bwp@ 34 - Juni 2018

Was berufliche und akademische Bildung trennt und verbindet.

Entgrenzungen an der Schnittstelle von Berufsschule, Betrieb, Hochschule und Universität

Hrsg.: Martin Fischer, H.-Hugo Kremer, Julia Gillen & Ines Langemeyer

Verknüpfung von beruflicher und akademischer Bildung –Konzeption und Reflexion eines Studienmodells für kaufmännische Auszubildende

Beitrag von Alexandra Jürgens
Schlüsselwörter: Kaufmännische Ausbildung und Studium dual, Anrechnung von Ausbildungsinhalten auf ein Hochschulstudium, nichttraditionell Studierende, hybride Studienmodelle, Ausbildungs- und Studienmodell

Der Beitrag stellt die Konzeption eines Studienmodells für kaufmännische Auszubildende vor, die parallel zur Berufsausbildung ein betriebswirtschaftliches Studium aufnehmen, das durch die Kooperation von Berufsschulen und einer Hochschule für angewandte Wissenschaften entstanden ist. Erster Ausgangspunkt ist eine kurze Vorstudie zu den Erwartungen und Bedenken der kaufmännischen Auszubildenden an ein Hochschulstudium (n=40). Anschließend wird eine Bestandsaufnahme (Best-Practice-Analyse) zu ähnlichen Modellen durchgeführt.

Im Hauptteil wird berichtet, welche regionalen Rahmenbedingungen die Konzeption des Studienmodells beeinflusst haben und wie bundeseinheitlich definierte Ausbildungsinhalte in Tandemteams von Berufsschullehrern und Hochschulprofessoren analysiert wurden sowie ein Curriculum entwickelt wurde, das die bereits erlernten Ausbildungsinhalte im Studium berücksichtigt. Es werden sowohl curriculare Elemente als auch die Studienorganisation und Anerkennungsaspekte aufgezeigt. Abschließend beleuchtet eine Reflexion die Herausforderungen, die während der Konzeptionsphase deutlich wurden.

Linking vocational and academic education – designing a model degree course for students already enrolled on business training courses

English Abstract

This paper presents the concept of a business/economics degree designed to be taken by students in parallel with vocational business training courses. The degree course was developed in cooperation between vocational schools and a university of applied sciences. First, the paper presents a brief preliminary study of people already enrolled on business training courses (n=40), whose expectations and concerns with regard to taking a university degree are analysed. There follows a best-practice analysis of similar course models.

The main part of the paper concerns the following: the influence of regional factors on the design of the degree; the analysis of nationally standardised course content by vocational school teachers and university professors working in tandem; and the development of a degree curriculum that takes into account what has already been learned on the training courses. The paper presents curricular elements and organisational aspects of the degree course, as well as issues of degree recognition. It ends by reflecting on some challenges that were revealed during the design phase.

1 Einleitung

Das berufliche und akademische Bildungssystem in Deutschland sind traditionell wenig miteinander verbunden (vgl. z. B. Elsholz 2015). Beide Bildungssysteme verfolgen unterschiedliche Bildungsziele und differenzieren sich in Organisation und Regelapparaten. Diese institutionelle Segmentierung von Allgemein- und Berufsbildung, d. h., die bisherige wechselseitige Abschottung der beiden Bildungsbereiche gegeneinander wird von Baethge als deutsches Bildungs-Schisma bezeichnet (Baethge 2006). In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass vermehrt Brücken zwischen der Berufs- und Hochschulbildung entstanden sind. Ein Brückenpfeiler stellt dabei die Öffnung der Hochschulen 2009 dar, der beruflich Qualifizierten den Weg an die Hochschulen eröffnet. Die Anerkennungsmöglichkeit außerhochschulisch erworbener Kompetenzen auf ein Hochschulstudium ist ein weiterer Pfeiler, der die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung fördern kann. Gleichzeitig wird der Trend zur Akademisierung sowohl von der Wissenschaft als auch aus der Perspektive der Berufsbildung kontrovers diskutiert (vgl. z. B. Nida-Rümelin 2014). Kritiker sehen im Trend zur Höherqualifizierung eine Gefährdung der dualen Berufsausbildung, die u. a. als ein Garant für eine geringe Jugendarbeitslosigkeit gilt (Hirsch-Kneisen 2013) und befürchten durch die zunehmende Anzahl an Hochschulabsolventen einen Engpass an mittleren Fachkräften mit dualer Ausbildung. Befeuert wird die Diskussion durch die Bedingung des demografischen Wandels, der nach der letzten Bevölkerungsvorausberechnung voraussichtlich dazu führen wird, dass die Zahl der Personen im besonders bildungsrelevanten Alter bis zu 30 Jahren bis 2030 um 14 % gegenüber 2010 zurückgehe (Baethge et al. 2014). Dies könnte eine Wettbewerbssituation zwischen Berufsausbildung und Hochschulstudium hervorbringen, die für beide Seiten wenig wünschenswert erscheint.

Tatsächlich scheint sich das Bildungsverhalten der Jugendlichen aktuell zu verändern. Ein Beispiel dafür ist die Zunahme an dualen Studienangeboten, die sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt haben (BIBB 2018) und die damit verbundene gestiegene Nachfrage von Jugendlichen für diese Studienart. Dionisius/Illiger 2017 können in ihrer aktuellen Studie über den Zeitraum von 2005 bis 2014 keine Abwendung von der dualen Berufsausbildung feststellen. Die Verknüpfung von Beruf und Studium scheint ein Thema mit wachsender Bedeutung für alle Akteure zu sein und es stellt sich die Frage, inwiefern die Bildungswege Berufsausbildung und Studium weiterhin als Alternativmodelle nebeneinanderstehen müssen.

