bwp@ 27 - Dezember 2014

Berufsorientierung

Hrsg.: Karin Büchter, H.-Hugo Kremer & Andrea Burda-Zoyke

„Ich will mich eher konzentrieren Richtung Altenpflege und Sicherheitsdienst“. Berufsorientierung im Übergangssystem Einstiegsqualifizierung: Eine Fallstudie.

Beitrag von Joanna Burchert, Eileen Lübcke & Andreas Saniter

Die Einstiegsqualifizierung (EQ) als eine Maßnahme des Übergangssystems ist dadurch charakterisiert, dass sie im Rahmen eines mehrmonatigen Praktikums auf einen konkreten Beruf vorbereitet. Damit greift sie zwei Probleme typischer Berufsvorbereitungsmaßnahmen auf: ihre Fixierung auf schulisches Lernen und die Ausrichtung auf ein Berufsfeld (z.B. Metall). Problematisch sind jene Charakteristika, weil sie viele Teilnehmende eher entmutigen als dazu motivieren, sich auf den Prozess der Selbststabilisierung und beruflicher Orientierung einzulassen. Dass die EQ hingegen beides anregt zeigen wir anhand von qualitativen Analysen in diesem Artikel auf.  Neben der Einbindung in eine Praxisgemeinschaft, die zur psychosozialen Stabilisierung der Jugendlichen führt, ist es auch der Arbeitgeber selbst, der eine Bindungskraft entfaltet und damit eine „Betriebsorientierung“, genauer: eine Orientierung an eine spezifische Praxisgemeinschaft schafft. Wir regen zur weiteren Forschung darüber an, wie diese betriebliche Orientierung zu einer allgemeinen Berufsorientierung als Ziel berufspropädeutischer Maßnahmen steht.

“I want to focus on geriatric care and working in the security sector.” Vocational orientation in the transitional system as introductory training for young people: a case study.

English Abstract

The distinctive feature of introductory training for young people as a tool of the transitional system is that it prepares them for a specific occupation through a traineeship of several months. Thus, it addresses two problems connected to typical vocational training measures: the focus on classroom-type learning and the concentration on a certain occupational field (e.g. metal industry). Those characteristics are problematic because they rather discourage than encourage young people to get involved in the process of self-stabilisation and vocational orientation. In contrast, introductory training for young people promotes those two aspects, as the qualitative analyses presented in this article show. The young people are integrated into a working life community, which leads to their psychosocial stabilisation, and the employer him-/herself facilitates the establishment of a relationship and, thus, promotes “occupational orientation,” or to be more precise, an orientation toward a specific working life community. We encourage further research to establish the relationship between this in-company orientation and general vocational orientation as the objective of preparatory occupational measures.

1 Einleitung

Berufsorientierung umfasst viele Facetten; sie wird sowohl aus sozial- und arbeitsmarktpolitischer Sicht wie auch aus berufspädagogischer Perspektive betrachtet. Während der erste Fokus viel Aufmerksamkeit genießt, bleibt der zweite weitgehend unbeachtet - am ehesten wird hier das Scheitern von Berufsorientierungsprozessen beschreiben oder auch das schwierige Arrangement mit dem Beruf (Heinz 1984; Bohnsack 1989; Panke 2005). Eine differenzierte Betrachtung der Auseinandersetzung mit dem Beruf und der Rolle als Arbeitnehmer ist jedoch wichtig, denn sie hilft, Angebote der beruflichen Bildung zu verstehen und zu bewerten und verweist auf grundsätzliche gesellschaftliche Dynamiken (vgl. Gini 2000). Der folgende Beitrag analysiert die Entstehung von Berufsorientierung im Rahmen einer EQ-Maßnahme bei einem großen Unternehmen, das ca. 400 Plätze in 10 verschiedenen EQ anbietet. Dabei wird in vier ausgewählten Einsatzfeldern (Gartenbau, Gastronomie, Service, Sicherheit) mittels klassischer berufswissenschaftlicher Methoden der Experten-Workshops, Arbeitsprozessanalysen und Interviews rekonstruiert, wie die Maßnahme auf die an ihr teilnehmenden Jugendlichen wirkt. Unter Bezugnahme auf Entwicklungstheorien interpretieren wir, worin die Wirksamkeit der Maßnahme begründet ist und wie die EQ in diesem Sinne verbessert werden könnte.

2 Die Einstiegsqualifizierung als Übergangsmaßnahme

Seit dem Ölpreisschock Mitte der 70iger und dem folgenden signifikanten Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Deutschland ist das Thema des sogenannten Übergangssystems in den berufsbildungswissenschaftlichen Diskurs gerückt. Autoren wie Christe konstatieren:

„Neben der dualen Ausbildung und dem Schulberufssystem ist das Übergangssystem die dritte Säule der beruflichen Bildung in Deutschland“ (Christe 2011, 5).

So ermittelte die Autorengruppe Bildungsberichterstattung für das Jahr 2011 rund 524.946 Menschen im regulären Beruflichen Bildungssystem (davon 210.054 im Schulberufssystem) und 294.294 Menschen im Übergangssystem (AG Bildungsberichterstattung 2012, 277).

Die Maßnahmen des Übergangsystems bereiten i.d.R. nicht auf einen Beruf, sondern auf einen Berufsbildungsgang vor. Dabei lassen sich drei Funktionen des Übergangssystems beschreiben:

  • Überbrückung bis zur Aufnahme einer regulären Ausbildung,
  • Aufwertung der (schulischen) Qualifikation und
  • Verbesserung der Voraussetzungen zur Aufnahme einer Ausbildung durch spezifische fachliche und soziale Förderung (vgl. Dionisius/Kregel 2013, 50).

