bwp@ 27 - Dezember 2014

Berufsorientierung

Hrsg.: Karin Büchter, H.-Hugo Kremer & Andrea Burda-Zoyke

Betriebsbegegnungen in der Berufsorientierung. Das Beispiel "Berlin braucht dich!"

Beitrag von Anne von Oswald & Anne Röhrig

Berlin braucht dich! ist ein integrationspolitisches Vorhaben, das darauf abzielt, ungeförderte betriebliche Berufsausbildung stärker für Jugendliche mit Migrationshintergrund zu öffnen. Hierzu wurde eine enge Zusammenarbeit von Betrieben und Schulen vereinbart. Im Zentrum der gemeinsamen Aktivitäten steht die Gestaltung von Betriebsbegegnungen, die mit unterschiedlichen Formaten ab Klassenstufe 7 in vier Stufen aufeinander folgen. Ihre Qualität und  Einbettung in die Prozesse der schulischen Berufsorientierung sollen dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler Berufsausbildung als eine reale Option für sich entdecken und bei ihrer beruflichen Orientierung in Betracht ziehen. Breitenwirkung wird vor allem dann erwartet, wenn sich der Ansatz einer “Qualifizierten Vierstufigkeit” im sich neu formierenden Berliner Übergangssystem Schule–Arbeitswelt etablieren kann.

Contacts with companies in vocational orientation. The example of “Berlin needs you!”

English Abstract

Berlin needs you! is an integration project which aims at increasing the opportunities of young immigrants to receive unsubsidised company-based training. A close cooperation between companies and schools has been agreed for this purpose. The central element of these joint activities consists of contacts with companies. Those contacts begin in 7th form and comprise different formats in four stages. The quality of the contracts and their integration into the vocational orientation processes at school are meant to ensure that students discover vocational training as a realistic option for their future that they consider as part of their vocational orientation. It is expected that broad effects can be achieved, especially once the approach of the “four qualifying stages” can be established in Berlin’s newly shaped transition system between school and the working world.

Einleitung

Berlin braucht dich! geht zurück auf eine Initiative der Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration aus dem Jahr 2006, ungeförderte betriebliche Berufsausbildung für Jugendliche aus Einwandererfamilien zu öffnen. Seit 2009 arbeiten Schulen und Betriebe, zunächst  aus dem öffentlichen Sektor, seit 2013 auch aus der Metall- und Elektroindustrie, eng in diesem Vorhaben zusammen. Das Berufliche Qualifizierungsnetzwerk für Migrantinnen und Migranten (BQN Berlin) unterstützt und moderiert diesen Entwicklungsprozess der fortlaufenden Vernetzung zwischen Schulen und Betrieben. Im Zentrum steht dabei das Bestreben, den Lernort Betrieb im Rahmen einer systematischen Berufsorientierung aufzuwerten und dafür Sorge zu tragen, dass die Betriebsbegegnungen interkulturell und diskriminierungsfrei gestaltet sind.

Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in die “Werkstatt” von Berlin braucht dich!. Zunächst werden die Anlage des Vorhabens, seine Begründung und sein heutiger Entwicklungsstand skizziert (Punkt 1). In seiner integrationspolitischen Dimension nimmt das Vorhaben Bezug auf die Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an Berufsausbildung, so wie sie sich in Berlin darstellt (Punkt 2).

Danach geht es um Kernelemente von Berlin braucht dich!: die Abfolge von Betriebsbegegnungen ab Klassenstufe 7 und die Kooperation von Betrieben und Schulen in Form eines Konsortiums (Punkt 3). Schließlich wird gezeigt, wie sich im Zuge der Auseinandersetzung mit den gegebenen betrieblichen und schulischen Realitäten ein Modellansatz für die Berliner Berufsorientierung herausentwickelt hat (Punkt 4 und 5). In dieser Hinsicht ist in Berlin am Übergang Schule-Arbeitswelt einiges in Bewegung (Punkt 6).

1 Das Vorhaben: Berlin braucht dich!

Berlin braucht dich! hatte von Anfang an die Perspektive, ungeförderte duale Ausbildung für Jugendliche aus Einwandererfamilien zu öffnen, und dies vor allem auch in beruflichen Feldern mit qualitativ hochwertigen Anforderungsprofilen.  Angesprochen wurden durch Berlin braucht dich! zunächst die Jugendlichen selbst, um sie über ihre Möglichkeiten einer Ausbildung beim Land Berlin zu informieren und diese Option bekannt zu machen. Mit der Verwendung des Begriffs „Öffnung“ sind mehrere Voraussetzungen verbunden: a) dass eine solche bisher nicht oder nicht in der wünschenswerten Weise erfolgt ist,  b) dass Gründe hierfür nicht nur bei den Jugendlichen selbst, sondern zugleich auch im Ausbildungssystem, insbesondere bei den Betrieben, zu suchen sind, und c) dass es kein a priori gibt, sondern dass es sich bei Öffnung um einen Prozess der Erprobung handelt.