Bisher stellen sich nur wenige staatliche Hochschulen den Fragestellungen, wie sich beruflich Qualifizierte bzw. Auszubildende in die bestehenden Studienkonzepte integrieren lassen oder ob die Bedürfnisse und Anforderungen dieser Zielgruppe eine Anpassung oder gar Neukonzeption bzw. Verknüpfung von Studium und Berufsausbildung erforderlich machen. Gleichzeitig stellt Rauner 2012 eine Akademisierung beruflicher Bildung fest, die beide Bildungsbereiche enger aneinanderrücken lässt. Hierbei sollten vor allem die Schnittstellen beider Bereiche zur Diskussion stehen. Dieser Artikel soll beispielhaft aufzeigen, wie ein neuartiges hybrides Bildungsformat entstehen kann, das doppelqualifizierend Berufsausbildung und Hochschulstudium verbindet.

2 Klärung der Begrifflichkeiten

Im Rahmen der Verzahnung von Berufsausbildung und Hochschulstudium bedarf es der Einordnung einiger Begrifflichkeiten, die sich in der Praxis häufig vermischen, weil es teilweise keine trennscharfe Abgrenzung gibt (vgl. dazu auch Nickel 2016 oder Faßhauer/Severing 2016).

Ein berufsbegleitendes Studium wird von in der Regel vollzeitbeschäftigten Personen aus dem Berufsleben aufgenommen. Die Studienorganisation und idealerweise auch die Didaktik berücksichtigen dabei die Berufstätigkeit. Die Studienform kann vom Fernstudium (selbstständiges Erarbeiten der Lehrinhalte, ohne an der Hochschule anwesend sein zu müssen) über Blended Formate (Kombination von Fernstudium mit Präsenzphasen an der Hochschule) bis zum klassischen Präsenzstudium reichen (vgl. z. B. Bargel/Bargel 2014). Das Hochschulstudium ist in der Regel weder organisatorisch noch curricular mit der Beschäftigung des Studierenden verknüpft.

Ein Teilzeitstudium hingegen ist in der Regel ein Vollzeitstudium, das durch zeitliche Reduzierung des Studienaufwands bei gleichzeitiger Verlängerung der Studierzeit stattfindet, aber in der Organisation weder die Berufstätigkeit der Studierenden berücksichtigt noch spezifische didaktische Konzepte aufweist.

Das duale Studium ist die Kombination der beiden Lernorte Hochschule und Arbeitsplatz mit einem festgelegten Wechsel von Studien- und Arbeitszeiten. Duale Studiengänge verzahnen Lernen an beiden Orten. Die Organisation und das Curriculum sind dabei aufeinander abgestimmt und in Praxisphasen werden ECTS[1] erworben. Eine spezielle Form des dualen Studiums stellt das ausbildungsintegrierte duale Studium dar. Ausbildungsintegrierende duale Studiengänge verbinden das Hochschulstudium mit einer Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf. Neben dem Begriff des dualen Studiums werden für diese Studienform z. B. auch Bezeichnungen wie „Verbundstudium“, „kooperatives Studium“ oder „Studium mit vertiefter Praxis“ verwendet oder Hochschulen bezeichnen ihre individuellen Konzepte mit eigenen Namen wie z. B. das Ulmer Modell[2]. Zugangsvoraussetzung ist nahezu immer die Fachhochschul- oder Hochschulreife. Der Berufsschulunterricht wird dabei entweder gekürzt oder teilweise auch komplett von der Hochschule mit abgedeckt. Als hybride Studien- und Ausbildungsmodelle oder ausbildungsbegleitende Studiengänge werden analog zum berufsbegleitenden Studium Konzepte bezeichnet, die durch keine oder nur eine geringe Verzahnung der Lehrinhalte und ein Nebeneinander der Lernorte gekennzeichnet sind.

Wissenschaftliche Weiterbildung wird definiert als „Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten Ausbildungsphase“ (Deutscher Bildungsrat 1970, 197). Wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen muss dem fachlichen und didaktischen Niveau der Hochschule entsprechen (Kultusministerkonferenz 2001). Die Teilnahme an Angeboten der wissenschaftlichen Weiterbildung (z. B. Studiengänge, Kontaktstudienangebote, Zertifikatskurse, Seminare) setzt nicht notwendigerweise eine Hochschulzugangsberechtigung oder einen ersten Hochschulabschluss voraus (vgl. dazu auch Kamm et al. 2016).

Die Anrechnung außerhochschulischer Kompetenzen regeln der Beschluss der Kultusministerkonferenz (Kultusministerkonferenz 28.06.2002) und die Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen (Kultusministerkonferenz 04.02.2010). Sie sehen vor, dass außerhochschulische Kompetenzen bis zu 50 Prozent eines Studiums ersetzen können.[3]

3 Konzeption eines Studienmodells für kaufmännische Auszubildende

Das nachfolgende Kapitel beschreibt die Vorgehensweise von der internen und externen Analyse über die regionalen Rahmenbedingungen bis zur Konzeption des Studienmodells für kaufmännische Auszubildende für die ausgewählten Ausbildungsberufe Bankkauffrau/-mann, Industriekauffrau/-mann und Kauffrau/-mann im Groß- und Außenhandel.

3.1 Vorstudie zu den Erwartungen und Bedenken – interne Analyse

Vor der Konzeption des Ausbildungs- und Studienangebots war es dem Projektteam ein Anliegen, die grundsätzliche Motivation, die Bedürfnisse und Ziele von Auszubildenden hinsichtlich der Studienaufnahme besser zu verstehen.

3.1.1 Stichprobe und Untersuchungsdesign

Dazu wurden berufsbegleitend Studierende, die in möglichst unmittelbarem Anschluss an ihre Berufsausbildung ein berufsbegleitendes Studium aufgenommen hatten, befragt. Die Erhebung erfolgte im Herbst 2015 mit ausgewählten Studierenden, die eine kaufmännische Ausbildung in den Ausbildungsberufen Industriekauffrau/-mann, Kauffrau/-mann für Büromanagement, Kauffrau/-mann im Groß- und Außenhandel und Fachkraft für Lagerlogistik abgeschlossen hatten. Die Befragungen fanden schriftlich mittels eines eigens entwickelten Erhebungsbogen statt, der neben soziodemografischen Basisdaten die aktuelle berufliche Situation, die grundsätzliche Studienmotivation, die Bedürfnisse und Ziele von Auszubildenden hinsichtlich der Studienaufnahme sowie einige weitere, als relevant erachtete Fragestellungen beinhaltet.

