bwp@ 43 - Dezember 2022

Digitale Arbeitsprozesse als Lernräume für Aus- und Weiterbildung

Hrsg.: Karin Büchter, Karl Wilbers, Lars Windelband & Bernd Gössling

Steigende Komplexität betrieblichen Lernens durch und mit digitalen Medien – Analysiert am Beispiel eines Modells

Beitrag von Tanja Arnold
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: Informelles Lernen, selbstgesteuertes Lernen, Flexibilität, Komplexität, Lernen mit digitalen Medien

Veränderungsprozesse durch die digitale Transformation und die Bedeutungszunahme des Lernens mit digitalen Medien wirken sich auf die Komplexität betrieblichen Lernens aus: Lernprozesse werden individualisiert und flexibilisiert. Informelles und formelles Lernen können miteinander verbunden werden. Das Verhältnis verschiebt sich immer weiter hin zum vorwiegend informell stattfindenden Lernen im Prozess der Arbeit. Gleichermaßen rückt das selbstgesteuerte Lernen immer weiter in den Fokus. Anhand eines Modells betrieblichen Lernens mit digitalen Medien können diese Veränderungen aufgezeigt werden, da Modelle betrieblichen Lernens zur Theorie-Praxisverbindung beitragen: Daraus lassen sich Implikationen für die Praxis ableiten und dahinterliegende Prozesse können aufgezeigt und verständlich gemacht werden. Auf diese Weise wird die steigende Komplexität digitalisierten betrieblichen Lernens sichtbar.

Increasing complexity of workplace learning through and with digital media – Analyzed based on a model

English Abstract

The digital transformation and the increasing importance of learning with digital media cause change processes with impact on the complexity of workplace learning: Learning processes become individualized and more flexible. Informal and formal learning are being combined increasingly. The relationship is shifting towards learning that predominantly takes place informally in the process of work. At the same time, self-directed learning is becoming more and more important. A model of workplace learning with digital media can demonstrate these changes, as models of workplace learning fundamentally contribute to the connection of theory and practice: they give implications for learning practice and demonstrate underlying processes so that these are comprehensible. Thus, the increasing complexity of digitalized workplace learning becomes visible.

1 Einleitung

Um das betriebliche Lernen in Theorie und Praxis zu erforschen und zu gestalten, wurden bereits in den 1990er und frühen 2000er Jahren Modelle entwickelt, die Lernen in betrieblichen Kontexten abbilden und systematisieren. Doch das betriebliche Lernen verändert sich stetig: Durch die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitsprozesse verändern sich Anforderungen und erforderlichen Kompetenzen von Beschäftigten, sodass auch Weiterbildungsprozesse inhaltlich und methodisch angepasst werden müssen (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 7). Betriebliches Lernen richtet sich immer spezifischer an die Bedarfe der jeweiligen Unternehmen und des jeweiligen Arbeitsplatzes. Gleichzeitig werden die Lernprozesse virtueller und digitale Lernformen nehmen mehr Raum ein, falls die technischen Voraussetzungen vorhanden sind (vgl. ebd.). Die Bedeutung des Lernens mit digitalen Medien steigt vor dem Hintergrund der digitalen Transformation stark an und wird in zunehmend in Betrieben etabliert (vgl. Schürger/Schönfeld/Müller 2018, 4). Physisch reale und virtuelle Räume zum Lehren, Lernen und Arbeiten verschmelzen künftig immer weiter miteinander (vgl. Zinn 2020, 7). Der fast uneingeschränkte Zugang zum Internet und damit zu unbegrenzten Informationen und Wissen steigern das Potenzial, wie Lernen mit digitalen Medien die Kompetenzentwicklung jederzeit und überall fördern kann (vgl. Wild 2018, 19). Kerres (2018, 69) pointiert diese Veränderungsprozesse:

  • Digitale Informationen werden ubiquitär verfügbar.
  • Digitale Technik ist nicht mehr als Gerät erkennbar, sondern arbeitet versteckt und unsichtbar in eingebetteten Systemen.
  • Die Gesellschaft wird in allen Bereichen pervasiv mit digitaler Technik durchdrungen.
  • Digitale Technik wirkt subtil, ohne menschliche Wahrnehmung.

Dies decken die angesprochenen, z. T. mehr als zwanzigjährigen Modelle kaum bzw. nur in Ansätzen ab. Daher wurden 2021 fünf ausgewählte Modelle weiterentwickelt, um gesellschaftlichen und technologischen Veränderungsprozessen gerecht zu werden (vgl. Arnold 2021). Die ansteigende Komplexität betrieblichen Lernens, wie sie sich in den weiterentwickelten Modellen zeigt, ergibt sich aus der Vielfalt und Verzahnung betrieblicher Lernarrangements durch den Einbezug des Lernens mit digitalen Medien. Gleichzeitig nimmt das Lernen im Prozess der Arbeit an Bedeutung zu und wird branchenübergreifend als essenziell angesehen (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 8). Die Komplexität entfaltet sich nicht nur auf Ebene der Lernprozesse, sondern wird durch betriebsspezifische Anforderungen und Rahmenbedingungen geprägt. Dies zeigt sich vermehrt in der Frage nach der Bedeutung von selbstgesteuertem Lernen, das in betrieblichen Kontexten nicht voraussetzungsfrei gelingt: Eine Kompetenz zur Selbststeuerung der Mitarbeitenden ist nicht immer gegeben und Arbeitsprozesse lassen nicht immer entsprechende Freiräume zu. Weiter birgt diese Lernart das Risiko, dass die Verantwortung für die Lernprozesse auf das Individuum verlagert wird – insbesondere in digitalen Lernräumen (vgl. Erpenbeck et al. 2016, 19).

Der Beitrag rekapituliert zunächst den Stellenwert und Hintergrund von Modellen betrieblichen Lernens, um deren Relevanz für den berufs- und betriebspädagogischen aufzuzeigen. Dafür wird insbesondere der Konstruktionsrahmen für betriebliche Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung nach Elsholz (2007) bzw. Elsholz und Molzberger (2007) in den Blick genommen. Ausgehend von der Annahme, dass die Digitalisierung Arbeitsprozesse verändert und betriebliche Lernräume zunehmend digitalisiert werden, wird die Weiterentwicklung des Modells nach Einbezug des Lernens mit digitalen Medien erläutert. Das daraus resultierende Modell der Gestaltungsmöglichkeiten betrieblichen Lernens mit digitalen Medien nach Arnold (2021) dient als Grundlage für die Analyse der Veränderungen des betrieblichen Lernens durch digitale Medien: Die Auswirkungen werden einerseits anhand des Verhältnisses von informellem und formellem Lernen aufgezeigt. Andererseits wird mit dem selbstgesteuerten Lernen eine, im berufs- und besonders betriebspädagogischen Diskurs nicht unumstrittene Lernform thematisiert, die durch die steigende Bedeutung des Lernens im Prozess der Arbeit und das Lernen mit digitalen Medien auch in den CVTS-Erhebungen (Continuing Vocational Training Survey) vermehrt Aufmerksamkeit erhält. Aufbauend auf diese beiden Kernaspekte wird anschließend die Komplexität digitalisierter Lern- und Arbeitsprozesse aufgezeigt, um Implikationen für die Praxis abzuleiten und Diskurslinien für Berufs- und Betriebspädagogik zu skizzieren.

