bwp@ 47 - Dezember 2024

Attraktivität des Lehrer:innenberufs in der Berufsbildung

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Silke Lange & Matthias Söll

Attraktive Arbeitsbedingungen durch New Work? Analyse und Entwicklungsperspektiven für berufsbildende Schulen

Beitrag von Gabriele Faßauer & Stephanie Berner
Schlüsselwörter: berufsbildende Schulen, Bildungspersonal, Lehrkräfte, New Work

„New Work“ steht für eine moderne, den Erfordernissen einer dynamischen und komplexen Umwelt gerecht werdende, Gestaltung von Arbeit. Als aktuelles „Buzzword“ ist es ein Label für vielfältige organisatorische Maßnahmen und attraktivere Arbeitsbedingungen, indem z. B. flexibles Arbeiten, eine Verbesserung der Work-Life-Balance, Empowerment und arbeitsbezogene Sinnstiftung als Gestaltungsziele von Arbeit in den Fokus rücken. „New Work“ lädt ein, Arbeit neu zu denken und gibt Anstoß, auch die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen zu modernisieren. Dabei darf eine solche Modernisierung nicht auf eine vom Organisationskontext abstrahierende Übertragung gängiger New Work-Maßnahmen reduziert werden. Im Gegenteil müssen die Ausgangslagen berufsbildender Schulen und ihrer Lehrkräften berücksichtigt werden, um zentrale Erfordernisse der gelingenden Neugestaltung von Arbeitsbedingungen im Sinne von New Work abzuleiten. Vor diesem Hintergrund analysiert und diskutiert der Beitrag, wie das Attraktivitätspotenzial von New Work für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen entfaltet werden kann.  

Building attractive working conditions through “New Work”? An analysis for vocational schools

English Abstract

“New Work” stands for a modern design of work that meets the requirements of a dynamic and complex environment. As a current buzzword, it is a label for a wide range of organizational measures and promises more attractive working conditions by focusing, for example, on flexible working, an improvement in work-life balance, empowerment and meaningful work. New Work invites us to rethink work and also provides an impetus to modernize the working conditions for teachers at vocational schools in Germany which suffer from staff shortages and recruiting problems. However, such modernization must not be reduced to a transfer of common New Work measures independent from the organizational context. Rather the characteristics of vocational schools as organizations must be considered in order to derive central requirements for the redesign of working conditions in sense of New Work. Against this background, the article analyses and discusses how New Work could be attractively and sustainably developed for teachers at vocational schools.

1 Einstieg: New Work an berufsbildenden Schulen?

Der Lehrkräftemangel ist eine „Dauerbaustelle“ und sich mit besorgniserregender Dringlichkeit stellende Zukunftsaufgabe für die (Berufs-)Bildungspolitik und -praxis (Klemm, 2018; Frommberger & Lange, 2018; KMK, 2022). Der Mangel an Lehrkräften wird dabei häufig mit einer mangelnden Attraktivität des Lehrer:innenberufes in Verbindung gebracht (z. B. Frommberger & Lange, 2018, S. 36–40; Seifried, 2023, S. 7–9). In Reaktion auf den akuten Lehrkräftemangel erklärt z. B. die Kultusministerkonferenz im März 2023 die „Erhöhung der Attraktivität und Wertschätzung des Lehrberufes in der Gesellschaft“ als zentrale Aufgabe (KMK, Erklärung vom 17.03.2023)

Dies betrifft ebenfalls den Lehrer:innenberuf an berufsbildenden Schulen. Auch wenn unterschiedliche Erhebungen verschieden hohe Zahlen ausweisen und je nach Fachrichtung und Region unterschiedliche Entwicklungen zu vermuten sind, lässt sich prognostizieren, dass die Lehrkräfteausstattung an berufsbildenden Schulen durch eine zunehmende Mangelsituation geprägt sein wird (Klemm, 2018; Frommberger & Lange, 2018; KMK, 2022). Die Gründe sind vielfältig. Sie werden vor allem in der geringen Bekanntheit des Berufsfeldes, dem vergleichsweise langen und herausfordernden Bildungsweg, den komplexen fachlichen und pädagogisch-didaktischen Anforderungen und einer geringen gesellschaftlichen Wertschätzung bei gleichzeitiger Konkurrenz um das Fachpersonal mit Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung gesehen (Monitor Lehrerbildung, 2017; Frommberger & Lange, 2018, S. 13–16, S. 36–40; Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022, S. 304–306; Seifried, 2023). Attraktivitätseinbußen ergeben sich auch dadurch, dass der Lehrer:innenberuf im Allgemeinen häufig mit einem hohen Stressniveau assoziiert wird (Rothland, 2013a, S. 33–36; Aprea et al., 2023, S. 3). Studien indizieren zwar über die Schulformen hinweg und nach weiteren Faktoren je zu differenzierende Belastungssituationen für Lehrkräfte (Kärner et al., 2016; Sappa, 2018; forsa, 2019; Mußmann et al., 2020; Robert Bosch Stiftung, 2022, 2024; Aprea et al., 2023, 2024), verweisen aber mit dem Aspekt der Arbeitsbelastung auf ein zentrales Thema im Hinblick auf die wahrgenommene Attraktivität des Lehrberufes hin.   

Das Attraktivitätsproblem des Lehrer:innenberufs ist somit vielfältig und komplex sowie gesellschaftlich und institutionell z. T. tief verwurzelt. Im Gegensatz zu den akuten Maßnahmen, die zum Umgang mit dem Lehrkräftemangel gegenwärtig angedacht sind, wie z. B. die Erhöhung der wöchentlich zu leistenden Unterrichtsstunden je Lehrperson, die Verschärfung der Voraussetzungen für deren Teilzeitbeschäftigung und vorzeitige Pensionierung oder die Entlastung und Unterstützung qualifizierter Lehrkräfte durch formal nicht (vollständig) qualifizierte Personen (Klemm, 2018, S. 23–25; SWK, 2023), verlangt die Lösung des Attraktivitätsproblems fundamentale und langfristige Neugestaltungen der Arbeitsbedingungen für angehende und gegenwärtige Lehrkräfte.

Der vorliegende Beitrag nimmt die aktuellen Diskussionen um den Begriff und das Konzept von „New Work“ als Ausgangspunkt, um Möglichkeiten einer solchen Neugestaltung von Arbeitsbedingungen im Berufsbildungsbereich aufzuzeigen. Als aktuelles „Buzzword“ (Schermuly, 2023, S. 14) steht „New Work“ für vielfältige organisatorische Maßnahmen, wie z. B. flexible Arbeitszeitmodelle, den Einsatz mobiler Technologien, Hierarchieabbau und agiles Arbeiten (Schermuly & Meifert, 2023). „New Work“ birgt so ein Versprechen auf attraktivere Arbeitsbedingungen, indem flexibles Arbeiten, eine Verbesserung der Work-Life-Balance, Empowerment und arbeitsbezogene Sinnstiftung als Gestaltungsziele von Arbeit in den Fokus rücken. Die Diskussionen um „New Work“ laden ein, Arbeit neu zu denken, werden jedoch für das Lehrpersonal in der beruflichen Bildung bisher kaum thematisiert (Elsholz & Klusemann, 2023).

