrers und die Notwendigkeit ihrer Vermittlung in einem pädagogischen Kontext bleibt ein Problem, das zumindest unterschwellig stets präsent ist – übrigens auch im Weiterbildungsverhalten der Lehrer, die erheblich verstärkte pädagogische Schwerpunkte einfordern, aber in ihrem tatsächlichen Weiterbildungsverhalten mit erstaunlicher Ausschließlichkeit technisch-ingenieurwissenschaftliche Schwerpunktbildungen betreiben (vgl. Münk 2001, 165 ff.): Mehr Pädagogik scheint in der Bewertung der Absolventen nicht der Wunsch nach mehr Erziehungswissenschaft, sondern der Ruf nach einem Mehr an situationsorientierten ,pädagogischen Gehhilfen‘ zu sein. Aber abgesehen davon, dass eine solche Zielsetzung nicht den Ausbildungsansprüchen einer wissenschaftlichen Universität entspricht, kann die Lösung des Theorie-Praxis-Problems eigentlich nicht darin bestehen, die ,Pädagogik‘ auf die Funktion einer technischen Gebrauchsanleitung zu reduzieren und sie damit ihres Reflektionspotenzials als Basis für die Herausbildung kritischer Handlungsorientierungen im Kontext von Lehr-/Lernprozessen zu berauben.

Die in dieser Kritik zu Tage tretenden Defizite rekurrieren in der einen oder anderen Weise allesamt auf das Problem des Ausmaßes der Praxisanbindung. Auch wenn dies – erstaunlicherweise – keineswegs zu beruflicher Unzufriedenheit führt, sondern der Beruf von 40% mit “sehr großer Zufriedenheit” und von weiteren 52% mit “Zufriedenheit” ausgeübt und erlebt wird (nur 1,3% bzw. 2,7% bzw. 2,7% gaben hier “unzufrieden” oder “sehr unzufrieden” bzw. “weiß nicht” an; vgl. Münk 2001, 224), so scheint eine Ursachenforschung angesichts der hier dokumentierten Ergebnisse notwendig.

Ein wesentliches Problem der Ausbildung zum Gewerbelehrer scheint der Beruf des Gewerbelehrers selbst zu sein bzw. – genauer gesagt – in dessen vielfältigem Anforderungsprofil zu bestehen. Die hieraus resultierenden Zwänge drängen den Gewerbelehrer nolens volens in die Rolle eines “Anpassungsvirtuosen” (vgl. Fürstenberg 1970) mit vielfältigen und zum Teil widersprüchlichen Berufsaufgaben, die zu erfüllen sind: Hierzu zählen nicht nur die weitgehend individualisierten Anpassungsprozesse im ingenieurwissenschaftlichen Bereich der Qualifikationen und Kompetenzen, die durch permanente berufliche Weiterbildung zu leisten ist; ferner die hochgradig individualisierten Anpassungsleistungen im Hinblick auf pädagogische Kompetenzen, die einerseits durch die Vielfalt des beruflichen Schulwesens auf sehr unterschiedlichen Niveaus und Anspruchsebenen abrufbar sein, die andererseits aber auch – auf längere Zeiträume hin betrachtet – flexibel auf Tendenzen des sozialen Wan­dels reagieren müssen. Dabei wirkt erschwerend, dass berufliche Fortbildungen in diesem pädagogischen Bereich offenbar in nur sehr geringem Umfang stattfin­den, so dass hier die erforderlichen Anpassungsprozesse einerseits praktisch vollständig individualisiert bewältigt werden müssen, aber andererseits durch die Beanspruchungen des individuellen Zeitbudgets für Berufstätigkeit und Fort­bil­dungs­maß­nah­men in der beruflichen Fachrichtung kaum realistische Chancen für die Re­ali­sation dieses Fortbildungsbedarfs bestehen.