2 Betriebliches Lernen und seine Modellierung

2.1 Strukturgebung und Systematisierung betrieblichen Lernens

Seit Mitte der 1980er Jahre unterliegt der Betrieb als Lernort unterschiedlichen Veränderungsprozessen; zunächst wurde er im Rahmen der arbeitsprozessorientierten Wende immer wichtiger, als sich neue Arbeits- und Organisationsstrukturen die Antizipation an gewandelte betriebliche Anforderungen nach sich zogen (vgl. Elsholz 2016, 7). Im berufs- und betriebspädagogischen Diskurs der 1990er Jahre stellte sich mit der Perspektiverweiterung auf das Lernen im Prozess der Arbeit die Frage nach einer geeigneten Systematisierung betrieblicher Lernformen und betrieblichen Lernens (vgl. Elsholz 2013, 16). Ausgehend von den Arbeiten von Arnold (1990 und 1997), Severing (1994), Dehnbostel (ab 1992) und Grünewald und Moraal (ab 1996) entstanden Modelle, um betriebliches Lernen sowohl zu strukturieren, systematisieren und definieren, als auch, um Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung didaktisch-methodisch zu fundieren (vgl. Arnold 2021, 73ff.). Neben der Bestrebung, betriebliches Lernen empirisch erfassbar zu machen, entspringen die Ansätze zur Modellierung betrieblichen Lernens dem Ansinnen, das Verhältnis zwischen Arbeit und Lernen zu bestimmen (vgl. Elsholz 2021, 23). Betriebspädagogische Modelle stellen eine Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis her, da sich einerseits Implikationen zur Gestaltung betrieblichen Lernens und Erkenntnisse über Lernprozesse oder daran Beteiligte ableiten lassen. Auf diese Weise dienen sie als Bezugsrahmen zur Konzeptentwicklung (vgl. Arnold 2021, 61ff.). Andererseits lassen diese Erkenntnisse Schlussfolgerungen zu und können damit im Diskurs auf Theorien zurückwirken, indem auch nicht zusammenhängende (empirische) Daten geordnet, systematisiert und integriert werden. Betrieblichen Lernens wird auf diese Weise systematisiert, ihm wird Struktur gegeben und das Verständnis dahinterliegender Prozesse erhöht (vgl. ebd., 63). Verdeutlich wird diese zweifache Zielstellung in Abbildung 1, in der Elsholz (2013, 6) Modelle und Systematisierungen auf einer Ebene zwischen Theorien auf der einen und konzeptionellen Entwicklungen auf der anderen Seite positioniert. Ausschlaggebend für die Zuordnung ist die Nähe zur Praxis bzw. das Abstraktionsniveau (vgl. ebd.).

Abbildung 1: Beschreibungsebenen betrieblichen Lernens (Eigene Darstellung nach Elsholz 2013, 6)Abbildung 1: Beschreibungsebenen betrieblichen Lernens (Eigene Darstellung nach Elsholz 2013, 6)

Unter Rückbezug auf modelltheoretische Annahmen (u. a. nach Stachowiak 1973 und Deutsch 1952) lassen sich betriebspädagogische Modelle als Repräsentationen betrieblichen Lernens annehmen, die je nach Zielstellung relevante Attribute akzentuieren oder auf diese verkürzen (vgl. Arnold 2021, 63). Modelle betrieblichen Lernens sind mit einem spezifischen Zweck an eine Zielgruppe gerichtet und stehen immer in einem zeitlichen Zusammenhang und einem gesellschaftlichen Kontext. Übergreifendes Ziel ist es, Zusammenhänge betrieblicher Lernprozesse zu veranschaulichen und aufzuzeigen (vgl. ebd.).

"Modelle sind nicht voraussetzungsfrei, sondern unterliegen in Bezug auf ihre Reichweite, ihre zeitliche Relevanz und Zielgruppe(n) bestimmten Rahmenbedingungen und Einschränkungen: Qua Definition sind sie verkürzt und ist ihre Aussagekraft beschränkt. Sie dienen einem spezifischen Zweck in einem bestimmten Zeitraum für eine definierte Zielgruppe" (ebd., 213).

Allein im deutschsprachigen Raum wurden seit den 1980er Jahren mehr als 20 Modelle für betriebliches Lernen entwickelt, die weitgehend nebeneinander bestehen, ohne dass sich eines allgemein durchgesetzt hat (vgl. Elsholz 2021, 24). Ausgangspunkt für das in diesem Beitrag im Fokus stehende Modelle sind die Befragungen zu Angeboten und Formen betrieblicher Weiterbildung im Rahmen der CVTS-Erhebungen. Während das dahinterliegende Erhebungsraster (nach Moraal/Grünewald 2004) der empirischen Erfassung dient, erfolgte dessen Ausarbeitung für die Gestaltung betrieblicher Bildungsarbeit mit einem Perspektivwechseln auf die Lernenden (Elsholz 2007). Aus einem Forschungsprojekt heraus wurde ein Modell zur Beschreibung von Lernen im Prozess der Arbeit entwickelt, in dem drei Lernumgebungen analytisch zwischen den Polen Arbeiten und Lernen ausdifferenziert sind (vgl. Elsholz/Molzberger 2007, 156f.). Um betriebliche Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung erfassen zu können, werden (1) lernförderliche Maßnahmen in der Arbeit bzw. arbeitsimmanentes Lernen, (2) arbeitsintegrierte Lernformen bzw. arbeitsplatznahes Lernen und (3) Veranstaltungen jenseits der Arbeit bzw. Seminare und Kurse unterschieden (vgl. ebd., 158, Elsholz 2007, 267). Die Unterscheidung fußt auf folgende Kriterien:

  • Lernzeit (abgegrenzt/nicht abgegrenzt);
  • Lernintention (bewusst/keine explizite Lernintention);
  • Lernort (Abgrenzung Lern- und Arbeitsort);
  • Lehrende (Rolle und Hintergrund).

Lernförderlichen Maßnahmen in der Arbeit erfolgen im konkreten Arbeitsvollzug, ohne dessen bewusste Unterbrechung. Das Arbeiten steht im Vordergrund, Lernen findet direkt im Arbeitsprozess statt, sodass diese Lernumgebung oft nicht als solche wahrgenommen wird (vgl. Elsholz 2021, 25). Zu den Seminaren und Kursen hin nimmt Lernen einen immer grösser werdenden Stellenwert ein und die Lernintention steigt an (vgl. Elsholz/Molzberger 2007, 158). Abbildung 2 zeigt diese idealisierte Dreiteilung betrieblichen Lernens.

Abbildung 2: Konstruktionsrahmen für betriebliche Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung mit Leitfragen (Eigene Darstellung nach Elsholz/Molzberger 2007, 158; Elsholz 2007, 267)Abbildung 2: Konstruktionsrahmen für betriebliche Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung mit Leitfragen (Eigene Darstellung nach Elsholz/Molzberger 2007, 158; Elsholz 2007, 267)

Ergänzt wird der Konstruktionsrahmen für betriebliche Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung durch Leitfragen, um betriebliches Lernen zunächst auf die Gestaltung von Arbeit und erst nachrangig auf arbeitsplatznahe Lernformen und zuletzt Seminare und Kurse auszurichten. Damit gewichtet das Modell Lernende und deren Arbeitsumgebung als primäre Lernumgebung am höchsten (vgl. Elsholz/Hilger 2019, 16).

