bwp@ 35 - Dezember 2018

Ökonomisierung in der Bildung und ökonomische Bildung

Hrsg.: Karin Büchter, Tade Tramm & Jens Klusmeyer

Unterfinanzierung – Ökonomisierung – Ökonomische Bildung

Beitrag von Ilka Hoffmann & Ansgar Klinger
bwp@-Format: Diskussionsbeiträge
Schlüsselwörter: Bildungsfinanzierung, Privatisierung, Neue Steuerung, Ökonomische Bildung, Employability

Das in Deutschland – auch im internationalen Vergleich – unterfinanzierte Bildungswesen sah und sieht sich steigenden Anforderungen und gesellschaftlichen Ansprüchen ausgesetzt. Wie am Beispiel der Berufsbildenden Schulen im Besonderen sowie des Bildungswesens im Allgemeinen zu beschreiben ist, hat dies Dilemma einen Prozess der „endogenen Privatisierung“ ausgelöst, der verbunden mit einem Rückzug der öffentlichen und einem Anstieg der freien Träger einen strukturellen Umbau über die Einführung von Steuerungselementen des „New Public Managements“ – beispielsweise Zielvereinbarungen, Arbeit mit Kennziffern, Abbau demokratischer Selbstverwaltungsstrukturen, Ranking, Zertifizierung – eingeleitet hat, ohne das zentrale Problem der Unterfinanzierung zu lösen.

Mit diesem Ökonomisierungsprozess geht gleichzeitig ein Wandel des Verständnisses von ökonomischer Bildung einher: So versucht die Kapitalseite, ein Konzept von ökonomischer Bildung durchzusetzen, das die Schattenseiten des globalisierten Kapitalismus ausblendet und das Wirtschaftsgeschehen aus Unternehmersicht betrachtet (Stichwort „Entrepreneurship). Themen wie Deregulierung und Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt, Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte werden ausgeklammert. Auch das Bildungsverständnis wandelt sich unter diesem Vorzeichen von den Menschenrechten und der Humanität verpflichteten ganzheitlichen Bildungsanspruch zu einer Verengung auf einen Bildungsbegriff, der die wirtschaftliche „Nutzbarkeit“ des „Humankapitals“ in den Mittelpunkt stellt.

Underfunding – Economisation – Economic Education

English Abstract

The German education system, which even by international standards is underfunded, was and still is faced with increasing requirements and demands from society. As shown by the example of the education system in general and vocational education schools in particular, this dilemma has caused a process of “endogenous privatisation”, which, combined with a decrease of public and an increase of independent institutions, has initiated a structural change by introducing “New Public Management” control elements such as agreements on objectives, working with code numbers, reduction of democratic self-administration structures, rankings and certifications without solving the central problem of underfunding.

At the same time, this process of economicization is accompanied by a change in the understanding of economic education. For example, the capital side tries to impose a concept of economic education that ignores the downsides of globalized capitalism and looks at business from an entrepreneurial perspective (keyword: "entrepreneurship"). Issues such as deregulation and precarisation on the labor market, participation and employee rights are excluded. The understanding of education also changes from a human rights and holistic education claim to a constriction to a concept of education that focu­ses on the economic "usability" of "human capital".

1 Unterfinanzierung – Ökonomisierung

Die folgenden Überlegungen greifen zunächst den Aspekt der Bildungsfinanzierungsstruktur in Deutschland heraus, um insbesondere zu zeigen, welche Auswirkungen eine systematische Unterfinanzierung des Bildungssystems im Allgemeinen hat. Anschließend werden Formen der Ökonomisierung von Bildung in Deutschland anhand der Entwicklung der Bildungseinrichtungen einerseits sowie des Unterrichtsfachs „Wirtschaft“ analysiert. Dabei stützen sich die Ausführungen zur Bildungsfinanzierung auf die jüngsten verfügbaren nationalen und internationalen Statistiken sowie einerseits auf Beiträge des „Handbuchs Bildungsfinanzierung“ und andererseits auf die jährlichen Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, deren jeweilige Bildungskapitel kontinuierlich die Veränderungen des Bildungssystems in ihrem politökonomischen Kontext und insofern Beiträge zu einem alternativen Handbuch der Bildungsfinanzierung darstellen könnten.

1.1 Grundstruktur und Entwicklung der deutschen Bildungsfinanzierung

Die Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert, die Gesetzgebungskompetenz für die Bildung und die Höhe der Bildungsaufwendungen liegt bei den Ländern. Der Bund hingegen verfügt hauptsächlich über Möglichkeiten zur Erhöhung der Steuereinnahmen. Folgt man den Befunden der international vergleichenden Analyse öffentlicher Bildungsausgaben (vgl. Memorandum 2012, 211f.), so wirkt sich eine derartige Verflechtung eher negativ auf die Bildungsbudgets aus – Staaten mit einem größeren Spielraum für eine zentralstaatliche Regierung, wie beispielsweise die skandinavischen Länder, neigen eher zu höheren öffentlichen Bildungsausgabequoten. Die jährlich veröffentlichten Bildungsvergleichsdaten der OECD (Education at a Glance) belegen ein international konstant niedriges Niveau der deutschen Bildungsfinanzierungsdaten. Das mit der Föderalismusreform 2006 beschlossene Kooperationsverbot des Bundes in der Bildungspolitik – 2014 für den Hochschulbereich und 2017 für finanzschwache Kommunen gelockert – kommt nicht nur vor dem Hintergrund der grundgesetzlich vorgegebenen Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erschwerend hinzu. Die Koalition auf Bundesebene möchte eine Investitionsoffensive für Schulen, konkretisiert als fortgesetztes Schulsanierungsprogramm und Unterstützung der Länder bei deren Bildungsinfrastrukturinvestitionen für alle Kommunen auf den Weg bringen (Koalitionsvertrag 2018, 28).

Entsprechend politikwissenschaftlicher Modelle (vgl. Memorandum 2012, 215f.) haben sich vor allem zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den 1970er Jahren verschiedene wohlfahrtsstaatliche Profile entwickelt und verfestigt, in deren Folge sich anhand der Kennzeichen der Faktoren des Bildungszuganges und des Bildungsergebnisses, der Steuerung sowie der Höhe der Bildungsausgaben folgende idealtypische „Bildungsstaatlichkeiten“ systematisieren lassen:

Tabelle 1: Idealtypische Bildungsstaatlichkeiten (Memorandum 2012, 216)

Liberaler Bildungsstaat

Konservativer Bildungs-staat (an Deutschland ausgerichtete Variante)

