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bwp@ 37 - Dezember 2019
Berufs- und Wirtschaftspädagogik und ihr fachwissenschaftlicher Bezug
Hrsg.:
, , &Berufliches Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis von Lehrkräften. Analyseschema für die Untersuchung der Sichtweisen von Lehrkräften
Es gibt viele Untersuchungen zum (beruflichen) Selbstverständnis, der Identität und zum (beruflichen/professionellen) Selbstkonzept von Lehrkräften, in denen diese Begriffe häufig synonym verwendet werden. Dabei werden häufig unterschiedliche Aspekte in den Blick genommen und es bleiben m. E. wesentliche Aspekte wie die Vorstellungen der Lehrkräfte von ihrem Fach unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund wird im Beitrag die von Bauer vorgeschlagene Trennung in Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis aufgegriffen und weiterentwickelt. Dabei wird diese analytische Trennung begründet und ihre Sinnhaftigkeit aufgezeigt, auch wenn Zusammenhänge zwischen diesen Dimensionen bestehen. Es wird dafür plädiert, diese drei Dimensionen im Rahmen der Forschung zu Lehrereinstellungen und zum Lehrerhandeln zu berücksichtigen. Außerdem wird gezeigt, dass auch im Rahmen der Lehrerbildung idealerweise alle drei Dimensionen zu berücksichtigen sind, wenn man bestimmte Handlungen von Lehrkräften wahrscheinlicher machen will.
Teachers’ professional self-concept, their concept of their discipline and their concept of their assignments. Analytic scheme for research on teachers’ perspectives.
Many studies focus on the (professional) self concept or the identity of teachers. These terms (and several others) are often used synonymously. These studies mostly focus on differing aspects whereby – in my opinion – fundamental aspects like the teachers’ concepts of their discipline stay unconsidered. To address this issue, Bauers proposal of the segregation of self-concept, concept of the discipline and concept of the tasks of teachers is used as a basis for the further development of an analytic scheme that takes all three dimensions into account. In doing so, the reasons for this analytical separation of the dimensions are described, although there is an interrelation between them. I suggest to take all three dimensions into account when doing research on teachers’ mental attitudes and their activity. In addition, this paper shows the relevance of all three dimensions for teacher education and training.
1 Einleitung
In der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung werden des Öfteren die Sichtweisen von Lehrkräften auf sich und ihre berufliche Tätigkeit in den Blick genommen. Dabei werden – häufig synonym – unterschiedliche Begriffe verwendet, wie z. B. (berufliches / professionelles / pädagogisches) Selbstverständnis (vgl. z. B. Bauer 2006, 125; Lempert 1962, 90ff.; Tutschner/Haasler 2012, 104; Pätzold 2010, 291; Burchert 2012, 135), (berufliche) Identität (vgl. z. B. Minnameier 2010, 74; Pätzold 2010, 286; Tramm/Naeve 2010, 299) oder auch (pädagogisches / professionsbezogenes) Selbstkonzept (vgl. z. B. Bauer 2006, 316f.; Burchert 2012, 135). Es geht dabei häufig um die Frage, ob Lehrkräfte sich eher am Leitbild des Fachmanns oder am Leitbild des Pädagogen orientieren, aber auch um die Vorstellungen des Lehrpersonals zu geeigneten Methoden, Zielen und Inhalten. Die Relevanz dieser Untersuchungen ergibt sich daraus, dass von einer handlungsleitenden Funktion dieser Sichtweisen auszugehen ist, wie z. B. Lempert (vgl. 1962, 90ff.) zeigte. Immerhin dürfte den Sichtweisen und Einstellungen von Lehrkräften gerade mit Blick auf ihre hohe Autonomie und unterschiedliche Idealvorstellungen von „gutem Unterricht“ eine hohe Bedeutung für die Gestaltung von Unterricht zukommen. Ihnen eine handlungsdeterminierende Funktion zu unterstellen, würde jedoch fehlgehen, da soziales Handeln stets Aushandlungsprozesse mit den konkreten Rahmenbedingungen beinhaltet (vgl. dazu z. B. Suchman 1999). Vor diesem Hintergrund werden die o. g. Dimensionen auch im Rahmen der Debatte um die Bezugswissenschaften der beruflichen Fachrichtungen angeführt (vgl. z. B. Bauer 2006; Minnameier 2010; zur Debatte vgl. zusammenfassend Zimpelmann 2020). So kann einerseits eine Vorstellung existieren, dass „guter Unterricht“ sich dadurch auszeichnet, dass er durchgehend arbeitsprozessorientiert ist, während andererseits die Vorstellung existieren kann, dass „guter Unterricht“ so aussieht, dass berufliche Arbeit als „motivierender Einstieg“ genutzt wird, um dann Inhalte einer korrespondierenden Fachwissenschaft zu vermitteln. Die Frage nach den Sichtweisen der Lehrkräfte ist also grundsätzlich für alle beruflichen Fachrichtungen interessant.