Als erfolgversprechender „Hebel“, um diesen integrationspolitisch gewollten Prozess in Gang zu bringen, wurde Berlin braucht dich! für den Öffentlichen Dienst und die Betriebe mit Landesbeteiligung entwickelt. Zunächst in Form einer Kampagne wurde mit der Annahme gearbeitet, dass es eine größere Gruppe von schulisch gut qualifizierten und motivierten Jugendlichen mit Migrationshintergrund gibt, die aus einer Kombination von Fremd- und Selbstzuschreibung heraus bisher nicht in qualifizierter ungeförderter Ausbildung angekommen sind. Die Erwartungen fokussierten sich dabei auf die Jugendlichen und ihre Bereitschaft, sich zu bewerben sowie auf die beteiligten Betriebe und ihre Öffnung für Berliner Jugendliche aus Einwandererfamilien.

Es zeigte sich aber rasch, dass eine Kampagne nicht ausreichen würde, um den Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in erheblichem Umfang, wirksam und dauerhaft in der Berufsausbildung zu erhöhen. Als Konsequenz hieraus wurde die Kampagne durch den Unterbau eines gestuften Systems von Betriebsbegegnungen ergänzt. Verbunden ist damit die Annahme, dass früh einsetzende und sich erweiternde anregende Begegnungen mit der Welt der Betriebe geeignet sei, die Distanz zur Arbeitswelt zu verringern und Berufsausbildung als eine reale Option, die einer ernsthaften Prüfung unterzogen wird, bei den Jugendlichen zu etablieren.

Erst mit dieser Erweiterung im Jahr 2009 kommen Betriebe und Schulen als Konsortialpartner ins Spiel. Ihre Zusammenarbeit für die Entwicklung des gestuften Systems von Betriebsbegegnungen ist zunächst explizit integrationspolitisch motiviert. Erst allmählich schieben sich bei den beteiligten Betrieben auch reale personalpolitische Motive der Nachwuchsgewinnung mit in den Vordergrund.

Der integrationspolitische Ansatz wird dadurch abgesichert, dass nur solche Schulen partizipieren, die einen hohen bis sehr hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund aufweisen. Es geht jedoch nicht generell um Sekundarschulen mit hohem Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sondern um jene Sekundarschulen, deren Anteil an Schulabgängern/innen, die in eine ungeförderte Berufsausbildung münden, erheblich unterdurchschnittlich ist.

An diesen Schulen ist der Anteil der Jugendlichen, die arbeitsweltfern aufwachsen, besonders hoch: „Den Schülerinnen und Schülern ist die Arbeitswelt oder das Spektrum der verschiedenen Berufe größtenteils nicht bekannt, weil viele Eltern überhaupt nicht arbeiten. Ihnen Mut zu machen, die Schwelle zu übertreten und sie an die Arbeitswelt heranzuführen – das ist besonders wichtig. Für diese Jugendlichen ist es nicht leicht, die Hürde zu nehmen und ein Praktikum in einem Betrieb zu machen. Wir versuchen, unseren Schülerinnen und Schülern die Ängste zu nehmen, denn die meisten haben den Wunsch, einen Beruf zu erlernen. (…) Dieses Zusammenführen der Jugendlichen aus den jeweiligen Berlin braucht dich! Schulen mit den Betrieben macht Berlin braucht dich! besonders.“ (Ausschnitt aus transkribiertem Interview mit Lehrerin S.F., geführt am 28.04.2014, veröffentlicht auf: http://www.berlin-braucht-dich.de/erfolgsgeschichten/lehrer-innen/sabine-funk/ ).

Was als Kampagne im Öffentlichen Dienst begann, weitete sich bald auf die Betriebe mit Landesbeteiligung und seit 2013 auch auf die Berliner Metall- und Elektroindustrie aus. Heute besteht ein Netzwerk aus über 30 Schulen und mehr als 60 Unternehmen, das  Berlin braucht dich! Konsortium. Es bietet einen Rahmen, um Strukturen, Verfahren und Einstellungen der Akteure aus Schule und Berufsausbildung nachhaltig und zukunftsweisend öffnen zu können. Denn: gemeinsames Ziel der Akteure von Berlin braucht dich! ist es, Jugendlichen, die sich in Bezug auf Erfahrungen und Orientierungen fern von der Arbeitswelt bewegen, betriebliche Ausbildung und anschließende Facharbeitertätigkeit als eine realistische Perspektive überhaupt verfügbar zu machen.