Mit der starken Bedeutungszunahme des Lernens im Prozess der Arbeit nimmt auch die Bedeutung des vorgestellten Modells zu. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und dem steigenden Einbezug digitaler Medien in betriebliche Lernprozesse, erscheint es daher zielführend, das Lernen mit digitalen Medien auch in Modellen betrieblichen Lernens stärker zu berücksichtigen. Die Neu- oder Weiterentwicklung von Modellen wird durch gesellschaftliche bzw. gesellschaftspolitische Veränderungen initiiert (vgl. Arnold 2021). Die Diskussion über die Weiterentwicklung von Modellen betrieblichen Lernens erscheint insofern sinnvoll, da sie die berufs- und betriebspädagogische Perspektive um mediendidaktische Kernpunkte erweitert werden kann und damit in einen größeren Sinnzusammenhang gestellt wird. Es entsteht eine übergreifende bildungswissenschaftliche Gesamtperspektive, deren Leitziel und Leitkontext in der Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz liegt und sich an Ganzheitlichkeit und vollständiger Handlung orientiert (vgl. ebd., 216). Aktualisierte Modelle ermöglichen die Beurteilung der Auswirkungen aus gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen auf das betriebliche Lernen. Damit kann gewährleistet werden, dass nicht technische Möglichkeiten für den Einsatz digitaler Medien leitend sind, sondern berufs- und betriebspädagogische Prämissen zur Förderung der Kompetenzentwicklung der Lernenden (vgl. ebd.).

Nachfolgend wird aufgezeigt, welchen Einfluss das Lernen mit digitalen Medien in betrieblichen Kontexten einnimmt, welche Bedeutung es voraussichtlich in Zukunft hat und welche Konsequenzen sich für das oben vorgestellte Modell ergeben.

2.2 Einbezug des Lernens mit digitalen Medien

Das Lernen mit digitalen Medien steht seit der Corona-Pandemie in besonderem Fokus, wurde jedoch auch zuvor bereits in steigendem Masse genutzt, um betriebliches Lernen zu ergänzen, zu erweitern und anzureichen. Dieser Trend wird auch in den kommenden Jahren weiter zunehmen (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 144f.): Digitale und virtuelle Formate werden entwickelt und mit den weiterhin genutzten traditionellen Lernformen zu verschiedenen neuartigen Lernformen kombiniert. Gleichzeitig gewinnt das Lernen im Prozess der Arbeit ebenfalls an Relevanz (vgl. ebd.). Die digitale Arbeitswelt verbindet Realität und Digitalität immer stärker miteinander und führt zur Arbeitsanreicherung und -erweiterung (vgl. Dehnbostel 2018):

„Die erweiterte Realität ist die Normalität der zukünftigen digitalen Arbeitswelt. Der reale Arbeitsplatz wird digital mit mobilen Endgeräten um virtuelle Arbeitsorte erweitert. Das erweiterte Lernen im Prozess der Arbeit verbindet die physische mit der virtuellen Arbeitswelt“ (ebd.).

Digitale Medien können Lernprozesse dabei anreichern, indem sie bereitgestellt werden und zeit- und ortsunabhängig zur Verfügung stehen (vgl. Wannemacher et al. 2016, 61ff.). Werden analoge und digitale Anteile aufeinander abgestimmt und didaktisch verankert, gehen diese über eine Ergänzung bestehender Lernprozesse hinaus – es erfolgt eine Integration in das betriebliche Lernen. Im Online-Lernen werden traditionelle Lernprozesse durch digitale Medien ersetzt oder vorwiegend darüber realisiert, bspw. für virtuelle Kooperation und Interaktion (vgl. ebd.). Durch die Anreicherung und Integration betrieblichen Lernens mit digitalen Medien ergibt sich eine Ergänzung und Erweiterung, die jedoch stets dazu dienen sollte, einen Handlungsbezug herzustellen, soziale Interaktionen zu ermöglichen sowie Reflexionsprozesse zu fördern (vgl. Elsholz/Hilger 2019, 19f.).

Das oben bereits vorgestellte Modell nach Elsholz und Molzberger kann nach seiner Weiterentwicklung die Perspektive auf das betriebliche Lernen mit digitalen Medien erweitern und die Konsequenzen für die Umsetzung in der Praxis aufzeigen (vgl. Arnold 2021, 216ff.). Konkret können digitale Medien dazu beitragen Arbeitsinhalte und -organisation lernförderlich zu gestalten. Auch können sie dazu genutzt werden, Lernorte zu erweitern, Lernpartner:innen zu vernetzen und Lerninhalte bereitzustellen (vgl. Elsholz/Hilger 2019, 19). Wissen und Erfahrungen können miteinander verknüpft werden und damit die Kompetenzentwicklung der Lernenden fördern (vgl. ebd.). Diese Veränderungen lassen sich über die in Abbildung 2 formulierten Fragestellungen präzisieren und ergänzen (vgl. Arnold 2021, 187):

  • Wie können Arbeitsinhalte durch digitale Medien lernförderlich gestaltet werden?
  • Wie kann die Arbeitsorganisation durch digitale Medien lernförderlich gestaltet werden?
  • Wie können digitale Medien zusätzliche Lernorte schaffen und Lernzeiten erweitern?
  • Wer sind geeignete Lernpartner:innen/Lehrende und wie können diese vernetzt werden?
  • Wie können Lerninhalte ad hoc bereitgestellt werden?
  • Wie können informelle Erfahrungen durch digitale Medien in formelle Lernprozesse einbezogen werden?

Insbesondere der zeit- und ortsunabhängige Zugang zu Wissen, Informationen und Lernmöglichkeiten, die stärkere Vernetzung von Lernenden sowie der Einbezug von Erfahrungen und deren Reflexion wirken sich direkt auf das betriebliche Lernen aus (vgl. Elsholz/Hilger 2019, 20): Digitale Medien werden bei der Gestaltung von Arbeitsinhalten und der Arbeitsorganisation explizit eingebunden, Lernorte und -zeiten können durch mobile Technologien entgrenzt werden. Lerninhalte stehen situationsbezogen zur Verfügung und die Kommunikation und Vernetzung von Lernpartner:innen und Kolleg:innen kann ortsunabhängig und asynchron erfolgen. Weiter ist es möglich, formelles und informelles Lernen stärker miteinander zu verbinden, um damit Reflexionsprozesse anzuregen und auf Erfahrungswissen z. B. in Seminare und Kurse zurückzugreifen (vgl. ebd.). Digitalisierung und die Gestaltung digitaler Lernräume sollten somit als Prozess verstanden werden, der weniger an Technologien oder digitale Lernformate geknüpft ist, sondern grundlegende Veränderungsprozesse und Strukturmomente bewirkt (vgl. Deimann/Clausen 2020, 109). Es stellt sich dann die Frage, wie digitale Medien die Lernprozesse verändern und welche Auswirkungen dies auf Akteur:innen, Rahmenbedingungen und Strukturen hat (vgl. ebd., 113f.). Arnold (2021, 188) entwickelt auf Basis dieser Annahmen das oben vorgestellte Modell weiter zum Modell der Gestaltungsmöglichkeiten betrieblichen Lernens mit digitalen Medien (Abbildung 3).