Bauer wies in seiner Studie „Einstellungsmuster und Handlungsprinzipien von Berufsschullehrern“ (2006) im Bereich der Elektrotechnik m. E. zurecht darauf hin, dass die Vorstellungen von Lehrkräften über ihre berufliche Fachrichtung in entsprechenden Studien – zumindest im gewerblich-technischen Bereich – kaum Berücksichtigung finden. Vor dem Hintergrund der Bezugswissenschaftsdebatte und der Tatsache, dass diese gerade in den gewerblich-technischen Fachrichtungen intensiv geführt wird, ist dies ein bemerkenswerter Umstand. Dies vor allem deshalb, da diesen – von Bauer als „Fachverständnis“ bezeichneten – Sichtweisen ebenfalls eine handlungsleitende Funktion zukommen dürfte und sie „vermutlich in einem hohen Maße das Denken und Handeln der Lehrer“ (ebd., 181) prägen. Und es macht sehr wohl einen Unterschied, ob man sich auf berufliche Arbeit auf Facharbeiterebene oder auf eine Ingenieurwissenschaft bezieht (vgl. ebd., 412f.). Diese Ausführungen lassen sich auch auf andere Berufliche Fachrichtungen übertragen, auch wenn es dort um andere Referenzdisziplinen geht. Bauers Studie bildet also eine erfreuliche Ausnahme von der oben monierten Situation, zumal er nicht nur auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Fachverständnisses hinweist, sondern auch gleich das Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis von Lehrkräften der Elektrotechnik erfasst. Jedoch ist auch Kritik angebracht: Leider sucht man eine Definition dieser Kategorien in seiner Publikation vergebens und sie scheinen auch nicht disjunkt angelegt zu sein. (vgl. dazu Kapitel 2) Dennoch erscheint mir die Trennung in die drei Kategorien grundsätzlich – und zwar für alle Beruflichen Fachrichtungen sowie für die allgemeinbildenden Fächer – sinnvoll, da Sichtweisen auf die eigene Person (Selbstverständnis), das Fach bzw. die Fachrichtung (Fachverständnis) und die Aufgaben (Aufgabenverständnis) zwar zusammenhängen, aber auch divergieren können. Deshalb greife ich die von Bauer verwendeten Begriffe im Folgenden auf, wobei ich zunächst die Begriffe selbst und ihre Verwendung bei Bauer analysiere (Kapitel 2). Anschließend schlage ich auf dieser Basis eine eigene Definition dieser drei Kategorien vor, wobei ich anstelle von „Selbstverständnis“ von „beruflichem Selbstverständnis“ spreche – schließlich geht es „nur“ um das Selbstverständnis im Beruf und nicht um die Gesamtperson. In diesem Kontext werden auch der Zusammenhang und die Unterschiede dieser Kategorien aufgezeigt. (Kapitel 3)
2 Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis bei Bauer
Zunächst wird in diesem Kapitel zusammengetragen, welche Beschreibungen Bauer für die drei Kategorien liefert. Abschließend werden diese in einem Zwischenfazit bewertet.
2.1 Selbstverständnis
In seiner Studie gibt Bauer einige Hinweise darauf, was er unter Selbstverständnis versteht. So schreibt er: „Das Selbstverständnis ist Ausdruck der Identifikation mit dem Lehrerberuf und der Rollenwahrnehmung.“ (Bauer 2006, 111) Er unterscheidet dabei zwischen der Wahrnehmung der eigenen Person als Lehrkraft und der „Identifikation“ im vorigen Sinne, d. h. im Sinne der Schwerpunktsetzung mit Blick auf die an die Lehrkräfte herangetragenen Erwartungen und an sie gestellten Aufgaben. (vgl. ebd., 111f.) Demnach scheint es beim Selbstverständnis also darum zu gehen, welche Aspekte der Lehrtätigkeit die Lehrkräfte für sich selbst als sinnstiftend ansehen.
Hilfreich bei der Rekonstruktion und Deutung der Kategorie „Selbstverständnis“ ist vor allem auch die Beschreibung der Ergebnisse. Hier unterscheidet Bauer die folgenden sechs Dimensionen, denen sich die Befragten prozentual zuordnen sollten (d. h. sie sollten insgesamt 100 Punkte darauf verteilen):
- „Fachwissenschaftler, d.h. als Experte für die Elektrotechnik (Ingenieurwissenschaft),
- Fachdidaktiker, d.h. als Experte für die berufliche Fachrichtung Elektrotechnik als Unterrichtsfach (Fachdidaktik als Brücke zwischen Fachwissenschaft und Erziehungswissenschaft),
- Berufspädagoge, d.h. als Experte für die speziellen pädagogischen Fragen, Anliegen und Bildungsprozesse in der Arbeits- und Berufswelt,
- Berufswissenschaftler, d.h. als Experte für die Inhalte und Formen der Elektrofacharbeit im Berufsfeld,
- Erzieher, d.h. Förderung der Auszubildenden zur Integration in die sozialen, kulturellen und beruflichen Verhältnisse,
- Beamter zur Erfüllung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages.“ (Bauer 2006, 248 f.)
Betrachtet man nun die vorigen Ausführungen, so scheint mir diese Kategorie mehrere Aspekte zu umfassen. Einerseits wird abgefragt, ob man sich als Experte für einen gewissen Wissensbereich ansieht (die ersten vier Selbstverständnistypen), andererseits scheint es eher um Ziele der Lehrtätigkeit zu gehen (die beiden letztgenannten Dimensionen). Damit bleibt also offen, ob es dabei nun um ein Expertentum für bestimmte Dinge, um die tatsächliche Wahrnehmung der Aufgaben oder um deren grundsätzliche Bedeutung in den Augen der jeweiligen Lehrkraft geht. Dass dies durchaus auch bei Befragten zu Verwirrungen führt, zeigte sich im Rahmen der Erhebung zu einer qualitativen Studie. Dabei wurden im Zeitraum Juni 2016 bis September 2017 insgesamt 22 angehende Absolventen der Studiengänge des beruflichen Lehramts mit den Fachrichtungen Elektro- bzw. Informationstechnik an den Standorten Bremen, Dresden, Hamburg, Karlsruhe, München und Stuttgart interviewt. Am Ende der qualitativen Interviews wurden die Befragten – mit der soweit als möglich gleichen Fragestellung wie bei Bauer – aufgefordert, sich den o. g. Selbstverständnisdimensionen prozentual zuzuordnen und diese Zuordnung zu begründen. Hierbei stellte lediglich die Begründung der Zuordnung eine Ergänzung zu Bauers Erhebung dar. Dabei kam es in einem Großteil der Fälle zu Irritationen bei den Befragten. Als Randbemerkung sei mir hier gestattet, dass sich dabei außer den hier erwähnten Verständnisschwierigkeiten auch zeigte, dass die unterschiedlichen Bezeichnungen nicht wertfrei und – zumindest für die heutige Zeit – nur bedingt treffend formuliert sind. So kam es z. B. zu häufigen amüsierten Kommentaren über die Bezeichnung des „Unterrichtsbeamten“ sowie zu Irritationen, weil eben nicht alle Bundesländer ihre Lehrkräfte verbeamten.