Richtungsweisend für unseren Beitrag ist die Annahme, dass die Wirkung organisationaler Gestaltungsmaßnahmen nur durch Reflexion der organisationalen Ausgangsbedingungen verstanden werden kann bzw. Neuerungen immer als „Weiterentwicklung von Ausgangslagen“ begriffen werden müssen (Terhart, 2018, S. 52–53). So kann die gelingende Neugestaltung nicht auf die Übertragung einzelner, „moderner“ New Work-Maßnahmen reduziert und im Ergebnis nicht per se auf eine Steigerung der Attraktivität von Arbeitsplätzen im Berufsbildungsbereich geschlossen werden. Dass ein solches Vorgehen sogar ins Negative umschlagen kann, zeigen jüngere Auseinandersetzungen zum Thema. Anschaulich zeichnet z. B. Schermuly (2023) das Bild einer „New Work Dystopia“ mit hoch beanspruchenden Arbeitsbedingungen. Elsholz und Klusemann (2023) fassen in ihrem Überblick zu New Work im Berufsbildungsbereich anhand von Befunden über die Flexibilisierung von Berufsbildungsarbeit durch Digitalisierung ebenfalls zusammen, dass diese für das Bildungspersonal zugleich eine erhöhte zeitliche Belastung, eine Zunahme an Bildungsmanagementaufgaben sowie das Erfordernis eines zunehmend selbstorganisierten und informellen Lernens bei knappen zeitlichen Ressourcen mit sich bringen kann.

Um zentrale Erfordernisse der gelingenden Neugestaltung von Arbeitsbedingungen im Sinne von New Work abzuleiten, müssen die Ausgangslagen berufsbildender Schulen und ihrer Lehrkräfte berücksichtigt werden. Nur so lassen sich Aussagen darüber treffen, worin das Attraktivitätspotential von New Work für das Lehrpersonal überhaupt bestehen kann und welche Maßnahmen zielführend sind, um den Lehrer:innenberuf in der Berufsbildung attraktiver zu gestalten. 

Im Folgenden stellen wir zunächst die inhaltlichen Grundzüge von „New Work“ als Ausganspunkt für unsere Analyse vor. Unter Berücksichtigung der organisationsspezifischen Merkmale und Herausforderung des „Arbeitsplatzes (Berufs)Schule“ (vgl. Rothland, 2013b, S. 23; Drepper & Tacke, 2023), der Belastungsfaktoren für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen (Kärner et al., 2016; forsa, 2019; Mußmann et al., 2020; Robert Bosch Stiftung, 2022, 2024; Aprea et al., 2023, 2024) und Erkenntnissen über die Berufswahlmotive angehender Lehrkräfte in diesem Bereich (z. B. Stellmacher & Paetzsch, 2023) wollen wir anschließend beleuchten, worin das Attraktivitätspotenzial von New Work für Lehrkräfte im Berufsbildungsbereich bestehen kann. Hiervon ausgehend leiten wir zentrale Entwicklungsperspektiven für die Arbeitsbedingungen von Lehrer:innen an beruflichen Schulen ab. Im Ergebnis argumentieren wir, dass es vor Allem auf den Aufbau und die Stärkung von Personal- und Organisationsentwicklungskompetenzen in den berufsbildenden Schulen selbst ankommt, um langfristig Attraktivitätsgewinne für das Lehrpersonal zu erzielen.

2 New Work: Zwischen „Buzzword“ und normativem Gestaltungsanspruch

2.1 Ursprung und gegenwärtige Thematisierung von New Work

„New Work“ ist populär. Trotzdem oder genau deswegen ist die Diskussion um New Work durch Diversität, Mehrdeutigkeit, aber auch Vereinfachungen geprägt (Taimer & Weckmüller, 2020; Schermuly & Meifert, 2023; Bach et al., 2024). Im Ursprung geht der Begriff auf die Arbeiten von Frithjof Bergmann zurück, der in Anbetracht von industrieller Automatisierung und Massenarbeitslosigkeit in den 1980er Jahren in den USA einen Ansatz zur gesellschaftspolitischen Transformation des bestehenden Lohnarbeitssystems erarbeitet hat. Bergmann schlägt darin eine grundsätzlich andere Verteilung und Kürzung von Arbeitszeit, eine durch moderne Technologie ermöglichte, konsequente Erhöhung des Eigenproduktionsanteils und eine stärkere arbeitsbezogene Selbstbestimmung vor.

Der heutige Gebrauch des New Work-Begriffes hat sich weitestgehend von den gesellschaftspolitischen Transformationsideen Bergmanns gelöst (Taimer & Weckmüller, 2020; Elsholz & Klusemann, 2023; Schermuly & Meifert, 2023). New Work dient häufig als „Label“ für alle Veränderungen im Zusammenhang mit der gegenwärtig diagnostizierten Transformation der Arbeitswelt und wird so z. B. häufig auf Digitalisierungsprozesse, Arbeitszeitflexibilisierung, ortsunabhängiges oder agiles Arbeiten bezogen. Gemäß der Literaturauswertung von Bach et al. (2024) wird New Work in wissenschaftlichen Beiträgen z. B. in Verbindung mit so unterschiedlichen Themenschwerpunkten wie Gesundheits- und Arbeitsschutz, Lernen, Beschäftigung und Arbeitsmarkt sowie COVID-19 und dessen Auswirkungen auf die Arbeitswelt gebracht. Die Breite der Cluster und die der darin diskutierten Themen ist erheblich und zeigt die Offenheit und hohe Anschlussfähigkeit des New Work-Begriffes an unterschiedlichste Fragestellungen. Ebenfalls im Bemühen, die Diskussion über New Work zu strukturieren, identifizieren Taimer und Weckmüller (2020) in ihrer Inhaltsanalyse drei Hauptdiskurse, in denen New Work in der Fachliteratur verhandelt wird. Sie unterscheiden den „originären Sinndiskurs“, in welchem New Work in Hinblick auf grundsätzliche, gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Veränderungen im Sinne Bergmanns diskutiert wird, den „mitarbeiterorientierten Humanisierungsdiskurs“, in dem die humane Gestaltung von Arbeit und betrieblichen Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt der Beiträge steht und dem „businessorientierten Managementdiskurs“, bei dem jegliche, nicht tayloristische Organisationsform von Arbeit unter den Begriff New Work subsummiert wird.

2.2 New Work als Empowerment-Ansatz

Dass der New Work-Begriff mittlerweile für verschiedenste Veränderungen in Organisationen benutzt wird, zeigt auch die regelmäßige Befragung von Praktiker:innen im Rahmen des sogenannten New Work-Barometers (Schermuly & Meifert, 2023; Schölmerich, et al. 2023). Für viele der Befragten handelt es sich bei New Work um Maßnahmen, die das Ziel verfolgen, „das psychologische Empowerment, also das Erleben von Sinn, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz, am Arbeitsplatz zu fördern“ (Schermuly & Meifert, 2023, S. 6). Die angegebenen Praktiken zur Umsetzung reichen dabei z. B. von Selbstorganisation, Arbeitszeitautonomie, selbstbestimmtem Lernen, offener Fehlerkultur bis hin zu teilautonomer Gruppenarbeit und Shared Leadership.

