bwp@ 28 - Juni 2015

Berufliche Lehr-Lernforschung

Hrsg.: Tade Tramm, Martin Fischer & Carmela Aprea

BESUB III – Zur Beschreibung der Sichtstrukturen kaufmännischen Unterrichts entlang von Sozialformen und Unterrichtsphasen – Ergebnisse einer vertiefenden Analyse mit einem ausdifferenzierten Erhebungsinstrument

Beitrag von Robert W. Jahn & Mathias Götzl
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Die wirtschaftsdidaktischen Diskurse über Handlungs- und Situationsorientierung hatten erhebliche Wirkungen auf die methodische Ausgestaltung des „Unterricht“ an Berufsbildenden Schulen erwarten lassen. Die wenigen (domänenspezifischen) Untersuchungen der prozessorientierten Unterrichts-forschung gaben jedoch Anlass zu Skepsis (vgl. u. a. Seifried et al. 2006) und auch auf der Basis unserer ersten Erhebungen im Rahmen des BESUB-Projektes (Beobachtungsstudien zum Einsatz von Sozialformen und Unterrichtsphasen im kaufmännischen Unterricht an Berufsbildenden Schulen) muss man konstatieren, dass in der Unterrichtsrealität keine grundlegenden Veränderung im Hinblick auf die methodische Gestaltung nachgewiesen werden kann.

In den Beobachtungsstudien BESUB I und II (vgl. Götzl et al. 2013; Jahn/Götzl 2014a; 2014b; 2014c) wurden endogene Merkmale des Angebots Unterricht (echte Lernzeit, Sozialformeneinsatz, Unter­richtsphaseneinsatz) erhoben und über diese Merkmale mittels Clusteranalysen Unterrichtstypen identifiziert und entsprechende Unterrichtsmuster rekonstruiert. Diese wurden in Beziehung zu exoge­nen Merkmalen (z. B. Lehrermerkmale, Unterrichtsinhalte) gebracht, die die Auftretens-wahr­scheinlichkeit der Typen beeinflussen. Im Rahmen der dritten quantitativ angelegten Beobach­tungsstudie (N=324 Unterrichtstunden) wurde das methodische Design weiterentwickelt. Insbe­sondere das bestehende Phasenschemata wurde in Anlehnung an Hage et al. (1985) ausdifferenziert, um zusätzliche Informationen zur Funktionalität einzelner Phasen zu erhalten. Zudem erfolgte eine Verfeinerung der Typisierung von Unterrichtsstunden entlang von Sozialformen sowie die Erhebung zusammenhängender Unterrichtsreihen.

Die Befunde zeigen, dass methodische Variation – als Merkmal guten Unterrichts – zwar vorkommt, allerdings dominiert eine lehrerzentrierte Vorgehensweise, primär im Modus eines fragend-ent­wickelnden Unterrichts. Ob die identifizierbare Variation als angemessen bezeichnet werden kann, ist differenziert und noch nicht abschließend zu beantworten.

BESUB III – Description of the visual structures of commercial subject teaching based on social forms and lesson phases – Findings of an in-depth analysis using a differentiated research tool

English Abstract

The discourses in the context of business didactics concerning activity and situational orientation had prompted expectations of significant impacts on the design of "teaching" methodology at vocational schools. However, the few (domain-specific) studies conducted as part of process-oriented research into teaching have given rise to scepticism (cf. also Seifried et al. 2006), and it also has to be acknowledged on the basis of our initial investigations within the framework of the BESUB project (Observational Studies on the Use of Social Forms and Lesson Phases in Commercial Subject Teaching at Vocational Schools) that there has been no fundamental demonstrable change in teaching practice with regard to methodological design.

In the BESUB I and II observational studies (cf. Götzl et al. 2013; Jahn/Götzl 2014a; 2014b; 2014c), endogenous characteristics of teaching (real learning time, use of social forms and lesson phases) were compiled, types of teaching identified, and corresponding teaching patterns reconstructed on the basis of those characteristics by means of cluster analyses. These were examined in relation to exogenous characteristics (e.g. teacher characteristics, teaching content) that influence the probability of a type's occurrence. In the third quantitatively based observational study (N=324 hours of teaching), the methodological design was developed further. The existing phase patterns in particular were subjected to further differentiation in the style of Hage et al. (1985) in order to obtain additional information on the functionality of individual phases. The typing of teaching hours was, additionally, refined on the basis of social forms, and related series of lessons were included.

The findings show that although methodological variation – as a feature of good teaching – does occur, a teacher-centred approach prevails, however, primarily in the mode of teaching involving development by questions. Whether the variation that is identifiable can be described as appropriate, has to be seen discriminately and cannot as yet be answered conclusively.

1 Problemstellung

Im Zuge der wirtschaftsdidaktischen Diskurse über Handlungs- und Situationsorientierung der letzten Jahrzehnte war davon auszugehen, dass dies zu Veränderungen in der prozessualen Ausgestaltung des Angebots „Unterricht“ führen würde. Dahingehend geben die wenigen (domänenspezifischen) Untersuchungen der prozessorientierten Unterrichtsforschung jedoch Anlass zu Skepsis (vgl. u. a. Seifried et al. 2006; Pätzold et al. 2003). Es wird nach wie vor Lehrerdominanz kritisiert und dargelegt, dass in der Unterrichtsrealität keine grundlegenden Veränderungen nachgewiesen werden können. Durch unsere Beobachtungsstudien BESUB I und II (vgl. Götzl et al. 2013; Jahn/Götzl 2014a; 2014b; 2014c) konnte dieses Bild weitgehend bestätigt werden. In diesen Untersuchungen wurden verschiedene Merkmale des Angebots Unterricht (echte Lernzeit, Sozialformen, Unterrichtsphasen) erhoben und über diese Merkmale Unterrichtstypen identifiziert. Die Ergebnisse dieser Erhebungen haben wir mittlerweile an verschiedenen Stellen zur Diskussion gestellt. Dabei erhielten wir hilfreiche Rückmeldungen und Anregungen, die wir z. T. im Rahmen der dritten Erhebung aufgegriffen haben.

Diese Aspekte betreffen, erstens eine weitere Ausdifferenzierung unseres Phasenschemas. Dies orientierte sich in den ersten Erhebungen aus pragmatischen Gründen zunächst am didaktischen Dreischritt in Anlehnung an Meyer (2008, 129-135; 2010a, 70f.). Angeregt wurde, dieses Schema in eine feinere Systematik zu überführen, welche genauere Aussagen über die Funktionalität einzelner Unterrichtsphasen ermöglicht. Dies betrifft insbesondere die Phasen des Einstiegs und der Ergebnissicherung, die als qualitative Prozessmerkmale guten Unterrichts aufgegriffen werden (vgl. Lipowsky 2007; Helmke 2010; Hattie 2013).

Der zweite Punkt betrifft die Klassifikation der erhobenen Daten zu Unterrichtstypen. Bezüglich der Sozialformen haben wir auf der Basis von Clusteranalysen zunächst zwei Typen voneinander unterschieden: eher schülerzentrierte und eher lehrerzentrierte Lehr-Lern-Arrangements. Diese Dichotomie findet sich zwar auch in den Ausführungen von Wuttke/Seifried (2010, 118ff.), Gudjons (2007) und Wiechmann (2004, 334; 2009, 200) als „klassischer“ Frontalunterricht vs. integrierter Frontalunterricht, allerdings wird auch hier angeregt, die Typisierung auszudifferenzieren (vgl. u. a. Wiechmann 2009, 203).