Hinzu kommen Anpassungsprozesse hin­sichtlich der autonom zu gestaltenden Arbeitszeit, da die alleror­ten wesentlich zu dünne Personaldecke zu Umstellungen, Mehrarbeit, Unterrichtsvertretungen und dergleichen führt. Dies scheint insofern eine gewichtige Belastung, als gerade die Gestaltungsfreiheit bezüglich der Arbeitszeiten einen wesentlichen Aspekt der Studienmotivation der Absolventen ausmachte. In der aktuell zu beobachtenden Realität des beruflichen Schulwesens ist diese Zeit­au­to­nomie jedoch aufgrund der genannten Zwänge der vorherrschenden Öko­no­mie der Knappheit de facto drastisch zugunsten des offenbar weithin vor­herr­schen­den Prinzips des ,Management by stress‘ reduziert. Permanente Anpassungsprozesse schließlich sind auch hinsichtlich des wichtigsten im Kontext der vorliegenden Analyse thematisierten Zielkonfliktes erforderlich: Die Passungsprobleme zwischen den im Verlauf der Ausbildung erworbenen Qualifikationen und den in der konkreten, beruflich definierten Situation erforderlichen Qualifikations- und Kompetenzanforderungen des Unterrichtes an beruflichen Schulen bedeuten nämlich letztlich nichts anderes, als dass die hier als Monita vorgestellten Defizite der Ausbildung mit Hilfe weitgehend individualisierter Strategien des Ausgleichs abgefedert werden müssen. Und war – bei weitem nicht nur aus der Warte des Besoldungsrechtes – bei objektiv mangelhaften Arbeitsbedingungen und einem subjektiven Belastungsempfinden der Betroffenen, das jenseits der Schmerzgrenze liegt (vgl. hierzu ebenfalls Bachmann 1999).

Andererseits werden diese permanent erforderlichen Anpassungsleistungen an unterschiedlichste Anforderungen der Berufswirklichkeit von den Lehrern offenbar mehrheitlich bewältigt. Die Notwendigkeit dieser Anpassungsleistungen wird dabei zwar keineswegs als positiver Bestandteil der Berufswirklichkeit erfahren, sondern vielfach als Indikator für eine quantitativ wie qualitativ herausragenden Berufsleistung umdefiniert. Oder sie wird – und dies scheint die vorherrschende Reaktion zu sein – ursächlich und einseitig einer verfehlten Ausbildung überantwortet.

Dass im Kontext der absolvierten Ausbildung offenbar trotz allem – oder in einer durch vielfältige unterschiedliche und zum Teil sogar gegensätzliche Ansprüche geprägten beruflichen Situation vielleicht auch: gerade deshalb – das Ziel der Vermittlung beruflicher Handlungskompetenz mit Erfolg eingelöst werden kann, wird dabei offenbar von den Absolventen gar nicht mehr gesehen. Schließlich sind es insbesondere ,Schlüsselqualifikationen‘ wie etwa die Befähigung zu selbstgesteuerter und individualisierter Weiterbildung, die Befähigung zu fachlicher wie sozialer Flexibilität, sowie die Fähigkeit, sich technischen Sachverhalte und sozialen Problemsituationen mit wissenschaftlicher Fundierung und theoretisch geschulter, professioneller Distanz anzunähern, welche die curricularen Zielbestimmungen einer wissenschaftlich begründeten Ausbildung von der Vermittlung schlichter Praxeologien unterscheidet.

Die hier in Ausschnitten präsentierten Ergebnisse belegen deutlich den Reformbedarf einer Ausbildung, die hohen Standards der beruflichen Professionalisierung genügen will. Aber in einem in dieser Weise verstandenen professionalisierten Ausbildungsgang kann es nicht in erster Linie um die Vermittlung von Gebrauchsanweisungen gehen, sondern viel eher darum, „die Verklammerung zwischen ingenieur- bzw. erziehungswissenschaftlichen Ansätzen und ihrem konkreten Einsatz in der unterrichtlichen Praxis zu kommunizieren” (Münk 2001, 233). Hierfür bestehen bereits erste Ansätze, wie etwa die Debatte um die stärkere Integration von erster und zweiter Phase sowie die in letzter Zeit zunehmend diskutierte stärkere Berücksichtigung der Bedeutung der beruflichen Weiterbildung als dritter gleichberechtigter Phase der ,Berufsausbildung‘ zum Gewerbelehrer. Ein kategorisches entweder–oder zwischen hehren und professionspolitisch sicher ehrenwerten wissenschaftlichen Ansprüchen auf der einen und der Reduktion der Ausbildung auf ein schlichtes Vademecum auf der anderen Seite wäre dem Grad der Komplexität des Problemfalls “Gewerbelehrerbildung” dagegen sicher unangemessen.