Bei der Beurteilung des Erfolgs dieser zumeist schulisch organisierten Maßnahmen fallen jedoch häufig Schlagwörter wie „Warteschleifen“ oder „Sackgassen“ (vgl. z. B. Schroeder/Thielen 209, 67ff.). An dieser Stelle kann der einschlägige Diskurs nicht umfassend wiedergegeben werden, zwei zentrale Kritikpunkte sind jedoch unstrittig:

  • die Unspezifität: Die Maßnahmen bereiten nicht auf die Ausbildung in einem Beruf, sondern bestenfalls auf einen Sektor (z. B. Metall) vor – stellen also in gewisser Weise ein „Vorratslernen“ dar – mit entsprechenden negativen Konsequenzen für die Motivation;
  • der Lernort Schule: Obwohl die Schüler im Übergangssystem auch als „Schulversager“ bezeichnet werden (es sei dahingestellt, ob die Jugendlichen oder die Schule versagten), bleiben sie in dieser Lernumgebung verhaftet.

Eingedenk dieser Probleme sowie des Fachkräftemangels in wenig attraktiven Berufen wurde im Jahr 2004 die Möglichkeit einer betrieblich organisierten Übergangsmaßnahme eröffnet, die sog. Einstiegsqualifizierung (EQ). Die Einstiegsqualifizierung (EQ) eröffnet jungen Menschen, die Interesse an einer beruflichen Ausbildung haben, aber keinen Ausbildungsplatz erhielten, die Möglichkeit, ein durchschnittlich neunmonatiges Praktikum zu absolvieren. Im Gegensatz zu normalen Praktika, bei denen der Betrieb und der Praktikant die Tätigkeitsfelder frei aushandeln können, gibt es in dieser Maßnahme von den IHK verantwortete Curricula, die berufs- und nicht sektorpropädeutisch sind. Dies kann bei späteren Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz einen Mehrwert bedeuten. In der Tat gelingt 70% der erfolgreichen Absolventen der EQ der Einstieg in die Berufsausbildung, 50% lernen anschließend sogar bei dem Unternehmen, bei dem sie die Maßnahme durchführten (Popp et al. 2012, 43).  

3 Eine Untersuchung der Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben in der Einstiegsqualifizierung

3.1 Theoretischer Hintergrund

In diesem Artikel beschreiben wir die Berufsorientierung junger Menschen in der Übergangsqualifizierung unter dem Gesichtspunkt subjektiver Aneignung beruflicher Perspektiven. Viele junge Menschen bearbeiten dabei nicht nur den Übergang in die Berufswelt, entwickeln sich gleichzeitig in Hinblick auf die allgemeine Lebensführung. Eberhard Jung (2008) schlägt in diesem Zusammenhang den Begriff der Arbeits- und Berufsfindungskompetenz vor:

„Arbeits- und Berufsfindungskompetenz erfordern eine angemessene Auseinandersetzung mit den eigenen Fähigkeiten, Interessen, Wertorientierungen und Lebensentwürfen sowie mit den Inhalten und Anforderungen, Chancen und Risiken von Arbeitstätigkeiten, Berufen und Arbeitsmärkten“ (Jung 2008, 137).

Jugendliche mit Arbeits- und Berufsfindungskompetenz haben konkrete Vorstellungen von der Arbeit und der Ausbildung, die sie erwartet. Sie lassen sich nicht durch Arbeitszeiten, monotone Anfangstätigkeiten oder niedriges Lehrlingsgehalt entmutigen.

Für sozial benachteiligte Jugendliche, die häufig im Übergangssystem unterkommen, gilt es, noch umfangreichere Kompetenzen zu erwerben, um einen erfolgreichen Übergang in den Beruf zu gestalten. So beschreibt Bojanowski (2006) als Konzept der beruflichen Förderpädagogik:

„Berufliche Förderpädagogik muss bei diesen Jugendlichen nicht nur die Übergänge in die Arbeitswelt thematisieren (Zielformel: employability), sondern auch Anregungen zur eigenständigen Lebensbewältigung geben (Zielformel: independent life)“ (Bojanowski 2006, 306).

Beruforientierung geht vor diesem Hintergrund weit über das sich Informieren über einen Beruf hinaus: mitgedacht sind hier im Sinne des Paradigmas der Entwicklungsaufgaben alle Veränderungen, die durch die Herausforderung „Beruf“ an ein Individuum gestellt werden. Entwicklungsaufgaben sind Herausforderungen, die aus dem Eintreten in eine neue Lebenssituation erwachsen; aus ihrer Bearbeitung resultieren neue, handlungsleitende Deutungsmuster. Sie stehen für ein Paradigma, das Sozialisation als Prozess beschreibt, in dessen Verlauf gesellschaftliche Ansprüche mit individuellen Vorstellungen vereinbart werden. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben geht auf den Psychologen Erik Erikson (z. B. 1973) zurück. Er formulierte eine Reihe von typischen Krisen bzw. Orientierungsprozessen, die aus der biologischen und psychologischen Reifung einerseits, veränderten gesellschaftlichen Erwartungen an den Einzelnen im Lebensverlauf andererseits, resultieren. Dieses Set an Herausforderungen konkretisierte Havighurst (1972) und fokussierte es auf das pädagogische Feld. Blankertz (1986) griff das Konzept der Entwicklungsaufgaben zur Evaluation doppelqualifizierender Bildungsgänge der Sekundarstufe II auf:

„[E]rst die Einbindung des Wissens in leitende Orientierungen, in beabsichtigte Handlungspläne und so fort erlaubt uns, von Kenntnissen als Kompetenz zu sprechen“ (Blankertz 1986, 19f.).