Insgesamt liegen Daten von 40 Studierenden in den Studiengängen Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsingenieurwesen vor: 34 Studierende haben sich für ein Studium der Betriebswirtschaftslehre entschieden und 6 Studierenden für das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens. Der zeitliche Abstand zwischen Berufsausbildung und Studium lag dabei zwischen 0 Monaten und 10 Jahren, der Median bei 3,0. Knapp zwei Drittel der Befragten sind Frauen. Mit 52,5 % ist die Gruppe der Industriekauffrauen/-männer am häufigsten vertreten, gefolgt von 32,5 % Bürokaufleuten und jeweils 7,5 % Kaufleuten im Groß- und Außenhandel und Fachkräften für Lagerlogistik. 77 % realisierten den Hochschulzugang über das Abitur oder die FH-Reife und 23 % über eine berufliche Aufstiegsfortbildung.

3.1.2 Deskriptive Befunde

Aktuelle berufliche Situation

85 % der Studierenden geben an, dass ihr Arbeitgeber dem Studienwunsch positiv gegenübersteht. Auf die Frage zur Selbsteinschätzung, ob die aktuelle Aufgabe im Unternehmen ihren Fähigkeiten entspricht, ergibt sich ein gespaltenes Bild: Je zur Hälfte sind 50 % der Studierenden mit der aktuellen Aufgabe im Unternehmen zufrieden, die andere Hälfte findet, dass die aktuelle Aufgabe nicht ihren Fähigkeiten entspricht.

Studienentscheidungsprozess

Bei den Erwartungen an das Studium steht für 82,5 % der Studierenden die Erweiterung der eigenen Fähigkeiten und des Wissenshorizonts im Vordergrund. Ein höheres Einkommen und die Erweiterung des eigenen Kompetenzbereichs in der beruflichen Tätigkeit sind für jeweils 75 % der Befragten von Bedeutung. 52,5 % erwarten eine mögliche Beförderung im Unternehmen und für 37,5 % ist die Entscheidung für ein Studium auch mit einer Arbeitsplatzsicherung verbunden. (Abbildung 1)

Abbildung 1: Erwartungen an das Studium n=40 (Mehrfachantworten möglich)Abbildung 1: Erwartungen an das Studium n=40 (Mehrfachantworten möglich)

Bei der Frage nach dem Grund der Studienaufnahme (siehe Abbildung 2) rücken die Studierenden die Möglichkeit zur beruflichen Weiterbildung und den allgemeinen Fortbildungswunsch mit über 80 % in den Vordergrund. Für 30 % ist das Studium auch eine Möglichkeit zur beruflichen Umorientierung. 20 % sehen sich durch die Arbeitsmarktsituation unter Druck, ein Studium aufzunehmen und 5 % folgen dabei dem Wunsch ihres Arbeitgebers.

Abbildung 2: Studienmotivation n=40 (Mehrfachantworten möglich)Abbildung 2: Studienmotivation n=40 (Mehrfachantworten möglich)

Bei der Frage nach den Bedenken, welche den Studierenden vor der Entscheidung zur Studienaufnahme Sorgen bereitet haben, steht die hohe zeitliche Belastung mit 72,5 % an erster Stelle, gefolgt von 52,5 %, die sich sorgen, ob Sie dem Anspruch des Studiums gerecht werden können. 37,5 % sind sich nicht sicher, ob ihr Durchhaltevermögen und die Disziplin für das Studium ausreichen. 15 % bzw. 12,5 % machen sich Sorgen, ob ihr Arbeitgeber den Studienwunsch positiv aufnimmt und ob ihre Familie/Partner das Studienprojekt positiv unterstützt. (Abbildung 3)

Abbildung 3: Bedenken vor der Studienaufnahme n=40 (Mehrfachantworten möglich)Abbildung 3: Bedenken vor der Studienaufnahme n=40 (Mehrfachantworten möglich)

Studiengebühren

In Bezug auf eine mögliche Unterstützung durch den Arbeitgeber geben 60 % der Befragten an, dass eine finanzielle Unterstützung der Studiengebühren durch ihren Arbeitgeber erfolgt. 70 % erhalten zeitliche Unterstützung (z. B. in Form von Bildungsurlaub, Arbeitszeitverkürzung, Freistellung). Nur 5 % (2 Studierende) geben an, keine Unterstützung vom Arbeitgeber zu erhalten. Die Studierenden zeigen sich bereit, auch einen Eigenanteil an Studiengebühren zu tragen, wie Tabelle 1 zeigt. 50 % der Studierenden geben an, 10-15 % ihres Nettoeinkommens für Studiengebühren aufwenden zu können. 34,3 % geben an, über 20 % ihres Nettoeinkommens für Studiengebühren investieren zu können.

Tabelle 1:     Bereitschaft zur Eigenbeteiligung an Studiengebühren

Eigenbeteiligung in % des Nettoeinkommens

Prozentualer Anteil

5 %

15,6 %

10 %

28,1 %

15 %

21,9 %

20 %

18,8 %

mehr als 20 %

15,6 %

Anmerkung. Frage: Wie viel Prozent Ihres Nettogehalts (nach der Berufsausbildung) würden Sie maximal pro Monat für Studiengebühren aufwenden? (z. B. 1.500€ Nettogehalt/10 % für Studiengebühren = 150€ pro Monat)

3.1.3 Fazit Vorstudie

Die Vorstudie zur Zielgruppe kaufmännische Auszubildende zeigt einen ausgeprägten Fortbildungswunsch, ähnlich wie es andere Studien bei beruflich Qualifizierten belegen (vgl. z. B. Jürgens 2017). Zudem ist mit einer positiven Unterstützung der Arbeitgeber zu rechnen, die neben finanzieller Unterstützung auch flexible Arbeitszeitmodelle gewähren könnten. Die Frage nach den Studiengebühren zeigt, dass es eine Bereitschaft gibt, sich in entsprechender Höhe daran zu beteiligen. Punkte, auf die bei der Konzeption des Studienangebots geachtet werden sollte, sind die Sorge um die zeitliche Belastung bei der Verknüpfung von Studium und Berufsausbildung sowie der grundsätzlichen Sorge der beruflich Qualifizierten, ob sie dem Anspruch eines akademischen Studiums gerecht werden können.