Abbildung 3: Gestaltungsmöglichkeiten betrieblichen Lernens mit digitalen Medien (Eigene Darstellung in Anlehnung an Arnold 2021, 188)Abbildung 3: Gestaltungsmöglichkeiten betrieblichen Lernens mit digitalen Medien (Eigene Darstellung in Anlehnung an Arnold 2021, 188)

Der verstärkte Einbezug digitaler Medien führt zu einer stärkeren Auflösung der Grenzen zwischen den (analytisch-getrennten) drei Teilbereichen: Arbeitsintegrierte Lernformen können verstärkt an lernförderliche Massnahmen in der Arbeit anknüpfen, die beide wiederum Seminare und Kurse um Erfahrungswissen und Handlungsbezug erweitern (vgl. ebd.). Im Modell zeigen sich diese Flexibilisierungstendenzen durch Pfeile in den drei Teilbereichen und den weniger deutlich gezogenen Grenzen zwischen ihnen. Mit steigendem Grad an Formalisierung nehmen didaktische Überlegungen an Bedeutung zu und müssen mit Blick auf die Integration digitaler Medien stärker präzisiert und spezifiziert werden. Maβnahmen arbeitsimmanenten Lernens ermöglichen und erfordern höhere Freiheitsgrade und die Möglichkeit selbstgesteuerten Lernens, wenn Lernmöglichkeiten ubiquitär und stets verfügbar sind (vgl. ebd.). In Arbeits- und Lernumgebungen mit einem hohen Grad an notwendiger Selbststeuerung ist die didaktische Gestaltung weniger konkret, sondern zeigt sich in lernförderlichen Rahmenbedingungen, in den Lernende in der Lage sind und die Möglichkeit haben, (digitale) Lernangebote zu erkennen und zu nutzen. Lernzeiten, Lernorte und die Kooperation und Interaktion von Lernpartner:innen werden flexibilisiert, vernetzt und virtualisiert. Mithin verändern sich Rolle und Aufgabenbereiche der für betriebliches Lernen Verantwortlichen, insbesondere in Bezug auf Lernzeit, Lernintention, Lernort und die Beteiligung von Lehrenden und Lernpartner:innen (vgl. ebd., 189). Diese Veränderungen haben Konsequenzen für das betriebliche Lernen und seine Ausgestaltung, Das Modell kann nun dazu beitragen, diese Auswirkungen mit Blick auf drei Gesichtspunkte genauer zu adressieren.

3 Auswirkungen auf das betriebliche Lernen

3.1 Verhältnis von formellem und informellem Lernen

Aktuelle Ergebnisse der CVTS-Erhebungen zeigen, dass sich insbesondere formelle Lernarrangements, also traditionelles Lernen in Form von Lehrveranstaltungen, Kursen und Seminaren, im betrieblichen Lernen weiterhin einen hohen Stellenwert einnehmen, sich aber durch den Einsatz digitaler Medien verändern: Es entstehen Kombinationen aus verschiedenen Methoden, personalisiertes (digitales) Lernen nimmt stark an Bedeutung zu (vgl. Schönfeld/Schürger 2020, 36). Das Potenzial digitaler Medien in solchen Blended Learning-Konzepten geht jedoch über die Auslagerung von Wissenserwerb und Theorievermittlung hinaus: Die Kombination aus Selbstlernphasen, Kollaboration und Präsenzlernen ergibt eine große Bandbreite an Ausprägungen, die eine gezielte, didaktisch-fundierte Verknüpfung (digitaler) informeller und formeller Lernprozesse möglich machen (vgl. Arnold 2021, 161). Auf diese Weise können auch Reflexionsprozesse und Erfahrungswissen in Seminare und Kurse einbezogen werden, z. B. über Anwendungen wie e-Portfolios (vgl. Elsholz/Hilger 2019, 21). Blended Learning geht dann über die Auslagerung von Präsenzzeiten auf digitale Medien hinaus, es kann von erweiterten Seminaren und Kursen gesprochen werden (vgl. Arnold 2021, 175 & 187). Die letzte der im vorherigen Kapitel formulierten Fragestellungen adressiert eben diese Möglichkeit, wie informelle Erfahrungen durch digitale Medien in formelle Lernprozesse einbezogen werden können und gibt damit Orientierungspunkte zur Gestaltung entsprechender didaktischer Überlegungen.

Die Diskussion um die analytische Aufteilung in informelles, non-formales und formales bzw. formelles Lernen ist nicht neu und hat sich insbesondere mit Blick auf den Verkehrswert von Zertifikaten entwickelt (vgl. Gutschow 2010, 10). Dabei werden die unterschiedlichen Kontexte der Lernprozesse betrachtet, z. B. deren institutionelle Verortung und Organisation und daraus resultierende kontextuelle Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Grenzen (Schiersmann 2007, 38). Schon im Rahmen des damals stattfindenden Diskurses wurde die Annahme des gesamten Spektrums möglicher Lernformen in betrieblichen Kontexten als ein Kontinuum zwischen informellem und formellem Lernen empfohlen (vgl. Schiersmann/Remmele 2002, 24). Mit der Bedeutungszunahme des Lernens im Prozess der Arbeit generell und insbesondere mit dem verstärkten Einbezug digitaler Medien stellt sich die Frage nach dem Mehrwert der idealisierten analytischen Trennung umso mehr. Lernangebote werden flexibilisiert, Vernetzung und Wissenstransfer werden durch digitale Medien vereinfacht und der Zugang zum Internet ermöglicht den fließenden Wechsel zwischen Lernen und Arbeiten (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 135ff.). Das digitale Lernen in der Arbeit ist nicht nur auf informelles Lernen beschränkt, sondern reicht bis in organisierte Lernformen und -konzepte und verbindet diese miteinander (vgl. Dehnbostel 2021, 193f.).

Im weiterentwickelten Modell zeigt sich diese stärkere Verknüpfung informellen Lernens mit formellen Lernprozessen an verschiedenen Attributen (vgl. Arnold 2021, 187): Im Gegensatz zum Ursprungsmodell wird die idealisierte Dreiteilung aufgebrochen und ein steigender Grad an Formalisierung angenommen, der den Grad an Organisation, Intentionalität und pädagogischer Begleitung bzw. Unterstützung berücksichtigt. Die Ausprägungen betrieblichen Lernens bewegen sich zwischen den Polen informelles Lernen und formelles Lernen. Durch den Einbezug von digitalen Medien sind die Übergänge fließend und nicht abgestuft. Es ergeben sich eine Vielzahl an Möglichkeiten, die je nach Anteil (pädagogischer) Begleitung, Vorgaben (z. B: Lernwege) durch Lehrende und den Rahmenbedingungen und Freiheitsgraden für Lernende, also dem Grad an Instruktion, variieren können. Der Grad an Formalisierung digitalisierter Lernräume reicht in betrieblichen Kontexten von einer vollständigen Steuerung durch Lehrende bis hin zur umfassenden Eigenständigkeit der Lernenden (vgl. ebd.). Der Einbezug digitaler Medien hat somit zur Konsequenz, dass mit steigendem Grad an Formalisierung, Organisiertheit und Verantwortung der Lehrenden die Bedeutung der didaktischen Konzeption und der Gestaltung von Lernprozessen zunimmt (vgl. ebd., 189). Ein kompetenzförderlicher Einsatz des Lernens mit digitalen Medien benötigt eine lerntheoretische und mediendidaktische Fundierung der Konzeption (vgl. Elsholz/Hilger 2019, 22). Damit verändern sich Rolle und Aufgabenbereiche der Beteiligten, d. h. der Lehrenden, Coaches, Expert:innen und der für die Planung und Organisation der Lernprozesse Verantwortlichen deutlich (vgl. Arnold 2021, 189). Ihr Einfluss auf die Lernprozesse nimmt auch in informellen Lernprozessen an Bedeutung zu:

  • Sie können als Lernpartner:innen oder Coaches über virtuelle und digitale Kommunikations- und Interaktionskanäle schnell und flexibel bei der Lösung von Problemstellungen und Herausforderungen unterstützen.
  • Sie zeichnen verantwortlich für die lernförderliche Gestaltung der Arbeitsumgebung, indem sie Zugang zu Inter- und Intranet ermöglichen, die Flexibilität von Lernorten und -zeiten erhöhen und den Mitarbeiten damit Freiräume für Lernprozesse schaffen.
  • Sie erstellen elektronische Wissensdatenbaten oder bereiten diese vor und konzipieren die Möglichkeiten, wie Daten und Informationen für Lernprozesse im Arbeitsalltag, bei konkreten Anforderungen zur Verfügung stehen können.