2.2 Fachverständnis
Unter „Fachverständnis“ versteht Bauer die „Vorstellungen bzw. Einstellungen von Lehrer[n] zu ihrem Fach“ (Bauer 2006, 111 f.). Dabei geht es zunächst einmal darum, welches Wissen dafür in den Augen der Lehrkräfte relevant ist bzw. „zum Fach gehört“, also z. B. das „Arbeitsprozesswissen“ (vgl. Fischer 2000, Lehberger 2013) von Facharbeitern, das Arbeitsprozesswissen von Ingenieuren, Technik als soziotechnisches System oder Technik als angewandte Naturwissenschaft. Auch die Strukturierung und Zusammenhänge der zugehörigen Inhalte gehören zum Fachverständnis, ebenso die Frage, welche Perspektive auf Technik die jeweilige Person vertritt. (vgl. ebd., 283ff.)
Das Fachverständnis soll also zunächst einmal widerspiegeln, welches Konzept die Lehrkräfte von ihrer beruflichen Fachrichtung entwickelt haben. Damit sind auch Vorstellungen angesprochen, wie die Fachinhalte einen Beitrag zu beruflicher Handlungskompetenz und Bildung leisten. (vgl. ebd., 318).
Bauer erfasst unter dem Begriff Fachverständnis auch, welche (fachlichen) Lernziele für die Lehrkräfte am Beispiel von elektrischen Maschinen bedeutsam sind. (vgl. ebd., 289ff.) Es geht beim Fachverständnis nach Bauer also nicht nur um das Konzept, das die Lehrkräfte von ihrer Fachrichtung haben, sondern auch um die Frage der inhaltlich-fachlichen Schwerpunktsetzung im Unterricht.
Diese Aspekte spiegeln sich dann auch in den Ergebnissen wider, in denen Bauer feststellt, dass „[die] fachsystematische Wissensstruktur und damit der Wissenskanon der Bezugsdisziplin Elektrotechnik […] das Fachverständnis“ (ebd., 414f.) der interviewten Lehrkräfte prägen.
2.3 Aufgabenverständnis
Das Aufgabenverständnis untergliedert sich ebenfalls in mehrere Bereiche (vgl. dazu Bauer 2006, 250ff.).
Zunächst einmal umfasst es eine Schwerpunktsetzung bzw. Bedeutungszuschreibung innerhalb der allgemeinen Aufgaben der Lehrkräfte wie z. B. Unterrichtsdurchführung, -planung, Verwaltungsaufgaben oder Lehrplanentwicklung.
Außerdem subsummiert Bauer in dieser Kategorie auch die Positionierung der Lehrkräfte zum Bildungsauftrag der Berufsschule (Berufsfähigkeit und Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler) sowie ihre didaktischen Handlungsprinzipien, mit denen sie versuchen, diesem Bildungsauftrag gerecht zu werden. Hier rücken dann als Ergebnis der offenen Frage Aspekte wie z. B. „Herstellung eines Arbeits- und Berufsbezugs“ (ebd., 254), „Lernortkooperatives Handeln“ (ebd.), „Handlungsorientierung“ (ebd.) oder auch „erzieherisches Handeln und Förderung sekundärer Tugenden“ (ebd.) in den Blick.
Zuletzt umfasst das Aufgabenverständnis noch eine eigene Schwerpunktsetzung der Lehrkräfte bei einzelnen Bildungs- und Erziehungszielen, namentlich
- „Vermittlung fachtheoretischer Kenntnisse und Wissen (Fachtheorie),
- Vermittlung fachpraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten (Fachpraxis),
- Vermittlung der Fähigkeit des zielgerichteten und planmäßigen Vorgehens bei der Bearbeitung beruflicher Aufgaben (Methodenkompetenz),
- Vermittlung der Fähigkeit und Bereitschaft Informationen zu verstehen, auszuwerten und in gedankliche Strukturen zu ordnen (Lernkompetenz),
- Vermittlung sozial-kommunikativer Verhaltensweisen und Fähigkeiten (Sozialkompetenz),
- Vermittlung der beruflichen Handlungsfähigkeit bzw. –kompetenz
- Erziehung zum eigenständigen Denken und Handeln,
- Förderung der Persönlichkeitsentwicklung,
- Förderung der Allgemeinbildung und
- Vorbereitung auf die Abschlussprüfung.“ (ebd., 254f.)
Insgesamt lässt sich festhalten, dass es beim Aufgabenverständnis nach Bauer sehr stark um eine eigene Positionierung und Schwerpunktsetzung geht (vgl. ebd., 181), und zwar insbesondere mit Blick auf die Frage nach Leitbildern für die Lehrtätigkeit (z. B. die klassische Dichotomie Pädagoge vs. Fachmann) sowie die Frage nach geeigneten Zielen und Methoden.
2.4 Zwischenfazit
Betrachtet man die drei Kategorien nun genauer, so ist zu erkennen, dass sie sich überlappen.
Im Fachverständnis ist z. B. eingebettet, welche fachlichen Lernziele die Lehrkräfte für bedeutsam halten, obwohl der Aspekt der Schwerpunktsetzung – also auch die Schwerpunktsetzung zwischen Fachtheorie und Fachpraxis – auch im Aufgabenverständnis abgefragt wird.
Auch zwischen dem Selbstverständnis und dem Aufgabenverständnis gibt es Überschneidungen. Gerade der Umstand, dass das Selbstverständnis auch als „Identifikation“ mit dem einen oder anderen Aufgabenbereich (im Sinne der Schwerpunktsetzung bei den Aufgaben) verstanden wird, stellt eine Überlappung mit dem Aufgabenverständnis dar. Die bereits zuvor (Kapitel 2.1) monierte Unklarheit, ob es beim Selbstverständnis nun um ein Expertentum für bestimmte Bereiche oder um die Frage deren Bedeutung für die Lehrtätigkeit geht, trägt ihr Übriges dazu bei, dass hier keine klare Trennung zwischen Selbst- und Aufgabenverständnis hergestellt werden kann.
