bwp@ 47 - Dezember 2024

Attraktivität des Lehrer:innenberufs in der Berufsbildung

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Silke Lange & Matthias Söll

Das Siegener Modell der Lehrer*innenbildung für das Lehramt an gewerblich-technischen Berufskollegs – Ein Ansatz zur parallelen Flexibilisierung der Professionalisierung und Optimierung des Recruitings

Beitrag von Ralph Dreher
bwp@-Format: Aus der Praxis
Schlüsselwörter: Unterrichtsentwicklungsprojekt (UEP), COMET, Siegener Modell, Berufsbildungsprozess, narzisstisch-autoritärer Sozialcharakter

An der Universität Siegen gibt es seit 2013 ein Studienangebot für das Lehramt an berufsbildenden Schulen (gewerblich-technisch), das durch eine hohe Individualisierung (Flexibilisierung passend zu den Bedarfen der Student*innen) bei gleichzeitiger Praxis-Theorie-Verzahnung besonders attraktiv ist. Kernelement ist die Arbeit mit und in unterrichtlichen Entwicklungsprojekten (UEP), die über den Studienverlauf entwicklungslogisch in ihrer Komplexität steigen und durch eine Vielzahl von Unterstützungsmaßnahmen (Begleitseminare, Jour fixe-Fragestunden, Video-Bot-Chanels, Konsilium) als Portfolioelemente begleitet werden. Die dazu etablierte Prozessevaluation zeigt, dass das Konzept als gut funktionierendes Recruitingelement einzustufen ist. Allerdings wird durch die konkrete Unterrichtsentwicklung als Studieninhalt ein Mangel offengelegt: Die unzureichende Fähigkeit der Student*innen, sich als Berufsbildner*in zu verstehen und aus ihrem Unterricht berufliche Bildungsziele abzuleiten.

The Siegen model of teacher training for the teaching profession at industrial-technical vocational colleges – an approach for the parallel flexibilization of professionalization and optimization of recruiting

English Abstract

Since 2013, the University of Siegen has offered a degree course for the teaching profession at vocational schools (industrial-technical), which is particularly attractive due to its high degree of individualization (flexibilization in line with student requirements) and simultaneous practical-theoretical interlinking. The core element is working with and in teaching development projects (UEP: Unterrichts-Entwicklungs-Projekte), which increase in complexity over the course of the degree program and are accompanied by a variety of support measures (accompanying seminars, jour fixe question and answer sessions, video bot chanels, consilium) as portfolio elements. The established process evaluation shows that the concept can be classified as a well-functioning recruiting element. However, a shortcoming is revealed by the concrete teaching development as study content: The inadequate ability of students to see themselves as vocational educators and to derive vocational education goals from their teaching.

1 Überblick über das „Siegener Modell“

Das Siegener Modell der Lehrerbildung für gewerblich-technische Lehrer*innen wurde unter dem Eindruck eines überproportionalen regionalen Mangels geschaffen. Zu fragen war daher, wie ein attraktives Studienangebot entwickelt werden kann, welches zu einem Studium vor Ort animiert und dann auch zu einem „Klebeeffekt“ in der Region führt. Als Kernthese wurde hier formuliert: „Von den Bedarfen der Student*innen herdenken“. Der Studiengang bietet ein zeitlich wie organisatorisch hochflexibles Konzept entwickelt und darüber hinaus ein hohes Maß an Praxis-Theorie-Verzahnung. Letzteres geschah vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich ein Gutteil der Student*innen bereits im Schuldienst befindet und berufsbegleitend studiert.

Kernelement des Studiengangs ist ein entwicklungslogisch strukturiertes Angebot von UEP – Unterrichtsentwicklungsprojekten, in denen Lernsituationen in den Schritten der Arbeitsprozessanalyse, Binnendifferenzierung und flexiblen Verlaufsplanung projektbasiert mit freier Zeiteinteilung und Meilensteinvorgaben entwickelt werden. Flankierende Seminare wurden in der Anfangszeit (2013–2019) in Präsenz angeboten.

Durch einen parallelen Innovationsschub (Pandemiesituation, zugleich Start des QLB-Vorhabens „Faktur“) kam es auf der Grundlage einer ab Beginn des Studienangebots gelaufenen Längsschnittevaluation zu einer umfangreichen Revision des Studiengangs. Das Ergebnis war der Aufbau eines digitalen Lehrangebots für die bisherigen Präsenzseminare, flankierende Video-Bots sowie einer virtuellen 2-D-Werkstatt „Lernkunst“.

Dieses Modell wird fortlaufend weiter evaluiert und zeigt folgende Effekte: Verbesserte Vorbereitung der Student*innen auf die zweite Phase und zugleich erhöhte Rekrutierungschancen für den Siegener Studiengang durch eine verbesserte Bedarfsorientierung ohne Qualitätsverlust.

Was bislang nur unvollständig gelungen ist: Der im QLB-Vorhaben diagnostizierten Tendenz einer „narzisstisch-autoritär“ dominierten Entwicklung der Lehrer*innenpersönlichkeit konzeptionell erfolgreich entgegenzutreten. Hier wird seit 2021 eine gemeinsame Veranstaltung zur Verschmelzung der berufspädagogischen und technikdidaktischen Seminare erfolgreich umgesetzt, diese konnte bislang aber lediglich singulär im Konzept implementiert werden.

2 Ausgangslage

2.1 Systemischer Lehrkräftemangel in der beruflichen Bildung

Die Personalsituation an den Berufskollegs und Berufsschulen kann bundesweit bereits seit Jahrzehnten als unbefriedigend verstanden werden (Klinger, 2024, S. 2), da die Bewerber*innenzahlen seit Jahrzehnten auf niedrigem Niveau jenseits des tatsächlichen Personalbedarfs stagnieren.

Gründe für dieses fortwährende Desinteresse sind bekannt (verwiesen sei hier auf die vorzügliche Benennung strategisch-administrativer Mängel durch Rothe (2006, S. 86–88.): Organisatorisch die unzureichende universitäre Stützung der Studienangebote, inhaltlich häufig die fehlende fachliche Fokussierung auf die Bedarfe für die Arbeit in der beruflichen Bildung (gewerblich-technische Wissenschaften statt Ingenieurwissenschaften als Bezugsdisziplin (Dreher & Markof, 2016, S. 485; Jenewein & Rützel, 2016, S. 459–460) und bildungsadministrativ die tradierten Zugangswege über den Quer- und Seiteneinstieg. In der Folge ist das reine Ingenieurstudium dann oftmals die bevorzugte Alternative bei der Studiengangswahl, da ein grundständiges Lehramtsstudium weder als zwingend für die Berufswahl „Lehrkraft in der beruflichen Bildung“ vorausgesetzt noch inhaltlich als zielführend empfunden wird.

2.2 Gründung des Lehrgebiets

Für die Region Siegen-Wittgenstein ergab sich aufgrund der unattraktiven geografischen Lage, mehr als 100 Weltmarktführern im Maschinen- und Anlagenbau und der Nähe zu den Zentren Ruhrgebiet, Köln und Düsseldorf eine besonders schwierige Situation: Das geringe Studieninteresse für das gewerblich-technische Lehramtsstudium bei gleichzeitig hohem Ausbildungsbedarf an Fachkräften und die guten Arbeitsmöglichkeiten für Ingenieur*innen als Alternative bei der Studienwahl. Vergleichbare Studienangebote für die gewerblich-technische Lehramtsausbildung (vor allem an der Bergischen Universität Wuppertal, TU Dortmund, Universität Paderborn, Universität Münster) führen zu einem Wettbewerb um die wenigen Studieninteressent*innen. Und damit einhergehend: Ein „Klebeeffekt“, der dazu führte, dass in der Nähe des einmal gewählten Studienortes dann auch der Vorbereitungsdienst absolviert wurde (und eben nicht in der Region Siegen-Wittgenstein) und zumeist dort dann ein Anstellungsangebot angenommen wurde. Dieses führte für die Region Siegen-Wittgenstein zu einer auch im Landesvergleich zu anderen Standorten von Berufskollegs (BK) erhöhten Vakanz am BK Technik Siegen.

Die Kernaufgabe bei Gründung des Lehrgebiets als Stiftungsprofessur der regionalen Industrie war damit klar umrissen: Schaffung eines attraktiven, lokalen Studiengangangebots für das Lehramt an Berufskollegs (BK) mit den die Region prägenden Fachrichtungen Elektrotechnik und Metalltechnik (nachfolgend verkürzend „BK-Technik-Studienangebot“) – als Fundament für ein regional fokussiertes Recruiting.

Um hierbei aktuellen Entwicklungen im Land Nordrhein-Westfalen Rechnung zu tragen, galt es zudem, in besonderer Weise die Forderungen des vom Land Nordrhein-Westfalen durch das parallel zu dieser Entwicklung veröffentlichte „Tenorth-Gutachtens“ zur Verbesserung der Lehrkräfteversorgung in der gewerblich-technischen Berufsbildung (MSB, 2013) zu berücksichtigen:

  • Sicherstellung der spezifischen Kompetenzvermittlung und hochschulischen Bildung für die Arbeit als Lehrkraft in der beruflichen Bildung (MSB, 2013, S. 35);
  • Standortbezogene Profilierung der Ausbildungsangebote über curriculare und studienorganisatorische Entwicklungsarbeit (MSB, 2013, S. 35; analog zur bereits identifizierten Kernaufgabe);
  • als Neuerung: Stärkung von Studienmodellen, die mit Fachhochschulen kooperieren (MSB, 2013, S. 33), woraus implizit folgt: ein attraktives Studienangebot mit hochaffinen beruflichen Fachrichtungen, da das Nachstudieren eines Unterrichtsfaches unattraktiv ist;
  • Maßnahmenevaluation anhand definierter Qualitätskriterien (MSB, 2013, S. 35.).