Insbesondere die Rolle der Führungskraft kann dabei als Schlüsselfunktion angesehen werden (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 139). Die Unterstützung informellen Lernens gilt in Unternehmen als Führungsaufgabe: Führungspersonen fördern die Mitarbeitenden und schaffen Lernmöglichkeiten bzw. stellen Ressourcen und Freiräume insbesondere für informelles Lernen zur Verfügung (vgl. Seufert et al. 2013, 43). Sie stehen dabei vor der Herausforderung, die Balance zwischen Freiräumen und Einbindung, zwischen Persönlichkeits- und Personalentwicklung sowie zwischen den individuellen Anforderungen ihrer Mitarbeitenden zu finden (vgl. ebd.). Diese Spannungsfelder werden immer komplexer und wichtiger, sie machen betriebliche Vereinbarungen notwendig (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 8). Somit haben die Veränderungsprozesse um die Formalisierung und Digitalisierung betrieblichen Lernens auch Auswirkungen auf betriebliche Rahmenbedingungen, sie wirken auf betriebliche Kontexte zurück und werden zukünftig, so kann geschlussfolgert werden, in Diskussionen um Organisations- und Lernkultur ein größeres Gewicht einnehmen. Auch wenn es Arbeitgebenden und Unternehmen gemäß der CVTS-Zusatzerhebungen noch zu wenig gelingt, Lernzeiten während der Arbeit einzurichten und eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit zu unterstützen (vgl. ebd., 144), sind die Vorteile bekannt und werden auch durch die theoretischen Erkenntnisse am Modell gestützt.

Neben dieser stärkeren Verzahnung der Teilbereiche betrieblichen Lernens kann gleichermaßen auch eine Veränderung der Gewichtung der unterschiedlichen Lernarten angenommen werden. Obwohl stärker organisierte Formen des Lernens, die traditionell in der betrieblichen Bildung einen großen Raum einnehmen, weiter bedeutsam bleiben, werden formelle Lernprozesse verstärkt hinterfragt. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die bereits verstärkt digitale Technologien einsetzen (vgl. Schönfeld/Schürger 2020, 16ff.). Kompetenzentwicklung findet vermehrt im arbeitsimmanenten Lernen und in arbeitsplatznahen Lernformen statt – die zunehmende Digitalisierung von Arbeit und Integration digitaler Medien verstärkt diesen Trend sogar noch (vgl. Elsholz 2021, 28f.). „Die Digitalisierung von Arbeit vermindert also nicht die Notwendigkeit des Lernens in der Arbeit, sie lenkt sogar den Blick verstärkt darauf“ (ebd., 29). An dieser Stelle gerät das oben vorgestellte Modell jedoch an seine Grenzen: Sowohl die Teilbereiche als auch die Reichweite des Lernens mit digitalen Medien erscheinen hier als gleichwertig und gleichbedeutend. Das tatsächliche, realistische Verhältnis von informellem zu formellem Lernen bzw. die Veränderungen dieser Verhältnismäßigkeiten können durch das Modell nicht aufgezeigt werden. Die Auswirkungen dieser Veränderungsprozesse und möglicher Blinder Flecke zeigen sich in der statistischen Erhebung im Rahmen der CVTS-(Zusatz-) Erhebungen: Bereits aktuell ist die empirische Erfassung unterschiedlicher informeller Lernprozesse eine große Herausforderung (vgl. Schönfeld/Schürger 2020, 37). Die Vielfalt und eingeschränkte Vergleichbarkeit grenzen die Abfrage in standardisierten Befragungen schon jetzt ein (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 14). Zu vermuten ist – auch anhand der Erkenntnisse aus dem weiterentwickelten Modell – dass sich die Vielfalt unterschiedlicher Formen betrieblichen Lernens durch die Verknüpfung informellen und formellen Lernens noch weiter erhöht. Damit einhergehend bewirkt der Einbezug des Lernens mit digitalen Medien, dass Angebote und Lernprozesse spezifischer und individueller werden können. Zentrale Erfolgsfaktoren für das Lernen im Prozess der Arbeit und im Hinblick auf dessen Bedeutungszunahme liegen damit auch bei den Mitarbeitenden, deren Eigenverantwortung und Eigeninitiative, ihrer Selbststeuerungsfähigkeit und Medienkompetenz (vgl. Seufert et al. 2013, 43). Daher wird nachfolgende das selbstgesteuerte Lernen auf Basis des Modells in den Blick genommen.

3.2 Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens

Die hohe Spezialisierung von Beschäftigen in der digitalisierten Arbeitswelt verhindert, dass Standardlösungen oder -prozesse genutzt werden können. Es bedarf individueller, selbstentwickelter Lösungen und entsprechender Freiräume und Kompetenzen, diese Problemlösungen zu finden (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 137). Die Fähigkeit zur Selbstorganisation, der selbstständige Erwerb von Fachwissen und Methoden zur Problemlösung werden immer wichtiger (vgl. Schönfeld/Schürger 2020, 28). Mit dem Lernen im Prozess der Arbeit wächst somit gleichzeitig die Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens.

Diese Lernform ist im berufs- und betriebspädagogischen Diskurs nicht unumstritten, auch werden unterschiedliche Begrifflichkeiten z. T. gleichbedeutend verwendet, bspw. selbstgesteuertes, selbstorganisiertes, autonomes, selbstreguliertes oder eigenverantwortliches Lernen (vgl. Schiersmann 2007, 73f.). Unterscheiden lassen sich jedoch insbesondere das selbstorganisierte Lernen, bei dem institutionelle und organisatorische Rahmenbedingungen der Lernprozesse durch die Lernenden selbst festgelegt werden und das selbstgesteuerte Lernen, bei dem diese Kontextbedingen von außen vorgegeben werden (vgl. Dehnbostel 2021, 74f.). Im betrieblichen Umfeld empfiehlt sich daher der Fokus auf letzteres, da betriebliche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen selten durch Lernende beeinflusst werden können. Lernende steuern ihre eigenen Lernprozesse im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten (vgl. Arnold 2021, 41). Daher ergeben sich auch für das selbstgesteuerte Lernen in diesen Kontexten Grenzen: Im Gegensatz zu traditionellen Lernräumen bestimmen betrieblicher Handlungsrahmen und übergeordnete Strukturen von Arbeitsabläufen und -prozessen die Lernsituation (vgl. Dehnbostel 2015, 43ff). So determinieren unterschiedliche Faktoren die Freiheitsgrade für selbstgesteuertes Lernen (vgl. Pätzold/Lang 2005, 146):

  • Lernorganisation (Lernzeiten, -orte und- tempo, Ressourcen, Gliederung und Struktur der Lernziele und -inhalte, Lernpartner:innen);
  • Lernkoordination (Verhältnis Arbeiten – Lernen, Freiräume für Lernprozesse)
  • Lernen im engeren Sinne (individuelle Lernbedarfe, Auswahl und Bestimmung von Lernzielen und -inhalten, Lernstrategien und -methoden, Lernkontrollen und Evaluation).