Sozialdemokratischer Bildungsstaat

  • Starke Abhängigkeit vom Einkommen beim Bildungszugang
  • (Quasi-)Märkte als Steuerungsmechanismus und verbetrieblichte Bildungseinrichtungen
  • Starke Beteiligung der Kapitalseite an der Bildungssteuerung
  • Starke Abhängigkeit zwischen Bildungsergebnis und sozio-ökonomischer Herkunft
  • Sehr hohe private Bildungsausgaben
  • Sehr starke Abhängigkeit von der familiären Herkunft (sozio-ökonomischer Status) beim Bildungszugang und im -ergebnis
  • Inputsteuerung des Bildungssystems durch den Staat
  • Frühe staatliche Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schultypen
  • Korporatistische Organisation der beruflichen Ausbildung (duales System) und der Weiterbildung
  • Trennung von Erziehung (familiärer und betrieblicher Bereich) und Bildung in Bildungs-einrichtungen
  • Hauptsächliche staatliche Bildungseinrichtungen
  • Einrichtungen mit Erziehungsfunktion werden oft an nichtstaatliche Akteure delegiert
  • Geringe staatliche und mittlere private Bildungsausgaben
  • Geringe Abhängigkeit von der familiären Herkunft beim Bildungs-zugang und im -ergebnis
  • Staatliche Steuerung des Bildungs-systems (oftmals In- und Outputorientierung nebeneinander)
  • Hauptsächlich staatliche Bildungseinrichtungen
  • Auch berufliche Ausbildung hauptsächlich in staatlichen Einrichtungen
  • Vorschulische Bildung gehört zum Bildungssystem
  • Hohe staatliche und geringe private Bildungsausgaben

Beispiele

USA, Vereinigtes Königreich, Australien

Deutschland, Österreich

Schweden, Finnland, Norwegen

Historische Entwicklung

Die Mehrzahl der deutschen Staaten, hier ist vor allem Preußen zu nennen, gehörten zu den „Pioniernationen der Bildungspolitik“ (Schmidt 2010, 168), was unter anderem auf die Traditionen obrigkeitsstaatlicher Daseinsvorsorge zurückzuführen ist. So wurde bereits im frühen 18. Jahrhundert in Preußen die allgemeine Volkschulbildung unter die Aufsicht des Staates gestellt. Auch wenn sich mit dem Ausbau des allgemeinbildenden Schulwesens die Lehrer-Schüler-Relation verbesserte, blieb das Bildungswesen finanziell knapp ausgestattet. Insbesondere dort, wo das Bildungswesen in Konkurrenz mit anderen kostspieligen Politikfeldern der Sozialpolitik geriet – in Nordeuropa und Großbritannien hingegen wurde bereits früh die Bildungs- als Teil der Sozialpolitik verstanden, zeigten sich besonders große Finanzierungsengpässe. Die nationalsozialistische Diktatur prämierte die Militärpolitik sowie die öffentliche Daseinsvorsorge unter Ausklammerung der Bildungspolitik. Während im Sozialismus der DDR ein Schwerpunkt auf die industriegesellschaftlich relevante Ausbildung gelegt wurde, blieb das tertiäre und quartäre Bildungswesen nachrangig, und in der Bundesrepublik stand haushaltspolitisch im Rahmen des Wiederaufbaus vor allem das Wohnungs- und Kommunikationswesen, die Sozial- und Militärpolitik im Vordergrund, und auch im Jahr 1960 nahm die Bundesrepublik mit einem Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben von 2,85 % des Sozialprodukts noch den drittletzten Rang der westlichen Industrieländer ein. Zeitversetzt zum Ausbau der Sozialpolitik ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre ließ die Politik die Bildungsetats – auch im internationalen Vergleich – bis Mitte der 1970er Jahre deutlich ansteigen. Das vergleichsweise hohe Wirtschaftswachstum, Steuererhöhungen und höhere Steuereinnahmen waren begünstigende Rahmenbedingungen dieser Bildungsexpansion. Gleichzeitig schufen die geburtenstarken Jahrgänge einen Nachfragedruck zugunsten verbesserter Bildung. Alle im Bundestag vertretenen Parteien wetteiferten bis Mitte der 1970er Jahre – dem Ende der Bildungsexpansion – wenn auch mit unterschiedlichen Zielgruppen und Motiven, zum Abbau ungleicher Bildungschancen und zur Vorsorge für ein entsprechendes Wirtschaftswachstum beizutragen. Von nun an geriet das Bildungsbudget in den Sog defizitärer Haushalte, verminderten Wirtschaftswachstums und eines intensivierten parteipolitischen Streits über bildungspolitische Fragen. Der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben an der Wirtschaftskraft stagniert oder schrumpft seither in den meisten Jahren. (Vgl. Schmidt 2010, 168ff.)

Die folgende Tabelle 2 verdeutlicht, dass Deutschland („Konservativer Bildungsstaat“) im jüngst referierten Jahr 2015 mit 4,2 % des Bruttoinlandsprodukts vergleichsweise geringe Ausgaben für Bildungseinrichtungen des Primär- bis Tertiärbereichs leistet, die „sozialdemokratischen Bildungsstaaten“ Schweden, Finnland und Norwegen leisten 5,3 bis 6,4%, und die „liberalen Bildungsstaaten“ USA und Großbritannien gar 6,1 % sowie 6,2 %, wobei hier ein überdurchschnittlich hoher privater Finanzierungsanteil von 2,0 bzw. 1,9 Prozentpunkten vorliegt.

Tabelle 2: Ausgaben für Bildungseinrichtungen als Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts, nach Herkunft der Mittel (2015)

Aus öffentlichen und privaten Quellen

 

Primär- bis Tertiärbereich

 

Öffentlich

Privat

Gesamt

Finnland

5,6

0,1

5,7

Deutschland

3,6

0,6

4,2

Norwegen

6,3

0,1

6,4

Schweden*

5,0

0,2

5,3

Vereinigtes Königreich*  

4,2

1,9

6,2

Vereinigte Staaten

4,1

2,0

6,1

OECD Durchschnitt*

4,2

0,8

5,0

Quelle: OECD 2018 (Tabelle C2.1, C2.2) * zusätzlich 0,1 aus internationalen Quellen

Die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland sind im internationalen Vergleich besonders niedrig, die privaten Bildungsausgaben – sie werden stärker als in anderen Ländern von den betrieblichen Ausgaben als von den privaten Haushalten dominiert – hingegen stehen im internationalen Mittelfeld. Betrachtet man die verschiedenen Stufen des Bildungswesens, so lässt sich festhalten, dass die unteren Bildungsstufen in Deutschland von der öffentlichen Hand vergleichsweise stark unterfinanziert werden, während sich die öffentlichen Hochschulausgaben im internationalen Vergleich im Mittelfeld befinden (vgl. OECD 2016 (Indikator B2.3), OECD 2018 (Indikator C2)).

Besonders nachteilig auf die Finanzierung des Bildungswesens wirkten die in den Jahren 1998 bis 2005 vorgenommenen Steuerrechtsänderungen, insbesondere die Senkung von Einkommens- und Unternehmenssteuern. Seitdem entgehen den Gebietskörperschaften Bund, Ländern und Gemeinden jährlich mehrere Milliarden an dringend benötigten Steuereinnahmen, im Jahr 2011 beispielsweise waren dies 55,5 Milliarden € (vgl. Sondermemorandum 2010, 2). Steuersenkungen treffen die öffentliche Einnahmeseite dauerhaft, auch wenn „Steuergeschenke“ von den Begünstigten nur einmal wahrgenommen und schnell als selbstverständlich angesehen werden.