2.3 Standortprofilierung: Attraktivitätssteigerung des Studienangebots mittels entwicklungslogischer Binnendifferenzierung und spezifischer Portfolioarbeit

2.3.1 Strukturelle und inhaltliche Heterogenität der Bedarfe der Student*innen

Zentraler Ausgangspunkt bei der Neuaufstellung der Siegener BK-Technik-Lehrerausbildung waren nur bedingt die ab 1995 formulierten „Ländergemeinsamen Anforderungen für den Lehramtstyp 5“ (KMK, 2024) sowie die „Rahmenvereinbarung über die Ausbildung und Prüfung für ein Lehramt der Sekundarstufe II (berufliche Fächer) oder für die beruflichen Schulen (Lehramtstyp 5)“ (KMK, 2018).

Begründet werden kann dieses damit, dass die „Ländergemeinsamen Anforderungen“ so allgemein gehalten sind, dass hinsichtlich der im Tenorth-Gutachten geforderten standortbezogenen Profilierung keine Impulse erkennbar werden. Die „Rahmenvereinbarung“ gibt zwar verbindliche minimale Ausbildungszeiten, aber auch eine Liste beruflicher Fachrichtungen, die das Modell mit den „kleinen“ bzw. „hochaffinen“ Fachrichtungen zwar nicht implizit ausschließt (sondern in Verantwortung der Bundesländer gibt (KMK, 2018, S.3). Damit werden Modelle mit affinen Fachrichtungen als Unterrichtsfächer nicht ausdrücklich als studier- und anerkennbar benannt (KMK, 2018, Beilage).

Statt einer Fokussierung auf die KMK-Vorgaben dominierte von Beginn an die Frage nach einer standortbezogenen Profilierung. Beantwortet wurde diese Frage durch die Kernthese: Eine attraktive Studiengangskonzeption bedeutet, von den Bedarfen der Student*innen her zu denken.

Bedarfe meint hier vor allem: Der Studiengang selbst muss sich angesichts des zu erwartenden Klientels, welches „Non-Traditional-Students“ (Dreher, 2018, S. 294–295) für das Lehramt mit einschließt, der Herausforderung der Heterogenität stellen: „Bunte“ Biographien beim Erwerb der Hochschulreife, hohe Lebensaltersdifferenzen (mit entsprechenden Lebenserfahrungen), unterschiedliche Vorerfahrungen in der beruflichen Bildung (bereits erfolgte Quereinstieg als Lehrkraft, Tätigkeit als Ausbilder*in) sowie biografische Nähe oder Ferne zum System der beruflichen Bildung kennzeichnen die spezifischen Lernbedarfe der Student*innen. Zudem: Finanzierung des Studiengangs über Erspartes aus dem ersten Beruf, elterliche Unterstützung oder Nebentätigkeit (als häufigstes Modell). Folglich muss der Studiengang so konzipiert sein, dass das Lehrangebot flexibel auf diese unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedarfe anpasst werden kann.

Die Qualität einer solchen Lehrer*innenbildung definiert sich dabei als die Vermittlung der Befähigung zur Umsetzung von Konzepten zur Erlangung der Berufsreife, der Umsetzung von inkludierender Binnendifferenzierung angesichts der Heterogenität in den Fachklassen, der Förderung der beruflichen Integration von Schüler*innen mit Migrationshintergrund sowie der Bewältigung des technologischen Wandels durch berufsfeldübergreifende Informatisierung von Beruflichkeit (MSB, 2013, S. 4–6). Abstriche hierbei sind nicht hinnehmbar.

Besonderes Profilmerkmal des „Siegener Modells“ ist somit ein Studienangebot, welches ausgehend von den Student*innen und ihren Voraussetzungen Variabilität zulässt – bei gemeinsamer Fixierung der Dozent*innen wie der Student*innen auf das outcomeorientierte Ziel „hochqualifizierte BK-Lehrkraft“, die das System der beruflichen Bildung weiter entwickeln und nicht abwickeln wird. Was mit diesem bewusst provokativen Satz gemeint ist: Eine Lehrkraft, die sich zunächst aufgrund ihrer pädagogisch-didaktischen Professionalisierung von der Vorstellung einer beruflichen Bildung mit dem Primat der Theorievermittlung löst. Was zugleich bedeutet: Eine Lehrkraft, welche die Aufgabenteilung zwischen berufliche Ausbildung im Betrieb und beruflicher Bildung am Lernort Berufsschule/BK didaktisch differenziert aufarbeiten kann. Denn nur dann ist eine sich berufsbildend verstehende Lehrkraft in der Lage, unterichtsentwickelnd dem Prinzip der Förderung einer beruflichen wie außerberuflichen Förderung einer gestaltungsbasierten Handlungsorientierung zu folgen (KMK, 2021, S.10). Derartige Unterrichtsarbeit bedeutet dann im Ergebnis die Sicherung einer höheren Eigenständigkeit des Lernortes Berufliche Schule durch Abgrenzung von den Aufgaben des Lernorts Betrieb – und zugleich ein ganz anderes Legitimationskonstrukt für diesen Lernort (Lehberger, 2013, S.234).

2.3.2 Erste Konsequenz für die Studiengangsentwicklung: Arbeit mit spezifischen Unterrichtsentwicklungsprojekten (UEP)

Um der aus dieser Grundidee eines bedarfsorientierten Studiengangs entstehenden Vielfalt gerecht werden zu können, ohne gleichzeitig eine schwer überschaubare (und personell nicht mögliche) Struktur mit einer Vielfalt von differierenden Lehrveranstaltungen und -formaten zu erschaffen, wurde das Prinzip der binnendifferenzierenden Projekte zur Unterrichtsentwicklung (nachfolgend als UEP – Unterrichtsentwicklungsprojekte – bezeichnet) eingeführt. Neben der schnell möglichen Bedarfsorientierung durch Anpassung der Projektinhalte spielte hier vor allem die Überlegung eine Rolle, den Student*innen das eigene lernbiografische Moment zu eröffnen, durch selbstverantworte Gestaltung berufliche Bildungsprozesse (hier vor allem in Hinblick auf die Entwicklung von Lehrer*innenpersönlichekit) zu erfahren.

Eckpunkte dieses Prinzips sind:

  • Jedes UEP besteht aus den Phasen
    • der Formulierung einer Masterlösung (fachliche Durchdringung, Benennung und Begründung des prototypischen Arbeitsprozesses durch praktische Erprobung und Dokumentation des Arbeitsprozesses im technikdidaktischen Labor, didaktische Auseinandersetzung mit der Frage nach der Gestaltbarkeit innerhalb der beruflichen Handlungsaufgabe);
    • der Überführung der beruflichen Handlungsaufgabe in binnendifferenzierende und zugleich spezifisch berufsbildende Lernsituationen, um einem heterogenen Schülerklientel an den BK mit unterschiedlich Bedarfen an Arbeitsprozesswissen und Bildungsanspruch zu entsprechen; hierzu wird das Hilfsmittel der „Lernsituationsmatrize“ (Dreher, 2020) eingesetzt;
    • der Formulierung von Unterrichtsverlaufsplanungen (Rauner & Lehberger, 2022, S.149–157) nach dem im Lernfeldkonzept dargelegten Unterrichtsstrukturprinzip der vollständigen Handlung (KMK, 2021, S.11).
  • Jedes UEP endet somit mit einer Planung der Unterrichtsphasen Informieren, Planen, Durchführen, Kontrollieren und Reflektieren. Die oft zusätzlich genannte Phase des Entscheidens (siehe hierzu die Ausführungen des BIBB, BIBB 2024) wird im Siegener Modell als Schlusspunkt einer Planungsphase angesehen. Die Phase der Reflexion wird als Schlüsselmoment der Förderung von Handlungskompetenz aufgefasst und als solche in den Begleitseminaren und tutoriellen Unterstützungen hervorgehoben. Reflexion wird dabei im Zuge des Planungsprozesses des Unterrichts häufig durch eine der beiden nachfolgenden Leitfragen planerisch initiiert:
    • Frage nach der Gestaltbarkeit von Arbeits- und Lebenswelt (Fokussierung Gestaltbarkeit): Wofür steht diese Handlungsaufgabe mit ihren Vorgaben und ihren Dingen als Artefakt? Beispielsweise kann aus der kaum variierbaren Abfolge von Arbeitsschritten bei einem Reifenwechsel (Felge/Reifen) ein hohes Gestaltungspotenzial abgeleitet werden, wenn folgendes bedacht wird: Weil diese Dienstleistung nach dem Motto „Geiz ist geil“ häufig als Möglichkeit der Kundenbindung eingesetzt wird, erleben Hilfskräfte oder Auszubildende saisonal im Frühjahr und Herbst eine Form von Ausbeutung (schlechte Entlohnung, Missbrauch der Ausbildungszeit). Wie sehen hier Strategien aus, um den Arbeitsanfall gleichmäßiger und genauso betriebsökonomisch nachhaltig zu verteilen? Und weitergehend: Will ich selbst mit meinem Konsumverhalten an anderer Stelle ausbeuten (Fast Fashion, Temu-Welt)?
    • Frage nach dem Warum des schülerseitigen Arbeitsergebnisses (Fokussierung Arbeitsprozesswissen): Warum ist das vorliegende Ergebnis in der Lernsituation erzielt worden – in Planung wie in Umsetzung? Wer ist warum in der Informationsphase gescheitert? Warum hatte niemand den Mut, die Planung noch einmal zu überdenken. Warum ist es nicht gelungen, die Planung auch im realen Arbeitsprozess umzusetzen? Oder, genauso häufig positiv besetzt: Was waren die Erfolgsstrategien, dass das alles jeweils gelungen ist? Wie wurde aus Informationen ein Arbeitsplan, der dann auch noch korrekt umgesetzt wurde? Wie gelingt es, diese Erfolgsstrategien auf die folgende Lernsituationen zu übertragen?
  • Jedes UEP kann dabei mittels folgender Variablen an den Entwicklungsbedarf der Student*innen angepasst werden:
    • Fachliche Tiefe: Gibt es schon dokumentierte Arbeitsprozesse zur Handlungsaufgabe? Müssen diese selbst entwickelt und mittels berufswissenschaftlicher Methoden eindeutig beschrieben und abgesichert werden?
    • Verteilung der Anteile von ingenieurwissenschaftlicher (z. B. Schaltungsentwurf in der Elektrotechnik) und gewerblich-technischer Entwicklungsarbeit (z. B. Strategien bei Instandhaltungsarbeiten/Pre-Maintenance).
    • Vorgaben für die Bedingungsanalyse: Schüler*innenklientel, Verfügbarkeit von Lehrmitteln/Werkstattausrüstung.
    • Gemeinsam vorab entwickelte Festlegung oder selbstständige Begründung des Bildungsziels ausgehend vom Richtziel einer gestaltenden Handlungskompetenz (KMK, 2021, S.10).
  • Für jedes UEP wird das COMET-Verfahren als Feedback-Instrument für die vollzogene Unterrichtsentwicklungsarbeit eingesetzt. COMET wurde ab 2008 von einer Forschungsgruppe um Rauner entwickelt und diente zunächst als Nachweis, um jenseits des Rezipierens von Fach- bzw. Arbeitsprozesswissen das Vorhandensein von holistischer beruflicher Handlungskompetenz nachzuweisen (Rauner, 2018, S.19–20). Nach erfolgreicher Evaluation des COMET-Verfahrens wurde schnell klar, dass es einen Kongruenzeffekt bezüglich des Potentials an holistischem Handeln zwischen Lehrkraft und Schüler*innengruppe gibt: Je gestaltungskompetenter die Lehrkraft ist, desto gestaltungskompetenter entwickelt sich auch die Lerner*innengruppe. Darauf aufbauend wurde COMET speziell für die Unterrichtsentwicklungsarbeit weiterentwickelt (Rauner, 2013, 182–184). Diese COMET-Version abgestimmt auf Technical Vocational Teacher (TVET) wird über Lehrbeauftragte mit einer Fortbildung als Rater*innen in allen UEP genutzt, um Student*innen ein objektiviertes Feedback als Reflexionsanlass zu den Ergebnissen ihres UEP zu geben. Ein UEP wird nach folgenden Kriterien bewertet:

Tabelle 1: Verwendete COMET-Kriterien nach Rauner (2013, S.184)

Kompetenzniveau

Kriterium

holistisch

9.Kreativität

8. Sozio-kulturelle Integration (als Planungsdeterminante von Unterricht)

7. Sozialverträglichkeit (als zu förderndes Gestaltungsmoment)

prozessural

6. Organisation des Lehr-Lernprozesses

5. Effizienz (als zu förderndes Gestaltungsmoment)

4. Nachhaltigkeit (als zu förderndes Gestaltungsmoment)

funktional

3. Begründete Anwendung von Lehr- und Lernmethoden

2. Berufliche Fachdidaktik

1. Fachwissen/fachliche Professionalisierung

2.3.3 Zweite Konsequenz für die Studiengangsentwicklung: Entwicklungslogische Strukturierung der UEP

Als primäre Herausforderung dieses Konzeptansatzes kristallisierte sich die Frage nach der Unterscheidbarkeit der UEP und deren jeweilige Zuweisung nach den spezifischen Bedarfen der/des Student*in zu. Konkret: Was kennzeichnet einfachere und anspruchsvollere UEP?

Zur Feststellung von Unterscheidungskriterien wurde das Novizen-Experten-Modell nach Dreyfus & Dreyfus (1980) dahingehend modifiziert, dass drei grundsätzliche Arten von UEP und damit drei Kompetenzstufen definiert wurden (Tabelle 2):

Tabelle 2: Entwicklungslogische Strukturierung von UEP

Entwicklungslogische Stufe

Charakteristika

Benchmarks

Know-that

· Linear dokumentierbarer Arbeitsprozess (gut zugängliches Arbeitsprozesswissen);

· vollständiges Durchlaufen der Phasen Masterlösung, Lernsituationsmatrize, Verlaufsplanung;

· Erstellung einer Verlaufsplanung für eine singuläre Lernsituation.

· Personale Identifikation mit dem Anspruch von beruflicher Bildung als Richtziel berufsschulischen Unterrichts;

· Verstehen der zumeist bislang unbekannten Lehrkraftrolle im Berufsbildungsprozess,

· Notwendigkeit von Binnendifferenzierung als Charakteristikum berufsschulischer Lehrkräftearbeit,

· Prinzipien des Findungsprozesses zur Definition spezifischer Bildungsziele für eine Lernsituation zur Förderung von „Handlungskompetenz zur Gestaltung“.

Know-how

· Komplexes, zumeist unbekanntes und damit zu erschließendes Arbeitsprozesswissen;

· Schulrealistische Vorgaben hinsichtlich Klassenstruktur und Schulausstattung;

· binnendifferenzierende Entwicklung einer Verlaufsplanung für eine „Lernsituationsebene“ (vgl. Dreher 2020, Tab. 3) innerhalb der im UEP selbst definierten Lernsituationsmatrize.

· Verbindung von ingenieurwissenschaft-lichem Wissen und berufswissenschaft-lichem Methodenwissen zur Generierung neuen Arbeitsprozesswissens (Offenlegung von Unterrichtsinhalten bei der Einführung neuer Technologien);

· flexible Verlaufsplanung von Unterricht, um schülerseitige Iterationen zu unterstützen;

· Umgang mit dem Planungsproblem in der Durchführungsphase (es können nicht alle Schüler*innen ausstattungsbedingt gleichzeitig im Fachraum arbeiten);

· klar definierte und geplante Reflexionsphase als wesentliches Element von Berufsbildungsarbeit.

Know-why (als Praxisphase in Kooperation mit den BK der Region)

· Komplexe, bislang als Lernsituationen an den BK nicht aufgearbeitete, aber curricular über Lernsituationsvorgaben geforderte berufliche Arbeitsaufgabe;

· vollständige Umsetzung der Lernsituationsmatrize im Rahmen des eigenverantwortlichen Unterrichts;

· Evaluation des eigenen Unterrichts mit Iterationsvorschlägen für die zukünftige Planung und Umsetzung mittels Methoden der empirischen Bildungswissenschaft.

· Überführung der UEP in realen Unterricht;

· Kennenlernen der Notwendigkeit, bereits im Unterrichtsverlauf zu modifizieren;

· Methoden der Selbstevaluation und Selbstreflexion von Unterrichtsentwick-lungsarbeit und geleisteter Unterrichts-arbeit auswählen und anwenden;

· reale Lehrkräftearbeit in der Reflexionsphase (Initiierung, eigene Rolle als Lehrkraft zur Disposition stellen, Generierung von Zielvereinbarungen als Leitlinien für gemeinsames künftiges Handeln).

Um diese Struktur nachhaltig und für die Student*innen leistbar zu implementieren, wurden basierend auf Tabelle 2 folgende Randbedingungen geschaffen:

  • Flankierendes berufsdidaktisches Seminarangebot für die „Know-that“-Ebene: „Genese der beruflichen Fachdidaktik“, „Spezielle Methoden der beruflichen Bildung“, „Multimedia in der beruflichen Bildung“, „pädagogische Leistungsmessung“;
  • Flankierendes berufsdidaktisches Angebot für die „Know-how“-Ebene: „Fallstudie berufsvorbreitender Unterricht“, „Einführung in berufswissenschaftliche Methoden“, „Einführung in Verfahren zur Kompetenzmessung“;
  • Flankierendes bildungswissenschaftliches Angebot über das Modul „Forschendes Lernen im Berufskolleg“ für die eigene Reflexionsarbeit ab der Ebene „Know-how“;
  • Integration des schulischen Praxissemesters für die „Know-why“-Ebene durch enge Absprache hinsichtlich der Lernfeldthematik der UEP mit tutorieller Unterstützung seitens des BK und des ZfsL Hagen (Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung) als primäre Trägerorganisation der zweiten Ausbildungsphase.
2.3.4 Dritte Konsequenz für die Studiengangsentwicklung: Portfolioarbeit und kontinuierliche Entwicklung angepasster UEP

Durch die vorab beschriebene entwicklungslogische Reihung von UEP konnte eine inhaltliche Flexibilität erreicht werden. Strukturelle Anpassungen an das jeweilige Studiengangsmodell (vor allem differierende Anzahl von Leistungspunkten) erweisen sich als gut realisierbar; beispielsweise absolvieren Student*innen mit hochaffiner Fächerkombination zur Erfüllung der fachdidaktischen LP-Anforderungen gemäß Rahmenverordnung zwei UEP mit jeweils spezifischer Thematik auf der Ebene „Know-how“.

Ebenso können die UEP auf die spezifische Fächerkombination der Student*innen abgestimmt werden. Beispielsweise wird für die Fächerkombination Metalltechnik mit Fertigungstechnik im Regelfall ein UEP in der Konstruktions- oder Instandhaltungstechnik bearbeitet und eine UEP mit einer Aufgabe aus der Fertigungsplanung und -durchführung.

Flankierende berufsdidaktische Seminare werden dabei berufsfeldübergreifend angeboten, was angesichts des vorhandenen Lehrdeputats überhaupt erst eine Umsetzung dieses Studiengangangebots ermöglicht.