3.2 Best Practices – externe Analyse

Selbstverständlich gibt es bereits Studienangebote, die Lehrinhalte aus kaufmännischen Ausbildungen berücksichtigen. Um sich einen Überblick zu verschaffen, recherchierte das Projektteam aus der Perspektive eines Studieninteressierten und versuchte herauszufinden, welche Hochschulen entsprechende Angebote ausbringen. Die Analyse sollte klären, in welchem Umfang Lerninhalte aus der ausgewählten Ausbildung der Industriekauffrau/-mann in betriebswirtschaftlichen Bachelorstudiengängen berücksichtigt werden. Tabelle 2 zeigt fünf ausgewählte Studienangebote von privaten und staatlichen Hochschulen in Deutschland. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle Studienangebote Ausbildungsinhalte von vier Hochschulmodulen bis hin zu 46 ECTS anerkennen. Es fällt auf, dass die beiden betrachteten staatlichen Hochschulen Bielefeld und Brandenburg jeweils vier bzw. sechs Module anerkennen, wobei die Anzahl der ECTS unklar bleibt. Um dies herauszufinden, müssten Auszubildende die jeweiligen Studienprüfungsordnungen (SPO) finden und sich hier die Anzahl der Credits herausrechnen. Dieses Wissen kann von einem Auszubildenden aber nicht erwartet werden. Drei Hochschulen weisen die Anrechnungsmodule aus, aber nur die TH Brandenburg zeigt gleichzeitig auf, welche Noten in das Hochschulzeugnis (Diploma Supplement) übernommen werden. Möglicherweise werden die Module bei den anderen Hochschulen ohne Note angerechnet, was aber für den Studieninteressierten unklar bleibt. Die Hochschule Bielefeld schränkt die Anrechnung auf Industriekaufleute ein, die ihre Ausbildung ab 2009 an einem Berufskolleg im Regierungsbezirk Detmold erfolgreich beendet haben.

Tabelle 2:     Ausgewählte Best-Practice-Beispiele: Anrechnungen von Ausbildungsinhalten von Industriekaufleuten auf ein betriebswirtschaftliches Bachelorstudium

Hochschule

Ausbildungsberufe

Studiengang

Pauschale Anrechnung und Anzahl ECTS

Studienmodule

HFH – Hamburger Fernhochschule

Industriekauffrau/Industrie-kaufmann Kauffrau/Kaufmann für Büromanagement

Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel

Kauffrau/Kaufmann im Groß- und Außenhandel

Fernstudium BWL dual (B.A.)

47 ECTS

Unklar, keine Angaben

IUBH Internationale Hochschule (private Hochschule in Bad Honnef)

Industriekauffrau/Industrie-kaufmann

(weitere Regelungen für eine Vielzahl an Ausbildungsberufen, sehr transparent in der SPO ausgewiesen)

Fernstudium Bachelor Betriebswirtschafts-lehre B.A.

(180 ECTS)

21 ECTS + Anerkennung bei mind. 2 J. Berufstätigkeit: 10 ECTS für Selbst- und Zeitmanagement und Computer Training

1. BWL I (Einführung, Grundlagen)

2. Buchführung und Bilanzierung I (Einführung)

3. Kosten- und Leistungsrechnung I (Einführung)

4. Marketing I (Einführung)

5. Personalwesen I (Einführung)

6. Beschaffung und Logistik

7. Controlling I (Einführung)

Jeweils 3 ECTS/Teilmodule

PFH Private Hochschule Göttingen

Industriekauffrau/Industrie-kaufmann

Kauffrau/Kaufmann im Groß- und Außenhandel

Fernstudiengang Betriebswirtschaftslehre (B.A., 180 ECTS)

46 ECTS

Unklar, keine Angaben

FH Bielefeld

Industriekauffrau/Industrie-kaufmann

(ab 2009 an einem Berufskolleg im Regierungsbezirk Detmold erfolgreich beendet)

Betriebswirtschaftslehre (B.A.)

Wirtschaftsrecht (B.A.)

Wirtschaftsinformatik (B.Sc.)

Wirtschaftspsychologie (B.Sc.)

International Studies in Management (B.A.)

4 Module, Anzahl der Credits unklar, nach Prüfung der SPO vermutlich 25-30 ECTS

1. Grundlagen der Betriebswirtschaft

2. Rechnungswesen 1 – Buchführung und Bilanzierung

3. Rechnungswesen 2 – Kosten- und Leistungsrechnung

4. Produktion und Absatz

TH Brandenburg

Industriekauffrau/Industrie-kaufmann

(weitere Regelungen für Kauffrau/Kaufmann im Groß- und Außenhandel)

Betriebswirtschaftslehre (B.Sc.)

6 Module + individuelle Anrechnung Praxisprojekt durch den Nachweis einer kaufmännischen Tätigkeit von mindestens drei Monaten, Anzahl der Credits unklar, nach Prüfung der SPO vermutlich 25-30 ECTS