Ferner erweist sich die sogenannte „Schuldenbremse“ als besonders problematisch, die dem Grunde nach ein Verbot der Kreditaufnahme insbesondere für die Länder darstellt. Ein Grund für die im Jahr 2009 beschlossene „Schuldenbremse“ lag in dem hohen Kapitaldienst, den die öffentlichen Körperschaften für Tilgung und Zinszahlung der Bestandskredite zu erwarten hatten. Obwohl dieser Grund in der seit Längerem anhaltenden Phase von Niedrig- oder gar Negativzinsen nicht besteht, hält die Politik weiterhin an dem Kreditaufnahmeverbot fest. Dabei sind Bildungsaufwendungen nicht mit Staatskonsum gleichzusetzen, vielmehr müssten sie als Investitionen mit längeren „Ausreifungszeiten“ und vergleichsweise hohen Renditen gelten, die die Zinsen bei Weitem übersteigen.

1.2 Missverhältnis der Aufwendungen und Erträge im Bildungsföderalismus

Gemäß den Analysen des Bildungsfinanzberichts trägt der Bund im zuletzt referierten Jahr 2014 gerade einmal knapp 10% des Bildungsbudgets, während die Kommunen unter Berücksichtigung des Zahlungsverkehrs zwischen den Gebietskörperschaften mit gut 16% deutlich mehr als der Bund leisten, dessen Bildungsaufwendungen häufig im Vordergrund des öffentlichen Interesses stehen. Mehr als den fünffachen Anteil des Bundes erbringen die Länder, die somit für mehr als die Hälfte (53,5%) des gesamten Bildungsbudgets aufkommen (s. Tabelle 3).

Tabelle 3: Bildungsbudget (*) für alle Bildungsbereiche zusammen nach finanzierenden Sektoren 2014 in % der Gesamtausgaben

Bund

Länder

Gemeinden

Privater Bereich (**)

Ausland

9,8

53,5

16,1

20,2

0,4

Quelle: Destatis 2017b, 23, Abbildung 2.4-1

   

(*) mit Berücksichtigung des Zahlungsverkehrs zwischen den Gebietskörperschaften

 

(**) Privathaushalte, Unternehmen, private Organisationen ohne Erwerbszweck

 

Die Bildungsforscher Dieter Dohmen und Joachim Wieland haben in einer Studie die Aufwendungen und Erträge ausgewählter Bildungsmaßnahmen im Bereich der Kindertagesstätten, des Ausbaus von Ganztagsschulen, einer stärkeren Berufsorientierung im Bereich der allgemeinbildenden Schulen, der Prävention von Schulabbrüchen sowie des Ausbaus des Hochschulsystems untersucht. Sie folgern, dass die Verteilung der Aufwendungen und der fiskalischen Erträge zwischen den Gebietskörperschaften im föderalen System deutlich divergieren:

„Die geringste fiskalische Rendite haben in allen Beispielrechnungen die Länder, die aber den größten Anteil an den Bildungsausgaben finanzieren müssen, während der Bund in den meisten Fällen die höchsten Renditen erzielt. Die Renditen spiegeln letztlich zu einem großen Teil – allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen – die Finanzierungsanteile wider, d. h. je höher der Finanzierungsanteil, desto niedriger tendenziell die Rendite.“ (Wieland/Dohmen 2011, 88.)

Dies begründet das im internationalen Vergleich äußerst niedrige Niveau der öffentlichen Bildungsfinanzierung in Deutschland.

Dabei ist der Begriff der Rendite in diesem Zusammenhang äußerst problematisch, zielt er doch auf das in den Menschen gespeicherte „Humankapital“ und deren Nutzung zur Steigerung des Einkommens. Ganz unabhängig davon aber ist Bildung ein Menschenrecht und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe der Individuen – auch dann, wenn sie selbst kein Einkommen erzielen.

1.3 Unterfinanzierung und Mehrbedarf

„Öffentliche Bildungsausgaben steigen 2016 auf 128 Milliarden Euro“ – so lautet die Überschrift der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes anlässlich der Veröffentlichung des jüngsten Bildungsfinanzberichts 2017. „Im Jahr 2016 haben Bund, Länder und Gemeinden 128,4 Milliarden Euro für Bildung ausgegeben, das sind 4,4 Milliarden Euro beziehungsweise 3,5 % mehr als im Vorjahr. Zu diesem Ergebnis kommt das Statistische Bundesamt (Destatis) im Bildungsfinanzbericht 2017 auf Basis von vorläufigen Daten für die öffentlichen Haushalte. Der am 14. Dezember 2017 veröffentlichte Bericht wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der Kultusministerkonferenz erstellt“ (Destatis 2017a). Dort werden nicht nur die Bildungsausgaben der öffentlichen Haushalte, sondern auch diejenigen der Unternehmen, der privaten Haushalte, der Bundesagentur für Arbeit sowie die vom Ausland finanzierten Bildungsausgaben und die Forschungsausgaben aufgeführt. Sämtliche private und öffentliche Ausgaben werden in dem Budget für Bildung, Forschung und Wissenschaft dargestellt. Dieses Bildungsbudget stieg im zuletzt mit endgültigen Zahlen referierten Jahr 2014 auf insgesamt 267,0 Milliarden Euro an (Destatis 2017b, 16).

Ein Anstieg der öffentlichen Bildungsausgaben und des Bildungsbudgets auf bislang nicht gekannte Größen – also alles in zufriedenstellender Ordnung, könnte man angesichts dieser Situation konstatieren. Der mit der Tabelle 2 ermöglichte internationale Vergleich der Aufwendungen für Bildungseinrichtungen relativiert jedoch dieses Bild: Deutschland wendet, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, also an seiner Wirtschaftskraft, nicht nur weniger als der Durchschnitt der OECD-Staaten, sondern auch weniger als der EU-Durchschnitt für seine Bildungseinrichtungen auf.

Die Tatsache, dass das Bildungswesen im internationalen Vergleich unterfinanziert ist, lässt sich jährlich den OECD Bildungsberichten „Bildung auf einen Blick“ entnehmen (jüngst OECD 2018, Indikatoren C2 (s. o.)). Unter anderem diese Erkenntnis hat die Politik im Jahre 2008 zum Dresdener Bildungsgipfel veranlasst,  auf dem die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die MinisterpräsidentInnen der Bundesländer vereinbarten, ab 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Bildung und Forschung zu investieren –  sieben Prozent in Bildung und drei in Forschung. Von diesem Ziel ist die Bundesrepublik noch weit entfernt. Hätte Deutschland im zuletzt referierten Jahr 2015 für die Bildungseinrichtungen des Primär bis Tertärbereichs nicht 4,2 % sondern wie Norwegen 6,4 % aufgewendet, so hätten den Bildungseinrichtungen 66,9 Milliarden € mehr zur Bewältigung der gesellschaftlich bedeutsamen Aufgaben zur Verfügung gestanden, beispielsweise um Kindertagesstätten, Ganztagsschulen und Hochschulen entsprechend dem veränderten gesellschaftlichen Bedarf auszubauen und die in Sonntagsreden immer wieder bemühte Berufs- und Weiterbildung einschließlich einer angemessenen Beratungsstruktur zu stärken!

Ein im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung erstelltes Gutachten ermittelte den zusätzlichen Finanzbedarf für ein zukunftsfähiges Bildungswesen auf knapp 50 Milliarden Euro.