Selbstgesteuertes Lernen in betrieblichen Kontexten ist abhängig von Rahmenbedingungen und Herausforderungen im Arbeitsalltag und findet somit selten vollkommen selbstorganisiert statt. Daher bietet sich auch hier die Annahme eines Kontinuums zwischen absoluter Autonomie und vollständiger Fremdsteuerung an (vgl. ebd., 147). Eine klare Einordnung scheint in der betrieblichen Praxis kaum möglich, sodass die Differenzierung unterschiedlicher Grade an Selbststeuerung hier sinnvoll erscheint (vgl. Arnold 2021, 41). Betrachtet man die Kriterien zur Beurteilung der Freiheitsgrade im oben vorgestellten, weiterentwickelten Modell, zeigt sich, dass durch die Flexibilisierung der Lernzeiten und Lernorte, durch die Veränderungen im Verhältnis von Arbeiten und Lernen sowie dem breiteren Einbezug von Lernpartner:innen und -begleitung der Grad an Selbststeuerung insbesondere bei den arbeitsintegrierten Lernformen ansteigt. Dieser vormals klar abgegrenzte Bereich lässt selbstgesteuertes Lernen durch den Einbezug von digitalen Medien in größerem Maβe zu, unterliegt jedoch höheren Voraussetzungen. Der stärkere Fokus auf individuelle Lernbedarfe und Freiheiten der Mitarbeitende beim Lernen im Prozess der Arbeit bezüglich Lerninhalte, -ziele, -strategien und -methoden schreibt dem selbstgesteuerten Lernen mehr Gewicht zu. Es entstehen neue Freiräume oder es müssen, vergleichbar zum oben erläuterten informellen Lernen, neue Freiräume geschaffen werden, um den Anforderungen einer sich ändernden Lern- und Arbeitsumgebung gerecht zu werden. Mit dem Lernen mit digitalen Medien steigt die Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens weiter, da Selbststeuerung, Anwendungsorientierung, Flexibilität und Kooperation gefördert werden können (vgl. Kerres 2018, 118). Mit dem Blick auf das Lernen mit digitalen Medien ergeben sich diesbezüglich folgende Differenzierungsmerkmale (vgl. Aeppli 2005, 30):

  • Orientierung des Lerngeschehens (lernendenzentriert – lehrendenzentriert)
  • Aktivierungsgrad der Lernenden (agierend – konsumierend)
  • Zeitliche Flexibilität (flexible – gebundene Lernzeiten)
  • Räumliche Flexibilität (variable – feste Lernorte)
  • Entscheidungsfreiheit über Lernziele (Lernzielautonomie – vorgegebene Lernziele)
  • Entscheidungsfreiheit über Lerninhalte (frei wählbar – vorgegebene Lerninhalte)
  • Überprüfung des Lernerfolgs (Selbstkontrolle – Fremdkontrolle)

Diese Merkmale zeigen ebenfalls auf, dass die Variationen selbstgesteuerten Lernen mit digitalen Medien vielfältige Variationen aufweisen kann, wiederum mit Konsequenzen für die Komplexität betrieblichen Lernens. Es lässt sich an dieser Stelle weiter schlussfolgern, dass der Formalisierungsgrad und der Grad an Selbststeuerung direkt miteinander zusammenhängen: In stark formalisierten, präzise (didaktisch) geplanten Blended Learning-Konzepten bspw. kann selbstgesteuertes Lernen zwar stattfinden, jedoch nur im vorgegebenen Rahmen des didaktischen Gesamtkonzepts. Im Vergleich zu traditionellen Lernprozessen und klassischen Seminaren und Kursen ist der Anteil des selbstgesteuerten Lernens durch den Einbezug des Lernens mit digitalen Medien höher einzuschätzen (vgl. Arnold 2021, 174). Der Grad an Selbststeuerung steigt mit sinkender Formalisierung des Lernens, die Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Lernprozesse und die Autonomie der Lernenden vergrößern sich.

Das Lernen mit digitalen Medien und die Veränderungsprozesse durch die digitale Transformation ermöglichen zwar höhere Freiheitsgrade und Freiräume, diese sind jedoch nicht voraussetzungsfrei, wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts angedeutet. Insbesondere in betrieblichen Kontexten kommt dem selbstgesteuerten Lernen eine zentrale Doppelrolle zu, da es gleichzeitig Ziel und Voraussetzung der Lernprozesse ist (vgl. Lang/Pätzold 2006, 9). Die Kompetenz, die eigenen Lernprozesse zu planen, zu gestalten und zu reflektieren, ist abhängig von Lernmotivation, Vorkenntnissen und Erfahrungen, der Fähigkeit, Problemlösestrategien zu entwickeln und Autonomie zu erkennen und zu nutzen. Diese Lernprozesse können durch situative Faktoren wie soziale Unterstützung, Medien oder Lerninhalte gefördert werden (vgl. Schiersmann/Remmele 2002, 60). Lernen mit digitalen Medien im Prozess der Arbeit benötigt somit immer auch einen entsprechenden Grad an Selbststeuerung und zielt gleichzeitig auf dessen Weiterentwicklung ab (vgl. Arnold 2021, 187). Diese zeigt sich im Modell in der Bezeichnung notwendiger Grad an Selbststeuerung (Abbildung 3, s. o.) und spiegelt die Voraussetzungen lernförderlicher Maßnahmen in der Arbeit und dortigen Lernprozesse wider. Für die Förderung der Kompetenzentwicklung bedarf es lernförderlicher Rahmenbedingungen und der Möglichkeit und Fähigkeiten zum selbstgesteuerten Lernen (vgl. ebd.).

Zusammenfassend lässt sich schon an dieser Stelle resümieren, dass die Veränderungen, die sich durch den Einbezug des Lernens mit digitalen Medien vor dem Hintergrund der Digitalisierung ergeben, die Komplexität betrieblichen Lernens deutlich erhöhen. Die Verzahnung informeller und formeller Lernprozesse trägt damit gleichermaßen bei wie die Rolle des selbstgesteuerten Lernens beim Lernen mit digitalen Medien im Prozess der Arbeit. Daher lassen sich übergreifend Schlussfolgerungen für digitalisierte Lern- und Arbeitsprozesse ziehen.

3.3 Komplexität digitalisierter Lern- und Arbeitsprozesse

Aus den Erkenntnissen zum Verhältnis von informellem und formellem Lernen sowie der Bedeutungszunahme selbstgesteuerten Lernens lässt sich schlussfolgern, dass betriebliches Lernen heute weniger klar vorhersehbaren Prozessen und Strukturen, sondern individuellen und betriebsspezifischen Pfaden folgt. Das weiterentwickelte Modell der Gestaltungsmöglichkeiten betrieblichen Lernens mit digitalen Medien zeigt diese Veränderungsprozesse auf: Es wird deutlich, dass sich diese vermeintlich klaren Strukturen im Vergleich zum ursprünglichen Modell ändern: Flexibilisierungsprozesse zeigen sich in allen Teilbereichen und die Auflösung der Grenzen zwischen diesen wird sichtbar. Münchhausen et al. (2021, 130) stellen ebenfalls fest, dass betriebliches Lernen nicht mehr über Standardkonzepte organisiert und durchgeführt werden kann, da unternehmensspezifische Anforderungen und Inhalte und die Voraussetzungen und Bedarfe der Lernenden die Lernformen und Konzeption bestimmen. Auf diese Weise kann auch der Aufwand zur Erstellung betriebsspezifischer Software, wie z. B. komplexe digitale Lektionen (Computer- oder Webbased-trainings CBT/WBT) reduziert werden, den Gensicke et al. (2020, 73f.) noch als eine große Hürde bei der Nutzung digitaler Lern- und Medienformate im betrieblichen Lernen identifizieren. Lerngebote werden flexibilisiert stehen durch kleinere Lerneinheiten und Modularisierung bedarfsorientiert zur Verfügung, sodass Effizienz, Geschwindigkeit und Anwendungsorientierung steigen (vgl. Münchhausen et al. 2021, 139). Lernen im Prozess der Arbeit kann sich dann unmittelbar an realen Veränderungsprozessen orientieren und individualisiertes Lernen ermöglichen, unterstützt durch die Integration neuer Informations- und Kommunikationsmedien (vgl. Schönfeld/Schürger 2020, 37).