Als allgemeine psychosoziale Entwicklungsaufgaben der Jugend werden die Ablösung aus dem Elternhaus, die Individuation, Versöhnung mit Größenphantasien und der Übergang von der Selbstfixierung zur Fähigkeit, Objektbeziehungen einzugehen, definiert (King 2002, 29f. und 177). Den umfassendsten Beitrag zur Erforschung von Entwicklungsaufgaben in der beruflichen Bildung leistete Bremer (2004), der u. a. drei zentrale Entwicklungsaufgaben des Berufseinstiegs differenzierte: die Jugendlichen müssen tragfähige Lernkonzepte entwickeln, ein Konzept beruflicher Arbeit entfalten und sich in eine berufliche Praxisgemeinschaft integrieren. Als Entwicklungsaufgaben, die in Übergangsmaßnahmen bearbeitet werden (könnten), beschreibt Ecarius (2014) die

„Aufarbeitung von Lebensproblematiken, eine langsame Stabilisierung des Selbst, die sich in einer allmählichen alltäglichen Organisation des Lebens mit regelmäßigem Aufstehen, Verantwortlichkeiten, Respekt sich selbst und anderen gegenüber äußert“ (ebd., 88).

Die Jugendlichen sind motiviert sich diesen Entwicklungsaufgaben zu stellen, wenn sie deren Relevanz als Schwelle für die weitere gesellschaftliche Teilhabe wahrnehmen und die Möglichkeit sehen, dass ihr Engagement sich lohnt (Erikson 1973, Heinz 1984). Die Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben erfolgt individuell, doch stellt das Umfeld mehr oder weniger förderliche Bedingungen zur Unterstützung bereit. Neben einer allgemeinen Haltung der Generativität seitens Erwachsener (King 2002) ist das Aufgreifen der einzelnen Entwicklungsaufgaben im Sinne von Bremer (2004) oder Ecarius (2014) eine Möglichkeit, die Jugendlichen zu fördern (Burchert in Druck; Kratzer et al. in Vorbereitung). In ähnlichem Sinne unterstreicht Panke (2005) drei wesentliche Sinnbezüge von Arbeit aus Sicht der Jugendlichen:

  • die Erkenntnis, gebraucht zu werden und sich produktiv, auch körperlich einbringen zu können, wobei der individuellen Förderung eine wichtige Rolle zukommt;
  • die Möglichkeit, Erfahrungswissen zu sammeln und es mithilfe einer fachlichen Praxisgemeinschaft zu verorten;
  • Ordnung, Autorität und Hierarchie zu erfahren als Rahmen, die einengen, aber auch Chancen zur Bewährung und Anerkennung bieten.

Vor dem Hintergrund dieser Argumentation wird deutlich, dass die berufliche Praxis zentrale Chancen für die Entwicklung von Jugendlichen bieten kann. Eine Frage, die sich stellt, ist, ob alle Jugendlichen davon profitieren können oder lediglich solche, die bereits einen bestimmten Entwicklungsstand erreicht haben. Aus der Übergangsforschung (vgl. z. B. Beiträge in Ahrens 2014) ist bekannt, dass nicht nur Jugendliche, denen es an einer wie auch immer definierten Ausbildungsreife fehlt, sondern auch solche, die durch den Mangel an Ausbildungsplätzen benachteiligt sind, in das sog. Übergangsystem vermittelt werden.

Dieser Artikel konzipiert also Berufsorientierung als umfassendes Konzept, das die lebensweltliche Entwicklung ebenso einschließt wie berufsbezogene Haltungen. Der Fokus dieser Ausarbeitung liegt dabei auf der Frage: was motiviert die Jugendlichen; was muss aus ihrer Sicht erfüllt sein, damit sie erfolgreich die EQ absolvieren und den Wunsch entwickeln, sie als Ausbildung fortzusetzen? Welche Form der Berufsorientierung erfolgt in diesem Setting und welche Rolle übernimmt die Praxisgemeinschaft? Die Beantwortung der Frage, ob die EQ Berufsorientierung fördert, ist ein zentrales berufspädagogisches Kriterium für ihre Bewertung.

3.2 Methodisches Vorgehen

Es wurden Befragungen und Arbeitsprozessanalysen durchgeführt. Die Arbeitsprozessanalysen der Einsatzplätze dienten dem Verstehen der fachinhaltlichen Hintergründe und ihrer berufspädagogischen Bewertung (vgl. Saniter et al. in Vorbereitung). Das Ziel der Befragungen war es zu verstehen, in welchen Bereichen EQ-Teilnehmende im Betrieb eingesetzt werden und wie verschiedene Akteure ((ehemalige) Teilnehmende, betriebliche Betreuer, Sozialpädagogen, Management) diesen Einsatz bewerten. Als Befragungsformen wurden Experten-Workshops und Einzelinterviews gewählt:

  • der Fokus der Experten-Workshops lag in der Erfragung dessen, welche Tätigkeiten die Jugendlichen im EQ-Jahr übernehmen, wie sie dabei mit anderen kooperieren und welche Arbeitswerkzeuge sie nutzen;
  • zentrales Thema der Einzelinterviews war die Entwicklung der EQ-Teilnehmenden, v. a. die Fragen, wie sie selbst ihre Lernprozesse im EQ-Jahr wahrgenommen haben, welche Facetten der EQ dabei besonders wichtig waren und welche Unterstützung sich die Lernenden noch gewünscht hätten, z. B. in Form digitaler Medien.
  • Mit Sozialpädagogen, die die Maßnahmen flankieren, wurden Gruppendiskussion geführt, um Herausforderungen der Bildungsarbeit mit der Zielgruppe besser zu verstehen.