Tabelle 4: Zusätzlicher Finanzierungsbedarf für ein zukunftsfähiges Bildungswesen in Mrd Euro

Bund

BAföG

0,500

Aufstiegsfortbildung

0,140

Weiterbildung von Erwerbslosen

4,925

Summe

5,565

Länder

Allgemeinbildende Schulen

20,264

Berufliche Bildung

4,233

Hochschule

6,689

Weiterbildung

1,062

Summe

32,248

Gemeinden

Kindertagesstätten

11,928

Summe

49,741

Quelle: Jaich 2017

Allgemeinbildende Schulen

Die Schulen in Deutschland sind noch weit davon entfernt, echte Ganztagsschulen zu sein. Dahinter steht im Übrigen ein ebenso großes wie kaum thematisiertes gesellschaftspolitisches Problem: Als Folge der nach wie vor dominierenden Halbtagsschule im idealtypischen konservativen Bildungsstaat können Familien, und hier insbesondere die Mütter, ihren Alltag kaum mit einer normalen Erwerbsarbeit vereinbaren und bleiben in der sogenannten „Teilzeitfalle“ stecken! Bei einer angenommenen Ganztagsbetreuungsquote von 60 Prozent beträgt der zusätzliche Finanzbedarf in allen Ländern der Bundesrepublik knapp 3,7 Milliarden Euro. Ebenso rückständig im internationalen Vergleich ist die Ausstattung der Schulen mit Schulsozialarbeit und Schulpsychologen: Sofern wenigstens pro 150 Schüler/innen ein/e Schulsozialarbeiter/in und pro 5.000 Schüler/innen ein/e Schulpsychologe/in beschäftigt werden soll, dann ist das im Vergleich beispielsweise mit den nordischen Ländern alles andere als „Luxus“, aber mit einem Mehrbedarf von knapp 2,4 Milliarden Euro länderübergreifend verbunden. Ferner benötigen die Lehrenden im Schulalltag mehr Zeit für die Schüler/innen, wozu eine Verbesserung der Schüler-Lehrer-Relationen dringend geboten ist. Dies ist mit einem Finanzbedarf von 2,3 Milliarden Euro verbunden. Aus verschiedenen Gründen – Krankheit, Fortbildung, betriebsbedingte Abwesenheit – können vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte die vorgesehen Pflichtstundenzahl nicht erreichen. Ein Personalpuffer von 5 % - in anderen Dienstleistungsbereichen selbstverständlich – sollte diese Ausfallzeiten abfedern; länderübergreifend fallen hier knapp 2,2 Milliarden € an.

Je nach Inklusionsquote – 80 bis 100 Prozent – müssen die Länder 3,1 bis 3,8 Milliarden Euro aufwenden, wollen sie tatsächlich Inklusion glaubwürdig umsetzen. Und nicht zuletzt ist auch die Sachausstattung in den Schulen mit 1,3 Milliarden Euro zu verbessern.

Berufsbildende Schulen

Die Kosten für zusätzliche Ausbildungsplätze in vollzeitschulischen Bildungsgängen zur Sicherstellung eines ausreichenden Angebots betragen länderübergreifend 515 Millionen €. Wenn die Pflichtstundenzahl der Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen 25 nicht überschreiten soll, ist das mit einem zusätzlichen Aufwand von 181 Millionen € verbunden. Analog zu den Ausführungen über die allgemeinbildenden Schulen sind auch an den beruflichen Schulen entsprechende Verbesserungen hinsichtlich der Schulsozialarbeit, der Ausstattung mit Schulpsychologen und eines Personalpuffers für Fortbildungen und Krankheitsausfälle geboten. Die Summe der Mehraufwendungen beträgt einschließlich einer Verbesserung der Ausstattung und der Umsetzung der Inklusion länderübergreifend 4,23 Milliarden €.

Hochschulen

Schon länger ist das zentrale Problem im Bereich der Hochschulen in dessen Überlastung zu sehen, weshalb besonderer Handlungsbedarf in der Verbesserung der Personalausstattung besteht. Legt man die Relation von Studierenden je Stelle für wissenschaftliches Personal aus dem Jahr 1980 zugrunde, dem Jahr, von dem aus die Ausweitung der Bildungsbeteiligung durch Verschlechterungen der Studienbedingungen erreicht wurde, ergibt sich ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf für wissenschaftliches bzw. künstlerisches Personal in Höhe von 4,88 Milliarden € und darauf bezogen für zusätzliches Verwaltungspersonal in Höhe von 156 Millionen €. Ferner ist wie im Schulbereich auch im Hochschulbereich eine Erhöhung der Sachmittel erforderlich, was 1,66 Milliarden € bedeutet.

Weiterbildung

Bildung und Beratung stehen in einem engen Zusammenhang. Wenn u. a. lebenslanges Lernen als notwendige Strategie betrachtet wird, die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen wie auch die Leistungsfähigkeit des Landes zu erhalten, dann wird Bildungsberatung zunehmend bedeutsamer – dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Umsetzung des lebenslangen Lernens in Deutschland stärker auf die Eigenverantwortung des Individuums abzielt. Geht man von einer Bildungsberatungsstelle mit fünf qualifizierten Beschäftigten pro 100.000 erwachsener Bürger/innen aus, so entsteht ein zusätzlicher Finanzbedarf von 180 Millionen €.

Die Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ hatte seinerzeit empfohlen, für die Sicherstellung des allgemeinen, politischen und kulturellen Lernens einen zu vereinbarenden Prozentsatz des jährlichen Haushalts als Untergrenze festzulegen. Nimmt man den kleinsten ganzzahligen Prozentsatz (1%) als Grundlage und will die Weiterbildungsförderung des jeweiligen Bundeslandes mittelfristig auf ein Prozent des Bildungsetats steigern, also auf 1 Prozent der Aufwendungen des Landes für Schulen und Hochschulen, so ergibt sich ein zusätzlicher Finanzbedarf länderübergreifend i. H. von 882 Millionen €. Wenn die von der Bundesagentur für Arbeit finanzierte Weiterbildung von Erwerbslosen wieder das Niveau des Jahres 2001 (vor den „Hartz-Reformen“) erreichen soll, wären alleine 4,9 Milliarden € zu dessen Finanzierung erforderlich.

1.4 Endogene Privatisierung

Folgt man dem Nationalen Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2018“, so besuchten im jüngst referierten Jahr 2016 knapp 17,2 Millionen Bildungsteilnehmer/innen gut 98.000 Bildungseinrichtungen. Während die Zahl der Bildungseinrichtungen in den vorausgegangenen 10 Jahren um knapp 4.000 gestiegen ist, ist die Zahl der Bildungsteilnehmer/innen jedoch nur geringfügig um gut 190.000 gestiegen. Dahinter steht eine besondere Dynamik, mit der einerseits die Zahl der Schüler/innen an allgemein- und berufsbildenden Schulen gesunken ist, während die Zahl der Bildungsteilnehmer/innen sowohl im Elementar- als auch im Hochschulbereich deutlich zunahm, andererseits ist auch in der Trägerschaft der Bildungseinrichtungen ein deutlicher Wandel in Richtung freier Träger als Form der „endogenen Privatisierung“ (Memorandum 2011, 232) zu verzeichnen (s. Abbildung 1).

Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl der Bildungseinrichtungen  (Quelle: Bildungsbericht 2018, 43)Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl der Bildungseinrichtungen (Quelle: Bildungsbericht 2018, 43)

Zwar sind die Träger privat, der Staat entscheidet jedoch über deren Zulassung sowie die Ausbildung der Pädagogen/innen und finanziert den größten Anteil ihrer Aufwendungen (vgl. Memorandum 2011, 241f.).