Der inhaltliche Kern von New Work lässt sich demnach schwerlich an einzelnen Praktiken festmachen. Vielmehr erscheint uns dessen normativer Gestaltungsanspruch, Arbeit im Sinne von Beschäftigten neu zu denken und attraktiv zu gestalten, der zentrale Ausgangspunkt zu sein, New Work analytisch zu fassen. Für die Konkretisierung des New Work-Ansatzes greifen wir daher auf die Arbeiten von Carsten Schermuly (2014, 2023) zurück, der New Work mit dem psychologischen Empowerment-Ansatz nach Gretchen Spreizer konzeptualisiert und dessen Ansatz sich vielfach im heutigen Verständnis von New Work wiederspiegelt. New Work bezieht sich demnach auf solche Praktiken, die das psychologische Empowerment von Beschäftigten, also das Erleben von Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz während der Arbeit, fördern (Schermuly, 2023, S. 152; Schölmerich et al., 2023; S. 217; vgl. dazu Tabelle 1).

Tabelle 1:     Dimensionen des psychologischen Empowerment

Bedeutsamkeit

Menschen mit hohem Bedeutsamkeitserleben nehmen ihre individuellen Arbeitsaufgaben als persönlich wichtig und sinnvoll wahr.

Selbstbestimmung

Selbstbestimmung beschreibt das Erleben von individueller Autonomie im Beruf: Hohe Ausprägungen weisen Personen auf, die ihre Arbeitszeiten, Arbeitsmittel und die Organisation ihrer eigenen Arbeitsprozesse selbstständig bestimmen können.

Einfluss

Menschen mit hohem Einflusserleben gehen davon aus, dass sie persönlich Einfluss auf ihre Arbeit und die Arbeitsumgebung nehmen können und so administrative, operative und strategische Ergebnisse ihrer Arbeit verändern können.

Kompetenz

Kompetenz meint ein hohes Selbstwirksamkeitserleben in beruflichen Kontexten: Menschen mit hoher Ausprägung sind überzeugt, dass sie persönlich in der Lage sind, ihre wesentlichen Aufgaben erfolgreich zu bearbeiten.

Psychologisches Empowerment eröffnet auf verschiedenen Ebenen einer Organisation (Individuum, Team, Organisation) Handlungsfelder zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Wichtig ist, dass Organisationsfaktoren, wie z. B. die Organisationskultur, eingefahrene Strukturen und Abläufe, als auch persönliche Ausgangslagen, wie z. B. Persönlichkeitsfaktoren und Handlungsmotive, die erlebten Wirkungen von New Work-Maßnahmen beeinflussen. Der jeweilige organisationale Kontext muss daher immer berücksichtigt und im Sinne von New Work ggf. auch verändert werden, um entsprechende Wirkungen und Attraktivitätsgewinne zu erzielen.

3 New Work an berufsbildenden Schulen – Analyse und Entwicklungsmöglichkeiten

3.1 Einleitende Bemerkungen

Die Neugestaltung der Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen richtet sich gemäß des oben dargestellten New Work-Ansatzes von Carsten Schermuly darauf, das psychologische Empowerment am Arbeitsplatz zu fördern. Das Erleben von Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz (vgl. Tabelle 1) kann sich dabei auf die individuelle Aufgabenebene, also z. B. das Unterrichten, die kollektive Ebene, wie z. B. die Zusammenarbeit im Kollegium und mit der Schulleitung, und/oder die organisationale Ebene, also die Berufsbildungseinrichtung als (Einzel)Organisation mit Strukturen, Abläufen und ihrer Organisationskultur, beziehen (Terhart, 2018, S. 51–53; Drepper & Tacke, 2023). Berücksichtigt werden muss, dass die Ebenen miteinander in Wechselwirkung stehen, so dass z. B. New Work-Maßnahmen auf individueller Aufgabenebene häufig nicht ohne Veränderungen auf der kollektiven und organisationalen Ebene nachhaltig umgesetzt werden können. Insofern plädieren wir in unserem Beitrag dafür, die organisationalen und personellen Ausgangslagen von Lehrkräften im Berufsbildungsbereich in den Blick zu nehmen, um diese im Sinne von New Work (weiter) zu entwickeln.

Der Berufsbildungssystem in Deutschland ist heterogen aufgestellt. Berufsbildende Schulen unterscheiden sich z. B. je nach Bildungsgängen und Fachrichtungen, Schüler:innenklientel, Größe, Bundesland oder Region (Protsch & Solga, 2019; Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022; Berufsbildungsbericht, 2023). Unterschiede ergeben sich auch durch die jeweilige „Schul- oder Betriebskultur“, z. B. in Bezug auf die gelebten Kooperations- und Kommunikationspraktiken in einer Berufsbildungseinrichtung (Rosenbusch & Huber, 2017; Terhart, 2018, S. 52; Mußmann et al., 2020, S. 48, S. 164). Wir schauen im Folgenden allgemein auf die Arbeitssituation von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen. Unser Ziel ist es, die gegenwärtigen und perspektivisch möglichen Attraktivitätspotenziale des Lehrberufs im Berufsbildungsbereich im Sinne von New Work als Empowerment-Ansatz herauszukristallisieren und so Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen. Zunächst begeben wir uns in Abschnitt 3.2 auf „Spurensuche“ und fragen, inwieweit Elemente von New Work bereits im Berufsbild und der Tätigkeit von Lehrer:innen im Berufsbildungsbereich angelegt bzw. vermutet werden können. Anschließend erfolgt in Abschnitt 3.3 eine Reflexion der möglichen (Weiter)Entwicklungsmöglichkeiten von New Work an berufsbildenden Schulen. 

3.2 Lehrkräfte in der Berufsbildung: Bereits New Worker:innen?

Lehrer:innen sind in vielfacher Hinsicht bereits New Worker:innen. Diese Behauptung könnte einerseits Ausdruck eines unreflektierten Alltagsverständnis und von z. T. hartnäckigen Klischees über den Lehrer:innenberuf sein – etwa über deren berufliche Freiheitsgrade und Arbeitszeiten (Rothland, 2013a, S. 21–27). Andererseits lassen auch Fachliteratur und Studien über die Arbeitstätigkeit und Motivlagen von Lehrer:innen den Schluss zu, dass der Beruf vielfältige Möglichkeiten bietet, psychologisches Empowerment in der Arbeit zu erfahren.