1. Buchführung/Note aus „Kaufmännische Steuerung und Kontrolle"

2. Grundlagen der Betriebswirtschaft/Note aus „Wirtschafts-und Sozialkunde"

3. Produktion und Materialwirtschaft/Note aus „Geschäftsprozesse"

4. Externes Rechnungswesen/Note aus „Kaufmännische Steuerung und Kontrolle"

5. Marketing/Note aus „Geschäftsprozesse"

6. Internes Rechnungswesen/Note aus „Kaufmännische Steuerung und Kontrolle"

Hinsichtlich der Inhalte der Anrechnungsmodule finden Interessierte bei zwei der drei privaten Fernhochschulen keine näheren Angaben. Vermutlich sind beide Modelle ausschließlich auf das Studium von Studierenden mit der entsprechender Berufsausbildung zugeschnitten, d. h., die Anrechnungsmodule müssen nicht für andere Studierende angeboten werden. Bei der IUBH fällt auf, dass jeweils nur Teilmodule anerkannt werden, d. h., dass die Studierenden das zweite Teilmodul im Laufe des Studiums absolvieren müssen. Hier stellt sich die Frage, was das für die gemeinsame Modulprüfung bedeutet bzw. inwiefern das anerkannte Teilmodul Studierende indirekt dazu zwingt, das anerkannte Teilmodul dennoch zu belegen, um sicherzustellen, dass sie bei der Modulprüfung eine gute Bewertung erreichen können. Beim Vergleich der Anrechnungsmodule zeigt sich, dass alle drei Hochschulen das Basismodul „Grundlagen der Betriebswirtschaft“ und den Themenblock internes/externes Rechnungswesen mit den Themen Buchführung/Rechnungswesen/Bilanzierung/Kosten- und Leistungsrechnung anrechnen. Unterschiede gibt es bei den Themen Marketing, Produktion und Materialwirtschaft, Personalwesen, Beschaffung sowie Logistik und Controlling.

Zusammenfassend zeigt die Best-Practice-Analyse, dass je nach Hochschule zwischen 25 und 47 ECTS anerkannt werden. Konsens besteht zumindest teilweise darüber, welche Anrechnungsmodule infrage kommen. Für welche Module die beiden privaten Hochschulen die weiteren 16 bzw. 17 ECTS anrechnen, bleibt unklar. Es bestätigt sich die Feststellung von (Hanft et al.), dass die Nutzung der Anrechnungsmöglichkeiten von Hochschulen sehr unterschiedlich erfolgt und staatliche Hochschulen eher zurückhaltend sind, während private Hochschulen Anrechnungsmöglichkeiten extensiver nutzen (Hanft et al. 2014).

Eine weitere Möglichkeit, um herauszufinden, welche Ausbildungsinhalte auf ein Hochschulstudium angerechnet werden können, bieten aktuell drei Datenbanken. Die Datenbank zur Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen dabekom.de zeigt z. B. für den Ausbildungsberuf Industriekauffrau/-mann 4 Hochschulen an: die private Hochschule Göttingen, die Fachhochschule Brandenburg, die Fachhochschule Bielefeld sowie die private Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld. Das derzeit im Aufbau befindende Projekt „Andaba“[4] in Baden-Württemberg soll Entscheidungen über pauschale und individuelle Anrechnungen dokumentieren und so für Hochschullehrende mehr Transparenz schaffen. Die Plattform ausbildungplus.de, eine Datenbank des Bundesinstituts für Berufsbildung, zeigt „Zusatzqualifikationen“ für Auszubildende, die auch Modelle der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung beinhaltet.

3.3 Regionale Rahmenbedingungen

Das Projekt entstand in einer ländlichen Region in Baden-Württemberg in Zusammenarbeit einer kaufmännischen Berufsschule, der IHK der Region und der Fakultät Wirtschaftswissenschaften einer staatlichen Hochschule für angewandte Wissenschaften sowie der Weiterbildungseinrichtung der Hochschule. Das Projektteam bestand aus Vertretern aller Institutionen, d. h., dem Schulleiter der Kaufmännischen Berufsschule, dem Abteilungsleiter der Berufsschule, dem Ausbildungsverantwortlichen der IHK, dem Dekan der Fakultät Wirtschaftswissenschaften und den Studiengangverantwortlichen im Vollzeitstudienangebot und im berufsbegleitenden Studienangebot im Rahmen der akademischen Weiterbildung. Aufgrund der Vorstudie und der Erfahrungen mit Auszubildenden in einem berufsbegleitenden Studienangebot der Hochschule kann ein generelles Interesse der Auszubildenden an einem Hochschulstudium vor Ort angenommen werden.

Im ersten Schritt wurden die Befunde der Vorstudie und die Best-Practice-Analyse diskutiert und durch Ausbildungsdaten der IHK-Region ergänzt. Tabelle 3 zeigt, dass unter den drei meist gewählten Ausbildungsberufen der Anteil der Auszubildenden mit Hochschulzugangsberechtigung stark variiert. Grundvoraussetzung für ein gemeinsames Ausbildungs- und Studienmodell ist das Vorhandensein einer Hochschulzugangsberechtigung (HZB) vor Ausbildungsbeginn oder ein Erwerb der HZB während der Ausbildung. Dies ist aber derzeit an den Berufsschulen der Region nicht möglich.

Tabelle 3:     Anzahl Auszubildende in der Region mit Hochschulzugangsberechtigung

 

Abitur/FH-Reife

Anzahl Azubis in IHK-Bezirk 2016

Prozentualer Anteil mit HZB

Industriekaufleute

46

845

5 %

Bankkaufleute

57

188

30 %

Kaufleute Groß- und Außenhandel

32

239

13 %

Weitere, häufiger gewählte Ausbildungsberufe wie Kauffrau/-mann für Büromanagement und Kauffrau/-mann im Einzelhandel wurden aufgrund der geringen Anzahl an Hochschulzugangsberechtigungen vorerst nicht weiter berücksichtigt bzw. sollen zu einem späteren Zeitpunkt betrachtet werden. Die 135 Auszubildenden der IHK-Region mit HZB verteilen sich dabei auf die drei Lehrjahre und drei kaufmännische Berufsschulen der Region. (siehe Tabelle 3) Nimmt man an, dass für 10-20 % der Auszubildenden ein zeitgleiches Ausbildungs- und Studienmodell infrage käme, wird schnell klar, dass ein Studienmodell mit gemeinsamer Beschulung der Auszubildenden in einer Berufsschulklasse wegen zu geringer Teilnehmer kaum möglich ist – auch wenn man annimmt, dass Unternehmen im Falle des Angebots eines Ausbildungs- und Studienmodells mehr Abiturienten für eine Berufsausbildung gewinnen würden. Zudem besteht in Zeiten rückläufiger Ausbildungszahlen seitens der Berufsschulen Interesse daran, die Schüler und Schülerinnen am eigenen Standort zu halten. So wurde schnell klar, dass ein integriertes Studienmodell (siehe Tabelle 4) mit direkter Verzahnung der Berufsschullehre und Hochschullehre in der Region aufgrund zu geringer Fallzahlen zum Konzeptionszeitpunkt kaum möglich sein wird.

