bwp@ Ausgabe 2 - Mai 2002

Lernen in Netzen - Aufgaben für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Hrsg.: Karin Büchter & Franz Gramlinger

Lernen in Netzen: Modernismen und Traditionen, Schismen und Integrationsversuche

In der aktuellen Auseinandersetzung mit Lernen in Netzen werden zwei Stoßrichtungen deutlich: Zum einen die, bei der es um die pädagogische Nutzung technischer Netzwerke, also um das „e-Learning“ geht, zum anderen die, bei der die Frage nach den sozialen und institutionellen Arrangements in Netzwerken der beruflichen Bildung eine Rolle spielt. Beide Stoßrichtungen, so eine der Hauptthesen des Beitrags, sind in vielfacher Weise miteinander verwoben, was sich beispielsweise anhand der aktuellen Präferenz für kooperatives Lernen bzw. für Communities zeigt, ebenso wie anhand der zunehmenden Bedeutung technischen supports in Berufsbildungsnetzwerken. Zu den wesentlichen Voraussetzungen für die Gestaltung von Berufsbildungsnetzwerken gehört, dass die im Netzwerk involvierten und agierenden Institutionen über entsprechende materielle und strukturelle Ressourcen verfügen, dass unter den Institutionen ein Vertrauensklima als Bedingung für die Entstehung von Communities herrscht und - hierin ist die unmittelbare Verbindung zur ersten Stoßrichtung zu sehen - dass auf der Basis von Informationstechnik Wissen nicht nur intra- sondern auch interorganisational zirkulieren kann.

1 „Lernen“ und „Netze“: Zwei allgemeine, emotional geladene Konzepte treffen aufeinander

„Lernen“ und „Netze“ bzw. „Netzwerke“ sind – wenn nicht schon die Modernität der letzt­genannten Begriffe abschreckt – emotional positiv geladene Konzepte. Beide Konzepte sind außerdem ausgesprochen allgemein. So verdeutlicht der Bericht „How People Learn“ (BRANSFORD/BROWN/COCKING 2000) eindrucksvoll die Weite und die Tragfähigkeit des Konzepts „Lernen“. Netzwerke als formales Konstrukt aus einer Trägermenge und einer Familie von Relationen (WILBERS 1997) umfassen so unterschiedliche Dinge wie techni­sche, soziale oder politische Netzwerke. So verwundert es kaum, dass sich anscheinend – wie im Editorial zur dieser Ausgabe der bwp@ behauptet wird – ein neues und attraktives, da positiv geladenes Aufgabenfeld für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik auftut. Offen bleibt dabei jedoch zunächst, ob „Lernen in Netzen“ nicht nur eine syntaktische Klammer über ganz unterschiedliche, unverbundene Arbeitsfelder bleibt oder ob sich daraus zumindest ein thematischer Fokus als Grundvoraussetzung für einen wissenschaftlichen Diskurs ergibt.

2 Zwei Stoßrichtungen der Auseinandersetzung um Lernen in Netzen

Grob vereinfachend – eben bipolar – lassen sich zwei Stoßrichtungen der Auseinandersetzung im Feld „Lernen in Netzen“ ausmachen: (1) Lernen und technische Netzwerke – heutzutage gefasst unter dem Stichwort „E-Learning“, (2) Lernen in sozialen und institutionellen Netz­werken. In der ersten Stoßrichtung, E-Learning, verlängert die Diskussion um die pädagogi­sche Nutzung technischer Netzwerke wie z.B. dem Internet die ältere Tradition des informa­tionstechnisch unterstützten Unterrichts etwa in Form vom Computer based Trainings (CBT). Im zweiten Fall nähert sich die Diskussion dem Gruppenkonzept, dem kooperativen Lernen und neuerdings dem der Gemeinschaften (communities) an. Die Übergänge zu institutionellen Netzwerken sind dabei fließend und theoretisch höchst interessant. Beide Stoßrichtungen werden in den folgenden Abschnitten skizziert. Anschließend werden Aspekte der erneuten Konvergenz aufgezeigt.