Tabelle 4 verdeutlicht, dass die Anzahl privater beruflicher Schulen in Deutschland ausgehend von gut 1.200 Schulen zu Beginn der 90er Jahre auf gut 2.200 Schulen im jüngst referierten Schuljahr 2016/17 gestiegen ist. Mittlerweile unterrichten bundesweit knapp 16.500 Lehrkräfte – davon gut 8.400 teilzeitbeschäftigt – die knapp 240.000 Schüler/innen an den privaten beruflichen Schulen, die mittlerweile fast 10% (9,5%) der Anzahl der Schüler/innen an allen (öffentlichen und privaten) beruflichen Schulen ausmachen. Da es sich bei den privaten beruflichen Schule zumeist um vergleichsweise kleine Einrichtungen handelt, beträgt ihr Anteil an der Anzahl der öffentlichen und privaten berufsbildenden Schulen mittlerweile ein Viertel (25,1%). Hinter diesen Zahlen stehen höchst unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern (Destatis 2017c). Generell ist der Anteil privater beruflicher Schulen in den neuen Ländern bedeutend höher als in den alten – im Rahmen des „Transformationsprozesses“ nach der Wende schien dies politisch gewollt.

Tabelle 5: Private Berufliche Schulen in Deutschland 1992 bis 2016

Schuljahr

Anzahl

Anteil an öffentlichen
und privaten Schulen
zusammen in %

1 ohne stundenweise Beschäftigte

Schulen

Lehrkräfte1

Schüler/
innen

der Schü-
ler/innen

der Schu
len

1992

1.241

8.000

128.440

  5,2

  13,9

1995

1.483

9.180

142.746

  5,8

  15,9

2000

1.767

10.757

178.955

  6,7

  18,1

2005

1.872

13.285

233.336

  8,4

  21,4

2010

2.038

14.882

241.080

  9,0

  23,0

2011

2.071

15.214

240.743

  9,2

  23,5

2012

2.151

15.569

237.602

  9,3

  24,3

2013

2.166

15.735

238.339

  9,4

  24,5

2014

2.195

15.838

239.047

  9,5

  24,8

2015

2.186

16.212

238.481

  9,6

  24,9

2016

2.214

16.477

239.803

  9,5

  25,1

Quelle: Destatis: Statistisches Bundesamt: Private Schulen 2016/17. Wiesbaden 2017c

Während eine „exogene Privatisierung“ eine vollständige Privatisierung einer Bildungseinrichtung bezüglich Trägerschaft und Finanzierung bedeutet und auch einen profitorientierten oder gemeinnützigen Betrieb der Einrichtungen beinhaltet, liegt der „endogenen Privatisierung“ ein marktförmiger struktureller Umbau des Bildungssystems zugrunde, der in fast allen Bereichen des Bildungswesens über die Einführung von Steuerungselementen der Modularisierung, Zertifizierung, der Bepreisung sowie der Einführung von Marktinformationssystemen und Rankings Einzug gehalten hat. Gleichzeitig werden über neue Leitungsstrukturen des „New Public Managements“ wie der Stärkung der Führung, der Einführung von Zielvereinbarungen und die Steuerung über Kennzahlen eine demokratische Selbstverwaltung abgebaut und die Arbeit in den Bildungseinrichtungen grundlegend verändert. Als Teil der „endogenen Privatisierung“ werden Aufgaben, Inhalte und Ziele der Bildungseinrichtungen privatisiert, wie am Beispiel der neoliberalen Ausrichtung der politischen Bildung an Schulen oder der Ausrichtung einzelner Universitäten auf wirtschaftsnahe Forschung wegen der gestiegenen Rolle der Drittmittel deutlich wird. Des Weiteren wird ein zunehmender Einfluss privater Stiftungen und Think-Tanks wie beispielsweise der Bertelsmann Stiftung auf den öffentlichen Bildungsdiskurs bis hin zum Gesetzgebungsverfahren im Bildungsbereich offenkundig (vgl. Memorandum 2011, 232).

2 Ökonomisierung – Ökonomische Bildung

Nicht nur private Stiftungen nehmen Einfluss auf den Bildungsdiskurs, sondern auch die Unternehmen und ihre Verbände. Es geht dabei vor allem auch um die inhaltliche Ausgestaltung der universitären und schulischen Wirtschaftslehre. Obwohl die globalisierte Ökonomie extrem komplex ist und nicht von politischen und sozialen Prozessen zu trennen ist, wird weiterhin auf einer homogenen Ausrichtung der Wirtschaftslehre auf der Grundlage der „neoklassischen Theorie“ bestanden. Im Folgenden soll dies unter historischer und gesellschaftlicher Perspektive analysiert werden. Wir beziehen uns hierbei vor allem auf ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen.

2.1 Ablehnung einer pluralen Ökonomik

Im Jahr 2000 revoltierten in Frankreich die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften. In einem Aufruf im Internet, dem kurz darauf ein offener Brief an „die Professoren und die für die Lehre in dieser Disziplin Verantwortlichen“ folgte, wandten sie sich gegen die „autistische“ Betrachtung der Ökonomie, die man ihnen aufzwinge (vgl. Perrin 2000).

Konkret richtete sich die Kritik der Studierenden gegen eine Wirtschaftswissenschaft, die mit ihrer Überbetonung mathematischer Modelle zur Beschreibung ökonomischer Vorgänge und ihrer theoretischen Einseitigkeit „Phantasiewelten“ („mondes imaginaires“) kreiere, die mit der Wirklichkeit des sozialen Lebens nichts mehr zu tun hätten. Anstatt aus der Vielfalt wirtschaftlicher Theoriemodelle einen „Pluralismus von Erklärungsansätzen“ abzuleiten, welcher der Vielfalt der sozialen Probleme gerecht werde, stütze sich die Wirtschaftswissenschaft an den Universitäten allein auf die „neoklassische Theorie“. In Verbindung mit dem mathematischen „Formalismus“ verhindere dieser „Dogmatismus“ eine reflexive Durchdringung der sozioökonomischen Realität. Diese könnte von den AbsolventInnen folglich nach ihrem Abschluss auch nicht kritisch analysiert und nötigenfalls entsprechend verändert werden (vgl. Lettre ouverte 2000).

Die „neoklassische Theorie“, gegen deren einseitige Betonung sich die Studierenden wenden, beruht im Kern auf dem von Adam Smith begründeten Denkansatz, wonach „im freien Wechselspiel der Eigeninteressen perfekte Märkte die gesellschaftliche Wohlfahrt maximieren“ (Dürmeier 2005, 68). Dieser Vorstellung liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen grundsätzlich rational handeln und in Nützlichkeitskategorien denken, die neben dem eigenen Vorteil implizit stets auch das Wohl aller befördern.

Die Verabsolutierung dieses Denkansatzes ist schon früher als „ökonomischer Imperialismus“ kritisiert worden, der nicht nur das politische Handeln, sondern auch die Betrachtung privater Beziehungen durch die Zugrundelegung utilitaristischer Modelle vereinseitige (vgl. Aretz 1997). In der Konsequenz haben sich konkurrierende Denkschulen wie die kulturelle oder die ökologische Ökonomik gebildet, die das ökonomische Handeln in der ihm eigenen Mehrdimensionalität in den Blick nehmen und es im systemischen Zusammenhang mit den anderen Aspekten der soziokulturellen Realität untersuchen.