Tabelle 4:     Mögliche Studienmodelle durch pauschale Anrechnung

Integriertes Studienmodell

Studium und Ausbildung werden vollständig integriert, d. h., das Studiengangs-Curriculum baut vollständig auf den Vorbildungskompetenzen aus der Ausbildung auf bzw. ist mit der Berufsschule direkt verzahnt.

Modulbezogenes Studienmodell

Durch pauschale Anrechnungsblöcke wird das Studium um die anrechenbaren Module verkürzt, d. h., einzelne Module verringern die Studienlast oder ganze Semester werden anerkannt.

Verkürztes Studienmodell

Durch pauschale Anrechnungsblöcke wird das Studium verkürzt, d. h., für eine homogene Zielgruppe wird ein verkürztes Studienmodell angeboten.

Im nächsten Schritt wurden Experteninterviews mit den Ausbildungsverantwortlichen der zehn Firmen mit den meisten Auszubildenden hinsichtlich ihrer Einschätzung zur Zielgruppengröße und ihren Anforderungen an das Studienmodell durchgeführt. Insgesamt zeigten sich acht der zehn Firmen an einem Ausbildungs- und Studienmodell interessiert. Zwei Firmen äußerten sich kritisch in Bezug auf die Belastung der Auszubildenden bzw. rekrutieren keine Abiturienten als Auszubildende. Besonders interessiert zeigten sich die Banken, die traditionell häufiger Abiturienten ausbilden, dadurch aber auch mit einer erhöhten Fluktuation kämpfen, weil Abiturienten häufiger nach der Ausbildung ins Studium wechseln. Zwei Firmen (große Konzerne) äußerten Interesse an Modellen für weitere Ausbildungsberufe wie z. B. Kaufmann/-frau für Informatik. In den Gesprächen wurde auch klar, dass die Ausbildungsdauer zwischen den Unternehmen variiert. So verkürzen Abiturienten bei den Banken in der Regel auf zwei Ausbildungsjahre, andere Firmen bestehen auf einer grundsätzlichen Ausbildungsdauer von drei Jahren. Einige Ausbildungsverantwortliche erkannten im Gespräch das Mitarbeiterbindungspotenzial eines Ausbildungs- und Studienmodells, das je nach Ausgestaltung der Studienphasen eine Beschäftigung der Ausgebildeten für eine bestimmte Zeitdauer nach der Ausbildung ermöglichen könnte. Zusammenfassend wurde in den Gesprächen mit den Ausbildungsverantwortlichen deutlich, dass es aus Unternehmenssicht nur wenige geeignete Ausbildungsbewerber für ein Ausbildung- und Studienmodell gibt, die der Doppelbelastung gewachsen sein dürften. Einige Unternehmen wünschten sich daher, die Entscheidung über ein paralleles Modell erst nach dem ersten Ausbildungsjahr zu treffen, wenn man den Auszubildenden besser einschätzen kann. Andere Unternehmen sehen ein Ausbildung- und Studienmodell als Möglichkeit, besser qualifizierte Auszubildende zu rekrutieren, die sich ansonsten eher für ein Studium entschieden hätten. Die Rückmeldung der Ausbildungsbetriebe bestätigte die Annahme, dass die Zielgruppe in der Region kleiner ist, als anfänglich auf Basis der IHK-Daten angenommen wurde.

3.4 Entwicklung des Ausbildungs- und Studienmodells

An deutschen Hochschulen wird die Betriebswirtschaftslehre heute als umfassende, interdisziplinär ausgerichtete Managementlehre aufgefasst, die in Forschung und Lehre umgesetzt werden soll (Schomann 2005). Die funktionale Betrachtungsweise bildet dabei zumindest im Grundstudium die Basis der Lehre an den meisten Hochschulen. Neben einer Einführungsveranstaltung beinhalten betriebswirtschaftliche Studienangebote in der Regel Module im Bereich Beschaffung & Logistik, Marketing & Vertrieb, Rechnungswesen, Controlling, Organisation und Leitung, Personalwesen sowie Finanzierung. Ein hochschulübergreifendes Basis-Curriculum gibt es ebenso wenig wie einen Konsens dahingehend, welche grundsätzlichen Lehrinhalte die funktionalen Bereiche beinhalten sollten. Die Lehrfreiheit der Hochschulprofessoren steht damit den bundeseinheitlich geregelten Ausbildungsinhalten nach dem Berufsbildungsgesetz gegenüber. Die curriculare Gestaltung von Hochschulstudiengängen unterliegt dabei einer Reihe von Interessen, z. B. den Themeninteressen der verantwortlichen Professoren oder auch zunehmend hochschulstrategischen-, Unternehmens- oder Marketinginteressen, was zu einer Vielfalt und unterschiedlichen Schwerpunktgestaltung der Lehrinhalte bei Studienangeboten der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (BWL) führt. An der Projekthochschule gibt es drei verschiedene Studienangebote in der BWL: BWL für kleine und mittlere Unternehmen, internationale BWL und das berufsbegleitende Studienangebot in allgemeiner BWL. Infolge regionaler Randbedingungen konnte nur ein modulbezogenes Studienmodell entwickelt werden, das die Arbeits- bzw. Berufsschulzeiten entsprechend berücksichtigen musste. Das existente berufsbegleitende Studienangebot wurde ausgewählt, da die Vorlesungszeiten freitagnachmittags und samstags dies ermöglichen.