Drittens zeigte sich in den ersten Erhebungen, dass insgesamt eher lehrerzentrierter Unterricht und frontale Lehrformen das Unterrichtsgeschehen dominieren, von denen wir wissen, dass diese zur Realisierung kognitiv anspruchsvoller Unterrichtsziele weniger geeignet sind (vgl. u. a. Wiechmann 2009, 202). Kooperative Lernformen finden sich hingegen nur selten im kaufmännischen Unterricht. Die Merkmale guten Unterrichts (vgl. u. a. Helmke 2010; Meyer 2013) beinhalten jedoch explizit Aspekte wie eine angemessene Methodenvariation, Methodenvielfalt oder adäquate Sozialformenwahl. Zwar findet sich in den Daten eine Varianz im Hinblick auf den Sozialformeneinsatz. Allerdings ist nicht klar, ob diese Varianz dadurch zustande kommt, dass alle Lehrkräfte ihren Unterricht ein wenig variieren oder nur einige wenige Lehrkräfte für die Varianz in den Daten und damit Abwechslung im Unterricht verantwortlich sind. Das heißt pointiert: Gibt es auf der einen Seite eher schülerzentriert unterrichtende Lehrkräfte und auf der anderen stabil lehrerzentriert unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer? Oder aber unterrichtet der überwiegende Teil der Lehrkräfte abwechslungsreich, sodass v. a. die Angemessenheit der vorgefundenen Methodenvariation insbesondere im Hinblick auf das kognitive Niveau der Unterrichtsziele und der dadurch tatsächlich realisierten Bildungswirkungen zur Disposition steht.

Auf diese Fragen und Anregungen wollen wir in diesem Beitrag eingehen. Zunächst werden wir einige Ausführungen zum theoretischen Hintergrund und zum Stand der Forschung voranstellen (Kap. 2) und anschließend das Design der dritten Erhebung darstellen (Kap. 3). In Abschnitt 4 werden die Befunde präsentiert und diskutiert, bevor der Beitrag mit einem kurzen Fazit endet (Kap. 5).

2 Theorie und Stand der Forschung

Die beobachtbaren Sozial- und Interaktionsstrukturen wie auch die Sequenzierung des Unterrichts entlang eines beobachtbaren Artikulationsschemas basieren auf multidimensionalen und miteinander korrespondierenden didaktischen Entscheidungen der Lehrenden im Planungsprozess und während des Unterrichtsgeschehens. Insofern fokussieren wir eine prozessbezogene Perspektive des Unterrichts und rekurrieren auf das Angebots-Nutzungs-Modell von Reusser/Pauli (2010). In diesem systematischen Rahmenmodell von Unterrichtsqualität und Lernwirksamkeit wird Unterricht als Angebot von Lerngelegenheiten im Kontext situativer, organisationaler, qualifikatorischer und curricularer Bedingungen aufgefasst. Die je spezifische Formation der Bedingungen hat wiederum Einfluss auf die Quantität und Qualität des Lehrangebotes, das einerseits im Zusammentreffen mit der Qualität der Angebotsnutzung seitens der Schülerinnen und Schüler den Unterrichtsprozess konstituiert und anderseits mehrdimensionale – auf den Unterrichtsprozess und die Schülermerkmale zurückwirkende – Lern- bzw. Bildungseffekte zur Folge hat. Unsere Perspektive richtet sich dabei primär auf den Unterrichtsprozess und die Angebotsseite und klammert die nutzungsbezogenen Stützsysteme, die Schülermerkmale und die mehrdimensionalen Bildungswirkungen zunächst aus.

Die Inhalts- und Prozessqualität dieses Angebots hat sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Dimension (vgl. Reusser/Pauli 2010, 18). Ein quantitatives Element stellt die echte Lernzeit dar (vgl. z. B. Helmke 2003; 2007; Lipowsky 2007, 27; Meyer 2013, 39-46; Hattie 2013, 218 ff.). Qualitative Elemente sieht Helmke (2010) bspw. in der Strukturiertheit und Klarheit, in Schülerorientierung, in der Modifizierung von Methoden und Sozialformen sowie in der Festigung und Sicherung der Lernergebnisse. Lipowsky (2007, 27) führt die Bedeutung von kooperativem Lernen, von thematischen Einführungen, der Klarheit der Arbeitsanweisungen und Aufgabenstellungen sowie von Übungs- und Wiederholungsphasen an (vgl. dazu auch Hattie 2013, 150f., 220f., 250-254). Meyer (2013) nennt u. a. Methodenvielfalt (Ausbalancierung der methodischen Großformen, Variabilität der Verlaufs- und Sozialformen, Vielfalt der Handlungsmuster) als Merkmal guten Unterrichts. Somit stellen Aspekte der Oberflächenstrukturen qualitative Prozessmerkmale des Unterrichtsangebots dar, die potentiell Einfluss auf die Lernwirkungen haben.

Wie wir bereits in vorangegangen Beiträgen herausgestellt haben (vgl. Götzl et al. 2013 und Jahn/Götzl 2014a) verdeutlicht der Forschungsstand zur prozessorientierten Unterrichtsmethodenforschung hinsichtlich des Sozialformeneinsatzes zwar einerseits einen Mangel an längs- bzw. (zeit-)querschnittlichen Untersuchungen sowie domänenspezifischen Befunden. Andererseits deuten trotz dessen die von uns herangezogenen Studien im Zeitraum von 1965 bis 2008 (vgl. Götzl et al. 2013, Tab. 1) auf eine relativ stabile domänenübergreifende Befundlage hin. Die in diesem Zeitraum durchgeführten Beobachtungs- und Befragungsstudien zeigen, dass lehrerzentrierte Unterrichtsmethoden nach wie vor die Unterrichtsrealität prägen und dass Lehrer-Schüler-Interaktionen und Lehrervorträge im Verbund mit Einzelarbeiten auch im kaufmännischen Bereich den weitaus größten Teil des Unterrichts einnehmen (vgl. insbesondere Wild 2000; Pätzold et al. 2003; Seifried et al. 2006 sowie in der Folge Götzl et al. 2013; Jahn/Götzl 2014a; 2014b).

Mit Blick auf die Rhythmisierung des Unterrichts über Artikulationsschemata mangelt es ebenso an domänenspezifischen Untersuchungen. Hage et al. (1985) haben in einer nunmehr schon 30 Jahre alten Beobachtungsstudie (N=181 Unterrichtsstunden) das Methodenrepertoire von Sekundarstufe-I-Lehrern in Haupt- und Gesamtschulen sowie in Gymnasien untersucht und dabei auch die Häufigkeit von Unterrichtsphasen erfasst. Ihre Ergebnisse (vgl. Tab. 1) weisen über verschiedene Schulformen hinweg auf eine deutliche Dominanz der Aneignungsphase hin, die sich auch in unseren ersten beiden Erhebungen als Erarbeitungsphase mit 53,9 % und 52,7 % zeigt (vgl. Jahn/Götzl 2014b).