2.1 Die erste Stoßrichtung: Pädagogische Nutzung technischer Netzwerke – „E-Learning“

In der ersten Stoßrichtung geht es um die Nutzung technischer Netzwerke wie z.B. des Inter­nets für pädagogische Zwecke. Diese Auseinandersetzung wird zur Zeit unter dem Chiffre „E-Learning“ geführt. „Technik und Ökonomie gelten traditionell nicht als ein Stoff, der die Pädagogik adeln könnte“ (Euler 2002). Pädagogen in Wissenschaft und Praxis wiederholen daher gebetsmühlenartig, dass die Didaktik der Technik vorausgehe. Oft in gnadenloser Überschätzung der Reichweite des eigenen Tuns verlangen Pädagogen, dass die Technik der pädagogischen Nutzung anzupassen sei. Diese Diskussion ist trotz aller Modernismen so alt wie die Informationstechnik selbst (vgl. TWARDY/WILBERS 1996).

E-Learning folgt einem bestimmten Entscheidungsrahmen, den ich hier aufgrund gemeinsa­mer Arbeiten mit Dieter Euler darstelle (vgl. EULER/WILBERS 2002). Elektronische können ebenso wie die traditionellen Medien (z.B. Overheadfolien, Arbeitsblätter) zum Bestandteil einer Lernumgebung werden. Vor diesem Hintergrund besitzen elektronische Medien das Potential, die methodische Gestaltung einer Lernumgebung zu erweitern und begründen so neue Optionen für das Lehren und Lernen. Prinzipiell können Lernumgebungen über die folgenden Grundbausteine arrangiert werden:

  1. Sozialformen, d.h. das Lernen vollzieht sich entweder individualistisch oder eingebunden in ein Team bzw. in ein größeres Plenum (z.B. Klasse, Vorlesungsgruppe);
  2. Sozial-kommunikative Lehraktionsformen, d.h. das Lernen wird unterstützt durch die sozialen Aktivitäten eines Lehrenden. Dieser bietet Inhalte dar, entwickelt diese im Dialog oder schafft die Bedingungen zu deren eigenständiger Erarbeitung.

Lernen mit elektronischen Medien bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich der Ler­nende zur Un­ter­stüt­zung seines Lernens der zusätzlichen Komponenten Lehr­- und Informa­tionssoft­ware sowie Telekom­munikations­netze bedienen kann. Durch die E-Medien wie z.B. Tutorial, Simulationssoftware, WebQuest entstehen neue Möglichkeiten der Veranschau­lichung von Lerninhalten sowie der aktivierenden Auseinandersetzung des Lernenden mit ihnen. Durch die Einbeziehung der Telekommunikation wird es möglich, räumlich entfernte Personen in den Lernprozess einzubeziehen. Dies führt zu telekommunikativ gestützten Lernumgebungen, bei denen die Lernenden wiederum in unterschiedliche Sozialformen ein­gebettet und zudem ebenfalls durch Lehrende unterstützt werden können. Die Unter­stützung durch die Lehrenden kann vor Ort oder über das Netz geschehen – im letztgenannten Fall entstehen neue Formen der Lehrunterstützung wie E-Instruktion, E-Tutoring sowie E-Mode­ration bzw. E-Coaching. Im Überblick entsteht folgender Zusammenhang:

Das Modell kombiniert ‚klassische’ Gestaltungselemente der Didaktik mit neuen Elementen des E-Learning. So wird es möglich, drei Typen von Lernumgebungen zu erfassen:

  1. Konventionelle Lernumgebungen, die nur die traditionellen und bekannten Elemente integrieren.
  2. Ausschließlich durch Anwendung von E-Medien bzw. E-Lehr-Aktionsformen gestützte Lernumgebungen, die von Formen des Präsenzlernens, d.h. eines realen Zusammen­kommens von Studierenden und Lehrenden in einem Raum, vollkommen absehen.
  3. Hybride Lernumgebungen (‚blended learning’), die Formen des Präsenzlernens mit Formen des Lernens außerhalb von Präsenzkontexten kombinieren. Beispiel: Auftakt der Lehrveranstaltung über einen KickOff, bei dem sich die Lernenden real kennen lernen, Aufgaben absprechen usw., in der Folge dann telekooperativ arbeiten, um die Ergebnisse in einer Präsenzveranstaltung dann zusammen zu führen.