Fachverständnis und Selbstverständnis überlappen sich insofern, als Bauer beschreibt, dass in einem Selbstverständnis, in dem die Ausprägung als Fachwissenschaftler dominant sei, „bereits ein problematisches Fachverständnis eingebettet“ (Bauer 2006, 412) sei. Daran zeigt sich, dass er diese beiden Kategorien nicht wirklich getrennt denkt und eine saubere Abgrenzung nicht erfolgt ist. Er unterstellt hier einen Zusammenhang, der meines Erachtens nicht haltbar ist (vgl. dazu Kapitel 3.4)
Die starke Überlappung der Kategorien Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis ist m. E. keineswegs zwingend, sondern auf eine unsaubere Definition zurückzuführen, was sich sicher beheben lässt. Da ich die analytische Trennung dieser Kategorien grundsätzlich für äußerst gewinnbringend halte, unterbreite ich im Folgenden einen Vorschlag für eine Weiterentwicklung und saubere Definition dieser Begriffe.
3 Deskription und Definition der Kategorien berufliches Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis
3.1 Berufliches Selbstverständnis
Ich schlage vor, das von Bauer beschriebene Selbstverständnis zu „entschlacken“ und genauer einzugrenzen, und zwar auf die Wahrnehmung der eigenen Person. Als berufliches Selbstverständnis ist damit jenes Bild zu verstehen, das eine Lehrkraft von sich selbst im Hinblick auf ihren Beruf entwickelt hat. Es geht dabei um
- eigene Interessen,
- eigene Fähigkeiten (Stärken und Schwächen),
- die Selbsteinschätzung, welche Aufgaben die Lehrkraft tatsächlich in welchem Umfang wahrnimmt und (damit zusammenhängend)
- die Selbsteinschätzung, wie gut die Lehrkraft diese Aufgaben wahrnimmt,
- die Zuschreibung von Selbstwert im Rahmen der Lehrtätigkeit.
Das berufliche Selbstverständnis stellt damit insgesamt die Einschätzung der eigenen Person in den Mittelpunkt und umfasst damit das, was in der psychologischen Forschung als Selbstkonzept bezeichnet wird. In der psychologischen Selbstkonzept-Forschung wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Selbstkonzept zwar stabil und überdauernd ist, sich aber auch situationsadäquat anpassen kann. So mag z. B. eine Lehrkraft vor Schülerinnen und Schülern sich nicht als eine Person ansehen (und angesehen werden wollen), die nur formale Vorgaben erfüllt (wie der „Unterrichtsbeamte“ in Bauers Vorschlag). Vor einem Disziplinarausschuss mag die gleiche Person jedoch darauf beharren, dass sie selbstredend die formalen Vorgaben erfüllt. Dieser Aspekt dürfte zwar auch vor den Schülerinnen und Schülern enthalten sein, im Rahmen des Disziplinarausschusses allerdings eine höhere Bedeutung gewinnen und in den Vordergrund rücken. Einzelne Aspekte der eigenen Person können also in unterschiedlichen Situationen als unterschiedlich bedeutsam wahrgenommen werden. Es gibt jedoch durchaus ein Gesamtkonzept der eigenen Person, das letztlich als summarisches Selbstkonzept (oder hier: berufliches Selbstverständnis) eine Zusammenfassung aus vielen einzelnen situativen Selbsteinschätzungen darstellt. (vgl. dazu auch die zusammenfassende Darstellung von Filipp 2000, 9)
3.2 Fachverständnis
Bauers Definition des Fachverständnisses scheint mir weitestgehend nachvollziehbar und als Grundlage geeignet. Als Änderung schlage ich vor, die inhaltliche Schwerpunktsetzung aus dem Fachverständnis zu entfernen. Damit werden unter dem Begriff Fachverständnis diejenigen Vorstellungen verstanden, die eine Lehrkraft von ihrem Fach entwickelt hat. In den gewerblich-technischen Fachrichtungen kommt noch die Perspektive hinzu, die die jeweilige Lehrkraft auf Technik entwickelt hat, denn diese spielt – sowohl im berufswissenschaftlichen als auch im korrespondierend-fachwissenschaftlichen Ansatz – eine bedeutsame Rolle. Es geht dabei also z. B. um
- die Frage, was genau in den Augen der jeweiligen Lehrkraft Fach und Fachrichtung ganz grundsätzlich ausmacht (z. B. Arbeit auf Facharbeiterebene im Berufsfeld, Arbeit auf Ingenieursebene oder bloßes Wissen über Technik ohne Relevanz von Arbeitsprozessen),
- die Perspektive der jeweiligen Lehrkraft auf Technik (Technik als soziotechnisches System oder als angewandte Naturwissenschaft),
- die Frage, welche detaillierteren Themen und Aspekte in den Augen der Lehrkraft zu Fach und Fachrichtung dazugehören und welche nicht (z. B. welche Arbeitsprozesse bzw. technik- oder naturwissenschaftlichen Aspekte relevant sind),
- Vorstellungen der Lehrkraft zur inhaltlichen Strukturierung und zu inhaltlichen Zusammenhängen innerhalb des Faches.