Tabelle 1:     Verteilung der methodischen Sequenzen nach Schulformen in % (vgl. Hage 1985, 57)Tabelle 1: Verteilung der methodischen Sequenzen nach Schulformen in % (vgl. Hage 1985, 57)

Vor dem Hintergrund der skizzierten unsystematischen Befundlage haben wir weitere Untersuchungen durchgeführt, um langfristig eine (zeit-)querschnittliche Analyse anbieten zu können. Im Hinblick auf die differenzierten methodischen Zugriffsmöglichkeiten, haben wir uns für Beobachtungen entschieden, um die diesbezüglichen Diskrepanzen bei Befragungen (vgl. dazu insbesondere Seifried et al. 2006; Götzl et al. 2013; Jahn/Götzl 2014a) zu vermeiden und möglichst authentische Unterrichtsstrukturen zu erfassen und zu rekonstruieren. Die konzeptionelle Ausgestaltung der Beobachtungsstudien erfolgte einerseits unter Bezugnahme auf die Studie von Seifried et al. (2006). Andererseits haben wir deren Konzeptspezifikation modifiziert, die Erfassung von Unterrichtsphasen – in Anlehnung an den methodischen Grundrhythmus nach Meyer (2010b, 138; 2010a, 70 f.) – in die Untersuchung integriert und weitere angebotsseitige Merkmale des Unterrichts (vgl. Reusser/Pauli 2010) in den Blick genommen (s. u.).

3 Design der dritten Untersuchung

3.1 Fragestellungen für BESUB III

Wir haben uns für die dritte Erhebung verschiedene Fragen gestellt. Zunächst ging es darum, das Erhebungsinstrument in Bezug auf die Phasenstruktur auszudifferenzieren und zu prüfen, ob mit einem solchen modifizierten Instrumentarium an die bisherige Befundlage anschlussfähige Ergebnisse generiert werden können. Insgesamt schwingt hierbei die Frage mit, ob sich die bisherigen Ergebnisse replizieren lassen bzw. ob man von einer weitgehend reliablen Messung ausgehen kann. Auf Basis des erweiterten Instrumentariums sollen dann v. a. genauere Erkenntnisse über die Funktionalität von Unterrichtsphasen gewonnen werden. Ob Ergebnissicherungssequenzen der Übung und Wiederholung dienen, oder aber Anwendung und Transfer zum Ziel haben, bedeutet einen wesentlichen Unterschied im Hinblick auf die didaktischen Entscheidungen im Zusammenspiel mit den Zielen und Inhalten des Unterrichts. Zudem hat dies maßgeblich Auswirkungen auf das kognitive Niveau und die erzielbaren Lernwirkungen.

Ferner ging es darum, auf der Grundlage der Daten zu prüfen, inwieweit die identifizierten Sozialformentypen weiter ausdifferenziert werden können. Die weitere Ausdifferenzierung könnte das lehrerzentrierte Cluster in einen eher darstellenden und einen eher fragend-entwickelnden Typ aufspalten (vgl. Speth 2007, 183ff.).

Im Hinblick auf die Frage nach der Varianz in der methodischen Gestaltung bzw. nach der angemessenen Methodenvariation sollen in der dritten Erhebung auf der einen Seite zusammenhängende Unterrichtsreihen beobachtet werden und auf der anderen Seite die Unterrichtsprozessstrukturen von gleichen Lehrkräften in verschiedenen Unterrichtsstunden. So lässt sich eine Aussage treffen, ob alle Lehrkräfte ihren Unterricht ein wenig variieren oder nur wenige Lehrkräfte für die Varianz bezüglich des Sozialformeneinsatzes verantwortlich sind (Jahn/Götzl 2014, 75f.).

3.2 Darstellung des erweiterten Erhebungsinstrumentariums

Im Rahmen der Studien wurden standardisierte Beobachtungen durchgeführt, da – wie bereits angesprochen – Effekte sozialer Erwünschtheit, differenzierte Wahrnehmungen und subjektive Operationalisierungen zu Verzerrungen bei Befragungen von Schülerinnen und Schülern resp. Lehrkräften führen können (vgl. hierzu u. a. die Diskrepanzen bei Pätzold et al. 2003 und Seifried et al. 2006). Im Kontext der Beobachtungsstudie erfolgt eine zeitlich-quantitative Erfassung und Analyse des Sozialformeneinsatzes sowie der Rhythmisierung der Lehr-Lern-Arrangements entlang von Unterrichtsphasen innerhalb der echten Lernzeit. Die Konzeption zur minutengenauen Erfassung und Rekonstruktion der Unterrichtsprozesse verdeutlicht Abb. 1 (vgl. zur Operationalisierung Götzl/Jahn/Held 2013, 8ff.).

Im Mittelpunkt steht die Nutzung der Unterrichtszeit sowie die Anordnung und Verteilung der Zeit auf unterschiedliche methodische Aspekte. Qualitative Aspekte werden nicht direkt erfasst. Der Ausgangspunkt der Konzeptspezifikation ist die zur Verfügung stehende, nominelle Stundenzeit von 45 Min. pro Unterrichtsstunde. Diese Stundenzeit wird in genutzte und ungenutzteStundenzeit differenziert. Ungenutzte Stundenzeit entsteht aufgrund von Verspätungen, Unterbrechungen oder vorzeitiger Beendigung des Unterrichts. Die genutzte Stundenzeit setzt sich aus der echten Lernzeit und der sonstigen Unterrichtszeit zusammen. Die sonstige Unterrichtzeit entfällt auf Zeitanteile, die der ziel- und inhaltsorientierten Lernzeit nicht zugerechnet werden können. Das sind z. B. Belehrungen, Klassenbucheintragungen oder erhebliche Disziplinkonflikte sowie deren Bearbeitung. Es handelt sich demnach um relevante organisatorische oder disziplinarische Aktivitäten, die für das Funktionieren von Schule und Unterricht bedeutsam sind. Innerhalb der echten Lernzeit werden nun die zwei Dimensionen der didaktischen Gestaltung des Unterrichts (Sozialformen und Unterrichtphasen) fokussiert (s. Abb. 1).

Abbildung 1: Kategoriensystem der endogenen VariablenAbbildung 1: Kategoriensystem der endogenen Variablen

Lernzeit, Sozialformen und Phasen spielen als Merkmale der Oberflächenstruktur des Unterrichts entsprechend des Angebots-Nutzungs-Modells von Reusser/Pauli (2010) – hier als die beobachtbare Inszenierung des Unterrichtsprozesses – eine wichtige Rolle für das Unterrichtsgeschehen sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht. Sie werden zudem im Zusammenhang mit den Kriterien guten Unterrichts aufgegriffen (vgl. Lipowsky 2007; Helmke 2010; Meyer 2013; Hattie 2013). Auch wenn die empirische Lehr-Lern-Forschung mittlerweile Indizien geliefert hat, dass die Oberflächenstrukturen in geringerem Maße Unterschiede in den Bildungswirkungen erklären können als Elemente der Tiefenstrukturen des Unterrichts (wie bspw. Kognitive Aktivierung; vgl. Kunter/Trautwein 2013, 64ff., 85ff.; Leuders/Holzäpfel 2011; Kunter & Voss 2011; Klieme et al. 2006; Liposwky 2002 und kritisch Meyer 2014), ermöglichen diese doch überhaupt erst einen Rahmen, in dem Lehren und Lernen stattfinden kann.