Literatur

Bachmann, K. (1999): Lust oder Last? Berufszufriedenheit und Belastung im Beruf bei Lehrerinnen und Lehrern an berufsbildenden Schulen. Baltmannsweiler.

Fürstenberg, F. (1970): Soziale Werte im Berufsleben. In: Die Deutsche Berufs- und Fach­schule, 66, 2, 119-125.

Georg, W. (1982): Studium und Beruf des Lehrers an beruflichen Schulen – Inhalte, Richtlinien, Praxis. In: H.-J. Ruhland/ M. Niehues/ H.-J. Steffens (Hrsg.): Lehrer an beruflichen Schulen – Rekrutierung, Ausbildung, Selbstverständnis. Referate zum 5. Berufsbildungskongress “Lerbacher Woche”. Krefeld, 91-102.

Gerds, P./Heidegger, G./Rauner, F. (1998): Berufsfelder von Auszubildenden und Bedarfe in den Fachrichtungen der Berufsschullehrerinnen und -lehrer in Norddeutschland. Reformbedarf in der universitären Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen beruflicher Fachrichtungen in Norddeutschland. Gutachten im Auftrag der Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Bremen.

Jenewein, K. (1994): Lehrerausbildung und Betriebspraxis. Bochum.

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Lipsmeier, A. (1992): Zur Entwicklung neuer Studiengänge für Lehrer und Lehrerinnen an beruflichen Schulen. Berufsschullehrer-Studiengänge im Kontext von Bedarfsdeckung und Professionalisierung. In: B. Bonz (Hrsg.): Lehrerbildung für berufliche Schulen. Ergebnisse der Leipziger Konferenz am 17. Und 18. Februar 1992 zum Studium von Lehrern an beruflichen Schulen in den neuen Bundesländern. Alsbach, 58-79.

Lipsmeier, A. (in Druck): Diplomgewerbelehrerausbildung zwischen Professionalisierung und Mangelverwaltung. (Manuskript, erscheint im 4. Quartal 2001).

Münk, D. (2001): Der Gewerbelehrer als Anpassungsvirtuose. Ausbildungsanspruch und Berufswirklichkeit. Bielefeld.

Nickolaus, R./Ziegler, B. (1999): Berufs- und studienbezogene Orientierungen von Stu­dierenden im Diplomstudiengang Technikpädagogik (GwL). Erste Befunde aus einer Längs­schnittstudie. In: A. Schelten/ P. Sloane/ G. Straka (Hrsg.): Berufs- und Wirtschaftspädago­gik im Spiegel der Forschung: Forschungsberichte des DGfE-Kongresses 1998. Opladen, 45-68.

Nickolaus, R. (1996): Gewerbelehrerausbildung im Spannungsfeld des Theorie-Praxis-Problems und unter dem Anspruch divergierender Interessen. Esslingen.

Redtenbacher, F. (1879): Aus dem Notizbuch von Redtenbacher 1840/41. In: Erinnerungsschrift zur siebzigjährigen Geburtstagsfeier F. Redtenbachers, hrsgg. von R.F. Redtenbacher. München.

Resewitz, F. G. (1773): Die Erziehung des Bürgers zum Gebrauch des gesunden Verstandes und zur gemeinnützigen Geschäfftigkeit. Kopenhagen.

Rützel, J. (1994): Reformbedarf und Reformansätze zur Qualifizierung von Berufspädagogen – Umrisse eines Darmstädter Modells. In: J. Rützel (Hrsg.): Gesellschaftlicher Wandel und Gewerbelehrerausbildung. Analysen und Beiträge für eine Studienreform. Alsbach, 45-60.

Sommer, K.-H./Nickolaus, R. (1995): Lehrende in der schulischen Berufsbildung. In: R. Bader/ G. Pätzold (Hrsg.): Lehrerbildung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Beruf. Bochum, 129-141.

[1] Vgl. die vollständige Dokumentation der Studie: Münk 2001.

[2] Bis zum WS 1999 hat sich laut der Statistik des Institutes für Berufspädagogik die Gesamtzahl der Diplom-Absolventen auf insgesamt 211 Absolventen erhöht.