Durch diese fachliche Differenzierung mittels der Vorgaben innerhalb der UEP bietet das Angebot in dieser Konzeptphase noch keine Möglichkeiten hinsichtlich der spezifischen Bedarfe der Student*innen. Das Studienangebot wird nicht wie beabsichtigt aus Sicht der Student*innen heraus gedacht. Um dieses zu erreichen, ist die Implementierung einer kontinuierlichen Portfolioarbeit notwendig. Hierzu werden vor allem nach der ersten UEP-Phase („Know-that“) folgende Portfolioelemente herangezogen:

  1. Kernelement der Portfolioarbeit ist ein Reflexionsgespräch mit den Student*innen analog zur unterrichtlichen Reflexionsphase mit dem Schwerpunkt „Frage nach dem Warum?“: Welche Strategien haben warum zum vorliegenden Ergebnis geführt? Was sollte deshalb in der folgenden UEP-Phase wieder so gemacht werden, wo und wie sollte der eigene Arbeitsprozess zur Unterrichtsentwicklung optimiert werden? Welche Unterstützung ist dabei seitens der Dozent*innen/des betreuenden Werkstattpersonals notwendig? Dieses Gespräch endet zumeist in einer beiderseitig verbindlichen Zielvereinbarung für die folgende UEP-Phase.
  2. Als Basis dient die objektivierte COMET-Bewertung der erarbeiteten UEP, die dadurch zu einem eigenständigen Portfolio-Element wird.
  3. Als Portfolio-Strategien zur Beratung mit dem Ziel einer inneren Flexibilisierung der Studieninhalte wurden folgende Vorgehensweisen entwickelt:
    1. Student*innen mit einem ausschließlichen FH-Studium oder grundständig Studierende ohne vorherige Berufsausbildung haben große Schwierigkeiten, fachpraktische Erkenntnisse als solche in Arbeitsprozesswissen zu überführen – vor allem, wenn eine handlungserklärende Begründung („Warum so?“ nach Lehberger (2013, S.69)) entwickelt werden soll (COMET-Kriterien „fachliche Professionalisierung“ und „Berufliche Fachdidaktik“ sind inhaltlich unzureichend abgesichert). Hier gilt es also, für die Folgephasen UEP mit erhöhtem Anteil an Werkstattpraxis die parallele Vermittlung von gewerblich-technischem Wissenschaftsinhalten für den weiteren Studienverlauf zu forcieren.
    2. Umgekehrt haben Studierende mit gewerblich-technischen Biographieelementen Schwierigkeiten, Arbeitsprozessschritte handlungsreflexiv als eindeutig richtig zu begründen („Warum so und nicht anders?“, (Lehberger, 2013, S.69)). Die Frage nach Begründung der in der student*innenseits entwickelten Masterlösung als alternativlos definierten beruflichen Handlung kann fachlich begründet nicht beantwortet werden. Stattdessen wird oftmals die Begründung vorgeschoben, es immer so gemacht und vor allem gelernt zu haben (womit ebenfalls die COMET-Kriterien der fachlichen Professionalisierung und der fachdidaktischen Begründung nicht erfüllt ist). Hier gilt es, durch gezielte tutorielle Unterstützungsarbeit zwischen Werkstattpersonal und Dozent*innen die Bezüge zwischen gewerblich-technischen Wissenschaften und Ingenieurwissenschaften besser aufzuarbeiten.
    3. In beiden Fällen (unzureichendes Arbeitsprozess- oder Fachwissen) hat sich die praktische und unterstützte Erprobung in der Werkstatt als zusätzliches Portfolioelement etabliert. Es wird so ermöglicht, Alternativen im Arbeitsprozess in der Werkstatt umzusetzen und deren fachwissenschaftliche Begründung durch das Erkennen von (Dys-)Funktionalität nachzuvollziehen.
    4. Als großes Problem für die Student*innen auf allen entwicklungslogischen Stufen stellt sich das unterrichtsorganisatorische Problem dar, das integrierte Fachraumkonzept (bzw. die parallele Nutzung von Klassenraum und Fachlabor) so zu gestalten, dass für die Schüler*innen keine Warteschleifen im Unterrichtsverlauf entstehen (COMET-Kriterium „Unterrichtsorganisation“; vgl. Tabelle 1). Die Frage „Was machen die übrigen Gruppen, während die eine Gruppe in der Werkstatt ist?“ wird trotz großer tutorieller Unterstützung als verabredetes Portfolioelement bei den UEP oftmals nicht nachvollziehbar und vor allem umsetzbar gelöst – bis hin zu „unterrichtlichem Leerlauf“ auf der „Know-why“-Ebene bei der tatsächlichen Unterrichtsumsetzung an den BK. Lösungen wie “Nachbereitung des vollzogenen Arbeitsprozesses“ oder „Vorbereitung der Reflexionsphase“ werden hier hinsichtlich der dann einzunehmenden Lehrkraftrolle (Planung zur Dokumentation von Arbeitsprozessen, Initiierung von Reflexionsanlässen) oftmals unzureichend geplant.
    5. Als wesentlichstes Problem der Student*innen bei der Unterrichtsentwicklung konnte über die COMET-Kompetenzmessung die entwicklungslogisch mangelhafte Fähigkeit zur Analyse der beruflichen Handlungsaufgabe und deren Gestaltbarkeit nach den in Tab. 2 genannten COMET-Kriterien „Nachhaltigkeit“, „Effizienz“, „Sozialverträglichkeit“ und „sozio-kulturelle Integration“ diagnostiziert werden. Es gelingt den Student*innen oftmals nicht, hier durch die Verwendung des Konstrukts des „nachhaltigen Gestaltens“ eine Formulierung des Bildungsziels in Abhängigkeit vom Unterrichtsgegenstand als Artefakt zu leisten. Zumeist muss der Unterrichtsplanung dann auch wenig Originalität (als weiteres COMET-Kriterium) bescheinigt werden. Der geplante Unterricht verbleibt auf der Ebene der Vermittlung gut abfragbarer fachlicher und arbeitsprozessuraler Schemata. Eine weitere Binnendifferenzierung der UEP mit dem Verzicht auf die Begründung von Berufsbildungszielen konnte in diesem Falle pädagogisch nicht begründet werden. Stattdessen wurden durch den Aufbau einer nachfolgend beschriebenen zusätzlichen tutoriellen Struktur im QLB-Vorhaben „FAKTUR“ (QLB für „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“) zusätzliche Portfolioelemente entwickelt und erprobt.

3 Rückschlüsse aus der ersten Implementierungsphase

3.1 Verwendete Evaluationsinstrumente

Die von den Student*innen mittels des COMET-Verfahrens erzielten Ergebnisse wurden von den Studiengangsveranwortlichen als Evaluationsergebnisse genutzt, wiederkehrend schlechte COMET-Bewertungen als Hinweis für Weiterentwicklung gewertet.

Aufgrund der niedrigen Student*innenzahlen ist es möglich, folgende Evaluationsinstrumente zusätzlich zu COMET regelmäßig (und unabhängig von Akkreditierungsprozessen mit höherer Wiederholung) einzusetzen:

  • Das TAP-Instrument der Universität Siegen; hierbei handelt es sich um ein von einem fachlich neutralen Moderationsteam durchgeführtes Reflexionsgespräch (Universität Siegen, 2024) mit anschließender anonymisierter Rückmeldung an den/die Dozent*innen;
  • Wöchentliche, dokumentierte Teambesprechungen („Jour fixe“) zwischen Dozent*innen, Werkstattpersonal und die für die Studienorganisation Verantwortlichen zum Fortschrittprozess jedes/jeder einzelnen Student*innen bei Bearbeitung der jeweiligen UEP;
  • Längsschnitt-Untersuchung in Kooperation mit dem ZfSL Hagen zum Ausbildungserfolg im Vorbereitungsdienst.

3.2 Bewertung des Konzeptes der UEP als Kern des berufsdidaktischen Studiums

3.2.1 UEP aus Student*innensicht

Da der Studiengang an sich den Anspruch stellt, von den Bedarfen der Student*innen her zu denken, erhält deren reflexive Bewertung ein besonderes Gewicht bei der Studiengangsentwicklung.

Die nachfolgenden Einschätzungen und Bewertungen seitens der Student*innen basieren auf den anonymisierten TAP-Protokollen, ergänzt um dokumentierte direkte Rückmeldungen an die Dozent*innen (gemeint sind hier: Inhaber des Lehrgebiets „Technikdidaktik am Berufskolleg“ nebst Oberingenieurin, einem Doktoranden und drei Lehrbeauftragten, dabei ein Lehrbeauftragter mit Funktion für die zweite Phase sowie der Inhaberin des Lehrgebiets „Berufs- und Wirtschaftspädagogik“ mit zwei Doktorandinnen und einem Doktoranden):