Insgesamt wurden etwa 100 Personen befragt. Die Auswertung der Befragungen erfolgte zum einen inhaltsanalytisch: so wurden Geschäftsfelder, Arbeitswerkzeuge und kollegiale Kooperationsbeziehungen ebenso herausgearbeitet wie die Bildungsbiographien der Jugendlichen, die von ihnen explizierten Motive und Gestaltungswünsche. Zum anderen erfolgte eine hermeneutische Analyse, um weitere Bedeutungsebenen der Interviews zu erkunden. Diese Analyse folgte den Grundideen der Grounded Theory: die Texte wurden zunächst zeilenweise kodiert, wobei die Kodierung zunächst deskriptiv erfolgte und zunehmend zu einer Bündelung in analytische Kategorien führte (vgl. Mey/Mruck 2011). Vergleiche innerhalb eines Interviews sowie zwischen den Befragten wurden gezogen, um differenziert die Lebenslagen der Interviewpersonen zu verstehen. Die Software Atlas.ti wurde eingesetzt, um den Überblick über das Material zu behalten, aber auch um gemeinsam im Auswertungsteam diskutierte Einsichten festzuhalten (vgl. Konopasek 2011). Das im Vor-Kapitel dargestellte theoretische Vorwissen der Autorinnen wurde in der Auswertung der Daten als Folie genutzt - nicht um bestehende Forschungsergebnisse zu replizieren, sondern um zu fragen, wo Lücken in der bestehenden Argumentation bestehen, wo Differenzierung angemessen ist und wie der Stand der Forschung vorangetrieben werden kann (vgl. Clarke 2011). Dies elaborieren wir im folgenden Kapitel.

3.3 Ergebnisse

3.3.1 Einstiegsqualifizierung als Vorbereitung auf die Ausbildung

Als Vorbereitung auf die Interviews analysierten wir die Arbeitsplätze der EQ-Teilnehmenden durch Experten-Facharbeiter-Workshops. Die Einsatzplätze in der EQ orientieren sich an dem Curriculum des 1. Lehrjahres von zwei- bis dreijährigen Ausbildungsberufen. Es haben sich, je nach Arbeitsbereich, 3 bis 5 Kompetenzfelder herauskristallisiert, in denen die Teilnehmenden der ca. 9-monatigen Einstiegsqualifizierung eingesetzt werden. Diese Kompetenzfelder können beschrieben und in Hinblick auf ihr Autonomieniveau eingeschätzt werden: Autonomie ist ein wichtiges Kriterium beruflicher Arbeit und wird z. B. als Voraussetzung für Kompetenzerwerb gedeutet (vgl. z. B. Bremer 2004, Lave/Wenger 1989). Für die Einschätzung eignet sich z. B. das im Modellversuch Move Pro Europe entwickelte vierstufige Bewertungsschema, das ursprünglich für den formativen Einsatz entwickelt wurde (vgl. Burger/Saniter 2009). So ergeben sich für die von den Interviewten erfüllten Aufgabenbereiche folgende Autonomieniveaus:

Tabelle 1:     Übersicht der Arbeitstätigkeiten in der EQ und ihrer Autonomiestufe

  Beobachtet und unterstützt Unter Anleitung mitgearbeitet Unter Aufsicht gearbeitet / mit erfahrenen KollegInnen Selbständig gearbeitet / als vollwertiges Teammitglied
Gärtnerischer Bereich
Freischneiden       X
Zaunbau       X
Baumpflege   X    
Gastronomischer Bereich
Mobiler Verkauf       X
Unterstützung der Gastronomie       X
Assistenz in der Logistik     X  
Service
Bereitstellung von Informationen       X
Weitere Serviceleistungen       X
Wartung und Kontrolle     X  
Sicherheit
Sicherheits- u. Ordnungsdienst X      
Prüfdienst X X    
Tor- und Empfangsdienst   X X  

Das hohe Niveau an Selbständigkeit bei der Arbeit, welches in den meisten Arbeitsbereichen erreicht wird, scheint aus berufspädagogischer Sicht für die Wirksamkeit der Maßnahme verantwortlich zu sein. Statt kurzen Lernepisoden in unterschiedlichen Betrieben, bei denen die Teilnehmenden nicht über das Stadium „unter Anleitung“ hinauskommen, bietet die Maßnahme mit ihrem gezielten Einsatz im Betrieb umfangreiche Entwicklungsmöglichkeiten für Fähigkeiten und Fertigkeiten. Bei der Betrachtung der Tabelle ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass einzelne Aufgaben aus rechtlichen Gründen nicht selbständig bearbeitet werden dürfen, da den EQ-Teilnehmenden Zertifikate bspw. für die Ausbildung an Kampfmitteln oder der Kletterschein fehlen.

Im Dienstleistungsbereich (sowohl Gastronomie wie auch Service) sind die Arbeitsaufgaben gezielt so gestaltet, dass selbständiges Arbeiten binnen kürzester Zeit möglich ist. In den Befragungen wurde deutlich, dass das Engagement der Auszubildenden stark dadurch gefördert wird, dass sie im Sinne einer „legitimate peripheral participation“ (Lave/Wenger 1989) die Gelegenheit erhalten, schrittweise einen Beruf kennenzulernen und bereits erste Aufgaben darin zu übernehmen. Daher wird auch das Autonomieniveau „unter Anleitung gearbeitet“ nur in wenigen Kompetenzfeldern als Endresultat angegeben, es ist im Sinne eines Hineinwachsens in die Praxisgemeinschaft ein notwendiger Zwischenschritt.

Diese Art der produktiven Tätigkeit ist ein weiterer Punkt, der die Einstiegsqualifizierung zentral von anderen, zumeist schulischen Programmen des Übergangssystems unterscheidet:

  1. Die Produkte oder Dienstleistungen werden für ein reales Unternehmen unter Marktbedingungen erbracht und nicht im Rahmen von „Schülerfirmen“.
  2. Die Zusammenarbeit erfolgt zumeist mit unterschiedlichen Erfahrungs- und Hierarchiestufen und nicht nur mit Gleichaltrigen und ein bis zwei Mitgliedern des Lehrpersonals.
  3. Der reale Arbeitsalltag mit Stress, aber auch mit Leerlauf, wird (soweit es im Rahmen des Jugendschutzes möglich ist) erfahren.