Für das modulbezogene Ausbildungs- und Studienmodell bildeten die Ansätze der pauschalen Anrechnung die Grundlage (vgl. z. B. Hanft et al. 2014). Nach einem ersten Vergleich des Hochschulcurriculums und der Ausbildungsordnungen der ausgewählten Berufe konnten 10 Module identifiziert werden, die in einer Detailanalyse genauer betrachtet werden sollten. Dazu wurden Tandemteams aus Hochschuldozenten und Berufsschullehrern gebildet, die eine Detailanalyse zur Identifikation von Anrechnungspotenzialen nach Seger & Waldeyer 2014 verwendeten. Die Experten verglichen dabei mithilfe der Modulbeschreibungen und der Bildungspläne der Ausbildungsberufe, welche Qualifikationsziele den Modulen entsprechend in den Lernfeldern der Ausbildungspläne beinhaltet sind und bewerteten, ob das Niveau der Lernergebnisse aus der Berufsschule mit dem Niveau der Lernergebnisse des Hochschulzielmoduls übereinstimmt. Dieses zweistufige Verfahren wurde dabei taxonomieorientiert durchgeführt (vgl. z. B. Seger/Waldeyer 2014, 158). Dieser lernergebnisorientierte Niveauvergleich diente als Grundlage für die Gleichwertigkeitsentscheidung der Tandemteams. Als Bewertungskategorien für den Vergleich der Inhalte und des Niveaus wurden drei Stufen festgelegt: 1. gleichartig/gleichwertig, 2. unwesentliche Unterschiede, 3. wesentliche Unterschiede. Außerdem wurden die Leitlinien für die Qualitätssicherung von Verfahren zur Anrechnung beruflicher und außerhochschulisch erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge (wissenschaftliche Begleitung der BMBF-Initiative „Anrechnung 2010) berücksichtigt.

Tabelle 5:     Ergebnis der Äquivalenzprüfung

Ausbildungsberuf

Module 1: Grundlagen der Betriebswirt-schaftslehre

Modul 2: Rechnungslegung

Modul3: Projekt Marketing & Vertrieb

Modul 4: Projekt: Betriebliche Organisation

Buchführung

Bilanzierung

Industriekauffrau/ -mann[5]

Lernfeld 2, 6

Lernfeld 6, 7

Lernfeld 3, 8, 9

PK & Lernfeld 4 & Ausbildungs-tätigkeit

PK & Lernfeld 1 & Ausbildungstä-tigkeit

Bankkauffrau/-mann[6]

Allg. Wirtschafts-lehre SJ 1&2

LPE 1-4

Rechnungs-wesen SJ1 LPE 1-5

Rechnungs-wesen SJ 1 LPE 6 , SJ 2 LPE 6-7

HOT & Ausbildungs-tätigkeit

HOT & Ausbildungstä-tigkeit

Kauffrau/-mann im Groß- und Außenhandel[7]

Lernfeld 2, 5, 9

Lernfeld 7, 8

Lernfeld 6, 8, 9

PK Lernfeld 5 & Ausbildungs-tätigkeit

PK Lernfeld 7 & Ausbildungs-tätigkeit

Anmerkungen. LPE = Lehrplaneinheit, SJ= Schuljahr, HOT= Projekt, Fallstudie, Planspiel, Rollenspiel handlungsorientiert bearbeitet, PK= Projektkompetenz

Insgesamt wurden vier Anrechnungsmodule im Umfang von 20 ECTS identifiziert (siehe Tabelle 5), bei denen die Tandems zur Einstufung 1 und 2 gekommen sind. Sechs weitere geprüfte Module zeigten wesentliche Unterschiede auf. Dazu gehörten die Module Wirtschaftsrecht, Marketing & Vertrieb, betriebliche Organisation, Unternehmenssteuern, Business Englisch und interdisziplinäres Projektmanagement. Je nach Größe der Lücke gab es Überlegungen, die fehlenden Lehrinhalte in Zusatzunterricht in Form einer Summerschool oder durch Zusatzstunden in der Berufsschule zu schließen. Beide Möglichkeiten sollen mit den Studierenden nochmals analysiert werden, wenn das Projekt eingeführt wurde. Das Gesamtergebnis wurde im Fakultätsrat vorgestellt und vom zuständigen Prüfungsausschuss wurde die pauschale Anrechnung für die ausgewählten Ausbildungsberufe genehmigt.

Die pauschale Anrechnung dieser vier Module für Auszubildende in den drei Ausbildungsberufen bildet die Grundlage für die Gestaltung des Studienablaufs. Auf Basis der Befragung der Ausbildungsleiter wurde beschlossen, mit dem Studium frühestens nach Abschluss des ersten Lehrjahrs zu beginnen, sodass den Auszubildenden genügend Zeit bleibt, sich im Unternehmen zu orientieren und in der Berufsausbildung anzukommen. Abbildung 4 zeigt das entwickelte Ausbildungs- und Studienmodell.

Abbildung 4: Ausbildungs- und StudienmodellAbbildung 4: Ausbildungs- und Studienmodell

Alle Anrechnungsmodule wurden im Rahmen einer Änderung der Studien- und Prüfungsordnung in den Semestern 1 und 2 verortet, sodass die Auszubildenden in ihrem letzten Lehrjahr parallel zur Ausbildung in zwei Semestern mit jeweils zwei Hochschulmodulen ins Studium einsteigen. Sie verbringen je Modul ca. drei bis vier Wochenenden an der Hochschule, sodass die Zusatzbelastung zumutbar erscheint. Nach Ausbildungsabschluss können die Studierenden dann im erlernten Ausbildungsberuf arbeiten und in fünf Vorlesungssemestern – nach frühestens zweieinhalb Studienjahren – ihren Bachelorabschluss mit 210 ECTS erwerben. Der Praxisbericht in Semester 7 ist dabei kein Studiensemester, sondern ein Transferbericht äquivalent zum Praxissemester Vollzeitstudierender.