Sozialformen bestimmen als je spezifische Arrangements die Beziehungs-, Kommunikations- und Interaktionsstrukturen im Unterricht (vgl. Meyer 2008, 136ff.). Meyer (2008, 138) führt all die verschiedenen Ansätze zur Systematisierung der Sozialformen auf einzig vier Ausprägungen zurück (Frontal-, Gruppenunterricht, Partner- und Einzelarbeit). Um die spezifischen Beziehungs-, Kommunikations- und Interaktionsstrukturen innerhalb des Frontalunterrichts feiner zu differenzieren, kann dieser auf einer weiteren Ebene in die vier Subkategorien Lehrervortrag, Schülervortag, Lehrer-Schüler-Interaktion und Klassendiskussion getrennt werden, die Meyer (2008, 124ff.; 2010b, 279-307) als (tradierte und akzeptierte) Handlungsmuster klassifiziert (vgl. Götzl/Jahn/Held 2013). Diese Systematisierung (s. Abb. 1) hat sich in den ersten beiden Erhebungen bewährt.

Ebenso wie bei der Differenzierung der Sozialformen existiert auch bez. der Verlaufsmuster als Teil der Mikrosequenzierung bzw. der Prozessstruktur von Unterricht eine vielfältige Bandbreite von (theorie-)spezifischen Unterrichtsphasen- bzw. Artikulationsschemata und Stufenkonzepten (vgl. u. a. Sievers 1984, 326; Meyer 2008, 155-207; Paradies 2009, 197ff.). Meyer (2008, 129-135; 2010a, 70f.) führt unter Rückbezug auf empirische Befunde von Hage et al. (1985, 57, 77-87) die vorliegende Vielfältigkeit auf den methodischen Dreischritt bzw. den „methodischen Grundrhythmus“ (Unterrichts-)Einstieg, Erarbeitung und Ergebnissicherung zurück. Dieser Dreischritt wurde in den ersten Erhebungen um einen vierten Schritt, die (inhalts- und zielorientierten) „Arbeitsanweisungen und Organisation des Lehr-Lern-Arrangements“ (kurz: Lernorganisation) erweitert, um diese zentrale „Gelenkstelle“ im Unterrichtsprozess in besonderem Maße zu berücksichtigen. Sie sollte u. E. gerade im handlungs- und schülerorientierten Unterricht signifikante Zeitanteile beanspruchen. Die Bedeutung dieser Phase, die ca. 5 % der echten Lernzeit ausmacht, wurde bereits in den ersten beiden Erhebungen empirisch bestätigt.

Im Kontext der Weiterentwicklung des Instrumentariums wurde entsprechend der oben diskutierten Aspekte die Phasenstruktur ausdifferenziert. Während wir bislang also vier Phasen unterschieden haben, werden in der dritten Erhebung, die Phasen des Einstiegs und der Ergebnissicherung weiter zergliedert, um die möglicherweise differenzierte Funktionalität dieser Phasen abzubilden. In Anlehnung an die Arbeiten von Hage et al. (1985), die die Phasen als „Didaktische Funktionen“ bezeichnen, haben wir das Schema wie im Weiteren beschrieben modifiziert.

Hage et al. (1985) unterscheiden in ihrer Untersuchung unter Bezug auf Formalstufenkonzepte folgende Phasen des Unterrichts: Einführungsphasen, Aneignungsphasen, Wiederholungsphasen, Anwendungsphasen, Kontrollphasen, Übungsphasen, Systematisierungsphasen sowie Phasen der Anknüpfung an Erfahrungen (vgl. Tab. 1). Diese beschreiben also die „(…) Funktion, die eine Unterrichtssequenz innerhalb eines übergreifenden didaktischen Zusammenhangs besitzt“ (ebd., 34). Im Hinblick auf die Einführung unterscheiden sich die Ausführungen und Operationalisierungen von Hage et al. (1985) kaum von unserem Ursprungskonzept. Sie führen systematisch einen neuen Lerngegenstand ein. Mit Blick auf die funktionale Differenzierung weisen sie aber darauf hin, dass es sowohl rein informative, orientierende Einstiege als auch motivierende, problemorientierte Einstiege geben kann, sodass wir die Unterrichtseinstiege in einen eher orientierenden und eher motivierendenEinstieg aufteilen. Zudem ist aus lerntheoretischer Perspektive die Anknüpfung an Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler ein wichtiges Element in Einstiegsphasen (vgl. auch Paradies 2009, 199). Diesen Aspekt nehmen wir zunächst als motivierendes Element von Einstiegen auf. Die Phase der Aneignung entspricht unserer Erarbeitungsphase. Interessant sind die weiteren Phasen, die in ihrer Funktionalität weitgehend einen ergebnissichernden Charakter haben. Wiederholungen dienen der unmittelbaren Reproduktion bereits vermittelten Wissens. Übungen dienen der Automatisierung von gedanklichen und praktischen Abläufen. Im Kontrast dazu dient die Anwendung (und der Transfer) dazu das Gelernte auf eine neue vorgegebene Situation, Aufgabe oder Problemstellung zu übertragen. Systematisierende Unterrichtsphasen sollen Zusammenhänge zwischen den Inhalten verschiedener Unterrichtssequenzen aufzeigen und haben eine generalisierende und abstrahierende Funktion – man kann sie sowohl als Erarbeitung als auch Ergebnissicherung verstehen. Während diese Phase in der einfachen Struktur noch eher als Erarbeitung angesehen wurde, haben wir sie in der ausdifferenzierten Phasenstruktur als Subkategorie der Ergebnissicherung integriert, da sie bei Hage et al. (1985) in Abgrenzung zur Phase der Aneignung dargestellt wird. Dies ist nicht ohne Folgen geblieben, wie wir weiter unten zeigen werden. Abschließend ermitteln Kontroll- und Beurteilungsphasen, auf welchem Lern- und Leistungsstand die Schülerinnen und Schüler sich befinden (vgl. Hage et al. 1985, 34ff.).

Neben diesen endogenen Merkmalen der Unterrichtsprozessstrukturen wurden vor dem Hintergrund des theoretischen Rahmens eines Angebots-Nutzungsmodells von Reusser/Pauli (2010) weitere Merkmale der Unterrichtsstunden erfasst, die das Angebot beeinflussen (z. B. Lerninhalte, Schulformen, Klassenkontext, Typ und Lage der Stunde, Merkmale der Lehrkraft und der Schulorganisation). Zudem wurden die Beobachtungen – wie schon in der zweiten Erhebung – ergänzt um narrative Unterrichtsprotokolle, um mehr über das tatsächliche Unterrichtsgeschehen zu erfahren und Erklärungsansätze für methodische Wechsel im Unterrichtsprozess, für Unterbrechungen, für sonstige Unterrichtszeit oder kontraintuitive Unterrichtssequenzen zu gewinnen.

3.3 Datenerhebung und Stichprobe

Die Datenerhebung der 324 Unterrichtsstunden erfolgte 2014 an 18 Berufsbildenden Schulen verteilt über 6 Bundesländer. Die 21 Beobachterinnen und Beobachter erhielten im Vorfeld eine Beobachterschulung inkl. Simulationen und Einführung in das Beobachterhandbuch, um weitgehend Objektivität zu gewährleisten. Das standardisierte Erhebungsinstrument basiert auf dem dargestellten Kategoriensystem (vgl. Abb. 1). Die Intercoder-Reliabilität (gemessen durch zwei unabhängige Beobachterinnen) liegt mit rHolsti=.88 in einem immer noch guten Bereich (vgl. Lombard/Snyder-Duch/Bracken 2002). Tab. 2 zeigt die Zusammensetzung der bereinigten Stichprobe[1].