Dies korrespondiert bspw. mit den Ergebnissen von Panke (2005), die unterstreicht, dass die Möglichkeit, authentische Arbeitstätigkeiten auszuüben und in eine betriebliche Praxisgemeinschaft integriert zu werden, von besonderer Bedeutung sind. In den Interviews wurde die motivierende Wirkung der Praxis in Zitaten wie diesen deutlich:

“Für mich war’s erst komisch, ich dacht’ mir: ok [...]. Seitdem ich das erste Mal auf dem [Arbeitsplatz] war: ich find’s toll, das Team, das ist alles toll, ich könnt’ schwärmen” (P6, 37).

“Also ich merk' das schon, wenn ich morgens in meine Dienstkleidung sozusagen einsteige, ich fühl' mich dann irgendwie erwachsener halt, also dass es jetzt wirklich losgeht und die Schulzeit vorbei ist sozusagen. Und äh ja, von der Arbeit her, also mein Teamchef hat mir auch halt gesagt, dass ich mich auch gemacht hab',  in dem Jahr jetzt” (P2, 80).

3.3.2 Ein Happy Sample zwischen Abwechslung und Stabilisierung – die subjektive Perspektive der Teilnehmer

Die Interviewpersonen zeigten sich allesamt sehr zufrieden mit der EQ-Maßnahme. Dabei fanden wir zwei Typen von Entwicklung vor: Jugendliche, die “vom ersten Tag an” mit ihrem Praktikumsplatz einverstanden waren und solche, die die Maßnahme als Alternative oder Kompromiss zu nicht erfüllten Berufswünschen erleben, aber dennoch zufrieden mit ihrer jetzigen Situation sind. Es finden sich in Hinblick auf die Maßnahme oder den Beruf, auf den sie vorbereitet hat, keine Aussagen, die auf Enttäuschung oder Ernüchterung hindeuten, was in Kontrast steht zu den Beobachtungen z. B. von Bohnsack (1989) oder Panke (2005). Womit lässt sich dieser nahezu provokativ positive Befund erklären?

Obwohl die Praktikumsplätze in der als Fallbeispiel gewählten Einstiegsqualifizierung nicht komplex sind und vor allem einfache Aufgaben umfassen, erleben viele Jugendliche sie als abwechslungsreich. Die Abwechslung scheint dabei den Übergang zwischen dem psychosozialen Moratorium der Adoleszenz und der Verantwortungsübernahme im Erwachsenenalter zu erleichtern. Exemplarisch stehen dafür Aussagen wie:

“also mir macht der Beruf jetzt schon Spaß, auch immer noch und also ich denk' schon, dass das auch was für die Zukunft sein wird, weil es halt abwechslungsreich ist. Und in der Ausbildung sind wir ja auf Seminaren, wir sind an unterschiedlichen Standorten. Das wird immer Abwechslung sein, deswegen. Und das hab' ich bis jetzt... Seit 'm Praktikum, also Rechtsanwaltsfachangestellte hatte ich eins, als Floristin, und es war immer was unterschiedliches, und das war halt nicht so: es war immer das Gleiche, das war halt der Alltag, und auf der Arbeit, klar, ist manchmal auch, es wiederholt sich alles, aber halt nicht so regelmäßig, also es wiederholt sich jetzt nicht jeden Tag, weil man hat ja auch jeden Tag andere Menschen um sich, sei es vom Team her oder von den Kunden und andere  Aufgaben halt” (P2, 49).

Abwechslung entsteht in der untersuchten Einstiegsqualifizierung, in der vor allem Praktika im Dienstleistungsbereich angeboten werden, durch Kundenkontakt, Standortwechsel, eine Variation von Aufgaben, Teamwechsel und Zusammenarbeit mit verschiedenen Kollegen. Für viele Jugendliche ist es wichtig, auch körperlich nicht fixiert zu sein:

“Vorher wusst‘ ich das selber nicht, aber ich bin auch nicht so der Büromensch, also im Vertrieb hätt‘ ich nicht arbeiten können. Ich kann das einfach nicht, ich kann nicht sitzen, zwar arbeite ich auch mit den Kunden, aber ich muss mich bewegen, ich kann wirklich nicht den ganzen Tag sitzen. Ich kann das einfach nicht” (P6, 61).

Obwohl Abwechslung den Jugendlichen wichtig ist, schätzen sie auch ihren scheinbaren Widerspruch, die Stabilität und Stabilisierung, die sie im Verlauf der Maßnahme erleben. Dies zeigt sich auf mehreren Ebenen. Zum einen scheinen die Jugendlichen nach dem Schock, keinen regulären Ausbildungsplatz erhalten zu haben, darauf erpicht zu sein, in ihrer Einstiegsqualifizierung, die sie als Chance erleben, Engagement und Leistung zu zeigen:

“Dann musste ich schnell eine Ausbildungsstelle finden und da waren halt nicht viele Stellen frei und ich wollt dann halt unbedingt in [Betrieb] kommen. Dabei habe ich dieses [Einstiegsqualifizierungs-]Projekt gefunden, hab dann gesagt: ok, ich nehm’ dran teil und zeig halt dann mein Leistung, weil mein Abgangszeugnis das war ziemlich schlecht und die Leute haben dann direkt Absagen geschickt. Deshalb musste ich mich halt beweisen und dazu diente halt dieses  [Einstiegsqualifizierungs-]Projekt” (P3, 17).

Diese Perspektive nimmt nicht nur die klassischen Zielgruppe der EQ, die Hauptschulabsolventen, ein (zu der der oben zitierte P3 gehört), sondern sie wird auch von marktbenachteiligten Jugendlichen wie P4 vetreten, die Fachabitur hat:  

“Ja, ähm, ich bin durch, durch Arbeitsamt auf, ähm...Die haben mir da so ‘n Zettel gegeben, dass ich mich hier bewerben soll. Ich hatte vorher schon ziemlich viele Bewerbungen rausgeschickt, so über die 60 Stück und hab leider, also viele Absagen bekommen. Einige Bewerbungsgespräche und Einstellungstests waren mit dabei, aber ich hab‘ ‘n kleines Kind und dadurch war das ‘n bisschen schwierig für mich ‘ne Ausbildung zu finden, wodurch ich dann den Weg [Einsteigsqualifizierung] gegangen bin, weil ich mir dachte: ok, vielleicht ist das für mich ‘ne gute Möglichkeit, dann dort ‘ne Ausbildung zu finden” (P4, 5).