  • Das Prinzip der UEP mit deren Flexibilität wird als besonderes Profilmerkmal des Studiengangs seitens der Student*innen identifiziert: „Die Projektseminare sind das Wesentliche, weil ich da merke, wie ich mein Wissen auf die Straße bringen kann. Das habe ich so nicht erlebt und das machen die an den anderen Unis auch nicht so.“ (Hierbei gilt es ergänzend anzumerken: Da verschiedene Universitäten einen Aufbaustudiengang für FH-Absolvent*innen anbieten und diese häufig untereinander in Kontakt stehen, findet zwischen den Student*innen ein hochschulübergreifender Informationsaustausch statt). Ebenso wird gelobt, dass die UEP auf der „Know-how“- und „Know-why“-Ebene sehr flexibel an die Unterrichtsfächer angepasst werden können: „Das sind Aufgaben, wie ich sie als praxisrelevant für meine Fächerkombi ansehe. Wobei mir dann auch klar wird, was mir fachlich fehlt und wie ich das aufarbeiten kann.“ Angemerkt meint sei hier: „Fachlich“ meint bei diesen Rückmeldungen zunächst unspezifiziert Defizite im gewerblich-technischen wie im ingenieurhaften Wissen.
  • Ein Abweichen von der direkten fachlichen Aufgabe (z. B. auf der „Know-that“-Ebene auch für Fertigungstechniker*innen eine Instandhaltungs-/Montageaufgabe) wird hingegen als hinderlich eingestuft. Da auf dieser Ebene von den Student*innen die Anwendung der Dreischritt Masterlösung-Lernsituationsmatrize-Verlaufsplanung verlangt wird, wird die zusätzliche Forderung nach innerer Flexibilität gegenüber der fachferneren Arbeitsaufgabe als Überforderung empfunden. Die gewollte Verdeutlichung der vollen Realität von Unterrichtsplanungsarbeit in der beruflichen Bildung als hochschuldidaktische Begründung hierfür erscheint in dieser Phase eindeutig kontraproduktiv hinsichtlich der Förderung unterrichtsentwickelnder Gestaltungskompetenz. „Mag ja sein, dass ich mich irgendwann in irgendwas einarbeiten muss. Aber doch nicht jetzt gleich, ich brauche jetzt meine fachliche Sicherheit.
  • Als sehr positiv wird das Instrument der Lernsituationsmatrize bewertet. Hier signalisieren vor allem Studierende, die bereits unterrichten, dass diese eine wertvolle Unterstützung darstellt: „Klar habe ich auch schon bemerkt, dass ich Schüler verliere, weil ich da auf dem falschen Niveau tanze. Ich wusste bislang nur nie, wie ich das Abstellen kann. Das Ding ist für mich eine Antwort.“ Dass deren Konstruktion dann viel Erfahrung und Iterationsschleifen erfordert, bis die Übergänge zwischen den einzelnen Niveaustufen stimmig sind, wird akzeptiert und Unterstützung seitens der Dozent*innen als ebenso hilfreich wie notwendig empfunden: „Sich in die Matrize reinzudenken und die entsprechende Kreativität aufzubringen, muss man üben. Da bin ich für Hinweise dankbar, die es mir ermöglichen, meine Strategie zu entwickeln. Das leisten die Projektseminare.“. Hervorgehoben wird hierbei eine innere Form der Flexibilisierung der Seminare: „Ich kann da drei oder vier Anläufe bei der Matrizenkonstruktion starten, ich kriege via e-mail oder im Jour fixe schnell ein Feedback zum Matrizenvorschlag. Dass ist besser als das starre Aufgabenlösen, wie ich es aus den Ingenieurwissenschaften kenne.“
  • Weitgehend unverständlich bleibt den Student*innen vor allem auf der Ebene „Know-that“ die Definition eines Bildungsziels ausgehend vom Richtziel der gestaltenden Handlungskompetenz. Hier herrscht also eine große Übereinstimmung zwischen den COMET-Ergebnissen und der Selbsteinschätzung der Student*innen. In den Reflexionsgesprächen wurde hierbei zweierlei deutlich: Zum einen eine kognitive Dissonanz zur Funktion von Berufsschule als Lernort (die eben nicht die Vermittlung von „Theoriewissen“, was immer das sein mag, zur Kernaufgabe hat), zum anderen die fehlende Anknüpfung an die parallel im Studienverlauf angeordneten berufspädagogischen Veranstaltungen, die genau diese Fragen (Was ist Bildung? Was sind Bildungsziele? Woran können Bildungsprozesse initiiert werden? Was ist das Originäre an beruflicher Bildung?) wissenschaftsorientiert aufarbeiten.
3.2.2 Erreichte Flexibilisierung durch die UEP aus Dozent*innensicht

Die Ansicht der Student*innen zur thematischen Flexibilisierung durch das UEP-Prinzip wurde seitens der Dozent*innen bestätigt. Stete Diskussionspunkte sind dabei:

  • Soll auf der „Know-that“-Ebene das einfache Beispiel aus der Montagetechnik (zumeist: Reifenwechsel) bleiben? Dieses stellt für die meisten Student*innen (da die Fachrichtung „Fahrzeugtechnik“ stark unterrepräsentiert ist) eine fachliche Ferne dar, repräsentiert hochschuldidaktisch aber die tatsächliche Beruflichkeit einer BK-Lehrkraft, sich in neue Inhalte einzuarbeiten und diese dann in berufsbildenden Unterricht zu transformieren. Dieses geschieht ausgehend von der Idee, dieses UEP am Beginn des Studiums zugleich als Prüfstein für die Berufswahlentscheidung zu nutzen, da hier der vollständige unterrichtliche Planungsprozess als wesentliche Gestaltungsaufgabe von Lehrerarbeit vollzogen wird. Deutlich wird hier die Überforderung der Student*innen, sich zugleich inhaltlich hinsichtlich der beruflichen Handlungsaufgabe als auch der Funktion von Berufsschule als Bildungsinstitution einzulassen.
  • Deutlich wurde, dass sich bei der Reflexion der UEP in der „Know-how“ Phase am deutlichsten bei den COMET-Ergebnissen zeigt, wo Gestaltungsdefizite bestehen oder auch Gestaltungsunwillen in der Unterrichtsentwicklungsarbeit. Damit wird ein erhebliches Maß an Portfolioarbeit notwendig, um für eine kontinuierliche Entwicklung von Lehrer*innenpersönlichkeit für die Berufsbildung entweder
    • die UEP für die „Know-why“-Ebene in Kooperation mit den BK passend zur vorliegenden COMET-Analyse der „Know-how“-Ebene anzupassen oder
    • im Falle, dass auf der Ebene „Know-how“ aufgrund der hochaffinen Fächerkombination zwei UEP vorgesehen sind, die zweite UEP dem Entwicklungsstand gemäß COMET entsprechend anzupassen. Aus diesem Grunde wird mit Verzicht auf maximale Flexibilität für die Student*innen auch dringend empfohlen, nicht beide UEP in einem Semester zu absolvieren (was zudem bei 3 LP pro UEP jeweils ein Zeitvolumen von 90h bedeutet).

Für diese angesichts des Konzepts eines flexibilisierten und differenzierenden Studiums notwendige Portfolioarbeit wurde das Element der Jour-fixe-Veranstaltungen weiterentwickelt; hier findet eine Einzelberatung unter Beteiligung der/des Student*in, des Studiengangsverantwortlichen (zugleich Dozierender für die entsprechende Lehrveranstaltung auf der „Know-how“-Ebene) und dem tutoriell betreuenden Werkstattpersonal statt. Das Wichtigste hierbei: Dass die Student*innen sich nicht in einer Konstellationen „Die gegen mich“ sehen, sondern alle Beteiligten als Partner*innen in einem individuellen, aber gemeinsam getragenen Entwicklungsprozess. Deshalb steht immer die Frage im Mittelpunkt, wo der/die Student*in seine/ihre Entwicklungsbedarfe sieht und wie diese unterstützt werden können. Zugleich gibt es Feedback zu den seitens der Dozentin*enen erkannten Positiva und Defizite, wobei es häufig zwischen beiden Einschätzungen (Student*innen – Dozent*innen) eine große Schnittmenge gibt. Von dieser Schnittmenge ausgehend kann gemeinsam ein Unterstützungskonzept entwickelt werden. Hilfreich ist hierbei die Objektivierung durch die COMET-Kriterien sowie das einheitliche, sehr differenzierte Feedbackschema für die „Know-that“- und „Know-how“-Ebene, welches seitens der Dozent*innen als gemeinsames Dokument zusätzlich verwendet und von Beginn an den Student*innen bekannt ist. Der Eindruck, dass hier kritisiert wird, um eigene Wichtigkeit zu demonstrieren, wird so stark relativiert und ermöglicht in den allermeisten Fällen ein Gespräch mit Fokus auf eine individuelle Zielvereinbarung.

Da eine solche spezifische Unterstützung oftmals auch bedeutet, notwendige Begrifflichkeiten und Strategien zur Unterrichtsentwicklung detaillierter aufzuarbeiten, wurden jederzeit abrufbare Video-Bot-Channels als Unterstützungsmaßnahme konzipiert (vgl. Kap. 4.1.2 dieses Beitrags).

3.2.3 Rückmeldung aus den ZfSL Hagen

Der Studiengang wird in der vorab beschriebenen Konzeption seit dem Sommersester 2013 angeboten. Von Beginn an wurde eine stete Rückmeldung seitens des ZfSL Hagen zur Studienqualität vereinbart. Für eine erste Längsschnittuntersuchung wurde der Zeitraum Wintersemester 2013/14 bis Wintersemester 2019/20 gewählt (bis zum Beginn der Corona-Pandemie mit den daraus folgend völlig veränderten Studienbedingungen für die UEP). Für diesen Zeitraum wurden die Bildungs- und Karriereverläufe von 24 Student*innen dokumentiert, wobei ca. 30% der Student*innen „grundständig“ studierten und ca. 70% den Aufbaustudiengang nach einem vorherigen fachaffinen BA-Studium an einer Fachhochschule wählten. Über die Gesamtkohorte ergab sich eine Quote von ca. 50% mit einer vorher abgeschlossenen dualen Berufsausbildung. Die Student*innen, die den Aufbaustudiengang wählten, studierten hälftig in Vollzeit und hälftig berufsbegleitend zu einer Lehrer*innentätigkeit an einem BK.

Für diesen Zeitraum gab es die Rückmeldung, dass es dieser Gesamtkohorte aus Siegen im Vergleich zu den Absolvent*innen der anderen Hochschulen mit gewerblich-technischen BK-Lehramtsstudiengängen in Unterrichtsplanung, -umsetzung und -reflexion überlegen seien. Zudem ist es den Student*innen, die nach dem Siegener Modell das Studium absolviert haben, in fast allen Fällen gelungen ist, überdurchschnittliche Noten am Ende des Vorbereitungsdienstes zu erzielen. Zudem zeihte sich, dass Student*innen aus diesem neu konzipierten Studiengang an der Universität. Siegen häufig schnell in eine schulische Leitungsposition (Fachbereichsleitung, in einem Fall Abteilungsleitung) aufstiegen.

Ein für die weitere Entwicklung wesentlicher Hinweis war, dass Studieninteressierte vereinzelt das Siegener Modell bewusst nicht wählen würden, weil „[…] es zu viel Arbeit macht“, „[…] schmerzhaft werden kann […]“ (gemeint ist hier wohl das Infragestellen von eigenen An- und Einsichten) oder einfach „[…] unpassend für mich ist, ich kann und will keine Werkstattarbeit […]“. Oder, als Einschätzung einer Fachleitung: „Die Leute lieben oder hassen Euer Modell, dazwischen gibt es nichts. Ich liebe es. Und zum Glück viele Studierende auch, die deshalb sogar extra nach Siegen kommen.“.