Tabelle 2:     Kurzdarstellung der Erhebungen und ausgewählter MerkmaleTabelle 2: Kurzdarstellung der Erhebungen und ausgewählter Merkmale

4 Ergebnisse

4.1 Deskriptive Befunde I: Vergleich der Erhebungen

In einem ersten Schritt werden ausgewählte deskriptive Befunde bez. der Nutzung der Unterrichtszeit, der methodischen Gestaltung des Unterrichts über Sozialformen sowie dessen Rhythmisierung über Unterrichtsphasen präsentiert und kurz diskutiert. In diesem Kontext geht es darum, darzustellen, dass die Ergebnisse bez. dieser Unterrichtsmerkmale und insbesondere die Kernaussagen über die einzelnen Erhebungen hinweg weitgehend stabil sind.

So lassen sich in Bezug auf die Zeitnutzung kaum Unterschiede identifizieren (s. Tab. 3). Ca. 39 Min. des Unterrichts werden ziel- und inhaltsorientiert – als echte Lernzeit – genutzt (vgl. dazu auch die Ergebnisse bei Seifried et al. 2006). Kritisch anzumerken ist der Begriff der echten Lernzeit im Kontext unserer Erhebungen, die – wie einführend erwähnt – Unterricht als Angebot der Lehrkraft betrachten. Es werden also primär die Lehraktivitäten bzw. das Lehren fokussiert und weniger das Lernen der Schülerinnen und Schüler. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob man von echter Lernzeit oder aber besser von echter Lehrzeit sprechen sollte. Wir werden im Folgenden bei dem eingeführten Begriff der echten Lernzeit bleiben, da dieser als weitgehend etabliert gilt (vgl. u. a. Meyer 2013, 39ff.).

Tabelle 3:     Zeitnutzung im UnterrichtTabelle 3: Zeitnutzung im Unterricht

Festzuhalten ist ferner, dass die verbleibenden 6 Minuten nicht ungenutzt verstreichen, sondern in erheblichem Maße für lernfremden Organisationsaufwand oder aber für Prävention und Intervention von Konflikten und Störungen verwendet werden. Beides ist für das Funktionieren von Schule als Organisation und als soziales Gefüge notwendig. Analog zur Zeitnutzung lassen sich bei der methodischen Gestaltung des Unterrichts entlang von Sozialformen vergleichbare Befunde über die drei Erhebungen hinweg generieren (s. Tab. 4). Im Durchschnitt wird der Unterricht zu ca. 70 % mit Methoden des Frontalunterrichts gestaltet. Hierbei dominiert das klassische Unterrichtsgespräch, gefolgt vom Lehrervortrag. Die von den Schülerinnen und Schülern geprägten Formen der Klassendiskussionen und des Schülervortrags – die gerade auch in handlungsorientierten Lehr-Lern-Arrangements Bedeutung haben sollten – finden sich hingegen kaum. Ebenso werden kooperative Lehr-Lern-Formen eher selten eingesetzt (ca. 10 %). Einzelarbeiten prägen die echte Lernzeit mit ca. 20 %. Es wird zudem sichtbar, dass eher schüleraktive und kooperative Lehr-Lern-Formen – wenn sie denn gewählt werden – signifikante Zeitanteile des Unterrichts beanspruchen.

Tabelle 4:     Methodische Gestaltung des Unterrichts entlang von Sozialformen (SF)Tabelle 4: Methodische Gestaltung des Unterrichts entlang von Sozialformen (SF)

Die Rhythmisierung des Unterrichts entlang von Unterrichtsphasen ist differenzierter zu betrachten (vgl. Tab. 5). Bei der Gegenüberstellung der Ergebnisse auf der Grundlage des noch nicht ausdifferenzierten Phasenschemas fallen Unterschiede zwischen den ersten beiden sowie der dritten Erhebung auf. Zwar prägen in allen Erhebungen Erarbeitungs- und Ergebnissicherungsphasen maßgeblich die echte Lernzeit, allerdings verliert sich in der dritten Erhebung die Dominanz der Erarbeitung gegenüber der Ergebnissicherung – was zudem den Befunden von Hage et al. (1985) widerspricht. Unterrichtseinstiege und Lernorganisation spielen zwar eine wichtige, zeitlich gesehen allerdings eine untergeordnete, Rolle im Unterricht.

Tabelle 5:     Rhythmisierung des Unterrichts entlang von Unterrichtsphasen (PH)Tabelle 5: Rhythmisierung des Unterrichts entlang von Unterrichtsphasen (PH)

Die Verschiebung der Befunde zugunsten der Ergebnissicherung kann nicht allein durch eine veränderte Struktur in der Stichprobe oder Zufall erklärt werden. Vielmehr ist erstens anzunehmen, dass die Veränderung des Erhebungsinstruments, insbesondere hinsichtlich der Ergebnissicherungsphase und die entsprechend erweiterten Operationalisierungen dazu geführt haben, dass die Beobachter dieser Phase mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die neu ausdifferenzierte Operationalisierung führte vermutlich dazu, dass Unterrichtssequenzen, die vormals der Erarbeitung zugeordnet wurden, nunmehr u. a. als systematisierende Ergebnissicherungsphasen klassifiziert werden. Wir haben bereits oben darauf hingewiesen, dass die Phase der Systematisierung, in der Zusammenhänge zwischen den Inhalten verschiedener Unterrichtssequenzen aufgezeigt werden und die eine generalisierende und abstrahierende Funktion hat, sowohl als Erarbeitung als auch Ergebnissicherung verstanden werden kann. Mit Blick auf die Befunde des ausdifferenzierten Phasenschemas (vgl. Tab. 6, s. u.) wird ersichtlich, dass diese Phase ca. 10 % der echten Lernzeit ausmacht. Würde man diese nun der Erarbeitung zurechnen, träfen die Befunde relativ exakt den Korridor der ersten beiden Erhebungen.

Als zweite Erklärung ist darauf hin zu weisen, dass in der dritten Erhebung verstärkt eine Beobachtung zusammenhängender Unterrichtsreihen von bis zu 16 Unterrichtsstunden erfolgte. Dies hat für die Beobachtungen den Effekt, dass die Beobachterinnen und Beobachter einen deutlich tieferen Einblick in die prozessuale Sequenzierung des Unterrichts gewinnen, der ihnen die Zuordnung einzelner Sequenzen als Erarbeitung oder Ergebnissicherung erleichtert. Ob bspw. eine Sequenz der Aneignung oder Wiederholung dient, erschließt sich u. U. erst aus der Kenntnis des stundenübergreifenden Unterrichtsverlaufs. Dies gilt im Übrigen analog für die Einführungsphasen.

Zusammenfassend kann man an dieser Stelle festhalten, dass – auch wenn bei den Phasen durch das ausdifferenzierte Instrument leichte Unterschiede auftreten – die Erhebungen eine sehr stabile Befundlage generieren, und zwar sowohl bezüglich der Kernaussagen als auch vieler Details. Dies spricht für eine gewisse Zuverlässigkeit der Erhebungen, die von unterschiedlichen Beobachterinnen und Beobachtern mit einem jeweils leicht modifizierten Instrumentarium, bei unterschiedlichen Lehrkräften, in unterschiedlichen Schulen und Schulformen mit unterschiedlichen Klassen zu teils ähnlichen, teils identischen Befunden führten.