Sobald Leitziel und Leitkontext betrieblichen Lernens in der Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz liegen, die sich an Ganzheitlichkeit und vollständiger Handlung orientiert, unterscheiden sich die Lernprozesse mit und ohne digitale Medien nicht kategorial voneinander (vgl. Elsholz/Hilger 16). Jedoch divergiert ihre didaktische Konzeption deutlich: Der Einbezug des Lernens mit digitalen Medien und die Gestaltung digitalisierter Lernräume muss zielgerichtet und zielgruppenspezifisch erfolgen. Sind Anwendungen oder Devices lediglich zum technologischen Selbstzweck ohne berufs- und betriebspädagogische Zielstellung verfügbar, erfolgt die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenzen mit diesen digitalen Medien zufällig. Erst eine didaktisch und methodisch fundierte Konzeption und lernförderliche Arbeitsgestaltung tragen dazu bei, die Kompetenzentwicklung von Beschäftigen auch in digitalen Lernräumen zu fördern. Darin wird ein wichtiger Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem weiterentwickelten Modell sichtbar: Mit dem Einbezug des Lernens mit digitalen Medien und der steigenden Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens werden Lernprozesse bewusster und stärker intendiert. Da das Internet selbstverständlich zu Lernzwecken genutzt wird, gewinnen dortige Informationsangebote an Bedeutung (vgl. Münchhausen/Schmitz/Schönfeld 2021, 137). Wissen und Lernressourcen sind allgegenwertig und mit Internetzugang ubiquitär verfügbar. Die selbstständige Recherche zur Wissensaneignung über Foren, YouTube-Videos, digitale Dokumentationssysteme und Wissensdatenbanken, Lernmanagementsysteme und Plattformen sowie der kommunikative Austausch mit Kolleg:innen und Expert:innen über Chats und E-Mail folgen einer klare Lernintention: Selbstgesteuertes Lernen mit digitalen Medien in betrieblichen Kontexten ist intendiertes Lernen, bei dem sich Lernziele aus der Arbeitssituation ergeben und die Lernenden veranlassen, eigene Strategien zu ergreifen, um die Herausforderungen zu lösen, die im Arbeitsprozess immanent werden. Dazu gehören auch niedrigschwellige Herangehensweisen, die durch den Internetzugang möglich werden. Zentrale Voraussetzung für digitalisierte Lern- und Arbeitsprozesse liegen in der Verfügbarkeit des Internets, der Netzabdeckung am Arbeitsplatz sowie eine funktionierende technische Infrastruktur (vgl. Gensicke et al. 2020, 73). Diese technischen Anforderungen tragen somit wesentlich zur Komplexitätssteigerung betrieblichen Lernens bei, das bereits ohne den Einbezug des Lernens mit digitalen Medien betriebsspezifischen Herausforderungen unterliegt und immer im Spannungsfeld zwischen ökonomischen, individuellen und berufs- und betriebspädagogischen Interessenslagen liegt. Die Komplexität der digitalen Lernprozesse, -kontexte, -unterstützung und deren Planung hängen unmittelbar mit betrieblichen Voraussetzungen zusammen und stehen immer in einem betriebsspezifischen Bewertungsrahmen (vgl. Arnold 2021, 214). Ob und wie Lernprozesse stattfinden können, wird von betrieblichen Anforderungen und der Vielschichtigkeit betrieblicher Kontexte determiniert, immer vor dem Hintergrund einer ökonomisch orientierten Arbeitsorganisation und ihrer Zielstellungen. Betriebsspezifische Strukturen, technologische Rahmenbedingungen und Zugänge sowie Organisations- und Lernkultur bestimmen die lernförderliche digitalisierte Arbeitsgestaltung und die Möglichkeiten für selbstgesteuertes Lernen (vgl. ebd., 177ff.). Der Einbezug von digitalen Medien generiert die Notwendigkeit, Konzepte lerntheoretisch zu begründen und gezielt und organisiert in und bei der Arbeit einzusetzen. Praxisbezogene digitale Lernsettings können damit Teil der täglichen Arbeitshandlungen in der digitalen Arbeit werden und sind über eine lern- und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung zu fördern (vgl. Dehnbostel 2021, 194).

An dieser Stelle greift das weiterentwickelte Modell zu kurz und bleibt unscharf: Obwohl mit Lernzeit, -ort, -intention und der Rolle der Lehrenden die unterschiedlichen Facetten betrieblichen Lernens im Modell im Fokus stehen, geschieht dies ausschließlich aus berufs- und betriebspädagogischer und mediendidaktischer Perspektive. Damit einhergehende Implikationen und Konsequenzen für die Umsetzung in der betrieblichen Praxis und der Gestaltung lernförderlicher Arbeitsumgebungen bleiben verborgen. So ist die Umsetzung flexibler Arbeitszeiten vielfach schon eine große Herausforderung, um z. B. Lernen im Prozess der Arbeit zu ermöglichen (vgl. Münchhausen et al. 2021, 144). Vorgaben zur Nutzung persönlicher digitaler Devices oder der grundsätzliche Zugang zum Internet können betriebsspezifisch begrenzt sein und müssen daher individuell bzw. bedarfsgerecht analysiert werden. Direkte und konkrete Schlussfolgerungen für die Umsetzung in der betrieblichen Praxis lassen sich somit aus dem Modell nicht ableiten, sondern müssen durch Verantwortliche mit den jeweiligen betrieblichen Handlungsspielräumen abgeglichen oder ausgehandelt werden. Konsequenzen ergeben sich damit nicht zuletzt auch für das betriebliche Bildungspersonal und Führungspersonen. Ein immer flexibler werdendes Arbeitsumfeld bedeutet insgesamt eine höhere Komplexität für die Rolle von Führungskräften (vgl. Rump/Eilers 2021, 154): Wenn sie ein lernförderliches Umfeld schaffen sollen, müssen sie den Beschäftigten in einem gemeinsam definierten Rahmen Freiheitsgrade in der Aufgabenbewältigung und -verteilung gewähren und Individualität akzeptieren. Für eine kompetenzförderliche Unterstützung der Mitarbeitenden benötigen betriebliches Bildungspersonal und Führungspersonen in Zukunft nicht nur Erfahrungen und Kompetenzen im Bereich betrieblichen Lernens und seiner unterschiedlichen Ausprägungen. Immer wichtiger werden gleichermaßen Kenntnisse über Möglichkeiten, Grenzen und Voraussetzungen des Lernens mit digitalen Medien (vgl. ebd.). Neben der Beurteilung von betrieblichem Nutzen und Verwertbarkeit der digitalen Lernangebote nach Effektivitäts- und Effizienzkriterien kommt die Herausforderung dazu, Lernende zu befähigen und zu motivieren, digitale Medien für die Kompetenzentwicklung zu nutzen. Dies kann gelingen, wenn der Mehrwert in der Bearbeitung konkreter Aufgabenstellungen und Anforderungen sichtbar wird und positive Erfahrungen generiert.