Im Kern manifestiert sich hierin ein Unterschied, der schon 1957 von dem Wirtschaftsanthropologen Karl Polyani analysiert worden ist. Dieser unterscheidet zwischen einer „formalen“, auf wirtschaftliche Mechanismen im engeren Sinne bezogenen, und einer „substantiellen“ Ökonomik. Während Erstere einem atomistischen Menschenbild folgt, betrachtet Letztere den Menschen in den sozialen Zusammenhängen, in denen er interagiert (vgl. Polyani 1957).

Vor diesem Hintergrund fordern auch studentische Initiativen für eine kritische Wirtschaftswissenschaft, die sich u. a. in Berlin und Göttingen gebildet haben, ein Abrücken von dem eindimensionalen Bild des homo oeconomicus, der allein in Kategorien von Effizienz, Nützlichkeit und Funktionalität handelt

Das Beharren der „klassischen“ Wirtschaftswissenschaft auf formalistisch-mathematischen Modellen zur Beschreibung des ökonomischen Geschehens erscheint vor diesem Hintergrund als gezielte Strategie zur Abschottung von alternativen Erklärungsansätzen. Da auf diese Weise ein großer Teil der sozialen Realität unberücksichtigt bleibt, wirkt es fast so, „als ob mathematische Modelle die Trennung von der empirischen Realität überkompensieren sollen“ (Dürmeier 2005, 71).

Erschwerend kommt hinzu, dass das Argumentieren auf der Grundlage dieser Modelle ein zentraler Bestandteil des Habitus ist, durch den man seine Zugehörigkeit zur scientific community signalisieren und sich Zugang zu den entsprechenden Karriere fördernden Netzwerken verschaffen kann (vgl. ebd., 70). Auch Drittmittel lassen sich leichter einwerben, wenn die Forschungsanträge in Methodik und Denkansatz dem neoliberalen Modell folgen. Dies gilt erst recht dann, wenn die Gelder bei wirtschaftsnahen Stiftungen beantragt werden. All dies trägt dazu bei, dass die universitäre Lehre und Forschung sich nur zögernd der geforderten Pluralität der ökonomischen Beschreibungsmodelle öffnet.

Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich seit der Jahrtausendwende auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften einiges getan hat. In Frankreich führte die kritische Initiative der Studierenden, der sich bald auch einige Lehrende anschlossen, zur Einrichtung einer Regierungskommission zur Überarbeitung der universitären Curricula. Auch wenn die entsprechenden Vorschläge nicht umgesetzt wurden, setzte in der Folge doch ein Prozess des Umdenkens ein, der auch auf internationaler Ebene alternative Betrachtungsweisen der ökonomischen Prozesse Auftrieb beförderte.

Die unterschiedlichen Bezeichnungen für die entsprechenden Bewegungen, die hieraus in Deutschland, Frankreich und im englischsprachigen Raum entstanden sind, legen den Akzent jeweils auf andere Aspekte des geforderten Umdenkens. In Frankreich betont die „post-autistische Ökonomik“ die Abgrenzung von der in ihren neoklassischen Denkansätzen eingekapselten universitären Wirtschaftswissenschaft. Im englischsprachigen Raum hebt die Bezeichnung „Real World Economics“ die Notwendigkeit eines Bezugs der ökonomischen Theorie auf die soziale Realität hervor. Und in Deutschland stellt die „Plurale Ökonomik“ die Notwendigkeit einer Vielfalt der wirtschaftswissenschaftlichen Erklärungsansätze für eine angemessene Betrachtung der Komplexität der sozioökonomischen Realität in den Vordergrund.

Im deutschsprachigen Raum werden die Bemühungen um komplexere Konzeptionen ökonomischen Handelns vom Netzwerk Plurale Ökonomik vorangetrieben. Immer wieder werden die Forderungen des Netzwerks auch in einzelnen universitären Veranstaltungen aufgegriffen. 2016 wurde an der Universität Siegen sogar ein eigener Masterstudiengang zur Pluralen Ökonomik eingerichtet.

Diese Erfolge sind freilich auch ein Beleg für die Probleme, denen sich die Befürworter einer Pluralen Ökonomik nach wie vor gegenübersehen. Denn ihr Ziel ist ja gerade nicht eine Randexistenz neben der traditionellen Wirtschaftswissenschaft. Vielmehr geht es ihnen darum, diese im Sinne ihres eigenen mehrdimensionalen Ansatzes zu transformieren.

Von einer solchen Transformation ist die traditionelle Lehre jedoch noch weit entfernt. Dies belegt nicht zuletzt eine 2016 veröffentlichte Studie, die das Netzwerk Plurale Ökonomik zusammen mit dem Fachgebiet Umwelt- und Verhaltensökonomik an der Universität Kassel (unter Leitung von Frank Beckenbach) durchgeführt hat. Demnach ist nur ein geringer Teil des Studienangebots dazu geeignet, die kritisch-reflexive Durchdringung des Stoffes zu fördern. Nur 1,3 Prozent der angebotenen Seminare behandeln Aspekte wie Wirtschaftsethik oder Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte. Der größte Teil des Studiums ist auch in der Volkswirtschaft nach wie vor betriebswirtschaftlichen Inhalten und formalistischen Erklärungsansätzen des Wirtschaftskreislaufs gewidmet (vgl. Beckenbach/Daskalakis/Hofmann 2016).

2.2 Wirtschaftsunterricht an deutschen Schulen

In der Bundesrepublik spielten in den allgemeinbildenden Schulen ökonomische Themen in der Nachkriegszeit zunächst keine große Rolle. Während in der DDR ein dogmatisch verstandener Marxismus-Leninismus die freie Reflexion über wirtschaftliche Zusammenhänge verhinderte, stand dem in Westdeutschland die Konzentration auf die humanistische Bildung im Wege. Deren Ziel war eine Art von Katharsis, mit der man sich gewissermaßen von der nationalsozialistischen Barbarei „reinwaschen“ wollte – wobei es de facto um eine Ablenkung von der eigenen Verstrickung in die faschistischen Verbrechen ging.

Mit einem solchen Bildungskonzept hätte sich die vertiefende Analyse ökonomischer und/oder politischer Problemkomplexe kaum vertragen. Wirtschaftliche Themen wurden folglich in erster Linie in funktionaler Weise behandelt, also im Kontext der Berufsvorbereitung an Haupt- und Realschulen.

Dies änderte sich im Zuge der Studentenbewegung. Wie diese den „Muff von tausend Jahren“ aus den „Talaren“ der Professoren treiben wollte, sollte auch an den Schulen ein neuer Wind wehen. Dabei ging es nicht nur um die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, sondern allgemein um eine politischere Konzeption der Bildung, der eine offenere, reflexivere Form des Unterrichts entsprach. Ziel war jetzt keine Untertanenbildung mehr, sondern die Schaffung der Voraussetzungen für ein mündiges, die sozialen und politischen Entwicklungen kritisch begleitendes Denken.