4.2 Deskriptive Befunde II: Ausdifferenzierung des Phasenschemas

Die Ergebnisse im Hinblick auf das neue, ausdifferenzierte Phasenschema zeigt Tab. 6. Mit Bezug auf die Funktionalität der Phasen ergibt sich aus unserer Sicht – vor dem Hintergrund lerntheoretischer Annahmen und den Konzepten der Handlungs- und Situationsorientierung – ein ernüchterndes Bild. Hinsichtlich der Einführungsphasen ist zu konstatieren, dass motivierende Einstiegsphasen eher selten auftreten: Problemorientierte Einstiege oder das Anknüpfen an Vorerfahrungen kommen kaum vor. Ob dieser Befund zu den Zielen des situationsorientierten Lernfeldkonzepts passt, ist fraglich. Vielmehr scheinen Lehrkräfte eher über das Thema oder den geplanten Stundenverlauf zu informieren. In den narrativen Protokollen finden sich dann häufig Beschreibungen, wie „die Lehrkraft stellt das Thema vor“ bzw. „der Lehrer informiert über den Ablauf der Stunde“.

Tabelle 6:     Rhythmisierung des Unterrichts entlang von Unterrichtsphasen entsprechend des ausdifferenzierten PhasenschemasTabelle 6: Rhythmisierung des Unterrichts entlang von Unterrichtsphasen entsprechend des ausdifferenzierten Phasenschemas

Deutlicher noch werden die Befunde zur Ergebnissicherung. Ergebnissicherung im kaufmännischen Unterricht bedeutet zu 80 % Kontrolle, Wiederholung und Übung. Lediglich 2 % der echten Lernzeit entfällt gemäß der Beobachtungen hingegen auf anwendungs- und transferorientierte Ergebnissicherungsphasen. Somit bleibt das Unterrichtsgeschehen hinsichtlich der Ergebnissicherung vor allem auf die Reproduktion und Sicherung erworbener Kenntnisse und Techniken unter einem allenfalls sehr engen Transfers dieses Wissens auf artgleiche Aufgabenstellungen (Übung) begrenzt. Ebenso haben Hage et al. (1985) herausgefunden, dass der Anwendungsbezug kaum eine Rolle spielt und nur sehr selten an Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler angeknüpft wird. Sie konstatieren in der Folge: „Gerade das […] zeigt, daß der in den letzten Jahren wieder verstärkt diskutierte Erfahrungsbezug (Stichwort: Handlungsorientierung) im staatlichen Schulsystem kaum einen Niederschlag gefunden hat“ (Hage et al. 1985, 46f.). Auch wenn wir weder die Qualität des Unterrichtsgeschehens noch die affektiven und kognitiven Wirkungen auf Schülerinnen und Schüler erfassen, spricht dieser Befund nicht gerade dafür, dass im kaufmännischen Unterricht kognitiv hohe Niveaustufen erreicht werden, wenn es hauptsächlich um die Reproduktion und Sicherung von Wissen und Techniken geht. Allein die noch relativ große Bedeutung der Systematisierungsphase (9,1 %) stimmt etwas zuversichtlich. Insgesamt dürfte man jedoch auf der Basis dieser Befunde – und in Verbindung mit den Befunden zum Sozialformeneinsatz – begründet bezweifeln, dass handlungs- und situationsorientierter Unterricht – trotz der curricularen Vorgaben, trotz der Bemühungen der Lehrerbildung und trotz der wissenschaftlichen Diskurse – unter dem Rahmen derartiger Oberflächenstrukturen in der Breite, häufig stattfindet.

In der nachfolgenden Tab. 7 sind die Unterrichtsphasen differenziert nach Lerngebieten i. w. S. in Anlehnung an die von Seifried et al. (2006, 239) vorgenommene Gliederung dargestellt. Es fällt auf, dass sich insbesondere der Rechnungswesenunterricht vom übrigen kaufmännischen Unterricht abhebt. Wie bereits im Rahmen der ersten Erhebung (Götzl et al. 2013, 13) dargestellt, ist der Rechnungswesenunterricht in stärkerem Maße durch Ergebnissicherungsphasen geprägt. Gleichsam treten die Unterschiede aus oben genannten Gründen hier deutlicher zutage und können nunmehr funktional differenziert dargestellt werden.

Die Unterschiede sind demnach vor allem auf einen deutlich höheren Anteil an Übungsphasen zurückzuführen. Im übrigen kaufmännischen Unterricht spielen Übungssequenzen eine eher geringe Rolle. Dieser Befund deckt sich mit der Einschätzung von Meyer (2013, 107f.), der unter Bezug auf Hage et al. (1985, 57) konstatiert, dass „[d]as „reine“ Üben im Schulalltag marginalisiert worden [ist]“ (Meyer 2013, 108), wenngleich er auch anmerkt, dass inzwischen ein Perspektivwechsel stattgefunden hat, zu dem auch die PISA-Ergebnisse beigetragen haben sollen.

Bezüglich der Kontrollphasen zeigt sich auf den ersten Blick zwischen den Lerngebieten zwar kein erheblicher Unterschied. Bei genauerer Betrachtung fällt hingegen auf, dass die Relation von Übung und Kontrolle zwischen Rechnungswesen und BWL variiert. Obwohl im BWL-Unterricht kaum Übungsphasen stattfinden, wird hier genauso viel kontrolliert. Eine potentielle Erklärung hierfür liefern die narrativen Protokolle. Demnach folgt die kontrollierende Ergebnissicherung häufig auf schülerorientierte Erarbeitungsphasen oder aber sie dient der Kontrolle von Hausaufgaben. Hierfür spricht auch der erhöhte Anteil an Gruppenarbeiten sowie Schülervorträgen im BWL-Unterricht (vgl. Götzl et al. 2013, 12).

Zudem kann festgehalten werden, dass im Rechnungswesen die Lernorganisationsphasen trotz eines größeren Übungsanteils weniger Zeit beanspruchen. Dies ist vermutlich auch auf die eben vorgetragenen Argumente zurückzuführen, da erstens für Übungen im Rechnungswesenunterricht – die vorwiegend in Einzelarbeit stattfinden – aufgrund einer geringeren Komplexität (als bspw. bei Gruppenarbeiten) weniger Organisationszeit notwendig ist. Zweitens sind die Schülerinnen und Schüler – sofern man davon ausgeht, dass es sich hierbei um ein häufig verwendetes Inszenierungsmuster handelt – an die diesbezügliche Vorgehensweise bei der Ergebnissicherung gewöhnt, sodass der Organisationsaufwand geringer ausfällt.

Tabelle 7:     Unterrichtsphasen entsprechend des ausdifferenzierten Schemas nach Lerngebieten i. w. S.

4.3 Ausdifferenzierung der Unterrichtstypen

Im Rahmen der Auswertung der ersten Erhebungen haben wir über die deskriptive Analyse hinaus die Befunde mittels Clusteranalysen so systematisiert, dass sich Typen – bezogen auf einzelne Unterrichtsstunden entsprechend der nominellen 45-Minuten-Taktung – bilden lassen. Diese Typen betreffen sowohl die Sozialformen als auch die Unterrichtsphasen, wobei wir im Folgenden die Sozialformentypen fokussieren. In Bezug auf die Ergebnisse der Clusteranalysen hinsichtlich der Sozialformen können zunächst zwei Typen voneinander unterscheiden werden: eher schülerzentrierte und eher lehrerzentrierte Lehr-Lern-Arrangements. In eher lehrerzentrierten Lehr-Lern-Arrangements kommen nahezu ausschließlich Lehrgespräche, Lehrervorträge und Einzelarbeiten vor, was vermutlich mit einem eher klassisch-instruktionalen Lehr-Lern-Verständnis korrespondiert. Eher schülerzentrierte Lehr-Lern-Arrangements enthalten zwar auch Lehrervorträge und Lehrgespräche, bestehen aber nun in signifikantem Maße vor allem auch aus Gruppen- und Partnerarbeiten sowie Schülervorträgen oder Klassendiskussionen (vgl. Jahn/Götzl 2014a, 65ff.). Eine vergleichbare Unterscheidung findet sich auch bei Wuttke/Seifried (2010, 118ff.), Gudjons (2007) und Wiechmann (2004, 334; 2009, 200) als „klassischer“ Frontalunterricht vs. integrierter Frontalunterricht. Allerdings wird angeregt, die Typisierung auszudifferenzieren (s. o.; vgl. u. a. Wiechmann 2009, 203).