3.3 Aufgabenverständnis
Das Aufgabenverständnis sollte m. E. zum einen die Vorstellungen von Lehrkräften beinhalten, welche Aufgaben an sie herangetragen werden. Vor allem sollte hier aber auch der schon bei Bauer angelegte Aspekt der Bedeutungszuschreibung enthalten sein, also die Frage, für wie bedeutsam und wichtig Lehrkräfte einzelne Aufgaben einschätzen. Dabei geht es um die grundsätzliche Bedeutung, die die Lehrkräfte diesen Aufgaben beimessen und ausdrücklich nicht darum, wie relevant die jeweilige Aufgabe für die eigene Arbeit ist. Diese Schwerpunktsetzung (also die Frage, was eine Lehrkraft in ihren Augen tatsächlich tut), scheint mir im beruflichen Selbstverständnis besser aufgehoben (vgl. dazu Kapitel 3.1). Letztlich geht es hier also auch darum, welche normativen Vorstellungen die Lehrkräfte von ihrer Tätigkeit entwickelt haben. Das Aufgabenverständnis umfasst demnach
- Vorstellungen über Aufgaben, die an die Lehrkraft herangetragen werden,
- die Bedeutungszuschreibung allgemeiner Aufgaben (z. B. ob die jeweilige Lehrkraft vor allem dem Unterrichten, dem Verwalten, der Entwicklung von Curricula, der Förderung sozial Benachteiligter usw. Bedeutung beimisst und die Frage, welche dieser Aufgaben die jeweilige Lehrkraft als unwichtig oder weniger bedeutsam ansieht),
- die Bedeutungszuschreibung im Rahmen des Bildungsauftrags (z. B. ob die berufliche Qualifizierung oder die Persönlichkeitsentwicklung als wichtiger erachtet werden),
- die Bedeutungszuschreibung einzelner Schularten des beruflichen Bildungssystems (welche Schularten werden als besonders relevant oder als weniger relevant wahrgenommen?) und
- die grundsätzliche Bedeutungszuschreibung zu didaktischen Theorien und Konzepten (z. B. Lernfeldkonzept, Handlungsorientierung).
Das Aufgabenverständnis nimmt also in den Blick, welche Aufgaben ein Individuum mit der Tätigkeit als Berufsschullehrkraft verbindet und welche es als besonders bedeutsam oder eben gerade nicht als bedeutsam ansieht. In Abgrenzung zu Bauer geht es in meinem Vorschlag ausdrücklich nicht um bevorzugte Methoden, da ich diese vielmehr als grundlegende Wissensbasis und Werkzeuge zur Erreichung der im beruflichen Selbstverständnis enthaltenen selbstgesteckten Ziele verstehe.
Das Aufgabenverständnis stellt also zunächst einmal diejenige Kategorie dar, auf die eine Einwirkung angestrebt wird, wenn es um die Internalisierung normativer Vorgaben geht. Maßgebliche Protagonisten sind hier die Kultusadministrationen, die das berufliche Bildungswesen durch curriculare Vorgaben steuern möchten, sowie die an der Lehrerbildung beteiligten Personen. Immerhin wird auch im Rahmen der Lehrerbildung versucht, auf das Aufgabenverständnis Einfluss zu nehmen, indem bestimmte Aufgaben des beruflichen Bildungswesens propagiert werden. So dürften frühere – und mittlerweile in ihrer Absolutheit glücklicherweise überholte – Forderungen, nach denen Lehrerbildung als Einstellungstraining auszulegen sei (vgl. Dieterich 1983, 136), auf das Aufgabenverständnis abgezielt haben.
Beim Aufgabenverständnis ist – wie beim beruflichen Selbstverständnis – von einer Adaptivität an situative Rahmenbedingungen auszugehen. So mag z. B. der Aspekt der Erziehung in den Vordergrund rücken, wenn Schülerinnen und Schüler sich prügeln, während andere Ziele in anderen Situationen bedeutsamer sein dürften. Auch hier ist jedoch nicht von einer grundsätzlichen situativen Veränderung des Aufgabenverständnisses auszugehen, sondern vielmehr von einer vorübergehenden besonderen Aufmerksamkeit auf einzelne, im Aufgabenverständnis bereits angelegte, Aspekte. Dennoch kann die ständige Konfrontation mit bestimmten Situationen selbstredend dazu führen, dass sich das Aufgabenverständnis mittel- bis langfristig ändert und dem jeweiligen Aspekt insgesamt eine höhere Bedeutung beigemessen wird.
3.4 Zusammenhänge der drei Dimensionen berufliches Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis
Man kann nun sicher einwenden, dass eine Trennung in die drei Kategorien ungeeignet oder unnötig ist, da sie zusammenhängen und z. B. die Aussage „Ich bin Elektrotechniklehrer“ immer auch ein Bild davon beinhaltet, was genau zum Fach gehört (Fachverständnis), welche Aufgaben mit der Tätigkeit zusammenhängen (Aufgabenverständnis) und welche man dabei wahrnimmt (berufliches Selbstverständnis). Die drei Kategorien sind jedoch analytisch zu trennen, da sie eben nicht identisch sind. So ist es z. B. durchaus möglich, sich als Elektrotechniklehrer mit vielen Kenntnissen im Bereich einer Ingenieurwissenschaft zu sehen (berufliches Selbstverständnis), aber gleichzeitig der Meinung zu sein, dass es in der beruflichen Fachrichtung Elektrotechnik doch eigentlich viel mehr um berufliche Arbeit auf Facharbeiterniveau geht (Fachverständnis). Das Aufgabenverständnis kann zeitglich auch in eine völlig andere Richtung gehen und z. B. eher Erziehungsaspekten oder dem Vermitteln von Allgemeinbildung Vorrang einräumen. Das ist sicher ein extremes Beispiel, aber dennoch grundsätzlich denkbar. Diese Ausführungen am Beispiel der Elektrotechnik gelten in gleicher Weise auch für andere Fachrichtungen und letztlich sogar für sog. „allgemeinbildende“ Fächer.
Doch wie hängen die Kategorien dann zusammen? Hierzu werde ich im Folgenden einige theoretische Überlegungen ausführen.
3.4.1 Abgleich von beruflichem Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass den Lehrkräften durchaus ein Abgleich der unterschiedlichen Sichtweisen möglich ist. So kann jede der drei Dimensionen mit den anderen beiden verglichen werden. Im Folgenden werde ich zunächst genauer auf den Abgleich der jeweils zwei Dimensionen eingehen, bevor ich im nächsten Unterkapitel auf die Folgen von Divergenzen eingehe.