4 Weiterentwicklung des „Siegener Modells“ ab 2020

4.1.1 QLB-Modellversuch „FAKTUR“ als Unterstützungssystem zur Bildungszielfindung

Ein erster Impuls, um das „Siegener Modell“ weiterzuentwickeln, war ein erfolgreicher Antrag im Rahmen der bundesweiten Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) speziell für die berufliche Bildung.

Kern des Antrags sollte die Aufarbeitung des vorab beschriebenen Defizits sein, dass es Student*innen durchgängig schwerfällt, berufliche Bildungsziele zu benennen.

Die UEP wurden hierbei in einem ersten Schritt zu „case studies“ erweitert: „Case Studies vertiefen als Micro-Teaching-Einheiten, in denen berufsbildungswissenschaftliche und fachdidaktisch gewerblich-technische Expertise aufeinander bezogen werden, das wissenschaftliche Begründungswissen.“ (FAKTUR, 2021). „Erweitert“ bedeutet hierbei, dass das Projektseminar zur ersten UEP auf der Ebene „Know-that“ nicht nur organisatorisch mit der einführenden Veranstaltung aus dem Lehrgebiet der Berufs- und Wirtschaftspädagogik verschmolzen wurde, sondern darüber hinaus in die UEP nunmehr als Case Study zwei reflexive Abschnitte eingebaut wurden:

  • In einer einführenden Diskussion wurde immer wiederkehrend konfrontativ mit Blick auf das technikdidaktische Labor die Frage gestellt: „Was fällt Dir auf, wenn Du dich hier umschaust, und wofür steht das, was Du hier siehst, eigentlich?“. Wesentlich hierbei: Die funktionale Bedeutung von Werkzeug und Ausrüstungsgegenständen zur Verrichtung von Arbeitsaufgaben ist nebensächlich. Ziel ist die Erlangung einer mehrdimensionalen Sichtweise auf die Dinge in ihrem gesellschaftlichen wie personalen Funktionszusammenhang (Wie als Beispiel schon genannt: Die Reifenmontiermaschine und ihr Potenzial zur Ausbeutung).
  • In einem Konsilium werden nach der Phase der Erstellung und Würdigung der Lernsituationsmatrize gemeinsam mit den Student*innen die in der Matrize definierten (oder eben fehlenden) Bildungsziele reflexiv aufgearbeitet: „Wie war der Prozess der Findung? Wie ist der Abgleich zum Richtziel der Gestaltungsfähigkeit erfolgt? Konntest Du Strategien für dich entwickeln, die es Dir künftig leichter machen, aus der Ebene des Funktionalen heraus Bildungsziele zu erkennen? Und kannst Du diese und binnendifferenzierend wie inkludierend einordnen?“ Und vor allem: „Was hindert Dich daran, Bildungsziele benennen zu können?“ Der aus der Medizin entlehnte Begriff „Konsilium“ wurde dabei in der Absicht gewählt, zu signalisieren, worum es eigentlich geht: Die Festlegung auf ein unterrichtliches Bildungsziel als Teil von unterrichtlicher Konzeptarbeit ist aufgrund der Komplexität der Teilfragen „Was?“ „Warum?“ „Wo?“ „Wieso?“ und: „Wie?“ kaum allein lösbar, es bedarf allein schon aus Gründen der Verantwortung gegenüber den Schüler*innen der kollegialen Expertise und dem Austausch – also einer unterrichtsentwickelnden Teamarbeit. Das Konsilium findet deshalb auch nicht in der Werkstattumgebung statt, sondern in einer „Werkstatt Lernkunst“ titulierten 2D-Welt, die hinsichtlich der vielfachen Symbolik und deren Funktionalitäten (beispielsweise Raketen, die starten; Klaviere, die bespielt werden können; Tiere, die sich ganz eigen verhalten) immer wieder mit der Frage konfrontiert: „Warum ist das da und was sagt mir das?“

Vignette: Die 2-D-Welt

Im Rahmen der Umgestaltung der akademischen Lehre durch die Erfordernisse zu Zeiten der Corona-Pandemie wurden die UEP durch ein 2-D-Welt-Angebot vollständig betreut. Das bedeutet: Über einen Link können sich die Student*innen einen Avatar mit Nickname erstellen und mittels Cursorsteuerung in eine virtuelle Lernwelt eintreten. Diese besteht aus zwei Teilen: Erstens eine möglichst originalgetreu nachgebildete Werkstatt mit dem TVD-Techniklabor als Vorbild mit Fachbibliothek, Meisterbude und Seminarraum. Dabei wurde auf höchstmögliche Funktionalität Wert gelegt: An den Werkbänken und Arbeitsstationen werden bei Annäherung mit dem Avatar Videos zur Verfügung gestellt, die typische Arbeitsprozesse zeigen (z. B. den Reifenwechsel) oder Informationen geben (Werkzeug-/Messmittelnutzung). Die Bibliothek ermöglicht Dokumentenzugriff und Download. Die Meisterbude ermöglicht den Chat mit dem Meister, der Seminarraum den Chat mit den Dozent*innen. Gesprächsecken dienen der Teambildung. Zwei oder mehr Avatare, die enger zusammenstehen, treten automatisch in einen Chatkontakt. Durch die als zweiten Bereich separat zu betretende “Werkstatt Lernkunst“ kommt man in den vorab angesprochenen Bereich einer frei gestalteten Erlebniswelt mit der dargestellten Symbolik. Auch hier sind sämtliche Chat- und Kommunikationsmöglichkeiten gegeben; zudem finden hier „rund um das (virtuelle) Lagerfeuer“ Besprechungen mit dem Gesamtseminar statt – und damit eben auch die einführende Diskussion und das Konsilium. Nach Pandemieende wurde diese virtuelle Welt weiter gepflegt – die Werkstattarbeit findet nunmehr wieder real statt, Diskussion und Konsilium weiterhin in der Werkstatt „Lernkunst“.

Als Ergebnis dieses Vorhabens entstand folgende Erkenntnis: Es konnte durch ein Mixed-Methods-Setting (Buchmann et.al., 2023, S.2) zur Evaluation dieses gemeinsamen Moduls aufgezeigt werden, dass eine als „narzisstisch-autoritärer Sozialcharakter“ (Buchmann et.al., 2023, S.2) beschriebene Grundhaltung viele Studierende im Lehramt BK daran hindert, sich mit der Rolle als berufsbildende Lehrkraft und der daraus resultierenden Lehrer*innenrolle mit Fokus auf Berufsbildungsprozesse aktiv auseinanderzusetzen. Autoritär eingeübte und im bisherigen Studium als positiv konnotierte Praktiken der Student*innen wie

  • Effizienzstreben, schnell zu einer genügend funktionalen Lösung zu kommen,
  • dem Ausweichen vor komplexen Problemen durch faktorielle Simplifizierung (subjektive Festlegung von Prioritäten wie es z. B. der Maschinenbau in der Festigkeitslehre praktiziert) sowie
  • eine daraus resultierende Fokussierung auf das Detaillierte statt einer Auseinandersetzung mit der entstehenden Widersprüchlichkeit bei Betrachtung der Ganzheitlichkeit

verstärken die Unfähigkeit, sich als Subjekt umfassend in einen Objektbezug zu setzen (Buchmann et.al., 2023, S.2). Die individuengetrieben zu beantwortende und in sich verzahnte Frage: „Wie beeinflusst Welt als Objekt mich als Subjekt und umgekehrt wie gestalte ich als Subjekt Welt?“ (Ergebnisbericht, 2024, S.1) wird im eigenen Denken der Student*innen überwiegend narzisstisch darauf ausgerichtet, wie das eigene, gesicherte Etablieren im System gelingen kann.

Da dieses Ziel und die dazu genutzten Strategien subjektiv als gut funktionierendes und ausschließliches Lebensmodell wahrgenommen werden, werden diese Strategien in Analogie zum von COMET offen gelegten Kongruenzeffekt zwischen Lehrer*innen- und Schüler*innendefizit (vgl. hierzu das letztgenannte Merkmal zu den COMET-evaluierten UEP in Kap. 2.3.2) im Rahmen der universitär begleiteten und späterhin eigenverantworteten Lehrtätigkeit an die Schüler*innen unreflektiert weitergegeben. Nicht-Auseinandersetzen in Form der Weitergabe von Vorurteilen, das Verdrängen von Vorurteilen zugunsten des Akzeptierens des Bestehenden oder die direktive Problemverneinung als Abwehr einer Angst vor Statusverlust werden so den Schüler*innen implizit als vorbildhaft präsentiert.