Eine weitere Ausdifferenzierung könnte vor dem Hintergrund der Aktionsformen nach Speth (2007, 183ff.) das lehrerzentrierte Cluster in einen eher darstellenden und einen eher fragend-entwickelnden Typ zerlegen. Das eher schülerzentrierten Cluster würde dann entsprechend dieser Gliederung mit der Vorstellung eines eher entdecken-lassenden Lernens korrespondieren, wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass keine Aktionsformen i. e. S. beobachtet wurden.

Abbildung 2: Ausdifferenzierung der SozialformentypenAbbildung 2: Ausdifferenzierung der Sozialformentypen

Empirisch hat sich jedoch gezeigt, dass bei einer Ausdifferenzierung der Typisierung in eine drei-Cluster-Lösung zunächst das eher schülerzentrierte Cluster in zwei Subtypen zerfällt (vgl. Abb. 2). Es lässt sich einerseits ein eher kooperativ-schülerzentriertes Lehr-Lern-Arrangement bezogen auf einzelne Unterrichtsstunden identifizieren, indem nun Partner- und Gruppenarbeiten in erhöhtem Maße vorkommen. Andererseits entsteht ein Subtyp, der durch Schülervorträge und Klassendiskussionen geprägt ist, der aber trotz dessen weiterhin auch Anteile von Lehrgesprächen und Lehrervorträgen beinhaltet. Wir bezeichnen diesen daher als einen eher kommunikativ-schülerzentrierten Unterricht. Erst auf der Grundlage einer 4-Cluster-Lösung zeigt sich die erwartete Ausdifferenzierung der eher lehrerzentrierten Lehr-Lern-Arrangements (vgl. im Detail Abb. 3). Zum einen bestehen eher fragend-entwickelnde-lehrerzentrierte Unterrichtsstunden aus sehr hohen Anteilen an Lehrgesprächen, die damit das Unterrichtsgeschehen als charakteristisches Element maßgeblich prägen. Daneben spielen hier auch Einzelarbeiten eine Rolle. Zum anderen zerfällt das lehrerzentrierte Cluster in einen eher darstellenden Typ, der fast ausschließlich durch Lehrervorträge geprägt ist.

Abbildung 3: 4-Clusterlösung der Sozialformentypen (BESUB I & II)Abbildung 3: 4-Clusterlösung der Sozialformentypen (BESUB I & II)

Diese Typisierung entsprechend der skizzierten vier Subtypen von Stunden im kaufmännischen Unterricht lässt sich im Rahmen der dritten Erhebung replizieren (vgl. Abb. 4).

Abbildung 4: 4-Clusterlösung der Sozialformentypen (BESUB III)Abbildung 4: 4-Clusterlösung der Sozialformentypen (BESUB III)

Bezüglich der Verteilung dieser Typen ist vor dem Hintergrund der deskriptiven Ergebnisse wenig überraschend festzuhalten, dass auf die lehrerzentrierten Subtypen des eher fragend-entwickelnden und eher darstellenden Typs mehr als 75 % der Unterrichtsstunden entfallen. Dass ein Großteil der Unterrichtsstunden (55 %) dem fragend-entwickelnden Unterrichtstyp zugeordnet werden, ist auch vor dem Hintergrund der empirischen Befunde von Pätzold et al. (2003) erwartungskonform.

4.4 Methodenvariation in Unterrichtsreihen

Im Hinblick auf die Frage nach der Varianz in der methodischen Gestaltung bzw. nach der angemessenen Methodenvariation geht es darum, in einer stärker strukturierten Stichprobe einerseits zusammenhängende Unterrichtsreihen zu beobachten bzw. Unterrichtsprozessstrukturen von gleichen Lehrkräften in verschiedenen Unterrichtsstunden zu erheben. Dies zielt auf die Frage, inwieweit in längeren Beobachtungszeiträumen eine Methodenvariation des Unterrichtsgeschehens stattfindet (vgl. Jahn/Götzl 2014, 75f.).

Tabelle 8:     Typisierung der Unterrichtsstunden (US) innerhalb von Unterrichtsreihen entsprechend der 4-Clusterlösung der SozialformentypenTabelle 8: Typisierung der Unterrichtsstunden (US) innerhalb von Unterrichtsreihen entsprechend der 4-Clusterlösung der Sozialformentypen

Bei der Betrachtung von Tab. 8 wird deutlich, dass in Unterrichtsreihen (hier dargestellt als zusammenhängende, aufeinanderfolgende Unterrichtsstunden) sowohl eher schülerzentrierte als auch lehrerzentrierte Lehr-Lern-Arrangements auftreten. Dies spricht dafür, dass wie einleitend angesprochen wurde, Unterricht ein gewisses Maß an Methodenvariation aufweist. Zwar existieren auch Reihen bzw. Ausschnitte aus Reihen, die ausschließlich als eher lehrerzentriert typisiert werden und dort teilweise nur einem der Subtypen entsprechen (vgl. z. B. Reihe 7, 8, 9 und 15), sodass man möglicherweise von einer Art stabilen Inszenierungsmuster sprechen kann, allerdings sind diese Fälle solche Unterrichtreihen, in denen nur wenige Unterrichtsstunden beobachtet wurden. In längeren Unterrichtsreihen finden sich dann auch eher schülerzentrierte Unterrichtsstunden (vgl. z. B. Reihe 1, 4, 12 und 19).

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Betrachtung von Tab. 9. Hier sind nun Unterrichtsstunden dargestellt, die – nicht zwingend zusammenhängend – bei gleichen Lehrkräften erhoben wurden. Auch hier wird deutlich, dass bei den Lehrkräften, von denen mindestens zehn Unterrichtsstunden beobachtet wurden, die einzelnen Stunden sowohl den eher lehrerzentrierten als auch schülerzentrierten Unterrichtstypen zugeordnet wurden (vgl. z. B. Lehrkraft 2, 10, 11 und 14). Insofern ist ein Indiz gegeben, dass die Varianz hinsichtlich des Sozialformeneinsatzes nicht darauf zurückzuführen ist, dass es einerseits ausschließlich lehrerzentriert unterrichtende Lehrkräfte und andererseits häufig schülerzentriert unterrichtende Lehrkräfte gibt, sondern dass der überwiegende Teil der Lehrkräfte innerhalb von zusammenhängenden Unterrichtsreihen eine methodische Variation im Hinblick auf den Sozialformeneinsatz erkennen lässt.