Beim Abgleich des beruflichen Selbstverständnisses (im Folgenden: SV) mit dem Aufgabenverständnis (im Folgenden: AV) kann eine Lehrkraft z. B. zum Schluss kommen, dass sie sich für die – ihrer Meinung nach – wichtigsten Aufgaben (AV) auch interessiert und diesen aufgrund eigener Stärken auch nachkommen kann (SV). Sie könnte aber auch feststellen, dass sie eigentlich ja diese und jene Aufgaben erfüllen sollte und das auch wichtig wäre (AV), sie sich aber a) schlichtweg nicht dafür interessiert und/oder sich b) aufgrund ihrer Schwächen nicht in der Lage sieht, dem überhaupt oder in geeigneter Weise nachzukommen. (SV) Sie kann auch zum Schluss kommen, dass sie sich zwar für eine der – ihrer Meinung nach – wichtigen Aufgaben (AV) interessiert, ihr aber (noch) Fähigkeiten fehlen (SV).
Der Abgleich des Fachverständnisses (im Folgenden: FV) mit dem Aufgabenverständnis zeigt auf, inwiefern die jeweilige Lehrkraft ihr Fach als geeignet zur Erreichung der an sie herangetragenen Aufgaben wahrnimmt. So kann es sein, dass die Lehrkraft es als ihre Aufgabe ansieht, sich auf berufliche Arbeitsprozesse zu beziehen und den Aufbau von Arbeitsprozesswissen im Unterricht zu unterstützen (AV). Hat diese Lehrkraft nun ein Bild von ihrer beruflichen Fachrichtung entwickelt, in dem das Arbeitsprozesswissen auf Facharbeiterebene im Mittelpunkt steht und das Wissen auch entsprechend strukturiert ist (FV), so kann dies bei der Erfüllung der Aufgabe durchaus hilfreich sein. Es kann hier aber auch zu Differenzen kommen. Zum Beispiel kann eine Lehrkraft zwar durchaus die Aufgabe sehen, den Aufbau von Arbeitsprozesswissen zu unterstützen und sich an Arbeitsprozessen zu orientieren, aber zeitgleich kann die Lehrkraft ein ingenieurwissenschaftlich geprägtes Fachverständnis aufweisen.
Auch zwischen dem Fachverständnis und dem beruflichen Selbstverständnis ist ein Abgleich möglich. Hier kann z. B. ein Interesse für berufliche Arbeit auf Facharbeiterniveau (SV) mit der Überzeugung der Lehrkraft zusammenfallen, dass es in der beruflichen Fachrichtung auch genau darum geht (FV). Evtl. weist sie – in ihren Augen – sogar Stärken in diesem Gebiet auf (SV). Dass dies aber auch divergieren kann, wurde bereits zu Beginn von Kapitel 3.4 aufgezeigt. Naheliegend ist der Vergleich zwischen den eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten (z. B. kein Einblick in berufliche Arbeit auf Facharbeiterebene) und der Frage, worum es im Fach überhaupt geht (z. B. berufliche Arbeit auf Facharbeiterebene). Hier sind aber auch andere Divergenzen als bereits aufgeführten möglich. Es könnte sich z. B. auch genau umgekehrt verhalten: eine Lehrkraft könnte der Überzeugung sein, dass es im Fach vor allem um technisches Wissen geht, sie aber nicht ausreichend darüber verfügt.
3.4.2 Gegenseitige Beeinflussung von beruflichem Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis
Da die drei Dimensionen ein zusammenhängendes Konzeptsystem bilden und eben nur analytisch getrennt sind, ist von gegenseitigen Beeinflussungen auszugehen – und zwar insbesondere im Falle von divergierenden Sichtweisen.
Im vorigen Unterkapitel wurde als Beispiel für Divergenzen zwischen dem beruflichen Selbstverständnis und dem Aufgabenverständnis angeführt, dass eine Lehrkraft eine Aufgabe zwar für bedeutsam halten, sie ihre Fähigkeiten aber als unpassend empfinden kann. Ist dies der Fall, so kann es sich in zweierlei Hinsicht auswirken: Einerseits kann diese Feststellung Ausgangspunkt für Lernprozesse und Lernmotivation sein. So kann die Lehrkraft sich das fehlende Wissen erarbeiten und sich dadurch in der Wahrnehmung der Aufgabe verbessern, womit auch das berufliche Selbstverständnis sich mit der Zeit ändern dürfte. Andererseits kann diese Feststellung aber auch zu Frustration führen, z. B. durch eine empfundene Überforderung. Letztlich kann dies zu einer Fokussierung auf andere Aufgaben und einer Kritik an oder Ablehnung der Aufgabe führen. Die Aufgabe kann also in ihrer Bedeutung herabgestuft werden. Dies kann sogar so weit gehen, dass ihr komplett die Sinnhaftigkeit abgesprochen und/oder ihre Umsetzbarkeit bestritten wird. Diese Anpassung des Aufgabenverständnisses wäre letztlich eine Strategie zur Verteidigung eines positiven Selbstwerts, der letztlich ja auch eine Sichtweise auf das eigene Selbst darstellt und damit zum beruflichen Selbstverständnis gehört. Dass sich diese Konsequenz jedoch nicht determinieren lässt, ergibt sich aus der sog. Konsistenztheorie (vgl. dazu z. B. die m. E. wegweisende Arbeit von Epstein 1993, 27), nach der auch die Wahrung der Sichtweise auf das eigene Selbst (Selbstkonzept) einen wesentlichen Antrieb für Handlungen darstellt und die eigene Wahrnehmung beeinflusst. Sollte eine Lehrkraft also der festen Überzeugung sein, dass sie kein Talent für eine bestimmte Aufgabe hat und eine schlechte Lehrkraft ist, so kann sie gerade an der hohen Bedeutung besagter Aufgabe festhalten und Situationen aufsuchen, die ihr mangelndes Talent immer wieder bestätigen. Letztlich sind die Folgen einer solchen Divergenz also nicht eindeutig vorhersagbar – und zwar nicht einmal in der Tendenz. Besteht eine Divergenz zwischen den Interessen der Lehrkraft und der in ihren Augen bedeutungsvollen Aufgaben, so ist ebenfalls die Frage, wie die Person damit umgeht. Auch hier sind die beiden Extrempole des Ignorierens der eigenen Interessen einerseits und der Adaption der Bedeutungszuschreibung der Aufgabe denkbar.