Als Organisationen eröffnen (berufsbildende) Schulen ihren Lehrkräften vergleichsweise große Handlungsspielräume (Rosenbusch & Huber, 2017; Herzog, 2019; Drepper & Tacke, 2023). Typischerweise gelten Lehrer:innen als „Einzelarbeiter:innen“, die das „Kerngeschäft“ von Schule, das Unterrichten, mit hoher Autonomie je für sich in den Klassen erbringen (Herzog, 2019, S. 161). Im Bereich der dualen Ausbildung könnte sich dieser Aspekt durch das Spezifikum des Lernfeldansatzes, dessen inhaltliche und kompetenzorientierte Ausgestaltung ein gewisses Maß an gemeinsamer Bildungsgangarbeit bzw. Teamarbeit des Lehrpersonals notwendig macht, zwar relativieren, dürfte jedoch in Hinblick auf die konkrete Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts sowie die Leistungsermittlung und -bewertung durch die Lehrenden, nach wie vor ähnlich ausgeprägt sein. Organisationssoziologisch werden Schulen häufig als loosely coupled systems (Weick, 1976; Orton & Weick, 1990) betrachtet, die weniger durch lineare Hierarchien als durch lose gekoppelte Verbindungen zwischen Ebenen und Elementen in der Schule, also zwischen Lehrer:innenschaft und Schulleitung, als auch zwischen den Lehrkräften gekennzeichnet sind (Rosenbusch & Huber, 2017, S. 3). Charakteristisch ist, dass die Tätigkeit von Lehrer:innen zwar von der organisatorischen Binnenstruktur der Schule und der schul- und (einzel-)schulübergreifenden Verwaltungsstruktur gerahmt und beeinflusst wird, jedoch ihre konkrete unterrichtliche Praxis bzw. der „Unterricht als Sozialform“ (Herzog, 2019, S. 161) kaum geregelt werden kann und so immer Autonomie- und Gestaltungspielräume eröffnet (Rothland, 2013a, S. 25; Drepper & Tacke, 2023). Schulleitungen sind dabei in Hinblick auf Qualifikation und Unterrichtstätigkeit zum einen häufig „Gleiche unter Gleichen“, zum anderen sind sie Teil der linearen Verwaltungshierarchie. Insofern haben sie eine Scharnierfunktion zwischen der praktischen Ebene des pädagogischen Handelns und den bürokratisch-administrativen Bedarfen der Schulorganisation und -entwicklung.

Auch wenn die Tätigkeit von Lehrer:innen somit durch bürokratisch-formalistische Strukturen geprägt und beeinflusst wird, sind sie in „ihrer Schule“ typischerweise nicht in hierarchisch tief gestaffelte und ihre Tätigkeit bis ins Detail regulierende Strukturen eingebunden. Dies betrifft die Unterrichtstätigkeit als auch etwaige Abstimmungsprozesse im Kollegium (Drepper & Tacke, 2023, S. 395–409) Welche Chancen damit in Hinblick auf die Ausgestaltung und Entwicklung von New Work verbunden sein könnten, soll im Folgenden anhand der Dimensionen des psychologischen Empowerment-Ansatzes diskutiert werden.

3.2.1 Bedeutsamkeits- und Kompetenzerleben

Die Tätigkeit von Lehrkräften ist vielfältig, komplex und verantwortungsvoll (Rothland, 2013a; Kunter & Pohlmann, 2015). Im Berufsbildungsbereich geht es dabei um nichts weniger als die Entwicklung beruflicher und gesellschaftlicher Handlungskompetenzen von Schüler:innen, mit dem Ziel, deren individuelle Erwerbsarbeitsfähigkeit und selbstständige Existenzsicherung auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten und den Fachkräftebedarf in Wirtschaft und Gesellschaft zu sichern (BMWF, 2023; Seifried, 2023, S. 3).

Angesichts dieser anspruchsvollen und gesellschaftlich hoch relevanten Zielstellung ihrer Berufstätigkeit haben Lehrkräfte in der beruflichen Bildung prinzipiell die Chance, eine hohe Bedeutsamkeit in ihrer Arbeit zu erleben, d.h. ihre individuellen Arbeitsaufgaben als persönlich wichtig und sinnvoll wahrzunehmen. In der forsa-Umfrage von Lehrkräften an berufsbildenden Schule in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2019 geben 67% der 3.101 Befragten an, dass ihnen die „Arbeit mit motivierten, jungen Menschen“ besonders an ihrer Arbeit gefällt, 21% nennen die „Mitwirkung an der Entwicklung von jungen Menschen“ als wichtigen Attraktivitätsfaktor ihrer Arbeit an (forsa, 2019, S. 5). Im Sinne der Begleitung von jungen Menschen deutet beides auf eine erlebte Bedeutsamkeit der eigenen Berufstätigkeit hin. Indizien zur persönlichen Bedeutsamkeit des Berufes liefern auch die Befunde zur Berufswahlmotivation von Studierenden des beruflichen Lehramts. Auch wenn im Schulformenvergleich bei Studierenden im beruflichen Lehramt neben intrinsischen Motiven extrinsische und nützlichkeitsbezogene Motive eine etwas größere Rolle spielen, überwiegen insgesamt die intrinsischen Berufswahlmotive in Form der Motivation durch pädagogische und fachliche Interessen (Driesel-Lange et al., 2017; Stellmacher& Paetsch, 2023). So geben in der o. g. forsa-Umfrage über 90% der befragten Lehrkräfte an, „sehr gern“ oder „gern“ als Lehrer:in an einer beruflichen Schule zu arbeiten (forsa, 2019, S. 3). In Kombination mit den dort genannten Vorzügen des Berufes (forsa, 2019, S. 5) kann auch hier geschlossen werden, dass eine relativ hohe intrinsische Motivation vorliegt, die sich u. a. darin ausdrückt, dass der Beruf „gerne und mit Freude“ (Kunter & Pohlmann, 2015, S. 275) ausgeführt wird. Insgesamt deutet dies darauf hin, dass Lehrkräfte im Berufsbildungsbereich dazu neigen, ihre Tätigkeit als persönlich wichtig und sinnvoll, also persönlich bedeutsam zu erleben. Dies untermauert auch die Befragung von Schulleitungen in der Studie von Silke Lange, in der die Befragten mehrheitlich angeben, dass ihre Erwartung an die Lehrkräfte, „vom Sinn ihrer Arbeit überzeugt zu sein“ auch erfüllt wird (Lange, 2021, S. 8).

In Bezug auf das Kompetenzerleben, also die Überzeugung zentrale berufliche Aufgaben persönlich bewältigen zu können, lassen sich einzelne Vermutungen anstellen. Die Hinweise zu der hoch ausgeprägten intrinsischen Motivation von Lehrkräften im berufsbildenden Bereich sprechen dafür, dass die Lehrkräfte auch eine entsprechende Selbstwirksamkeit in der Arbeit erleben. Die Interaktion mit schon älteren, z. T. erwachsenen und – freilich nach Fachrichtung und Bildungsgang zu differenzierenden – „hoch motivierten“ Lernenden (forsa, 2019, S. 5) mag dies im Vergleich zu anderen Schulformen erleichtern. So zeigten sich im Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung aus dem Jahr 2022 die Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen am meisten überzeugt, die damaligen Herausforderungen der Corona-Pandemie im schulischen Kontext bewältigen zu können.