In Hinblick auf ihre beruflichen Interessen hatten viele Befragte dabei keine inhaltlichen Orientierungen sondern eher grobe Vorstellungen, die aus Gesprächen mit Familienmitgliedern und Freunden resultierten:

“Das war halt über mein, meine Berufsberaterin. Ich hab aber durch verschiedene Freunde schon gehört, weil die selber im Sicherheitsbereich arbeiten. Und, ja, mein bester Kollege halt, ähm, als Altenpfleger arbeitet, so. Und ich hatte halt Interesse an verschiedenen Jobs, wollte, ja, vieles, Neues kennenlernen halt. So, und dann meinte ich zur Berufsberaterin halt, ähm (.) ich will mich eher konzentrieren Richtung Altenpflege und Sicherheitsdienst” (P9, 2).

Viele Jugendliche berichten, dass sie sich durch Forderungen der betrieblichen Praxisgemeinschaft gefördert fühlen. So berichtet P10, der etwas anderes machen wollte, wie folgt von seinem Lernweg:

“Also ich bin... eigentlich alles nur gemacht, weil ich eigentlich woanders reinrutschen wollte und dann habe ich gesagt: ok, das ist eigentlich gar nicht so mein Ding. Bin halt öfter zu spät gekommen und irgendwann hat dann halt mein Vorarbeiter gesagt, ja so geht’s nicht weiter. Und dann war es auf einmal nach zwei, drei Wochen drinne, dass ich halt immer pünktlich war. [...] Man ist dann ja auch  ganz anders miteinander umgegangen. Vorher war’s immer nur so’n: Tach, Tschüss, Wie geht’s? Und jetzt ist es halt so richtiges Kommunikationsfeld geworden, wo man halt auch mal privat miteinander redet und sich trifft” (P10, 29).

Die Selbstdisziplinierung ist hier nicht nur eine Anpassung, sondern eröffnet auch durch eine Integration in die Praxisgemeinschaft neue soziale Anknüpfungspunkte und eine Stabilisierung im lebensweltlichen Bereich. Das Engagement geht bei einigen Interviewten so weit, dass sie einen deutlichen Mehreinsatz leisten. So nimmt P8 eineinhalb Stunden Fahrtzeit pro Richtung in Kauf und dies bei einer 10-Stunden-Schicht. Sie berichtet ebenfalls begeistert:

“Also die Ausbilder Herr Dietrich und Herr Brendel[1] sind das... die sind echt... Also: von 100 Punkten würde ich den’ wirklich 100 Punkte geben, weil die sind echt... Die haben auch Interesse an der Person, weißt du, die ähm, die fragen nach, wenn sie merken, da stimmt irgendwas nicht, die hat schlechte Laune” (P8, 105-107).

Mit dem Kontakt in die Praxisgemeinschaft konkretisieren sich auch die Vorstellungen für die darauffolgende Ausbildung. Die Teilnehmer berichten häufig davon, dass sie die Gelegenheit nutzen, Auszubildende nach ihren Erfahrungen in Berufsschule oder am Arbeitsplatz zu fragen. Die Interviewten entwickeln sukzessive eine klare Vorstellung darüber, was nach Beendigung der Maßnahme kommt; ein Faktor, der entscheidend für die erfolgreiche Bewältigung von Ausbildung ist. In diesem Zusammenhang erscheint die Tatsache problematisch, dass Einstiegsqualifizierungen auch von Unternehmen angeboten werden, die keine Ausbildungsplätze bereitstellen. Auch die von uns untersuchten Geschäftsbereich stellen nicht alle erfolgreichen EQ-Absolventen ein: Von den 15 Interviewten, die noch in der EQ sind, hatten sechs noch keine endgültige Zu- oder Absage in Hinblick auf eine Ausbildungsplatzes. Obwohl die Teilnehmenden wissen, dass sie mit externen Bewerbern konkurrieren, finden sich in keinem der Interviews Zukunftsentwürfe jenseits der Ausbildung in dem EQ-Betrieb. Das 9-monatige Engagement sowie die positive Rückmeldung aus der Praxisgemeinschaft sorgen für eine Stabilisierung der Lebensentwürfe, die gleichzeitig zu einer Beschränkung der Optionen führt. Der persönliche Einsatz für das Unternehmen, so die Erwartung der Jugendlichen, soll sich auch in einem konkreten Ausbildungsplatz niederschlagen. Die durch die Maßnahme erworbene Qualifizierung (durch ein IHK-Zertifikat bestätigt) wird nicht als ein Schritt auf dem Weg zum Wunschberuf angesehen; die Orientierung bleibt auf den konkreten Arbeitsplatz, den konkreten Betrieb verhaftet.

3.3.3 Konzentration auf Qualifizierung anstelle von Qualifikation – ergänzende Perspektive der Sozialpädagogen

Die hier untersuchte Einstiegsqualifizierung wird einerseits von schulischen Kursen (Deutsch, Mathe, Englisch) flankiert, andererseits von sozialpädagogischen Maßnahmen begleitet. Damit wird in dieser spezifischen Maßnahme eine Art duales Modell aus Schulungen und Praxisphasen abgebildet. Mit den betreuenden Sozialpädagogen wurde eine Gruppendiskussion geführt. Die aus den Teilnehmerinterviews herausgearbeitete Fokussierung auf den konkreten Arbeitsplatz spiegelt sich auch in den Einschätzungen des sozialpädagogischen Bildungspersonals wieder. Es kristallisieren sich jedoch berufsspezifische Unterschiede heraus. So ist Bm für die Teilnehmer im Bereich Sicherheit zuständig, Am für Reinigung und Gartenbau, Ff für Service und Gastronomie.