4 Zusammenfassung und Reflexion

Dieser Erfahrungsbericht gibt Einblick in die konzeptionelle und praktische Entwicklung eines hybriden Ausbildungs- und Studienmodells, das in Zusammenarbeit einer Berufsschule und einer Hochschule für angewandte Wissenschaften entstanden ist. Die Voruntersuchung bestätigte das generelle Studieninteresse bei kaufmännischen Auszubildenden in der Region. Die Analyse der Ausbildungszahlen der IHK-Region sowie Experteninterviews mit Ausbildungsverantwortlichen zeigten allerdings, dass auf Basis der regionalen Rahmenbedingungen die Gruppe der potenziellen Zielgruppe in den kaufmännischen Ausbildungsberufen für ein integriertes Ausbildung- und Studienmodell zu klein ist. Ein modulbezogenes Anrechnungsstudienmodell wurde in Form eines wissenschaftlichen Weiterbildungsangebots entwickelt, das es Auszubildenden ermöglicht, im letzten Ausbildungsjahr das berufs- und ausbildungsbegleitende Studium aufzunehmen und es nach Ausbildungsanschluss, während sie in ihrem Ausbildungsberuf tätig sind, innerhalb von fünf Semestern abzuschließen.

Die Erkenntnisse aus dem Projekt zeigen, dass vollständig integrierte Ausbildungs- und Studienmodelle in Zusammenarbeit von Hochschulen und Berufsschulen eine ausreichend große Zielgruppe erfordern und in ländlichen Regionen kaum realisierbar sind. Urbane Regionen mit großen Berufsschulen haben möglicherweise eine genügend große Zielgruppe. Eine Chance, die Zielgruppe zu vergrößern, wäre die Stärkung der beruflichen Ausbildung mit gemeinsamem Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung, wie es z. B. in Österreich mit der „Berufsmatura“ möglich ist (vgl. z. B. Graf 2013).

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Ausbildungspläne und hochschulischen Curricula sowie der Freiheit der Lehre wird es in absehbarer Zeit keine einheitlichen Anrechnungsregelungen für Ausbildungsinhalte auf Studiengänge geben und jede Hochschule muss individuell prüfen, inwieweit Ausbildungsinhalte im jeweiligen Curriculum in den einzelnen Hochschulmodulen beinhaltet sind. Ein Kommittment der Hochschulen für angewandte Wissenschaften über die Basisqualifikationen in allgemeinen betriebswirtschaftlichen Studiengängen, wie es die HRK aktuell in den „Empfehlungen zur Entwicklung und Umsetzung eines Fachqualifikationsrahmens in den Wirtschaftswissenschaften“[8], zur Diskussion vorschlägt, könnte helfen, hochschulübergreifend einheitliche Anerkennungsregelungen zu finden.

Eine Gelingensbedingung für die Entwicklung eines gemeinsamen Ausbildungs- und Studienmodells ist der Abbau von Vorurteilen und Hemmschwellen zwischen Hochschulprofessoren und Berufsschullehrern. Die Bildung von Tandemteams und die gemeinsame Reflexion über Anerkennungsmöglichkeiten ist eine gute Möglichkeit für beide Seiten, Transparenz zu gegenseitigen Lehrinhalten zu bekommen und Vertrauen ins andere Bildungssystem zu gewinnen. Das Projekt zeigt auch, dass sich marktorientierte Organisationsstrukturen der Hochschulbildung wie die akademischen Weiterbildungseinrichtungen und private Hochschulen leichter auf die organisatorischen Anforderungen bestimmter Zielgruppen einstellen können. Andererseits braucht es auch eine Flexibilität der Berufsschulen hinsichtlich der Unterrichtszeiten und Bündelung der Beschulung von Auszubildenden. Der Landkreis als Schulträger muss solche Projekte ebenso mittragen wie die regional ansässigen Unternehmen, die mit solchen Modellen ihre Auszubildenden auch nach Abschluss der Ausbildung ans Unternehmen binden und ihnen eine Entwicklungsperspektive anbieten können.

Im Hinblick auf die Gewinnung von Auszubildenden erscheint eine fundierte Beratung der Ausbildungsbewerber notwendig, um ihnen die Schwellenangst zur Hochschulbildung und der Doppelbelastung von Ausbildung und Studium zu nehmen. Gleichzeitig kann an dieser Stelle auch für mehr Transparenz hinsichtlich der Anforderungen und Studieninhalte gesorgt werden, um der Sorge entgegenzutreten, dass sie dem Anspruch eines Studiums gerecht werden können.

Mit Blick auf die demografisch bedingte Verringerung der Anzahl an Schulabsolventen wird für die neue Konstellation von Berufs- und Hochschulausbildung viel davon abhängen, dass keine dysfunktionale Konkurrenz entsteht. Auch wenn die langfristigen Implikationen solcher Verzahnungsmodelle in Bezug auf traditionelle Bildungsgänge noch ungeklärt sind, lässt sich feststellen, dass hier die langjährige Forderung nach mehr Durchlässigkeit seitens der beruflichen Bildung umgesetzt wurde. Es wäre wünschenswert, dass staatliche Hochschulen ihre Angebote für beruflich Qualifizierte ausbauen, damit diese nicht wie aktuell auf wenige Hochschultypen (Fernstudiengänge, private Fachhochschulen) verwiesen werden.

Literatur

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[1] European Credit Transfer and Accumulation System, ein ECTS Leistungspunkt entspricht dabei zwischen 25 und 30 Arbeitsstunden für den Studierenden, siehe dazu auch http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_10_10-Laendergemeinsame-Strukturvorgaben.pdf.

[2] Siehe https://studium.hs-ulm.de/de/Seiten/DualesStudium_UlmerModell.aspx.

[3] Weitere Information zum Thema Anrechnung unter http://ankom.dzhw.eu.

[4] Siehe https://www.hochschulen-bw.de/home/service/anrechnung-von-kompetenzen.html

[5] Rahmenlehrplan 1. August 2008.

[6] Rahmenlehrplan 7. Januar 1999.

[7] Rahmenlehrplan 1. August 2008.

[8]    Siehe https://www.hrk-nexus.de/fileadmin/redaktion/hrk-nexus/07-Downloads/Empfehlungen_zur_Entwicklung_Umsetzung_eines_FQR_Wiwi_Web_01-2018.pdf

Zitieren des Beitrags

Jürgens, A. (2018): Verknüpfung von beruflicher und akademischer Bildung –Konzeption und Reflexion eines Studienmodells für kaufmännische Auszubildende. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 34, 1-18. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe34/juergens_bwpat34.pdf (30.06.2018).