Dennoch ist das Kompetenzerleben je nach Kompetenz zu differenzieren, wird als solches von verschiedensten Faktoren beeinflusst und ist ein dynamisches Konstrukt. Das belegen z. B. Studien über die Wahrnehmung der eigenen berufsbezogenen Kompetenzen bzw. des beruflichen Selbstkonzeptes von Lehramtsstudierenden (Retelsdorf et al., 2018; Rothland & Straub, 2018; Stellmacher & Paetsch, 2023). Stellmacher und Paetsch (2023) zeigen u. a., dass Studierende im beruflichen Lehramt mit einer besonders hohen intrinsischen Motivierung auch ihre eigenen Kompetenzen für den gewählten Beruf als sehr hoch einschätzen. Zu fragen ist, inwieweit aktuelle Entwicklungen, etwa in Hinblick auf die zunehmende Heterogenität der Schüler:innenschaft und Inklusionsbedarfe als auch Digitalisierung, das Kompetenzerleben von Lehrkräften beeinflussen. Das aktuelle Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung (2024) indiziert für diese beiden Bereiche eine hohe Problemwahrnehmung auf Seiten der Lehrkräfte (Robert Bosch Stiftung, 2024, S. 20–37, S. 48–52). Gleichzeitig zeigen diese und andere Befragungen, dass die Lehrkräfte zugleich recht zuversichtlich sind, mit den beruflichen Anforderungen gut umgehen zu können (forsa, 2019, S. 11; in Hinblick auf die eigene Qualifikation z. B. auch Meyer et al., 2017, S. 70). In Anbetracht der zunehmenden Herausforderungen der Lehrtätigkeit – Lehrkräfte im berufsbildenden Bereich benennen aktuell z. B. erhebliche Herausforderungen durch schwieriges Schüler:innenverhalten (Robert Bosch Stiftung, 2024, S. 15) – stellt sich die Frage, wie sich das Kompetenzerleben von Lehrenden zukünftig entwickeln wird. Beispielsweise geben immerhin auch 34% der befragten Lehrkräfte in der o. g. forsa-Umfrage an, sich „große“ und z. T. „sehr große Sorgen“ zu machen, den Anforderungen ihres Berufes zukünftig nicht mehr gerecht werden zu können (forsa, 2019, S. 11).

3.2.2 Selbstbestimmung und Einfluss

Die Tätigkeit von Lehrkräften ist inhaltlich komplex und im konkreten Vollzug wenig planbar (Rothland, 2013a; Kunter & Pohlmann, 2015). In der genannten forsa-Umfrage von Lehrer:innen an berufsbildenden Schulen geben 23% an, dass ihnen besonders der abwechslungsreiche, herausfordernde und vielseitige Charakter ihres Berufes gefällt. Insbesondere Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen stehen dabei vor komplexen fachlichen und pädagogisch-didaktischen Anforderungen (Frommberger & Lange, 2018, S. 13–16). Die hohe und zunehmende Heterogenität der Lernenden in Bezug auf ihre Lernvoraussetzungen und die Notwendigkeit, Lehrinhalte permanent an sich verändernde Berufsprofile und dynamische Qualifikationsbedarfe der Praxis anzupassen (Seifried, 2023, S. 5–7), ermöglichen und erfordern von Lehrkräften eine hohe professionelle Kompetenz in Bezug auf die je konkrete Gestaltung ihrer unterrichtlichen Praxis. Die hiermit verknüpfte „pädagogische Freiheit“ in Bezug auf Unterrichtung und Erziehung lässt gemeinsam mit den o. g. empirischen Hinweisen zur intrinsischen Motivierung von Lehrkräften vermuten, dass deren Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Einfluss bei der Gestaltung des Unterrichts prinzipiell gut erfüllt werden können.

Weiterhin eröffnet der Beruf eine vergleichsweise hohe Selbstbestimmung und einen Einfluss auf die Arbeitszeitverteilung sowie den Arbeitsort. So wird im Rahmen der schulorganisatorischen Vorgaben (Stundenplanung, dienstrechtliche Vorgaben, etc.) ein beträchtlicher Teil der Arbeitszeit von den Lehrkräften “selbstbestimmt organisiert“ und am heimischen Arbeitsplatz geleistet (Rothland, 2013a, S. 24; Dorsemagen et al., 2013). Für den Berufsbildungsbereich belegen verschiedene Studien, dass Lehrkräfte regelmäßig am Wochenende, in den Abendstunden und nachts arbeiten (Kärner et al., 2016; Robert Bosch Stiftung, 2022, S. 13; Aprea et al. 2024, S. 10–13). Die auf Baden-Württemberg bezogene Untersuchung von Aprea et al. (2024) zeigt z. B., dass Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen ohne Leitungsfunktion in Vollzeit ca. 6 Stunden in der Woche am Abend und ca. 5 Stunden pro Woche am Wochenende arbeiten. Zentrale Tätigkeiten sind dabei z. B. die Vor- und Nachbereitung von Leistungsfeststellungen, aber auch Verwaltungstätigkeiten und die Erledigung von Gremien- und teambezogenen Aufgaben. Die unvollständig geregelte Arbeitszeit und damit einhergehende „Unabschließbarkeit“ von Aufgaben ist ein Spezifikum des Lehrer:innenberufes und „Fluch und Segen“ zugleich (Rothland, 2013a, S. 24; Aprea et al., 2023, S. 3). Einerseits können diese Gestaltungsspielräume das Erleben von Autonomie und Einfluss im positiven Sinne von New Work fördern. Untersuchungen zu Berufswahlmotiven und anderweitige Befragungen von Berufsschullehrer:innen deuten z. B. darauf hin, dass die Arbeitszeitflexibilität ein zentraler Attraktivitätsfaktor des Berufes ist (Driesel-Lange et al., 2017; forsa, 2019, S. 5) und auch eine hohe Arbeitszeitbelastung nicht im gleichen Maße mit einer Minderung der Arbeitszufriedenheit verknüpft ist (Gehrmann, 2013; Aprea et al., 2023; Robert Bosch Stiftung, 2024). Andererseits lassen sich empirisch durchaus Zusammenhänge zwischen der ungeregelten Gesamtarbeitszeit von Lehrkräften und einer hohen Arbeitszeitbelastung mit hoher Beanspruchung herstellen und z. B. Stress, ein vermindertes Wohlbefinden und Arbeitsunzufriedenheit nachweisen (Kärner et al., 2016; Robert Bosch Stiftung, 2022, S. 13; Aprea et al., 2023). Das Erleben von Selbstbestimmung und Einfluss auf die eigene Arbeitsgestaltung dürfte in diesem Fall kaum gegeben sein. In der konkreten Ausgestaltung der zeitlichen und örtlichen Flexibilität von Lehrkräften scheinen damit erhebliche Attraktivitätspotenziale als auch zentrale Herausforderungen in Bezug auf die Gestaltung von New Work an berufsbildenden Schulen zu liegen.

3.3 Lehrkräfte in der Berufsbildung: New Work, aber nur mit New Work-Kontext!

Die bisherigen Aussagen lassen den Schluss zu, dass der Lehrer:innenberuf in der Berufsbildung prinzipiell gute Chancen bietet, psychologisches Empowerment zu erfahren. Der hohe gesellschaftliche Anspruch und Sinngehalt der Arbeit und die vergleichsweise hohen Autonomie- und Gestaltungsspielräume in Bezug auf die Arbeitstätigkeit spiegeln zweifelsohne zentrale Aspekte im Sinne des New Work-Ansatzes wieder. Daraus jedoch zu schließen, dass es sich bei der Tätigkeit einer Lehrkraft in der Berufsbildung um ein eindeutig attraktives Berufsbild handelt, welches „nur“ mehr öffentlich bekannt gemacht und beworben werden muss, greift zu kurz. Verweise darauf, dass Lehrer:innen einen sozial bedeutungsvollen Beruf haben, dem diese mit relativ hoher individueller Autonomie und ausgeprägten Freiheitsgraden bei hoher, dauerhaft sinnstiftender intrinsischer Motivierung nachgehen könnten, reichen nach unserer Ansicht nicht aus. Im Gegenteil scheinen sich genau daraus Einfallstore für eher unattraktive Arbeitsbedingungen zu ergeben, die auf lange Sicht das Risiko für Erschöpfung, innere Kündigung und den vorzeitigen Berufsausstieg erhöhen (Schmitz & Jehle, 2013).