Exemplarisch stehen hierfür Fächer wie „Politische Weltkunde“ oder „Gesellschaftslehre“. In diesen wurden immer wieder auch ökonomische Themen behandelt. Breite Resonanz fanden etwa die vom Club of Rome initiierten Studien zu den „Grenzen des Wachstums“ (vgl. Meadows et al. 1972). Ein aktuelleres Beispiel aus Nordrhein-Westfalen schlägt für die zehnte Klasse eine Unterrichtseinheit unter der Überschrift „Global total?“ vor. Darin sollen „die Folgen der Globalisierung“ u. a. in Bezug auf die Aspekte „weltweite Arbeitsteilung, veränderte Standortgefüge, Global Cities und neue Herausforderungen für die Soziale Marktwirtschaft“ herausgearbeitet werden. Über die Analyse von Fallbeispielen, die Durchführung eigener Studien und die Übernahme verschiedener Positionen soll die reflexive Durchdringung der Thematik gefördert werden (vgl. QUA-LIs NRW 2013).

2.3 Die Forderung nach einem eigenständigen Fach „Wirtschaft“ in allgemeinbildenden Schulen

Wie das Beispiel aus Nordrhein-Westfalen zeigt, kann keine Rede davon sein, dass wirtschaftliche Themen im heutigen Schulunterricht unterrepräsentiert wären. Dennoch wird mit dieser Begründung seit der Jahrtausendwende verstärkt von Unternehmensseite die Einführung eines eigenen Fachs „Wirtschaft“ gefordert. Zu erwähnen sind dabei insbesondere das Gutachten „Ökonomische Bildung an allgemein bildenden Schulen“, das der Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft im Jahr 2010 vorgelegt hat (vgl. Retzmann et al. 2010), sowie die – ähnliche Forderungen erhebenden – Gutachten des Deutschen Aktieninstituts  und des Bankenverbands aus den Jahren 1999 bzw. 2008.

Der Hintergrund für die wiederholten Forderungen nach einem eigenständigen Unterrichtsfach „Wirtschaft“ ist offenbar weniger, dass wirtschaftliche Zusammenhänge an deutschen Schulen unzureichend behandelt würden. Das Ziel scheint vielmehr eine andere, funktionalere Betrachtung ökonomischer Themen zu sein, durch die sich die Lernenden später leichter als „Humankapital“ in den Arbeitsmarkt integrieren lassen.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die „Kurzexpertise“ von Hedtke et al. zu dem erwähnten Gutachten des Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft. Die Vorbehalte, welche die Autoren/innen diesem gegenüber äußeren, gehen in dieselbe Richtung wie die Kritik, die auch die Vertreter der Pluralen Ökonomik gegenüber der klassischen Volkswirtschaftslehre äußern. So werfen sie den Verfassern des Bildungsgutachtens vor, sich „allein an wirtschaftswissenschaftlichen Theorien aus einer spezifischen Denkschule“ zu orientieren. Die Welt werde hier  „nach immer demselben theoretisch-analytischen Erklärungsmuster“ gedeutet, „zu dem es keine Alternative geben soll“, der Mensch als „als kühl kalkulierender homo oeconomicus in allen Lebensbereichen“ gezeichnet (Hedtke u. a. 2010, 3). Das Gutachten sei folglich „wissenschaftlich und politisch einseitig, indem es eine einzige Weltanschauung für alle(s) propagiert, einseitig Partei für die Unternehmerperspektive ergreift und Effizienz als dominantes Bewertungskriterium bevorzugt“ (ebd.). Zu ähnlichen Schlüssen kommen die AutorInnen Zurstrassen, Weber, Hedtke, Fischer und Famulla in einem Artikel über die Initiative „Bessere ökonomische Bildung“, indem sie feststellen: „Auf problematische Weise führt diese Herangehensweise zur durchgehenden Ökonomisierung der Lebenswelt der Lernenden, indem es sie zumeist in eine strikt ökonomistisch-buchhalterische Perspektive zwingt und ökonomische Bildung auf die Befähigung zur Anwendung des Effizienzprinzips [ …]  reduziert.“ (Zurstrassen et al. 2011)

Die Thesen dieser Initiative wurden von Arbeitgeberseite aktiv bekämpft: So wurde das Buch „Sozioökonomische Bildung“ der AutorInnengruppe auf Druck des Arbeitgeberverbandes 2015 von der Bundeszentrale für politische Bildung vom Markt genommen. Nach Protestschreiben des Deutschen Gewerkschaftsbundes durfte es wieder erscheinen (vgl. Kramer 2015). Die Autoren stellen dem ihr eigenes Ideal einer ökonomischen Bildung entgegen, die „ökonomische Fragen in gesellschaftliche, politische und kulturelle Zusammenhänge“ einbettet und „sich nachdrücklich auf die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler“ bezieht. Diese Art von ökonomischer Bildung fördere „wissenschaftlichen, politischen und weltanschaulichen Pluralismus, ist multiperspektivisch und lehnt es ab, den Lernenden ein einseitiges Weltbild aufzuzwingen“ (Hedtke et al. 2010, 1).

Dieses Ideal einer kritisch-reflexiven Form ökonomischer Bildung wird allerdings von interessierten Kreisen mehr und mehr an den Rand gedrängt. So hat sich in den vergangenen Jahren ein Netzwerk aus großen Konzernen (insbesondere aus der Finanz- und Versicherungsbranche), Wirtschaftsverbänden, unternehmensnahen Stiftungen und weiteren Organisationen gebildet, die dem liberal-konservativen Parteienspektrum nahestehen (vgl. Möller/Hedtke 2011). Dieses Netzwerk versucht sein Bild von Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur über den Ruf nach einem eigenständigen Fach „Wirtschaft“ zu verbreiten – das so zu einem „Fach der Wirtschaft“ wird (ebd., 5). Vielmehr dienen diesem Ziel auch eigens konzipierte Fortbildungsveranstaltungen für schulische Lehrkräfte sowie vor allem kostenlose Unterrichtsmaterialien, die „nicht selten wissenschaftlich und politisch tendenziös“ seien, „oft einseitig unternehmernahe Weltbilder“ fördern und zuweilen auch von speziell geschultem „Vertriebspersonal“ an den Schulen verbreitet werden (vgl. ebd.).

Hinzu kommt, dass das utilitaristisch-effektivistische Bild des homo oeconomicus, wie es der ökonomischen Idealvorstellung der genannten Interessengruppen entspricht, keinesfalls nur über eine entsprechende Darstellung ökonomischer Prozesse propagiert wird. Es liegt vielmehr auch einer Organisation von Lernprozessen zugrunde, die sich dem „teaching to the test“ verschrieben hat. Die durch die PISA-Studien geförderte und geforderte Evaluierbarkeit und daraus folgende Standardisierung schulischer Leistungen hat dazu geführt, dass individuelle und soziale Aspekte des Lernens zunehmend aus dem Blick geraten, weil sie schwerer quantifizierbar sind. So fördern die immer neuen Testreihen der OECD tendenziell ebenfalls weniger die Herausbildung kritisch-reflexiver Individuen als die Modellierung nützlichen Humankapitals.