Mit Blick auf die betriebliche Praxis zeigt das Modell die Möglichkeiten digitalisierter Lernräume auf und gibt Hinweise auf neue und engere Verbindungen und Zusammenhänge zwischen den drei Teilbereichen. Es lassen sich darüber hinaus auch Diskurslinien für die Berufs- und Betriebspädagogik skizzieren: Die empirische Erfassung betrieblichen Lernens scheint vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der steigenden Flexibilität und Verzahnung der Facetten betrieblichen Lernens deutlich erschwert. Zu analysieren wäre insofern, ob und wie gerade informelle und selbstgesteuerte Lernprozesse durch Befragungen erfasst werden. Insbesondere deren Bedeutungszunahme birgt die Gefahr, dass große Teile betrieblichen Lernens nicht oder nur kaum sichtbar gemacht werden können. Auch bleiben so die tatsächlichen Ausmaße und Verhältnisse der Lernprozesse zueinander offen. Gleichermaßen erschweren die Veränderungsprozesse und Flexibilisierungstendenzen die Entwicklung von Blaupausen und didaktischen Gestaltungshinweise, da standardisierte Konzeptionen kaum mehr genutzt werden können. Es gilt somit, übergreifende Ansätze zu entwickeln, lerntheoretisch zu verorten und Empfehlungen für die Umsetzung in der betrieblichen Praxis auszusprechen. Best-Practice-Beispiele und Erkenntnisse aus praxisorientierten Forschungsprojekten können dazu beitragen, konkrete Umsetzungsmöglichkeiten aufzuzeigen, immer jedoch mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer individuellen und betriebsspezifischen Adaption. Die digitale Transformation macht es erforderlich, betriebliches Lernen vermehrt als interdisziplinäres Forschungs- und Praxisfeld zu betrachten, in dem berufs- und betriebspädagogische, arbeitssoziologische und mediendidaktische Erkenntnisse gleichermaßen bedeutend sind. Auf diese Weise kann der Komplexität digitalisierter Lern- und Arbeitsprozesse und der damit einhergehenden Konsequenzen für die beteiligten Akteur:innen, Rahmenbedingungen und lernförderliche Gestaltung der Kontexte angemessen begegnet werden.

4 Zusammenfassung und Fazit

Der Beitrag hatte zum Ziel die steigende Komplexität betrieblichen Lernens durch und mit digitalen Medien zu analysieren. Dazu wurde ein weiterentwickeltes Modell betrieblichen Lernens herangezogen, dessen Ursprungsversion eine klare Dreiteilung anhand verschiedener Kriterien ausdifferenziert. Es konnte anhand des weiterentwickelten Modells aufgezeigt werden, dass der Einbezug des Lernens mit digitalen Medien vor dem Hintergrund der Digitalisierung zu einer Flexibilisierung und stärkeren Verzahnung der Lernprozesse in betrieblichen Kontexten führt. Dadurch verändert sich das Verhältnis von informellem zu formellem Lernen zueinander, die idealisierte Auftrennung in die Teilbereiche des arbeitsimmanenten Lernens, der lernförderlichen Maßnahmen in der Arbeit sowie Seminaren und Kursen verschwimmt und es entstehen in allen Bereichen Erweiterungen und Veränderungen durch das Lernen mit digitalen Medien. Die idealisierte Trennung im ursprünglichen Modell lässt vermuten, dass die Grenzen in der betrieblichen Praxis auch damals schon weniger trennscharf waren als im Modell angenommen. Nichtsdestotrotz zeigen aktuelle Erkenntnisse aus empirischen Erhebungen bereits deutlich, dass betriebliches Lernen schon jetzt verzahnt und verbunden ist und zukünftig weiter an Individualität, Flexibilität und Vernetzung zunimmt. Neue, niedrigschwellige Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Recherche über das Internet sowie Interaktion und Kommunikation oder orts- und zeitunabhängiger Zugang zu Lernressourcen erhöhen die Komplexität sichtbar im Modell. Digitales betriebliches Lernen wird spezifischer und kann bedarfsorientiert auf die Anforderungen im Arbeitsalltag ausgerichtet werden. Einhergehend mit der Bedeutungszunahme des Lernens im Prozess der Arbeit, also vorwiegend informellen Lernens, steigen die Anforderungen an Lernende: Selbstgesteuertes Lernen wird zur wichtigen Voraussetzung und stellt Verantwortliche vor neue Herausforderungen. Die Gestaltung lernförderlicher Arbeitsumgebungen und die didaktische Konzeption der Lernsettings zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz wird durch den Einbezug digitaler Technologien umso komplexer. Es gilt, Freiheitsgrade für Lernen zu schaffen, Rahmenbedingungen zu analysieren und anzugleichen sowie Kontextbedingungen und Anforderungen der Zielgruppen gleichermaßen zu berücksichtigen. Dabei darf der Einsatz digitaler Medien nicht zum Selbstzweck geschehen, sondern sollte didaktisch und lerntheoretisch fundiert erfolgen.

Zum heutigen Zeitpunkt sind die Ausmaße und spezifischen individuellen, gesellschaftlichen, organisationalen und technologischen Konsequenzen der digitalen Transformation nicht allumfassend abzuschätzen. Festzustellen ist lediglich, dass die Ausweitung digitaler Medien Lernen in betrieblichen Kontexten nachhaltig verändern wird (vgl. Arnold 2021, 214). Spezifische Blaupausen und Standardvorlagen verlieren an Relevanz. Auch Modelle betrieblichen Lernens sind resultierend weniger konkret und detailliert. Dennoch können sie weiterhin dazu beitragen, Eckpunkte für die Konzeption digitalisierten betrieblichen Lernens zu definieren und Ansatzpunkte für die Gestaltung in der betrieblichen Praxis abzuleiten. Aus der Weiterentwicklung und dem Einbezug mediendidaktischer Erkenntnisse erweitert sich die Perspektive bestehender Modelle und rückt sie in einen größeren Sinnzusammenhang, es entsteht eine integrative Verbindung zu einer übergreifenden Gesamtperspektive. Auf diese Weise können gesellschaftliche und technologische Entwicklungen mit Blick auf die Konsequenzen für betriebliches Lernen beurteilt werden (vgl. ebd., 216). Didaktischen Überlegungen, der lerntheoretisch begründeten Konzeption sowie der lernförderlichen Gestaltung von Arbeit wird deutlicher Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen, um Kompetenzentwicklung in digitalisierten Lern- und Arbeitsräumen zu fördern. In den Blick geraten dabei nicht nur die höheren Anforderungen an Lernende, ihre Kompetenzen im Bereich Selbststeuerung und Medienkompetenz, sondern auch die veränderten Ansprüche an Verantwortliche, z. B. betriebliches Bildungspersonal, Führungskräfte oder Personalentwickler:innen.

Zu analysieren ist, welche Auswirkungen die höhere Komplexität, die durch den Einbezug des Lernens mit digitalen Medien und der Berücksichtigung der Digitalisierung unvermeidlich erscheint, auf die Praxistauglichkeit der Modelle hat. Es muss sich somit zeigen, ob die hohe Modellkomplexität der Anforderungen in betrieblichen Kontexten gerecht wird, also eine zweckmäßige Anwendung ermöglicht und inwiefern die Modelle Ansatzpunkte für tiefergehende Forschungsansätze in der Berufs- und Betriebspädagogik generieren (vgl. ebd., 206). Ein wesentliches Augenmerk liegt unter diesen Voraussetzungen auf der Bedeutungszunahme informellen und selbstgesteuerten Lernens, ihrer empirischen Erfassung und Verzahnung mit stärker organisierten Formen des betrieblichen Lernens. Die steigende Komplexität digitalisierten betrieblichen Lernens stellt Berufs- und Betriebspädagogik vor neue Herausforderungen, zeugt jedoch dabei von der Bedeutungszunahme individueller, unterstützender und vernetzter Lernprozesse, durch die eine Entwicklung beruflicher Handlungskompetenzen mit und durch digitale Medien besser gefördert werden kann.

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Zitieren des Beitrags

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