Aus unserer Perspektive verlangt die Gestaltung attraktiver Arbeitsbedingungen im Sinne von New Work im Berufsbildungsbereich einen stärkeren Fokus auf die systemischen Rahmenbedingungen der Arbeit der Lehrkräfte (ähnlich z. B. Krause et al., 2013 oder von der Oelsnitz et al. 2014 in Hinblick auf Belastung). Psychologisches Empowerment im Sinne von New Work darf nicht auf den „Klassenraum“ beschränkt und als allein zu verantwortende Aufgabe der einzelnen Lehrkraft gesehen werden. Entsprechende Potenziale für Teamarbeit, wie sie z. B. im Lernfeldansatz in der dualen Ausbildung angelegt sind, gilt es demnach auch im Sinne attraktiverer Arbeitsbedingungen auszubauen. Nur wenn Bedeutsamkeit, Kompetenz, Autonomie- und Einfluss auch in Hinblick auf die Team- und (Einzel)Organisationsebene erlebbar bzw. dort gewährleistet sind, können nachhaltig attraktive Arbeitsbedingungen im Sinne von New Work entstehen (Schermuly, 2023). Wir wollen im Folgenden zentrale Ansatzpunkte zur Umsetzung von New Work im Berufsschulbereich aufzeigen.

3.3.1 Materielle Rahmenbedingungen & Laufbahngestaltung

Oben wurde gezeigt, dass die Ausübung des Lehrer:innenberufes häufig mit einer hohen intrinsischen Motivation assoziiert ist. Der Antrieb zur Aufnahme und Ausübung des Berufs liegt demnach häufig in einem inhärenten pädagogischen und fachlichen Interesse und der Freude an der Tätigkeit selbst. Dennoch und gerade deswegen ist es aus unserer Perspektive unerlässlich, auch die sichtbaren, materiellen Rahmenbedingungen der Arbeitstätigkeit sowie Gehalts- und Karriereoptionen von Lehrer:innen im Berufsbildungsbereich im Blick zu behalten und zu stärken. Dies hat in verschiedener Hinsicht einen Einfluss auf das psychologische Empowerment von Lehrkräften.

Die materiell-finanzielle und personelle Ausstattung bzw. die schulbezogenen Ressourcen berufsbildender Schulen können z. B. einen wichtigen Einfluss auf das Kompetenzerleben der Lehrkräfte haben. Die Finanzierung von Fort- und Weiterbildungen, die Ausstattung mit Schulsozialarbeiter:innen und -psycholog:innen oder der Rückhalt durch weitere schulinterne oder schulübergreifende Unterstützungsangebote kann Lehrkräften z. B. helfen, sich auch in krisenhaften Zeiten kompetent im Umgang mit herausfordernden Schüler:innen und deren z. T. psychischen Notlagen zu erleben bzw. eine entsprechende Resilienz zu entwickeln (Sappa et al., 2018; Mußmann et al., 2020; Robert Bosch Stiftung, 2024, S. 63–68). Gerade in Hinblick auf die zunehmend heterogene Schüler:innenschaft mit unterschiedlichsten Erfahrungen, Motivlagen und entsprechenden Lernvoraussetzungen müssen Lehrer:innen zuverlässig auf schulische Ressourcen zurückgreifen können, die sie in der Entwicklung und dem Erleben von beruflicher Kompetenz unterstützen. Dies sollte nicht nur darauf abzielen, Resignation und „innere Kündigung“ zu vermeiden (Schmitz & Jehle, 2013, S. 162–164), sondern darauf, Lehrende selbst aktiv in die Lage zu versetzen, ihre Kompetenzen zukunftsorientiert und für sie sinnhaft einsetzen und weiterentwickeln zu können.  

Auch in Hinblick auf das Erleben der Bedeutung bzw. Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit spielt die sichtbare, materielle Ausstattung berufsbildender Schulen eine zentrale Rolle. So mögen Lehrer:innen die persönlich erlebte Bedeutsamkeit ihrer Arbeit zwar zentral aus dem intrinsisch motivierenden Erleben schöpfen, Schüler:innen auf ihrem beruflichen Weg zu begleiten. Ob dies jedoch dauerhaft ausreicht, die eigene Arbeit als bedeutsam im Sinne einer sozialen bzw. gesellschaftspolitischen Wertschätzung zu erleben, ist fraglich. Das Erleben von Bedeutsamkeit korrespondiert auch mit der sozial wahrgenommenen Anerkennung in Form sichtbarer, materieller Ausdruckformen, wie z. B. Gebäude- und Unterrichtsausstattung oder dem Gehalt (Honneth, 1996). 31% der in der o. g. forsa-Umfrage befragten Lehrkräfte geben an, dass sie mit „ungünstigen Arbeitsbedingungen“, wie z. B. geringem Gehalt oder fehlenden Aufstiegschancen in ihrem Beruf konfrontiert sind (für allgemeinbildende Schulen, z. B. Mußmann et al., 2020, S. 166–168). Während insgesamt kaum Befunde zur konkreten Honorierungspraxis an beruflichen Schulen vorliegen, bleibt festzuhalten, dass die entsprechenden Regelungen relativ wenig Spielräume für individuelle Anpassungen lassen (Aktionsrat Bildung, 2021, S. 159). Gerade in Hinblick auf die Konkurrenzsituation mit Wirtschaft und Verwaltung um die Absolvent:innen des beruflichen Lehramts im gewerblich-technischen Bereich (Monitor Lehrerbildung, 2017; Aktionsrat Bildung, 2021, S. 154–155) erscheint dies insgesamt problematisch. Insofern bedeutet „New Work“ im Berufsschulbereich an dieser Stelle – nicht nur, aber eben auch – die Bedeutsamkeit der Lehrtätigkeit über passende Gegenleistungen und Aufstiegs- bzw. berufliche Entwicklungsmöglichkeiten sozial sichtbar zu machen.    

Mehr Aufstiegsmöglichkeiten bzw. eine differenziere Laufbahngestaltung für Lehrkräfte in der Berufsbildung sind auch für das Erleben von Selbstbestimmung, beruflichem Einfluss und Kompetenz wichtig. Die Erweiterung von Verantwortungs- und Entscheidungsspielräumen, im Rahmen hierarchischer Aufstiegswege auf die mittlere und hohe Schulleitungsebene bringt mehr Einflussmöglichkeiten und den Einsatz und die Förderung gestalterischer Kompetenzen mit sich. Die systematische Ausgestaltung distributiver Führung bzw. auf mehrere Personen verteilter Führung oder die Einrichtung von Bereichsleitungen kann z. B. unterstützen, mehr Aufstiegsoptionen an beruflichen Schulen zu schaffen (Aktionsrat Bildung, 2021, S. 150–153). Aber auch abseits „klassischer“ Aufstiegspfade ist Laufbahngestaltung im Sinne von New Work möglich. Zu denken ist z. B. an Projektlaufbahnen, in denen fachliche Interessen im Rahmen von Projektleitungsfunktionen temporär vertieft werden können, oder an die Einführung von Berufswegekorridor-Modellen, welche etwa alterns- und lebensphasenspezifische Bedarfe von Lehrkräften bei der Stellenkonzeption stärker berücksichtigen und so auch zur Mitarbeiter:innenbindung beitragen können (Klaudy et al., 2016). New Work für das Berufsbildungspersonal meint damit den Ausbau und die Flexibilisierung ihrer beruflichen Laufbahnen. Eine solche Flexibilisierung, z. B. in Form von Projektlaufbahnen, könnte helfen, zentrale schulische Herausforderungen, etwa in Hinblick auf Vernetzung und Kooperation, Inklusion oder Digitalisierung, personell gezielt zu bearbeiten. Zugleich könnten die individuellen Bedarfe von Lehrkräften in Hinblick auf Kompetenzentwicklung, dem Einfluss auf die eigene Arbeit und der stärkeren Selbstbestimmung des beruflichen Weges stärker adressiert werden.      