3 Fazit

Das Bildungswesen in Deutschland ist – auch im internationalen Vergleich – latent unterfinanziert. Gleichzeitig steigen die Anforderungen und gesellschaftlichen Ansprüche, die an das Bildungswesen herangetragen werden. Dies Dilemma hat einen Prozess der „endogenen Privatisierung“ ausgelöst, der verbunden mit einem Rückzug der öffentlichen und einem Anstieg der freien Träger einen marktförmigen strukturellen Umbau des gesamten Bildungssystems über die Einführung von Steuerungselementen des „New Public Managements“ – beispielsweise Zielvereinbarungen, Arbeit mit Kennziffern, Abbau demokratischer Selbstverwaltungsstrukturen, Ranking, Zertifizierung - eingeleitet hat, ohne das zentrale Problem der Unterfinanzierung zu lösen. Der tatsächliche Mehrbedarf für ein zukunftsfähiges und den gesellschaftlichen Anforderungen genügendes Bildungswesen liegt bei mindestens 50 Milliarden Euro – den beispielsweise die norwegische Gesellschaft für ihr Bildungswesen aufzuwenden bereit ist. Eine Lösung des Bildungsfinanzierungsdilemmas wird in einer veränderten Steuerpolitik mit realistischen Vorschlägen, verbunden mit einer Aufhebung des Kooperationsverbots vorgestellt.

Die Unterfinanzierung des Bildungswesens kann dabei in einem Gesamtzusammenhang mit der vorherrschen Wirtschaftspolitik und -lehre gesehen werden und ist eng mit der Ökonomisierung der Bildung verbunden. Die Ökonomisierung des Bildungswesens manifestiert sich u. a. in einer verstärkten Einflussnahme von Wirtschafts- und Unternehmerverbänden auf die Organisation schulischen Unterrichts. Dies kann durch entsprechend besetzte „Expertenkommissionen“ geschehen, über die sich auf wirtschaftsfreundliche Schulstrukturen und Curricula oder die Implementierung unternehmensanaloger Verwaltungsstrukturen hinwirken lässt, aber auch allgemein durch die Propagierung nicht-staatlicher Finanzierungsmodelle für schulisches Lernen, mit dem Ziel einer schleichenden Privatisierung des Schulwesens.

Auf der inhaltlichen Ebene meint „Ökonomisierung“ der Bildung nicht die verstärkte Behandlung wirtschaftlicher Themen, sondern die ideologische Vereinseitigung der ökonomischen Bildung. Denn Ideologie im pejorativen Sinn meint ja gerade die Beanspruchung einer axiomatischen Gültigkeit für bestimmte gedankliche Konstrukte und Handlungsmodelle, die nicht durch alternative Denk- und Deutungsmuster hinterfragt werden sollen.

Aufschlussreich ist, dass sich die entsprechenden Bemühungen um eine entsprechende Behandlung wirtschaftlicher Themen in der Schule seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise noch einmal verstärkt haben. Es scheint fast, dass hier mit aller Macht die Zweifel an dem bestehenden Wirtschaftsmodell zurückgedrängt werden sollen. Die empirische Evidenz des Scheiterns eines einseitig auf Effektivitäts- und Utilitaritätskriterien beruhenden ökonomischen Denkens soll, wie in der neoklassisch ausgerichteten Volkswirtschaft an den Universitäten, hinter formalistischen Denk- und Handlungsmodellen verborgen werden. Gleichzeitig wird damit das Überleben einer um das goldene Kalb ewigen Wachstums kreisenden Wirtschaft gesichert, deren verheerende Folgen für die Umwelt und den sozialen Zusammenhalt nun schon seit über 40 Jahren bestens dokumentiert und heute in kaum einem Winkel der Erde mehr zu übersehen sind.

4 Vorschläge zur Problemlösung

Die Verantwortung für ein demokratisches Bildungswesen sollte in der öffentlichen Hand und in den demokratisch verfassten Organen und Gremien liegen. Dies bedeutet notwendige Änderungen in der Steuerung und Struktur der Bildungsfinanzierung und auch die volle öffentliche Verantwortung für die Inhalte und die Entwicklung des Bildungswesens.

Für die Bildungsfinanzierung bedeutet dies: Die Divergenz zwischen den Gebietskörperschaften in ihrem jeweiligen Anteil bei der Finanzierung und dem jeweiligen Vorteil aus den Maßnahmen legt eine Erhöhung des Anteils des Bundes an der Bildungsfinanzierung nahe. Die vollständige Aufhebung des Kooperationsverbots und eine Erhöhung der Bildungsanstrengungen des Bundes sind demnach konsequente Schritte zur Verbesserung. Auch wenn sich die Politik zu diesem Schritt in Form des Koalitionsvertrags 2018 zögerlich bereit zu zeigen scheint, hätten sich auch zuvor über Staatsverträge zwischen dem Bund und den Ländern jeweilige Finanzierungsverbesserungen im Bildungswesen regeln lassen, wie es der niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil im Herbst 2014 in seiner Initiative angeregt hat. Entscheidend für eine Beendigung der Unterfinanzierung ist die Möglichkeit, die notwendigen Ressourcen zu den drängendsten Baustellen des Bildungswesens, wie sie in Tabelle 3 aufgeführt sind, zu leiten. Woher die Ressourcen stammen, ist klar zu beantworten: Das Steuerkonzept der GEW (2011, aktuelle Neuberechnung 2016) entlastet Durchschnittsverdiener/innen und bindet die Bezieher/innen hoher Einkommen und Vermögende in ihre gesellschaftliche Verantwortung für eine gute öffentliche Infrastruktur ein:

Tabelle 6: Gesamte Aufkommenswirkungen des GEW-Steuerkonzepts

Tabelle 6

Für das Jahr 2016 würde das Konzept zu einem deutlichen Mehraufkommen in Höhe von 99,1 Milliarden Euro für Bund, Länder und Kommunen führen – Ressourcen für eine gute öffentliche Infrastruktur mit einem zukunftsfähigen Bildungswesen!

Für die Wirtschaftslehre bedeutet dies: Die Komplexität einer globalen Weltwirtschaft mit ihren vielfältigen Verflechtungen machen es notwendig, dass junge Menschen lernen, systemisch zu denken und plurale Ansätze der Wirtschaftsbetrachtung kennenlernen. Gerade in Zeiten, in denen die Grenzen des Wachstums an der Zunahme von Kriegen, Armut und ökologischen Katastrophen deutlich werden, ist das Festhalten an einseitigen Theoriemodellen, die die Realität unzureichend erfassen, unverantwortlich.

Die Schüler/innen an allgemein- wie berufsbildenden Schulen müssen in die Lage versetzt werden, ökonomische Prozesse aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und die Folgen ihres Konsumverhaltens, von Unternehmerhandeln und Lebensentscheidungen für die eigene Biographie und die Gesellschaft zu analysieren, um verantwortungsvolle Entscheidungen für die Zukunft ableiten zu können.

Ein zukunftsfähiges, demokratisches Bildungswesen ist eines, das aus öffentlichen Mitteln auskömmlich finanziert wird und junge Menschen zu kritischen und verantwortungsvollen Bürger/innen bildet.

Literatur

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Zitieren des Beitrags

Hoffmann, I./Klinger, A. (2018): Unterfinanzierung – Ökonomisierung – Ökonomische Bildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 35, 1-20. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe35/hoffmann_klinger_bwpat35.pdf (13.12.2018).