Die drei Sozialformen (Einzellernen, Teamlernen, Lernen im Plenum) heben auf die Gruppie­rung der Lernenden ab. Einzellernen bietet das Potential – keineswegs die Gewähr – für die Individualisierung. Mit anderen Worten: Individualisierung ist der komparative Vorteil des Einzellernens gegenüber den anderen Sozialformen. Individualisierung meint, dass sich die anderen Gestaltungselemente auf einen individuellen Lernenden zuschneiden lassen. Der Lernende erhält mithin individuelle Lernziele, individuelle Möglichkeiten der Lernkontrolle usw. Teamlernen und Lernen im Plenum stellen hingegen das soziale Lernen bzw. den Er­werb entsprechender Kompetenzen in den Vordergrund. Für diese Fälle lassen sich Leistungs­vorteile kooperativen Lernens begründen.

Die drei sozialkommunikativen Lehr-Aktionsformen stellen auf die Tätigkeit bzw. die Rolle des Lehrenden in Präsenzsituationen ab. Die drei E-Lehr-Aktions­formen stellen demgegen­über die Rolle der Lehrenden in telekommunikativ getragenen Lernumgebungen in den Vor­der­grund:

  1. E-Instruktion bezeichnet Aktivitäten eines Lehrenden über das Netz, die der Unterwei­sung der Lernenden dienen. Wird beispielsweise eine Vorlesung synchron über das Netz übertragen, wobei ein Teil der Studierenden den Dozierenden vor Ort, ein anderer Teil ihn hingegen auf einem Bildschirm verfolgt, dann wird diese Lernumgebung für die räumlich entfernten Studierenden als Teleteaching bezeichnet.
  2. E-Tutoring bezeichnet eine Lernumgebung, in der ein Lehrender dann zur Verfügung steht, wenn die Studierenden im Prozess des selbstorganisierten Lernens mit traditionellen und / oder elektronischen Medien eine Lernhilfe bzw. eine Rückmeldung durch einen Lehrenden benötigen. Die Aktionen des Lehrenden konzentrieren sich dann beispiels­weise auf die Bereitstellung von prozessbezogenen Lernhilfen. Das Lernen der Studieren­den kann in die Sozialformen des Einzel- oder Teamlernens eingebettet sein.
  3. E-Moderation bzw. E-Coaching bezieht sich auf Lernumgebungen, innerhalb derer die Studierenden telekommunikativ an einer Frage- oder Problemstellung arbeiten. Der Lern­prozess wird dabei von einem Lehrenden über das Netz moderiert bzw. im Rahmen eines Coachings unterstützt.

E-Medien und traditionelle Medien sind Präsentationsmedien, Interaktionsmedien oder Infor­ma­tionssysteme und Instrumente des individuellen Wissensmanagements. Präsentations­medien wie z.B. filmische Darstellungen der Fallsituation dienen dabei der anschaulichen und verständlichen Darbietung. Interaktionsmedien wie z.B. WebQuests dienen der Aufforderung und Anleitung zur interaktiven Erschließung, Festigung, Anwendung und kritischen Refle­xion von Lerninhalten. Informationssysteme und Instrumente des individuellen Wissens­managements richten sich primär an den einzelnen Lernenden. Sie haben grundsätzlich ver­schiedene Ansprüche, aus didaktischer Sicht jedoch die Gemeinsamkeit, dass sie nur Teile der Lehrfunktionen übernehmen und alle weiteren dem Lernenden überlassen. In didaktischer Sicht handelt es sich um ein hochgradig selbstgesteuertes Lernen. Als Informationssysteme gelten hier: Assistenten und Agenten, Hilfesysteme sowie Datenbanken.