3.3.2 Sozial-kollektive Beziehungen & Teamentwicklung

Es gibt etliche Hinweise darauf, dass Faktoren auf der kollektiv-sozialen und (einzel)organisatorischen Ebene die Arbeitszufriedenheit von Lehrkräften und die wahrgenommene Attraktivität des Berufes beeinflussen. Das aktuelle Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung zeigt z. B. eine hoch ausgeprägte Zufriedenheit der Lehrkräfte mit „ihrer Schule“, wobei die Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen gemeinsam mit denen an Förderschulen die höchsten Ausprägungen aufweisen (Robert Bosch Stiftung, 2024, S. 38). Die Zufriedenheit mit der „eigenen Schule“ ist dabei insgesamt etwas höher als die Zufriedenheit mit dem Beruf an sich, was darauf hinweist, dass die Attraktivität des Lehrer:innenberufes nicht nur am Berufsbild, sondern auch an den entsprechenden Arbeitsbedingungen in konkreten Organisationen festgemacht werden muss. Darauf weist auch die o. g. forsa-Umfrage von Lehrkräften im Berufsbildungsbereich hin, in welcher 15% der befragten Lehrkräfte die „Zusammenarbeit mit den Kollegen“ als einen Vorzug ihrer Arbeit nennen (forsa, 2019, S. 5) und 22% der Befragten „Probleme der Zusammenarbeit mit den Kollegen und der Schulleitung“ als Faktor sehen, der ihnen an ihrer Tätigkeit nicht gefällt.

Je nach Ausprägung kann diese wahrgenommene „Betriebskultur“ (Mußmann et al., 2020, S. 48, S. 164) sowohl ein Belastungsfaktor als auch eine wichtige Ressource für Lehrkräfte sein, ihre beruflichen Herausforderungen zu bewältigen (Krause et al., 2013; Rothland, 2013b; Sappa et al, 2018; Mußmann et al., 2020). Die Betriebskultur bezieht sich im Einzelnen z. B. darauf, inwieweit Lehrkräfte sich durch Vorgesetzte wertgeschätzt fühlen, Unterstützung von Kolleg:innen erfahren, arbeitsbezogene Probleme offen ansprechen können oder sich in arbeitsbezogene Entscheidungen eingebunden fühlen (Mußmann et al., 2020, S. 164). Die Betriebskultur korrespondiert damit auch mit den Möglichkeiten, psychologisches Empowerment in der Arbeit zu erfahren (Schermuly, 2023, S. 157–161). Dies gilt individuell für die einzelne Lehrkraft, etwa wenn soziale Unterstützung und Wertschätzung von Vorgesetzten und Kolleg:innen und damit Bedeutsamkeit und Kompetenz in der Arbeit z. B. durch „empowermentorientierte Führung“ (Schermuly, 2023, S. 180) erlebt werden. Das Erleben von Empowerment kann sich aber auch auf die Gruppen- bzw. Teamebene beziehen und meint dann, wie viel Einfluss, Selbstbestimmung, Kompetenz und Sinn die Teams als soziale Einheit in einer Organisation gemeinsam erleben (Schermuly, 2023, S. 157). Team-Empowerment kann z. B. durch die gemeinsame Reflexion und Verständigung über teambezogenen Aufgaben, Prozesse und Ziele, die Kenntnis und reflektierte Weiterentwicklung der jeweiligen Wissensbestände der Mitglieder, die Klärung von Team-Rollen und die systematische Gestaltung eines entsprechenden, teaminternen und -übergreifenden Informationsaustausches gefördert werden (Schermuly, 2023, S. 157–158).

Hervorzuheben ist, dass die Entwicklung sozial-kollektiver Beziehungen, die im Sinne von New Work förderlich für das psychologische Empowerment von Lehrkräften und Teams sind, kein „Selbstläufer“ ist. Schulträger, berufsbildende Schulen als (Einzel)Organisationen, Schulleitungen und Teams sind vielmehr aufgefordert, diese als Teil ihrer professionellen Entwicklung zu verstehen, für die personelle und organisationale Ressourcen systematisch eingesetzt werden müssen (Capaul, 2021; Hornberger & Wilbers, 2021). Auch wenn der Fokus zunehmend auf die Führung und das Management von berufsbildenden Schulen und damit z. B. auf Personal- und Teamentwicklung gerichtet wird (Wilbers et al., 2021), ist zu vermuten, dass viele berufsbildende Schulen hier noch am Anfang stehen. Die Gründe und Einflüsse sind vielfältig und liegen auf unterschiedlichen Ebenen (z. B. Aktionsrat Bildung, 2021, S. 145–161).

Ein zentraler Punkt, der unserer Ansicht nach bei der professionellen Förderung der sozial-kollektiven Beziehungen und der Teamentwicklung im Sinne von New Work berücksichtigt werden muss, ist die institutionelle Prägung der Akteure durch ein eher traditionelles Organisationsverständnis von (berufsbildender) Schule. Die Vorstellung von (Einzel)Schule, als ein in einen bürokratisch-administrativen „Überbau“ eingebundenes loosely coupled system mit einer eher unverbindlichen übergreifenden Kooperationskultur und einem individualistischen, weitestgehend auf autonome Berufsausübung ausgerichteten Berufsverständnis (Rothland, 2013b, S. 243; Robert Bosch Stiftung, 2024, S. 76), muss reflektiert und angepasst werden. Wichtig ist, dass dabei die inhärenten funktionsbezogenen Notwendigkeiten der Organisationsform „berufsbildende Schule“ und deren Attraktivitätspotenziale für Beschäftigte nicht aus dem Blick geraten, sondern in ihrer jeweiligen Ausgestaltung und Unterstützung organisational weiterentwickelt werden.

3.3.3 Arbeitszeitmodell

Im allgemeinen Verständnis von New Work spielen flexible Arbeitszeitmodelle eine zentrale Rolle (Schermuly & Meifert, 2023, S. 8). Flexibilität in Hinblick auf die Arbeitszeit und den Arbeitsort drückt für viele Praktiker:innen schlichtweg den Kern modernen Arbeitens aus. Auf den ersten Blick scheint der Lehrer:innenberuf diesbezüglich seit jeher seiner Zeit voraus, da Lehrkräfte einen großen Teil ihrer Arbeitszeit selbstständig organisieren (Dorsemagen et al., 2013; Aprea et al., 2023). Die konkrete Ausgestaltung der Arbeitszeitmodelle im Berufsschulbereich differiert je nach Bundesland, besteht im Wesentlichen aber in der Festlegung einer in Wochenstunden festgelegten Präsenz- bzw. Pflichtunterrichtszeit, um welche die weitere Arbeitszeit je nach den beruflichen Anforderungen relativ selbstorganisiert „herumgruppiert“ wird (Dorsemagen et al., 2013, S. 213–216; Aktionsrat Bildung, 2021, S. 157).  