Was hierbei als demokratiegefährdend erscheint:

  • Vereinfachung und Fokussierung sind Strategien, deren sich vor allem die sozialen Medien bevorzugt bedienen – womit verkürzte Sichtweisen gefördert werden und Falschinformation entstehen und publiziert werden. Wird hier nicht in Rahmen von zu leistenden Bildungsprozessen gegengesteuert (Meßmer et.al., 2021), entsteht durch derartig gut zu konsumierenden Repräsentationen eine direkte Gefährdung von demokratischen Gesellschaftsmodellen (Buchmann et.al., 2023, S.6), da die Fähigkeit zur eigenen, umfassenden Meinungsbildung als Basis konstruktiver gesellschaftlicher Mitbestimmung verkümmert.
  • Das Aufdecken individueller Subjekt-Objekt-Beziehungen als Ausgangspunkt derartiger Bildungsprozesse erfordert gerade lehrkräfteseitig eine unterrichtliche Gestaltungsfähigkeit als Forderung von Gesellschaft an Lehrtätigkeit, woraus ein hohes Maß an Professionalisierungsbedarf entsteht. COMET hat hier umfängliche Defizite bei aktiven Lehrkräften dokumentiert (Rauner & Lehberger, 2022, S.81). Die hier gewonnenen Erkenntnisse unterstreichen dies und widersprechen damit den aktuellen bildungspolitischen Entscheidungen, dass eine Dequalifizierung des Lehrer*innenberufs als Folge immer weiter verkürzter und entakademisierter Quer- und Seiteneinstiegsmodelle billigend in Kauf genommen werden kann.
  • Aber letztlich muss als Status quo konstatiert werden: Auch beim „Siegener Modell“ in der hier aktuell beschriebenen Entwicklungsstufe (und speziell beim am stärksten nachgefragten MA-Aufbaustudiengang mit kooperierenden Fachhochschulen) gelingt es mit diesem gemeinsamen Modulelement „Wahrnehmung“ zunächst lediglich, dass die Student*innen dieses Problem singulär wahrnehmen. Eine Verstärkung dieses Impulses über die Video-Bots gelingt nur unzureichend. Dem Impuls zur „Wahrnehmung“ müssten nunmehr für die Ebenen „Know-how“ und „Know-why“ entsprechende Impulse zu „Gestaltung“ und „Reflexion“ folgen; genau jene sind aber bislang weder personalkapazitiv leistbar noch curricular problemlos abbildbar. Damit (re)präsentiert sich Universität auch im „Siegner Modell“ und trotz der UEP aus Sicht der Student*innen nicht als Ort von Bildung, sondern als funktionalisierte Institution zur abprüfbaren Wissensvermittlung und setzt sich selbst jener Kritik aus, mit der sich Studierende bei ihren UEP konfrontiert sehen. Gerade für die Lehrkräftebildung erscheint diese Entwicklung fatal. Sie verstärkt die Frage, warum eine universitär verankerte Lehrkräftebildung Standard bleiben sollte, wenn diese genau nicht das leistet, was ihre Kernaufgabe ist: Lehrkräfte zu befähigen, Bildungsprozesse analog zur gesellschaftlichen Entwicklung zu planen, schüler*innengerecht umzusetzen und prozessevaluativ zu reflektieren. Eine Weiterentwicklung des Modulbestandteils „Wahrnehmung“ hin zu „Gestaltung“ und „Reflexion“ im Zuge der Verschränkung von UEP mit Konsilienarbeit auf den Ebenen „Know-how“ und „Know-why“ wird deshalb allen geschilderten formalen Widrigkeiten zum Trotz angestrebt.
4.1.2 Erweiterte Flexibilisierung durch die Videobots „B4U“ und „T3A“

Durch die Umsetzung einer entwicklungslogischen Struktur von reflexiv gestalteten UEP mit deren Unterstützungs- und Portfolioangeboten ist es gemäß der Erstevaluation gelungen, Studierende flexibel hinsichtlich ihrer Lernbedarfe mittels einer starken Praxis-Theorie-Verzahnung zu unterstützen.

Weil bei diesem Status der Studiengangsentwicklung Studierende aber nach wie vor von der virtuellen oder realen Präsenz der Dozent*innen abhängig sind, um an notwendige Informationen zu ihrer Unterrichtsentwicklungsarbeit im Rahmen der UEP zu gelangen, entsteht nur eine scheinbare Flexibilität für individuelle Lernbedarfe. Denn weiterhin wird tutorielle Unterstützung nicht „just in process“-passend zur Unterstützung der Projektarbeit geleistet. Die für das „Siegener Modell“ als prägend definierten Charakteristika „Von Student*innen her denken“ und „Subjekt-Objekt-Beziehung als Initial von Bildung“ erfüllte das Modell in seiner ersten Entwicklungsphase damit nur unvollständig.

Letztlich erwies sich hier die Corona-Pandemie als innovationstreibend, denn

  • in einem ersten Schritt mussten die bislang in Präsenz gehaltenen und die UEP begleitenden Präsenzseminare in der Pandemiephase umgestellt werden. Dieses geschah und geschieht fortlaufend durch die Produktion (und Neugestaltung) von Videosequenzen von jeweils maximal 15 Min. Dauer; zumeist 5 Sequenzen plus eine Sequenz mit einer Aufgabenstellung bilden eine Seminarveranstaltung nach dem Prinzip von MOOC (Massive Open Online Courses) ab, allerdings mit weiterhin umfangreicher tutorieller Unterstützung (Online-Fragemöglichkeit, Jour fixe)
  • in einem zweiten Schritt wurden die Video-Bots „B4U“ („Basics for You“) und „T3A“ („Things to think about“) als permanent verfügbares und ständig durch die Bedarfe der Student*innen sich erweiterndes tutorielles Angebot geschaffen. „B4U“ zielt dabei mehr auf eine Begriffsklärung (z. B. „Was ist unter beruflicher Bildung zu verstehen?“ „Wie finde ich Bildungsziele?“, „Was ist Inklusion, was Binnendifferenzierung?“) und Verfahrenserläuterung (z. B. „Wie funktioniert COMET?“) ab. T3A beinhaltet weiterführend die Aufarbeitung aktueller Entwicklungen in der gewerblich-technischen Didaktik und Berufspädagogik basierend auf den Thematiken der gängigen Fachperiodika.

Das in der Corona-Phase entwickelte MOOC-Angebot wird von den allermeisten Student*innen als Element von Flexibilisierung im Rahmen der TAP-Gespräche begrüßt – organisatorisch (keine festen Vorlesungszeiten) ebenso wie inhaltlich (Wiederholung nach eigenem Lernbedarf möglich). Das Video-Bot-Angebot wird demgegenüber fast als lästig empfunden. Das Erkennen des eigenen Informationsbedarfs und wie man diesem selbstgesteuert nachkommen kann, wird zumeist abgelehnt. Hier wird seitens der Student*innen die Fragestellung im Jour fixe bevorzugt – in der dann aber wiederum seitens der Dozent*innen auf das Video-Bot-Angebot verwiesen wird. Hier zeigt sich prototypisch die schon vorab beschriebene Tendenz zur narzisstischen Selbstoptimierung: Es geht aus Sicht der Student*innen nicht darum, die eigene Fähigkeit zum selbstverantworteten wie selbstgesteuerten Lernen weiterzuentwickeln, obwohl diese (mit Blick auf Masterlösung und Unterrichtsentwicklung) ein Kernbereich späteren Lehrer*innenhandelns sein sollte. Stattdessen überwiegt der Anspruch, möglichst effizient und jenseits eines Gesamtzusammenhangs an das zu kommen, von dem geglaubt wird, dass es für die konkret zu bearbeitende UEP-Aufgabe brauchbar ist.

4.1.3 Campus Buschhütten: Stärkere fachliche Ankopplung angesichts der Transformationsprozesse innerhalb von industrieller Facharbeit

Ein Mangel, der nicht direkt im Zuge der in Kap. 3.2 dieses Beitrags beschriebenen Erstevaluation ermittelt wurde, sich jedoch bei der Weiterentwicklung des Studiengangs schnell zeigte: Die Reaktionsmöglichkeiten des Studiengangs auf die disruptive Transformation der Inhalte von gewerblich-technischer Facharbeit erfordert für das Studienangebot weitergehende Kooperation.

In den für die angebotenen beruflichen Fachrichtungen wesentlichen Bereichen

  • der Fertigungs- und Produktionstechnik (Cyberphysische Systeme, Industrie 4.0, digitaler Zwilling, generative/additive Fertigung),
  • der Fahrzeugtechnik (steigende Marktrelevanz von batterie- und brennstoffzellenbetriebenen E-Fahrzeugen),
  • der in beiden Fällen damit einhergehenden Veränderungen in der Mechatronik sowie
  • der Energieversorgungstechnik (breite Einführung erneuerbarer Energieversorgung)

etablieren sich nunmehr kurzfristig neue berufliche Handlungsaufgaben jenseits von bislang etabliertem Arbeitsprozesswissen.

Das Konzept der UEP fordert universitär die parallele Bereitstellung von dreierlei Arten tutorieller Unterstützung:

  • Die notwendige fachliche Durchdringung der vorab genannten Technologien zur Entwicklung und Absicherung von Masterlösungen (Übernahme der Facharbeiterrolle);
  • die reflektierende Analyse bei der Bewertung von Unterrichtsplanungen (Übernahme der Lehrkraftrolle);
  • die Voraussetzung zur Verknüpfung von realem Problem bei der Unterrichtsgestaltung mit wissenschaftsfundierten Lösungsansätzen und Methodenkonzepten zur Erkenntnisgewinnung (Übernahme der Wissenschaftlerrolle).

Schnell wurde deutlich, dass seitens des Lehrgebiets Technikdidaktik vor allem die Facharbeiterrolle angesichts des aktuell sehr schnellen Technologiewandels nicht länger glaubwürdig geleistet werden kann.

Das Studienangebot für die Lehramtsstudiengänge BK wurde deshalb in einem Kooperationsmodell Teil des „Campus Buschhütten“ (CB). Beim CB handelt sich um einen privatwirtschaftlich gegründeten Hochschulcampus, der die Bereiche „Reallabor“ als Digital Factory mit einer „Realwerkstatt“ als Smarte Lernfabrik synergetisch verknüpft (Campus Buschhütten, 2024). Damit können interdisziplinäre Teams aus den Ingenieurwissenschaften und gewerblich-technischen Wissenschaften gemeinsam in Praxis-Theorie-Verzahnung Problemstellungen bearbeiten. Hierbei wird das Ingenieur- wie Arbeitsprozesswissen als Basis der dazu entsprechend zu planenden beruflichen Bildungsprozesse gleichzeitig und kooperativ generiert. Aktuelle Projekte für die BK-Lehramtsstudiengänge beziehen sich auf die Themen generative/additive Fertigung, cyberphysische Systeme /Robotik und den Einsatz von Augmented Reality in der Montage- und Instandhaltungstechnik. Für die Zukunft sind BK-Projekte zur nachhaltigen industriellen Energieversorgung geplant.