Die Divergenz von Fach- und Aufgabenverständnis kann ebenfalls unterschiedliche Konsequenzen haben. Das zuvor angeführte Beispiel, dass eine Lehrkraft zwar die Aufgabe der Arbeitsprozessorientierung sieht, sie aber dennoch ein ingenieurwissenschaftlich geprägtes Fachverständnis aufweist, wird – wenngleich oftmals nicht unter diesem Begriff – in der Bezugswissenschaftsdebatte häufig von Vertretern der Berufswissenschaften vorgetragen. Daraus folgt die Argumentation, dass Lehrkräfte sich dem im Lernfeldkonzept angelegten Grundgedanken der Arbeitsprozessorientierung (Aufgabenverständnis) verweigern und weiterhin einen an Ingenieurwissenschaften ausgerichteten Unterricht für sinnvoll halten und diesen durchführen könnten. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn sie den Eindruck hätten, dass durch die Orientierung an Arbeitsprozessen der Aufbau geordneter Wissensstrukturen – im Sinne eines ingenieurwissenschaftlich geprägten Fachverständnisses – gefährdet wird (Fachverständnis). Aus genau dieser Argumentation leitete Bauer auch die große Bedeutung des Fachverständnisses ab, dessen Berücksichtigung gar die Qualität seiner Studie ausmache. (vgl. Bauer 2006, 412f.). Man kann das Beispiel übrigens auch umgekehrt aufziehen: so könnte es durchaus dazu kommen, dass Lehrkräfte, die ihre Fachrichtung in einem berufswissenschaftlichen Sinne verstehen, einer ingenieurwissenschaftlichen Strukturierung von Inhalten ablehnend gegenüberstehen. Gerade mit Blick auf die Einrichtung von Schularten mit der Fachrichtung „Ingenieurtechnik“ bzw. „Ingenieurwissenschaften“ oder auf Technische Gymnasien, die oftmals als Propädeutika für ein Studium einer Ingenieurwissenschaft angesehen werden und in denen es damit mehr um technisches Wissen als um die Orientierung an Arbeitsprozessen auf Facharbeiterebene geht, könnte dies zu seitens der Kultusadministrationen ungewünschten Effekten führen – eben je nach Ausrichtung der Schulart. Möglicherweise verfahren die Lehrkräfte dann wie im vorigen Beispiel und interpretieren die Aufgabe für sich in einer Art und Weise, die zu ihrem Fachverständnis passt. Oder sie kommen der Aufgabe nach, weil sie aus anderen Quellen ihres Erachtens über das nötige Wissen verfügen (berufliches Selbstverständnis). Mögliche Folgen sind einerseits die Anpassung – d. h. Erweiterung – des Fachverständnisses oder andererseits die Wahrnehmung des Fachs als unzureichend und/oder unpassend. Letztlich dürfte also das Selbstverständnis (z. B. Stärken und Schwächen) einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie Lehrkräfte mit einer Divergenz zwischen Fach- und Aufgabenverständnis umgehen. Nicht zuletzt kann die Lehrkraft aber auch schon im Vorfeld andere Aufgaben als wesentlich bedeutsamer wahrnehmen als die Vermittlung des Fachs. Das Fachverständnis kann damit letztlich sogar in den Hintergrund treten. Beispielhaft sei hier eine fiktive Lehrkraft genannt, die vor allem die Förderung sozial Benachteiligter und die soziale Integration (inkl. der Vermittlung der deutschen Sprache und der Vermittlung von Normen und Werten) als wesentliche Aufgabe ansieht. Allerdings hat das Fachverständnis auch dann noch eine Bedeutung, wenn es mit Blick auf den Unterricht in den Hintergrund getreten ist. Diese Bedeutung zeigt sich dann z. B. in der Beurteilung oder Erarbeitung neuer curricularer Vorgaben und im Austausch mit anderen Lehrkräften.
Eine wahrgenommene Divergenz zwischen beruflichem Selbstverständnis und Fachverständnis kann zu Lernmotivation oder Frustration führen, sofern die Divergenz sich in Form von vom Fachverständnis abweichenden Stärken und Schwächen darstellt. Im Wesentlichen lassen sich hier die Ausführungen und Überlegungen zu Divergenzen zwischen beruflichem Selbstverständnis und Aufgabenverständnis wiederholen. Dies kann also z. B. auch dazu führen, dass das Fachliche als – zumindest für die eigene Tätigkeit – weniger bedeutsam eingeschätzt wird und stattdessen Schwerpunkte gesetzt werden, die der jeweiligen Lehrkraft besser liegen. Dies lässt sich auch auf vom Fach divergierende Interessen übertragen.
Letztlich dürfte es sich so verhalten, dass die drei Dimensionen sich bei nicht vorhandenen Divergenzen gegenseitig bestärken dürften und somit recht stabil sind. Um es noch einmal anhand eines Beispiels konkret zu machen: sind die drei Dimensionen gleich ausgeprägt und stützten sie sich somit, so dürfte der Versuch, durch neue Vorgaben auf das Aufgabenverständnis einzuwirken (sprich: neue Normen zu setzen), wenig erfolgversprechend sein. In diesem Fall würde vmtl. eine Auseinandersetzung mit den neuen Vorgaben dazu führen, dass diese abgelehnt werden. Sollten „lediglich“ zwei Dimensionen gleich ausgeprägt sein und nur die dritte davon abweichen, so wäre eine gegenseitige Stabilisierung der beiden gleich ausgeprägten Dimensionen naheliegend. Vermutlich wäre dann im Zeitverlauf eine Anpassung der dritten Dimension die Folge.