2.2 Die zweite Stoßrichtung: Lernen in sozialen und institutionellen Netzwerken

Die zweite Stoßrichtung der Auseinandersetzung im Feld „Lernen in Netzen“ betrifft die pädagogische Reflexion sozialer und institutioneller Netzwerke. Soziale Netzwerke sind ein "Geflecht von sozialen Beziehungen, das als Ganzes be­trachtet das Verhalten einzelner Beteiligter beeinflussen und zur Interpretation dieses Verhaltens herangezogen werden kann." (WEGMANN 1995, 225). Eingeführt wurde der Terminus von dem Sozialanthropologen Alfred R. Radcliffe-Brown, aus­gebaut wurde die Theorie vor allem von John A. Barnes und Clyde Mitchel. "Die Netzwerke sozialer Beziehungen verber­gen sich gewissermaßen hinter den stabilen Interaktionen im Rahmen formaler und hierarch­ischer Strukturen. Und genau dies hat der Analyse solcher Netzwerke die Beson­derheit verliehen. Die Aktualisierung latent vorhandener persönlicher Be­zie­hungen, z.B. der Wahlhilfe, die Netzwerkgliederung von Patronage- und Klientel­systemen, die Bildung informeller Zirkel in Politik, Kunst und Kultur sind Beispiele, die ... die Idee des sozialen Netzwerkes nähren." (SCHENK 1983, 88).

Man sieht schon an diesen wenigen Äußerungen, dass die Theorie der sozialen Netz­werke zwar in einer soziometrischen Tradition steht, dass ihr Anspruch aber weit darüber hinaus geht; dass der Begriff des sozialen Netzwerkes sehr viel allgemeiner als der Gruppenbegriff ist – so setzt z.B. das Gruppenkonzept Grenzen der Zuge­hörig­keit, direkte Kontakte etc. voraus. In der Theorie sozialer Netzwerke wurden umfangreiche formale Forschungs­methoden auf­ge­baut (vgl. WASSERMANN/FAUST 1994; JANSEN 1999).

Dominanter Theorieansatz für die Untersuchung institutioneller Netzwerke ist die Institutio­nen­ökonomik (vgl. bspw. WILBERS 2000; SYDOW 1992). Grundlegend ist hier die An­nahme, dass Individuen, die in Austauschprozessen involviert sind, die Transaktionskosten wie z.B. Kosten der Anbahnung, der Vereinbarung und der Kontrolle der Transaktion voraus­schauend begrenzt rational minimieren. Dieser Ansatz bestimmt drei Ko­ordinationsformen: Markt – Netzwerk – Hierarchie. Der Markt ist in der ökonomischen Theorie eine Koordina­tions­form von Aktivitäten, in der sich rational und opportunistisch verhaltende, gleichberech­tigte und unabhängige Individuen eine genau spezifizierte Leistung austauschen ('arms-length-transaction', 'spot contracting'). Dieses Instrument, d.h. der Markt, versagt bei be­stimm­ten Be­dingungen wie z.B. bei Transaktionen mit hoher Unsicherheit und Komplexität. Zur Ver­mei­dung opportunistischen Verhaltens des Austauschpartners kann daher ein Tausch­partner beispielsweise in eine Hierarchie ('firm') mit dem gemeinsamen Werte­system einer  Unternehmenskultur etc. eingebunden werden. Im Zuge einer 'employ­ment relationship' ersetzt die hierarchische Koordination wie z.B. durch Weisungen die Marktkoordination. Weisungen werden ergänzt durch weitere Maßnahmen zur Deckung des Koordinationsbe­darfs, d.h. technokratische Instrumente wie z.B. Pläne, organisationsorientierte Instrumente wie z.B. organisatorische Formalisierung, per­sonen­orientierte Instrumente wie z.B. Anreiz­systeme sowie weitere Maßnahmen zur Reduzierung des Kooperationsbedarfs. Zu Hierarchie­versagen hingegen kommt es bei sicheren Transaktionen geringer Komplexität etc. Netzwerke entstehen – aus Sicht der Hierarchie – durch die (Quasi-) Externalisierung von Aktivitäten, d.h. etwa im Zuge der Konzentration auf die Kernkompetenzen durch die Auslagerung von Akti­vitäten z.B. als Verringerung der Fertigungstiefe. Andererseits entstehen Netz­werke durch (Quasi-) Internalisierung, d.h. eine engere Zusammenarbeit mit Marktpartnern wie dies z.B. für Joint-ventures typisch ist.