Tabelle 9:     Typisierung der Unterrichtsstunden (US) innerhalb von Unterrichtsreihen entsprechend der 4-Clusterlösung der SozialformentypenTabelle 9: Typisierung der Unterrichtsstunden (US) innerhalb von Unterrichtsreihen entsprechend der 4-Clusterlösung der Sozialformentypen

Außerdem wird in Tab. 9 eine Varianz beim Einsatz eher schülerzentrierten Unterrichts deutlich. Während die Lehrkräfte 14 und 16 jeweils nur in einer einzigen Unterrichtsstunde ein eher kooperativ-schülerzentriertes Setting anbieten, gibt es Lehrkräfte, z. B. 11 und 25, bei denen die Hälfte aller Unterrichtsstunden als eher schülerzentriert beschreiben werden können. Insofern stellt sich die Frage nach dem Maß der Angemessenheit der vorgefundenen höheren oder niedrigeren Methodenvariation und den Kriterien anhand derer insbesondere Lehrkräfte diese festmachen.

5 Fazit

Wie eingangs thematisiert, wird als ein Merkmal guten Unterrichts weitgehend einhellig eine „angemessene“ Methodenvariation gefordert, die vor dem Hintergrund didaktischer Überlegungen zu Handlungs- und Schülerorientierung bestimmte Anteile kooperativer Lehr-Lern-Formen aber auch von Schülervorträgen und Klassendiskussionen erwarten lassen. Die Befunde zeigen allerdings, dass gerade diese Lehr-Lern-Formen eher selten zum Einsatz kommen. Gleichzeitig besteht ein gewisses Maß an Variation in der methodischen Gestaltung.

Ob dies hinreichend (angemessen) ist, kann zwar noch nicht abschließend bewertet werden. Wir gehen allerdings davon aus, dass die identifizierte eher lehrerzentrierte Ausrichtung der Unterrichtsrealität aus einer präskriptiv-fachdidaktischen Perspektive den gesetzten Ansprüchen an Variation nicht gerecht wird. Trotz der wirtschaftspädagogischen Diskurse der vergangenen Jahre herrscht in der kaufmännischen Schule nach wie vor der (schulbuchgesteuerte) darbietende oder fragend-entwickelnde Frontalunterricht vor (vgl. Czycholl 1991, 178; Pätzold 1992, 15).

Gerade dies ist jedoch vor dem Hintergrund der wirtschaftsdidaktischen Konzepte und der Ergebnisse der Lehr-Lern-Forschung als problematisch zu beurteilen. So weisen Seifried und Sembill in ihren Arbeiten darauf hin, dass Lerngruppen in selbstorganisationsoffenen Lehr-Lern-Arrangements gegenüber Kontrollgruppen in traditionellen Lernumgebungen (i. S. e. klassischen, fragend-entwickelnden Frontalunterricht) auf kognitiver sowie emotional-motivationaler Ebene bessere Lernwirkungen entfalten (vgl. Seifried et al. 2006, 237; zudem Sembill et al. 1998; Wuttke 1999; Sembill 2000; 2004; Seifried 2004). Insbesondere die motivationalen und emotionalen Wirkungen eines schülerorientierten Unterrichts ermöglichen die aktive und selbstbestimmte Auseinandersetzung mit Lerninhalten in stärkerem Maße als frontale Methoden (vgl. Seifried/Klüber 2006). Wie Seifried et al. (2005) ausführen, bedarf es im Kontext der Diskussion um die Steigerung der Unterrichtsqualität in Berufsbildenden Schulen neben der didaktisch-curricularen Diskussion über die Fragen der Auswahl, Begründung und Anordnung von Zielen und Inhalte des Unterrichts wieder eine verstärkte – und zugleich fachdidaktisch kontextualisierte – Auseinandersetzung mit methodischen Fragestellungen. Konzepte der Handlungsorientierung sind daher erneut und verstärkt im Bewusstsein der Lehrerinnen und Lehrer zu verankern, und zwar nicht – wie von Seifried et al. (2005) unter Bezug auf Achtenhagen (1994) beschrieben – indem man traditionellen Unterricht hier und dort partiell mit kooperativen, schüleraktiven Methoden anreichert. Diese Art „Wuseldidaktik“ dürfte kaum den Zielen Handlungsorientierten Unterrichtes entsprechen. Gleichsam finden sich Indizien hierfür nicht nur in den Übersichten zu den Unterrichtsreihen (s. Tab. 8). Insbesondere in den Verlaufsmustern (vgl. Jahn/Götzl 2014a) ganzer Unterrichtsreihen lässt sich mehrfach ein unsystematisches, partielles Einstreuen von Gruppenarbeit allein der Gruppenarbeit wegen erkennen.

Die Ursachen für die identifizierte traditionelle Durchführung von Unterricht in einem fragend-entwickelnden Modus sind zum einen in dem weitgehend statischen institutionellen Rahmen der Organisation Schule zu suchen (vgl. Reinisch 1999; 2003). Zum anderen spielt die Sozialisation der Lernenden in den allgemeinbildenden Schulen aber auch die der Lehrenden während der eigenen Schulzeit sowie im universitären Ausbildungsprozess, insbesondere in Bezug auf die fachwissenschaftliche Ausbildung zukünftiger Handelslehrer/innen, eine Rolle. Viele Lehrkräfte argumentieren, dass durch die zunehmende Stoffmenge – sicherlich aber auch durch die Anforderungen des Lernfeldansatzes sowie die Prüfungsanforderungen der Zeitdruck im Unterricht steigt und der Lernprozess sich über traditionelle lehrerzentrierte Lehr-Lern-Formen effizienter und sicherer planen und gestalten lässt (vgl. Pätzold 1992, 15; Speth 1994, 136; Pätzold et al. 2003, 141ff.).

Insofern ist eine Bewertung, ob das vorgefundene – im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägte – Maß an methodischer Variation hinreichend ist, vorsichtig vorzunehmen. Insbesondere die je spezifische Abhängigkeit der methodischen Gestaltung von den konkreten Zielen und Inhalten wird nach wie vor außer Acht gelassen. Darüber hinaus ist ohnehin fraglich, wer die Definitionshoheit bezüglich eines solchen Maßstabes hat. Insofern mögen Lehrkräfte auf der Basis ihrer eigenen Unterrichtserfahrungen, Ziele und Überzeugungen aber auch aufgrund der ihnen auferlegten organisationalen und curricularen Zwänge andere Vorstellung und Begründungen bezüglich dieses Maßstabes haben. Und solange die empirische Bildungsforschung an dieser Stelle noch nicht in der Lage ist, auf der Basis von Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der methodischen Variation und mehrdimensionalen Bildungswirkungen domänenspezifische Empfehlungen für einen solchen Maßstab zu generieren, wird es weiterhin vor allem darauf ankommen, dass Lehrkräfte in Auseinandersetzung mit empirischen Befunden und fachdidaktischen Konzepten ein professionelles methodisches Handlungsrepertoire besitzen, mit dem sie den Lernenden ein differenziertes Angebot in Abhängigkeit unterschiedlicher Ziele und Inhalte sowie unter Berücksichtigung der Spezifika der Lernenden unterbreiten.

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[1] Bereinigt wurde der Datensatz um die Beobachtungsbögen, die u. a. aufgrund unvollständiger Angaben oder fehlender abgrenzbarer Zuordnungen nicht auswertbar waren.

Zitieren des Beitrags

Jahn, R./Goetzl, M. (2015): BESUB III – Zur Beschreibung der Sichtstrukturen kaufmännischen Unterrichts entlang von Sozialformen und Unterrichtsphasen – Ergebnisse einer vertiefenden Analyse mit einem ausdifferenzierten Erhebungsinstrument.In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 28, 1-24. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe28/jahn_goetzl_bwpat28.pdf (22-06-2015).