Diese „teiloffene“ Arbeitszeitregelung für Lehrkräfte an beruflichen Schulen (Aprea et al., 2023, S. 4) ist ambivalent. Wie oben dargestellt sind damit Attraktivitätsgewinne verknüpft, aber auch das Risiko der Arbeitsüberbelastung durch dauerhaft hohe Arbeitszeiten, zu wenig Erholung und eingeschränkte Work-Life-Balance (Kärner et al., 2016; Robert Bosch Stiftung, 2022, S. 13; Aprea et al., 2023). Die aktuelle Studie von Aprea et al. (2023) zu Lehrkräften an berufsbildenden Schulen in Baden-Württemberg stellt z. B. fest, dass alle Lehrkräfte über die vorgegebene Wochenarbeitszeit hinaus und häufig in den Abendstunden und am Wochenende arbeiten. Die Mehrarbeit ist dabei für Lehrkräfte mit Leitungsfunktion und in Teilzeit besonders hoch ausgeprägt. Abseits der reinen Unterrichtszeit wird demnach viel Arbeitszeit für „unterrichtsnahe“ Tätigkeiten, wie z. B. Vor- und Nachbereitung, aber auch für „unterrichtsferne“ Tätigkeiten, wie z. B. Gremienarbeit, die Arbeit in Teams oder Verwaltungsaufgaben, aufgebracht (Aprea et al., 2024, S. 7–13). Ähnliches indiziert die forsa-Umfrage bei der eine Mehrheit der befragten Lehrkräfte angibt, „zusätzliche Verpflichtungen“ oder „Sonderaufgaben“ zu erbringen und dadurch die Tendenz besteht, dass die „Zeit für unterrichtsbezogene Aufgaben leidet“ (forsa, 2019, S. 12–18).

Insgesamt weisen die Befunde auf verschiedene Probleme hin (Dorsemagen et al. 2013; Aktionsrat Bildung, 2021, S. 157). In Hinblick auf New Work ist festzustellen, dass die eigentliche Flexibilität bzw. „Offenheit“ des lehrer:innentypischen Arbeitszeitmodells sich eher gegen die Lehrkräfte kehrt. In Anbetracht des damit nachweisbar verknüpften Belastungserlebens verbleiben für ihr psychologisches Empowerment jenseits der Unterrichtspraxis kaum Spielräume. Weiterhin ist die Entwicklung einer empowermentorientierten Betriebs- bzw. Schulkultur erheblich erschwert, wenn dafür notwendige Aufgaben, wie z. B. die Förderung von sozialer Unterstützung und Kollegialität oder Teamentwicklung als „unterrichtsferne Tätigkeiten“, überwiegend am heimischen Arbeitsplatz in den Randzeiten oder am Wochenende geleistet werden müssen. Wie schon von Dorsemagen et al. vor Jahren indiziert, klaffen der Wunsch und die wahrgenommene Wirklichkeit in Hinblick auf die Förderung des „Sozialklimas im Kollegium“ oder die „Kommunikation und Kooperation“ durch die herrschenden Arbeitszeitregelungen vermutlich auch heute noch stark auseinander (Dorsemagen et al., 2013, S. 224).   

New Work im Berufsbildungsbereich bedeutet also auch, das gegenwärtig vorherrschende Arbeitszeitmodell für Lehrkräfte zu überdenken. Ohne hier selbst eine detaillierte Lösung anbieten zu können, finden wir es wichtig, dass die Arbeitszeit für Team- und Schulentwicklungsaufgaben für Lehrkräfte mit und ohne Leitungsfunktion stärker und systematisch berücksichtigt wird. Weiterhin sehen wir in der Absenkung und/oder Flexibilisierung der Pflichtunterrichtszeit für Lehrkräfte, der Aufteilung von Aufgaben auf administrativ unterstützende Stellen und in der Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen über die Verwendung der Lehrer:innenarbeitszeit auf (Einzel)Schulebene zentrale Stellschrauben einer solchen Neugestaltung. Unserer Ansicht nach hängt die konkrete Ausgestaltung und gelingende Umsetzung dieser Maßnahmen maßgeblich auch von einem Mehr an Schulautonomie für berufsbildende Schulen ab.

4 Fazit

Wir haben gefragt, welche Attraktivitätspotenziale und Entwicklungsperspektiven „New Work“ für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen mit sich bringen kann. Dazu haben wir New Work als Empowerment-Ansatz konkretisiert und diskutiert, inwieweit die Berufstätigkeit der Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen Möglichkeiten eröffnet, Bedeutsamkeit, Einfluss, Selbstbestimmung und Kompetenz in der Arbeit zu erleben. Im Ergebnis können wir einerseits feststellen, dass der Lehrer:innenberuf an berufsbildenden Schulen vielfältige Möglichkeiten für psychologisches Empowerment bietet. Andererseits zeigen wir, dass es verkürzt wäre, anzunehmen, dass es sich bei der Tätigkeit einer Lehrkraft in der Berufsbildung um ein uneingeschränkt attraktives Berufsbild handelt. So argumentieren wir, dass die attraktiven Arbeitsbedingungen nur gering zur Entfaltung kommen bzw. sich sogar ins Gegenteil verkehren können, wenn die strukturellen und personellen Rahmenbedingungen der Arbeit der Lehrkräfte unberücksichtigt bleiben und nicht im Sinne von New Work weiterentwickelt werden. Kurzum: Als New Worker:innen brauchen Lehrer:innen auch einen New Work-Kontext, der ihre Tätigkeit entsprechend gewährleistet, unterstützt und weiterentwickelt.

Für berufsbildende Schulen bedeutet dies in erster Linie eine systematische Reflexion, Stärkung und Weiterentwicklung ihres Personal- und Organisationsverständnisses und die Neugestaltung der entsprechenden, arbeitsbezogenen Rahmenbedingungen für Lehrkräfte. Wichtige Entwicklungsnotwendigkeiten sehen wir in Bezug auf die sichtbar, materiellen Rahmenbedingungen der Arbeit von Lehrer:innen, deren Karriere- bzw. Laufbahngestaltung, die professionelle Gestaltung von Teamentwicklungsprozessen und die systematische Unterstützung der sozial-kollektiven Beziehungen an berufsbildenden Schulen als Arbeitsorte. Zentral erscheint uns auch eine Neugestaltung des vorherrschenden Arbeitszeitmodells für Lehrer:innen zu sein, welches im Sinne von New Work in seinem jetzigen Zustand prinzipiell als ambivalent bewertet werden muss. Im Kern plädieren wir dafür, die entsprechenden Kompetenzen von berufsbildenden Schulen als (Einzel)Organisationen zu stärken. Ein attraktives Berufsbild verlangt auch attraktive und sichtbare Organisationen.     

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Zitieren des Beitrags

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Veröffentlicht am 17. Dezember 2024