Auch wenn momentan noch keine belastbare Evaluation zu diesem Konzept aus Sicht der beruflichen Bildung vorliegt, so lässt sich durch die TAP-Gespräche folgendes ableiten:

  • Die Student*innen begrüßen diesen zusätzlichen universitären Lernort und erkennen schnell, hier mit Facharbeit „[…]state of the art[…]“ konfrontiert zu werden. Die eigene mangelnde Fachkenntnis verblüfft Studierende, da Ausbildungszeit und bisheriges Studium noch unmittelbar präsent sind, erzeugt aber zugleich einen motivierenden Handlungsdruck, sich hier einzuarbeiten;
  • es zeigt sich zudem bei den COMET-Auswertungen zu den UEP, die am Campus Buschhütten auf der „Know-how“-Ebene realisiert wurden, dass diese sowohl eine höhere ingenieurfachlicher Qualität als auch sehr gut abgesicherte didaktische Begründungen des Arbeitsprozesswissens gewonnen haben. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Fachwissenschaftler*innen, gewerblich-technischen Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen ist ein Modell, welches eine höhere Qualität bei der Unterrichtsentwicklung innerhalb der UEP ermöglicht;
  • die Qualität der tutoriellen Unterstützung über das interdisziplinäre Team wird seitens der Student*innen als besonders gut hervorgehoben, wobei angemerkt wird, dass hier vor allem seitens des Lehrgebiets Technikdidaktik die entsprechende Moderationsarbeit zwischen den Akteur*innen erfolgreich ist;
  • aus Sicht der Dozent*innen bietet sich hier ein großes Maß an gut differenzierbaren Aufgaben für die UEP an, wodurch noch besser als bislang eine bedarfsorientierte Flexibilisierung des Studienangebots gelingt.

5 Zusammenfassung und Ausblick

5.1 Kernmerkmale des Modells

Das „Siegener Modell“ für die universitäre Ausbildung von berufsschulischen Lehrkräften zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

  • Hohe Flexibilität durch Binnendifferenzierung der Studieninhalte passend zum biografischen Hintergrund und Entwicklungsfortschritt der Student*innen;
  • gleichzeitiger Aufbau einer individuellen Portfolio-Unterstützung;
  • ein entwicklungslogisch taxonomisiertes Angebot von für Berufsbildungsarbeit relevanten Unterrichtsentwicklungsprojekten (UEP) mit einer inneren Struktur, die durch den iterativ umzusetzenden Dreischritt Masterlösung-Lernsituationsmatrize-Verlaufsplanung eine Praxis-Theorie-Verzahnung ermöglicht (Rauner & Lehberger, 2022, S. 152–153);
  • Nutzung des COMET-Verfahrens zur Kompetenzmessung sowohl als Evaluationsinstrument für den Studienerfolg als auch als Feedbackmethode und Portfolioelement bei der Reflexion von UEP;

5.2 Effizienteres Recruitung

Die Idee einer attraktiven Studiengangsgestaltung über den Ansatz „vom/von der Student*in aus denken“ wird, wenn auch angesichts der absolut betrachtet statistisch kleinen Gesamtgrößen der Kohorten, gemessen am qualitativen Feedback erreicht. Es herrscht seitens der potenziellen Student*innen weitaus mehr Zustimmung als Ablehnung zu dem Modell von UEP als Kernbereich mit den flankierenden Maßnahmen der Online-Seminare, Videobots, 2-D-Konsilien und Jour-fixe-Termine (auch wenn diese Angebote untereinander eine unterschiedlich hohe Wertschätzung erfahren). Das Grundprinzip, so möglichst hohe Flexibilität im Studienverlauf zu ermöglichen, wird anerkannt und seitens der Student*innen geschätzt. Es ist also mithin ein Element, um das Recruiting für das Lehramtsstudium BK gerade im gewerblich-technischen Bereich mit der dort hohen Konkurrenz durch die ingenieurwissenschaftlichen Arbeitsangebote zu erleichtern.

5.3 Qualitätssteigerung des Studienangbots

Durch die expliziten seminaristischen Reflexionsphasen begleitend zu den UEP wird eine hohe wissenschaftliche Tiefe erreicht. Zugleich wird durch die UEP eine hohe Transferierbarkeit der dadurch universitär eröffneten Erkenntnisse in die schulische Praxis ermöglicht.

Der Erfolg dieses Studienangebots, dass gerade beim berufsbegleitenden Aufbaustudiengang mit paralleler Lehrer*innentätigkeit von den Bedarfen der Student*innen her denkt, konnte evaluativ nachgewiesen werden. Dass es zugleich eine hohe Wirksamkeit auf die Entwicklung von Lehrer*innenpersönlichkeit entfaltet, konnte über die im Längsschnitt erhobenen qualitativen Evaluationsergebnisse sowohl aus Sicht der Student*innen wie auch Sicht der ZfsL als „abnehmende Institution“ nachgewiesen werden.

5.4 Entwicklungspotenzial

Zugleich bietet der jetzige Stand des Studiengangsmodells noch weiteres Entwicklungspotenzial: Die Übernahme des lehrkrafteigenen Rollenverständnisses als bildend und nicht als ausbildend durch die Student*innen gilt es weiter fördern.

Primär meint dieses vor allem, ein ganzheitliches Erfassen und Denken des Subjekt-Objekt-Bezugs zu fördern, wobei die Lehrkraft als Subjekt reflektierend erkennt, wie sie über ihren Unterricht Welt formt als auch zugleich Wirklichkeit ihre Unterrichtsplanung und -realität beeinflusst. Dass das „Siegener Modell“ prägende Modell der UEP hierzu in der Lage ist, zeigen die Ergebnisse aus dem QLB-Vorhaben „FAKTUR“. Hier wird den Student*innen sowohl eine aktiv gestaltende Lehrkraftrolle zugewiesen wie auch mittels COMET als Außensicht eine Reflexion mit den Wirkungen und Absichten eigener Gestaltung ermöglicht. Damit werden für die Student*innen selbst lernbiografische Erkenntnismomente möglich, wie sie diese späterhin als berufliche Bildungsprozesse ihren Schüler*innen ermöglichen sollen.

Eine solchermaßen holistische Vorstellung von beruflicher Profession als Klärung von Subjekt-Objekt-Positionierung kann der Ausgangspunkt sein für „[…] ein emanzipatorisches Bildungsverständnis, das die Menschen befähigt, soziale, technisch-organisatorische und ökonomische Zusammenhänge zu erkennen sowie individuelle und kollektive Interessen zu vertreten.“ (Kaßebaum, 2015, S.204). Umso aufrüttelnder muss das dargestellte Ergebnis des QLB-Modellversuchs „FAKTUR“ wirken: Die hier von Buchmann et.al. weiterhin diagnostizierte narzisstisch-autoritäre Grundhaltung ist das Gegenteil einer Lehrer*innenpersönlichkeit mit der Disposition zur ganzheitlichen Analyse und Synthese. Bei Berücksichtigung des von Rauner diagnostizierten Kongruenzproblems können den Student*innen weder Unfähigkeit noch Unwillen vorgeworfen werden: Denn eben weil die Stärken und Schwächen der Kompetenzentwicklung von Lehrkräften in hohem Maße auf die Schüler*innen transferiert werden, sind angehende Lehrkräfte aufgrund ihrer bisherigen von Ausbildung statt Bildung geprägten Lernbiographie potenziell nicht offen für die Idee eines Bildungsprozesses.

Universität als Lehrerbildungsinstitution kann im Status quo offenkundig selbst kein durchgängiges Bildungskonzept anbieten. Das hier vorgestellte Studiengangsmodell zeigt zwar punktuell, wie dieses Manko durch Verschmelzung von berufspädagogischen mit technik- und berufsdidaktischen Seminaren zu gemeinsamen Projektarbeiten abgebaut werden kann. Eine Etablierung über den gesamten Studiengangsverlauf scheitert momentan an personellen wie formalen Voraussetzungen. Kaßebaum stellt hierzu die These auf, dass eine Wirtschaft (hier ersetzbar durch Gesellschaft, d. V.), die auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die Zerfaserung von Beschäftigung und die Reduktion von Bildung auf Anpassungsqualifizierung setzt, eine unterwertige Qualifikation als Ersatz befördert (Kaßebaum, 2015, S. 201). Die Analogie für die Lehrkräftebildung angesichts der permanenten Diskussion um Zeitverträge für Lehrkräfte bei gleichzeitig immer weiter verkürzten, aber umfänglich formalisierten Zugängen in das Lehramt durch Seiten- und Quereinstiege und der Priorisierung auf qualitätsorganisatorische Nachweise statt der Erfassung tatsächlicher Befähigung zu beruflicher Bildungsarbeit ist ebenso offenkundig wie erschreckend.

Tatsächliche berufliche Bildungsarbeit wird damit perspektivisch weiterhin ein seltenes Gut an den beruflichen Schulen und Berufskollegs bleiben.

Das „Siegener Modell“ bietet hier einen Gegenentwurf an, es liegt nun daran, diesen konsequent zu etablieren.

Literatur

BIBB – Bundesinstitut für Berufsbildung (2024). Didaktik und Methodik in der Ausbildung. https://www.bibb.de/de/141447.php

Buchmann, U, Gimbel, K., Keszmes, R. & Köhler, S. (2023). Der narzisstisch-autoritäre Sozialcharakter als spezifische Herausforderung in der Lehrkräftebildung – ein Risiko für die Demokratie? Beitrag auf dem Marburger Bilanzierungstreffen. https://www.qualitaetsoffensive-lehrerbildung.de/lehrerbildung/de/newsletter/_documents/nl_5_2023_4_factur.html.

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Zitieren des Beitrags

Dreher, R. (2024). Das Siegener Modell der Lehrer*innenbildung für das Lehramt an gewerblich-technischen Berufskollegs – Ein Ansatz zur parallelen Flexibilisierung der Professionalisierung und Optimierung des Recruitings. bwp@ Berufs- und Wirt­schaftspädagogik – online, 47, 1–26. https://www.bwpat.de/ausgabe47/dreher_bwpat47.pdf     

Veröffentlicht am 17. Dezember 2024