Im Diskurs um Weiterbildung – die lange Zeit durch den scheinbar unüberbrückbaren Gegen­satz von Markt und Staat gelähmt war – wurde der ‚neue’ Regulationstypus ‚dankbar’ aufgenommen. Die Diskussion um den Regulationstypus (vgl. bspw. FAULSTICH 1997) trifft sich hier mit der Tradition der regionalen Weiterbildungsforschung (vgl. bspw. SAUTER 1995). Inzwischen liegen eine Fülle konzeptioneller und empirischer Ergebnisse vor (siehe FAULSTICH 2002).

Mit wenigen Ausnahmen – wie etwa BÜCHTER 2000 – wird diese Diskussion völlig unab­hängig von einer in vielen Teilen ähnlichen Diskussion betreffend die berufliche Ausbildung geführt. Die Zusammenarbeit im dualen bzw. trialen System, die ‚Lernortkooperation‘ (vgl. die Übersicht bei EULER 1999), meint das Mit-, Gegen- und Nebeneinander von berufs­bildender Schule, Betrieb und überbe­trieb­licher Berufsbildungsstätte in der Berufsausbildung. In Deutschland gibt es diesbe­züglich eine relativ lange Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungstradition, die zur Zeit vornehmlich im Programm „Kooperation der Lernorte in der beruflichen Bildung“ (Kolibri, http://www.blk-kolibri.de) gebündelt wird.

3 Berufsbildungsnetzwerke als integrierendes Konstrukt und Forschungsprogramm

Die beiden Stoßrichtungen sind in vielfacher Weise verwoben: So ist im Bereich des E-Learning – siehe dazu beispielsweise die Diskussion zum Topic „E-Learning didaktisch gestalten“ im Handbuch E-Learning online (http://www.global-learning.de/handbuch-elearning) – eine deutliche Präferenz der Experten für Formen kooperativen Lernens bzw. für Communities festzustellen. Andererseits wird zunehmend auch der Aspekt der technischen Unterstützung von Netzwerken diskutiert (vgl. STENDER 2002).

„Berufsbildungsnetzwerke“ werden hier als integrierendes Konzept und Forschungspro­gramm betrachtet. Ein regionales Berufsbildungsnetzwerk besteht – in einer allgemeinen Annäherung – aus ei­ner Menge von Institutionen aus der Region, die mit Bildung befasst sind und zwischen denen eine Reihe von Relationen wie z.B. politischer Einfluss, Aus­tausch von Wissen, Freund­schaft oder informationstechnische Beziehungen bestehen. Die Relationen zwischen den Institutionen eines Netzwerkes können relativ dauerhaft sein wie z.B. die Beziehung zwischen einer Schule und ihrer Schulaufsicht. Diese Relationen können auch temporär sein wie z.B. bei der Durchführung eines Projektes zwischen Schule und Unter­nehmen. Zwi­schen den beteiligten Institutionen können starke oder schwache Beziehungen be­stehen. Starke Beziehungen (‚strong ties‘) bieten zwar eine gute Grundlage für die Entwick­lung von Vertrauen, erfordern jedoch hohe Aufmerksamkeit durch einen Ak­teur, so dass die Anzahl der starken Beziehungen eines Akteurs begrenzt ist. Netz­werke sind grundsätzlich offene Strukturen. Sie werden auf der Grundlage von Zielen und den aufgrund dieser Ziele relevanten Betroffen und Beteiligten (Stakeholdern) abgegrenzt.

Das Konzept des Netzwerkes hat im Berufsbildungsdiskurs Integrationspotentiale in drei­facher Hinsicht. Es kann erstens innerhalb des pädagogischen Diskurses – etwa die Diskus­sion um Lernortkooperation und Weiterbildungsnetzwerke – integrieren. Zweitens eröffnet der Rückbezug auf Netzwerke Anschlüsse an andere Disziplinen. Zu nennen sind insbeson­dere die Soziologie und die Sozialpsychologie, die Politologie sowie die Wirtschaftswissen­schaf­ten. Schließlich integriert es mit der Netzwerkanalyse eine eigene Forschungsper­spek­tive (siehe auch FAULSTICH 2002).

Angesprochen sind so:

  1. die Zusammenarbeit im dualen bzw. trialen System,
  2. die Zusammenarbeit von Betrieben und Schulen in vollzeitschulischen Berufsbildungs­gängen,
  3. Ausbildungsverbünde,
  4. die regionale Zusammenarbeit zwischen Schulen,
  5. die Kooperation zwischen Einrichtungen der Benachteiligtenförderung,
  6. regionale Netzwerke in der Weiterbildung sowie
  7. lernende Regionen.