Im Bereich des Service und der Gastronomie berichtet Ff von dem typischen Teilnehmer:

„Zwischen 17 und 18, das ist so das Hauptalter, auch so Haupt- oder Realschulabschluss. Anfangs motiviert, … nachher so in den letzten Monaten wird’s immer ‘n bisschen uninteressanter, aber so an sich… von Anfang bis zum Ende dann begeistert“ (Ff, 56).

Ff berichtet hier von Phasen der Ernüchterung am Ende der Qualifikation, wie sie so in unseren Interviews mit den Teilnehmenden nicht zu Tage traten, bestätigt aber die grundsätzlich positive Einschätzung. Die hier angebotene Einstiegsqualifizierung im Bereich Gastronomie kann zu zwei Ausbildungsberufen führen: einmal im Bereich Gastronomie und zum anderen im Bereich Service. Im Gegensatz zu den anderen Arbeitsbereichen sind hier Tätigkeiten geschaffen worden, die sich nicht in der Ausbildung wiederholen, sondern speziell von den Teilnehmern erledigt werden. Die eingangs zitierte Begeisterung von P6 über „das Team“ zeigt dennoch, wie es der Praxisgemeinschaft gelingt, diese Teilnehmer zu integrieren. Die Begeisterung für die Tätigkeit erstreckt sich daher, wie bereits herausgearbeitet, nicht auf den konkreten Beruf (den die Teilnehmer ja noch nicht ausfüllen), sondern auf ihre Hilfstätigkeiten, die sie trotzdem als in die Praxisgemeinschaft mit eingebunden erleben.

Der Interviewte Am betreut den Bereich Gartenbau und Gebäudereinigung. Den typischen Teilnehmer an der EQ beschreibt er wie folgt und bestätigt den Hinweis auf die körperliche Betätigung als ein positives Kriterium für die Arbeit

„das sind eigentlich in der Regel relativ erst mal Robuste… die dann auch so ‘n Stück körperlich sich das zutrauen, die auch bestimmte Vorerfahrungen haben, teilweise sehr viel Bewegungsdrang. Hab‘ da schon viele Sachen erlebt, dann auch die müssen natürlich körperlich auch richtig dran, ran“ (Am, 66).

Bm wiederum berichtet:

„Der typische Teilnehmer im Sicherheitsbereich hat Hauptschulabschluss, mit Glück Realschulabschluss. Hat die Vorstellung, dass es irgendwo was mit Personenschutz zu tun hat, was er aber dann doch nicht weiter verfolgt. Hat irgendwie Interesse dran, ist fasziniert davon und sucht einen sicheren Arbeitgeber […]. Das ist so der typische Teilnehmer, der wird dann in die Ausbildung übernommen, der schafft dann eigentlich auch die Ausbildung“ (Bm, 52).

Die Teilnehmenden im Bereich Sicherheit treten zumeist mit einer klaren Berufsorientierung an. Mit dem § 34 A Schein, der zu Beginn der Maßnahme erworben werden muss, erhalten diese Teilnehmer auch bereits die Möglichkeit, ohne Ausbildung im Sicherheitsgewerbe zu arbeiten, stehen demnach dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung. Diese klare Berufsorientierung hat sich auch in unseren Interviews widergespiegelt: die Teilnehmenden haben sich alle gezielt auf die Einstiegsqualifizierung in diesem Bereich beworben. Mit dem § 34 A werden auch bereits erste fachliche Inhalte vermittelt, die dann in der anschließenden Ausbildung vertieft werden. Eine solche aufbauende Vorbereitung fehlt in der Regel in den anderen Einsatzbereichen. Auf die Frage, ob sie vorbereitenden Fachunterricht für die Teilnehmenden begrüßen würde, antwortet Ff:

„Zum Beispiel, ich weiß, dass wenn die […] in die Berufsschule gehen nachher, Ernährung und was weiß ich wie die heißt, die, die setzen sich da tagelang hin und äh, besprechen sämtliche Käse- und Wurstsorten. Und, ähm, die … sagen dann: äh, ja, interessiert mich jetzt doch noch nicht, keine Ahnung. Und die haben mit ihrem [mobilen Verkauf] jetzt auch noch nichts mit diesen Sachen zu tun, von daher“ (Ff, 112).

Am sieht es ähnlich skeptisch:

„Fachtrainer, hier den Hans, der dann auch Elektronik, Elektrotechnik, der das mal versucht hat so ‘n bisschen, aber in… Ich glaube, da ist auch die Bereitschaft jetzt auch von den Teilnehmern her nicht unbedingt so schon gut. Sobald sie wissen, wenn ‘ne Ausbildungsplatzzusage da ist, ‘ne, und das ist ja meist erst schon, wenn die Unterrichte abgeschlossen sind, dann ist vielleicht das Interesse dann da, ‘ne, aber vorweg, ‘ne, so nach dem Motto, warum soll ich mich da jetzt schon mit diesen Sachen beschäftigen, ich weiß ja sowieso noch nicht, ob ich in ‘ne Ausbildung geh, das ist dann immer nochmal schwer zu vermitteln. Aber ich denk‘ mal so als Vorbereitung, was wir leisten, ist zumindest einhalten der Regeln, also Pünktlichkeit, da sein, Durchhaltevermögen vielleicht auch“ (Am, 101).