3.4.3 Zwischenfazit
Es wurde gezeigt, dass die drei hier vorgeschlagenen Kategorien durchaus Zusammenhänge und gegenseitige Beeinflussungen aufweisen. Dabei wurde auch dargelegt, wie sich divergierende Vorstellungen und Sichtweisen auswirken könnten. Diese dürften – in den meisten Fällen – zu einer Anpassung der einen oder anderen Vorstellung führen, zumindest wenn diese Differenzen den Lehrkräften bewusst sind. Wie genau die Beeinflussung bei einzelnen Lehrkräften vonstattengeht, wäre zu untersuchen. Jedenfalls ist von einer gegenseitigen Stabilisierung „passend“ ausgeprägter Sichtweisen auszugehen.
Es dürfte jedoch klar geworden sein, dass keine der drei Dimensionen gegenüber den anderen grundsätzlich dominant sein dürfte. Aus den oben ausgeführten Überlegungen lässt sich jedenfalls nicht schlussfolgern, dass eine bestimmte Ausprägung des beruflichen Selbstverständnisses, des Fachverständnisses oder des Aufgabenverständnisses dazu führt, dass die anderen Kategorien dem folgen und sich im Laufe der Zeit daran anpassen werden. Vielmehr ist hier ein komplexes Zusammenspiel zu vermuten. Eines sollte jedoch klar geworden sein: will man z. B. im Rahmen der Lehrerbildung eine bestimmte Art von Aufgabenwahrnehmung erreichen, so sind idealerweise alle drei Dimensionen zu berücksichtigen und aufeinander abzustimmen. Zumindest wären aber Differenzen zu reflektieren. Die Fokussierung auf nur eine Dimension reicht jedenfalls nicht aus.
In einem weiteren Schritt wäre ebenfalls zu untersuchen, wie sich die Vorstellungen – und zwar insbesondere divergierende Vorstellungen – auf das konkrete Handeln der Lehrkräfte auswirken. Hier kann ich mich nur Bauers Plädoyer für eine systematische Lehrerhandlungsforschung (vgl. Bauer 2006, 14) anschließen.
4 Fazit
Im Rahmen des Beitrags habe ich mit Blick auf die gewerblich-technischen Fachrichtungen ausgeführt, wieso ich eine analytische Trennung des beruflichen Selbstverständnisses, des Fachverständnisses und des Aufgabenverständnisses für sinnvoll und gewinnbringend halte. Diese Trennung scheint mir gar essentiell zu sein bei der Forschung zu Lehrereinstellungen sowie zum Lehrerhandeln. Ich möchte deshalb mit diesem Diskussionsbeitrag dazu anregen, bei zukünftigen Forschungen diese analytischen Dimensionen in den Blick zu nehmen.
Auch wenn meine Ausführungen auf die gewerblich-technischen Fachrichtungen fokussieren, so ist die vorgeschlagene analytische Trennung des beruflichen Selbst-, des Fach- und des Aufgabenverständnisses nicht auf diese Fachrichtungen begrenzt. Vielmehr dürfte es grundsätzlich in allen beruflichen Fachrichtungen und auch sog. „allgemeinbildenden“ Fächern für das Handeln einer Lehrkraft eine Rolle spielen, wie die jeweilige Lehrkraft sich selbst als Lehrkraft (berufliches Selbstverständnis) sieht, welche Vorstellungen sie von ihrer Fachrichtung bzw. ihrem Fach hat (Fachverständnis) und wie sie die an sie herangetragenen Aufgaben wahrnimmt.
Außerdem habe ich gezeigt, welche Zusammenhänge und Einflüsse zwischen dem beruflichen Selbst-, dem Fach- und dem Aufgabenverständnis zu vermuten sind und wie sich Divergenzen auswirken können. Diese können – sofern sie überhaupt bewusst wahrgenommen werden – einerseits Lernmotivation wecken und Lernanlass sein, andererseits aber auch Frustration entstehen lassen, die dann z. B. zur Ablehnung bestimmter Aufgaben oder zu einer anderen Schwerpunktsetzungen führen kann.
Letztlich zeigt der Beitrag aber auch noch etwas anderes: Will man ein bestimmtes „Verhalten“ von Lehrkräften erreichen (oder zumindest wahrscheinlicher machen), so sind im Rahmen der Lehrerbildung alle drei Dimensionen zu berücksichtigen. Mit anderen Worten: normative Vorgaben wie z. B. bedeutsame Ziele im Rahmen der Lehrtätigkeit sollten mit der Struktur und den Inhalten des Faches nach Möglichkeit übereinstimmen. Zumindest aber sollten Differenzen bewusst thematisiert werden. Hier sind gerade die Fach- bzw. Berufsdidaktiken gefordert. Das berufliche Selbstverständnis dürfte zwar kaum durch gezielte Intervention im Rahmen der Lehrerbildung beeinflussbar sein, allerdings wäre m. E. eine Thematisierung in deren Kontext sinnvoll. Das Zauberwort lautet hier Selbstreflexion (vgl. dazu auch die Forderung von Holling/Bammé 1982, 216). Insgesamt greift also eine Konzentration der Lehrerbildung auf nur eine dieser drei Dimensionen zu kurz, da es dann den Lehrkräften überlassen bleibt, wie sie die Divergenzen auflösen. Das bleibt es zwar grundsätzlich auch, wenn diese im Rahmen der Lehrerbildung thematisiert werden, aber zumindest wäre dann – eine geeignete Bildungsmaßnahme vorausgesetzt – mit einem intensiveren und begleiteten Prozess der Analyse und Abwägung zu rechnen.
Ich unterstelle mit meiner Forderung nach dem Gleichlauf von Fach- und Aufgabenverständnis im Rahmen der Lehrerbildung übrigens nicht, dass das Gelehrte auch genau so aufgenommen wird, denn Lernen ist immer ein individueller Verarbeitungsprozess. Aber selbstredend hat das im Rahmen der Lehrerbildung an die (zukünftigen) Lehrkräfte Herangetragene Auswirkungen, die nicht völlig beliebig sind.
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Zitieren des Beitrags
Zimpelmann, E. (2020): Berufliches Selbst-, Fach- und Aufgabenverständnis von Lehrkräften. Analyseschema für die Untersuchung der Sichtweisen von Lehrkräften. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 37, 1-14. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe37/zimpelmann3_bwpat37.pdf (22.04.2020).