Bezüglich der Wirkungen bzw. in anderer Perspektive der Ziele regionaler Berufs­bil­dungs­netzwerke werden folgende Thesen aufgestellt (siehe WILBERS 2001; WILBERS 2002):

  1. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein begünstigender Kontext für die Verbindung von systematischem und kasuistischem Lernen in der Berufsbildung.
  2. Regionale Berufsbildungsnetzwerke stellen ein Instrument zur Differenzierung in und durch Berufsbildung dar.
  3. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein Instrument zur Abfederung von Transi­tions­problemen im Berufsbildungssystem.
  4. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein Mittel zur Abfederung quantitativer Prob­leme wie z.B. ungünstiger Angebots-/Nachfragerelationen in der Berufsbildung.
  5. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein Beitrag zu einer höheren Wirt­schaft­lich­keit der Berufsbildung und ein Instrument der Regionalentwicklung.

Es kann kaum davon ausgegangen werden, dass sich die Aktualisierung der angeführten Potentiale von Berufsbildungsnetzwerken von selbst einstellen wird. Im Sinne einer Kontext­steuerung können Bedingungen geschaffen werden, die bestimmte Handlungen der Indi­vi­duen behindern oder erleichtern. Für die Gestaltung von Berufsbildungsnetzwerken sind drei Thesen leitend:

  1. (Politische und ökonomische Infrastruktur) Berufsbildungsnetzwerke bedürfen Institu­tio­nen, die in der Region handlungsfähig sind, d.h. Ziele setzen, über Ressourcen verfügen, Verpflichtungen eingehen können usw. Dies erscheint zur Zeit primär problematisch bei berufsbildenden Schulen. Berufsbildendende Schulen sind vor diesem Hintergrund ent-sprechend eines Ge­samtkonzepts teilautonomer Schulen zu gestalten. Gleichzeitig sind – sozusagen als Aus­gleich für den zurückgenommenen Staat – Schulen regional in neue Formen der Pro­duktion regionaler Bildungspolitik einzubinden.
  2. (Soziale Infrastruktur) Zwischen und in den Institutionen muss ein soziales Klima beste­hen, dass die Zusam­menarbeit unterstützt. Bei der Gestaltung einer solchen sozialen Infra­struktur geht es um die Ermöglichung von Vertrauensbildung sowie um das Entstehen von Communities.
  3. (Wissens- und IT-Infrastruktur) Zwischen und in den Institutionen muss als zentrale Ressource Wissen zirkulieren. Dabei kann die Informationstechnik unterstützend wirken. E-Learning wird dabei zu einem speziellen Fall des Aufbaus und des Austausches von Wissen.

Alle drei Faktoren wirken in enger Weise zusammen, wie der folgende beispielhafte Ge­dan­kengang verdeutlichen soll. Formen der regionalen Produktion von Berufsbildungspolitik z.B. in Beiräten sind immer dann zahnlos, wenn sie sich nicht auf substantielle Entscheidungen wie z.B. Ausstattungs- oder Personalfragen beziehen. Dies setzt jedoch beispielsweise voraus, dass die Schule in einem solchen Netzwerk überhaupt in der Lage ist, derartige Entscheidun­gen in der Region zu treffen. Mit einem derart starken Partner wird man vermutlich auch eher bereit sein, Wissen - etwa unter Nutzung von Informationstechnik - gemeinsam zu erwerben oder auszutauschen. Dies dürfte voraussetzen, dass sowohl in der Institution als auch im Verhältnis zwischen den beiden Partnern nicht die Vorstellung besteht, dass man sich selbst entwertet, wenn man eine zentrale Ressource, nämlich Wissen, „weggibt“.

Vor dem Hintergrund derartiger Modellierungen besteht die Hoffnung, dass Syntaxkonstruk­tio­nen wie „Lernen in Netzen“ zu einer Klammer für gemeinsame Forschungs- und Entwick­lungs­anstrengungen werden.

Literatur

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