Die Sozialpädagogen schätzen die Jugendlichen als noch nicht motiviert für die Auseinandersetzung mit Fachinhalten ein. Dies scheint zum einen der Schulmüdigkeit vieler EQ-Teilnehmenden geschuldet, die sich zwar für praktische Arbeiten begeistern können (s.o.), aber schulische Lern-Formen ablehnen. Die Skepsis von Am geht darüber hinaus: für die Jugendlichen stellt aus seiner Sicht ein Fachtraining ein Investment dar, das sie im Angesichts noch unklarer Ausbildungs- und Zukunftsperspektiven nicht bereit sind einzugehen. Das Engagement erstreckt sich auf die aktuelle Maßnahme, auf die Qualifizierung, es scheint kein Schritt in eine stabile Berufsorientierung zu sein, die eine breite Qualifikation vor Augen hat.

4 Schlussfolgerungen

Die Fallstudie verdeutlicht die Bedeutung von Abwechslung und Integration in den betrieblichen Alltag als zwei Faktoren, die jungen Menschen die Berufsorientierung erleichtern, wobei in der untersuchten Gruppe aus Sicht der Betroffenen nicht lediglich eine Orientierung, sondern bereits der Einstieg in die Beruflichkeit erfolgte. Dabei sehen die Jugendlichen nicht die Inhalte des Berufes als Motivation an, sondern die Integration in eine berufliche Praxisgemeinschaft, genauer: in diese eine betriebliche Praxisgemeinschaft. Diese Orientierung an der konkreten Arbeitgruppe ist durch die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe und das niedrige Komplexitätsniveau der Arbeitsaufgaben motiviert, muss aber auch vor dem Hintergrund erlebter Zurückweisung und Unsicherheit (s. o.) interpretiert werden.

Eine Ausnahme bildet die Gruppe der Sicherheitskräfte. Hier findet schon vor dem Einstieg in die Maßnahme eine klare Berufsorientierung statt, die dann auch durch die Maßnahme führt und zumeist auch die erfolgreiche Bewältigung der Ausbildung befördert. Weitere Untersuchungen der EQ sind notwendig, um den hier vorgestellten Befund differenziert einzuschätzen – es mag sein, dass besondere Charakteristika des Arbeitgebers die vorliegende Einschätzung prägen.

Das Risiko betrieblicher Orientierung liegt in der faktischen Brüchigkeit von Erwerbsbiographien; auch ist strukturell eine Übernahme nach der EQ nicht immer gewährleistet. So entspricht die Zahl der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze nicht immer den angebotenen Plätzen in der Einstiegsqualifizierung: die Personalplanung erfolgt teilweise von Jahr zu Jahr, so dass es zu einer Art „Überrekrutierung“ kommen kann. Diese Überrekrutierung macht im Hinblick auf potenzielle Abbrecher Sinn, sie führt aber dazu, dass Jugendliche, die erfolgreich das Praktikum absolviert und sich für den Betrieb engagiert haben, miteinander und z.T. mit externen höherqualifizierten Bewerberinnen um Ausbildungsplätze konkurrieren müssen. Dies erscheint als grundsätzliches Dilemma des Übergangssystems und der Einstiegsqualifizierung: Gesetzlich ist nicht vorgeschrieben, dass Betriebe in der Einstiegsqualifizierung auch Ausbildungsplätze und damit einen möglichen Übergang anbieten müssen (Popp et al. 2012). In den Interviews unterstrichen die Jugendlichen, dass für sie ein Scheitern beim Übergang in die Ausbildung einer persönlichen Tragödie gleich käme. Untersuchungen, die Auswirkungen eines solchen Rückschlags auf die psychosoziale Stabilisierung sozial benachteiligter Jugendlicher beschreiben, stehen noch aus. Hier wäre z. B. zu fragen: suchen die Jugendlichen im selben Tätigkeitsfeld oder orientieren sie sich ganz neu? Orientieren sie sich überhaupt neu oder steigen sie aus dem traditionellen Lohnerwerbssystem aus?

Die in der Literatur geschilderte Ernüchterung bei der Berufsorientierung ist in unserem Sample nicht zu finden. Dies liegt sicherlich zum einen an der Auswahl der Interviewpartner, die alle die Maßnahme erfolgreich durchlaufen haben sowie an dem Fokus der Fragestellung, der sich auf die Erfahrungen und Bewertungen der Maßnahme konzentriert und nicht auf die Suche davor. Es scheint untersuchenswert, ob die Ernüchterung während der Ausbildung noch eintritt - zumal sich begeisternde Arbeitsaspekte wie die Abwechslung im Laufe der Zeit relativieren können. Gleichzeitig ist die Frage zu stellen, ob sich und ab wann sich eine Berufsorientierung herausbildet, die von der lokalen Praxisgemeinschaft abstrahiert.

Die Berufsorientierung in der von uns untersuchten Einstiegsqualifizierung ist somit teilweise als Chance, teilweise als Risiko zu bewerten. Einerseits erleben die Jugendlichen, dass sie produktiv in einer betrieblichen Praxisgemeinschaft  wirken können, was grundlegende psychosoziale Entwicklungen anzuregen scheint (z. B. zunehmende Verbindlichkeit und Verantwortungsübernahme). Andererseits fokussieren sie sich so stark auf den EQ-Betrieb, dass ein Wechsel in ein anderes Unternehmen für sie schwer vorstellbar und potentiell zu einem weiteren Bruch in ihrer schwierigen Erwerbs(such)-Biographie wird. Wünschenswert ist daher, die allzu betriebliche Orientierung der Jugendlichen aufzufangen - oder bessere Bedingungen für die Übernahme in die Ausbildung sicherzustellen.

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[1] Namen sind zur Anonymisierung gewählt worden.

Zitieren des Beitrags

Burchert, J. et al. (2014): „Ich will mich eher konzentrieren Richtung Altenpflege und Sicherheitsdienst“. Berufsorientierung im Übergangssystem Einstiegsqualifizierung: Eine Fallstudie. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 27, 1-16. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe27/burchert_etal_bwpat27.pdf  (21-12-2014).