2 Hintergrund: Barrieren zu Dualer Ausbildung

Laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg haben rund 27 % der Einwohnerinnen und Einwohner der bundesdeutschen Hauptstadt einen sogenannten Migrationshintergrund (zur Definition des Migrationshintergrund vgl. Statistisches Bundesamt 2007). Bei den unter 15-Jährigen liegt der Anteil bei etwa 43 % (Amt für Statistik Berlin Brandenburg 2012) – eine Entwicklung, die sich in Berlin auch deutlich im Schulsystem ausdrückt und durch eine starke Konzentrationen auf Schulen im Innenstadtbereich geprägt ist. Im Jahr 2012 hatte bereits jede dritte der rund 800 Schulen in Berlin einen über 40 %igen Anteil von Schülerinnen und Schülern „nichtdeutscher Herkunftssprache (ndH)“ – das Erfassungsmerkmal der Berliner Schulverwaltung. 139 Schulen weisen einen Anteil von mehr als 60 % auf, und an 68 Schulen, vorwiegend in den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, liegt der Anteil bei über 80 % (vgl. Köhler/Anders: „Immer mehr Schüler mit Migrationshintergrund“, Berliner Morgenpost vom 19.01.2012 http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article1884994/Immer-mehr-Schueler-mit-Migrationshintergrund.html - aufgerufen am 15.04.2014).

Schüler/innen mit Migrationshintergrund haben in den letzten Jahren bezogen auf die erreichten Schulabschlüsse bessere Ergebnisse erreicht, dennoch zeigen sich merkliche Unterschiede. Immer noch verlassen Schülerinnen und Schüler die Schule häufiger ohne einen Abschluss (11,5 % der Schüler/innen ndH im Vergleich zu 7,6 % aller Schüler/innen und Schülern). Ein gutes Drittel aller Schulabgänger/innen mit und ohne ndH verlässt in Berlin die Schule mit einem mittleren Schulabschluss. Beim Erreichen der allgemeinen Hochschulreife zeigen sich dann wiederum sehr deutliche Unterschiede: diesen Abschluss erreichen Schüler/innen ndH zu knapp 29 %, insg. liegt der Anteil allerdings bei 43 % (Senatsverwaltung für Bildung 2014).

Auch wenn inzwischen knapp 60 % der Schüler/innen ndH den Mittleren Abschluss oder das Abitur erreichen, drückt sich diese Entwicklung nicht im Übergang von der Schule in eine qualifizierte Ausbildung aus: Im Bericht zur Umsetzung des Integrationskonzepts 2007 für den Zeitraum 2009 bis September 2011 wird festgehalten: „Der Anteil der ausländischen Jugendlichen an allen Ausbildungsverhältnissen ist seit Verabschiedung des Integrationskonzeptes leicht angestiegen auf 5,5 % (2007: 4,2 % – nach Migrationshintergrund aufgeschlüsselte Zahlen liegen leider nicht vor, was besonders in dieser Altersgruppe bedeutsam wäre).“

Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil ist die Ausbildungsquote dieser Jugendlichen nach wie vor sehr gering. Und auch die Ergebnisse des Mikrozensus 2011 zeigen für Berlin, dass der Zugang zu qualifizierter Berufsausbildung in Berlin ungleich verteilt ist. So verfügten am Stichtag 39,5 % der Berliner/innen ohne Migrationshintergrund über eine duale Ausbildung oder einen vergleichbaren beruflichen Abschluss, aber nur 16,1 % der Berliner/innen mit Migrationshintergrund (vgl. Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2012).

Die oben aufgeführten Zahlen zur Übergangssituation Schule-Beruf beleuchten schlaglichtartig, dass sowohl das Bildungs- als auch das Ausbildungssystem vor großen Herausforderungen stehen (Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative 2013). Zukünftig wird es noch bedeutsamer werden, dass die Leistungsfähigkeit der Systeme zur Entwicklung von Potenzialen und zur Nachwuchssicherung von Fachkräften gesteigert wird. Reformansätze im Übergang Schule-Beruf haben dabei der unterschiedlichen Situation von Schulen in Bezug auf die erreichten Übergänge in qualifizierte Berufsausbildung Rechnung zu tragen.

Bei Berlin braucht dich! entwickeln Schulen und Betriebe im Konsortium gemeinsam Ansätze einer im Betrieb stattfindenden Berufsorientierung, die bereits ab Jahrgangstufe 7 beginnt; in regelmäßigen Partnertreffen erarbeiten Schulen und Betriebe­ gemeinsam, wie das betriebliche Lernen im Betrieb systematisch und strukturiert aufgebaut und in die schulische Berufsorientierung integriert werden kann.  Die zentrale Bedeutung des Lernorts Betrieb steht im Zentrum des systematischen Aufbaus der Übergänge von der Klasse 7 bis 10: Das Angebot der schulischen Berufsorientierung wird mit dem Angebot der Berlin braucht dich! Betriebe methodisch-inhaltlich und zeitlich abgestimmt, so dass ein systematischer Aufbau der Berufswahlkompetenz der Schüler/innen von Klasse 7 möglich ist.

3 Im Zentrum: Betriebsbegegnungen

Um ein vielseitiges Angebot an Betriebsbegegnungen von Klasse 7 bis Klasse 10 zu gewährleisten wurde  der Aufbau des Berlin braucht dich! Konsortiums aus Schulen und Betrieben als notwendige Erfolgsbedingung erachtet. Eine betriebsnahe Berufsorientierung in Form eines Systems von Betriebsbegegnungen könne sich nur entwickeln, so die Annahme, wenn eine enge und verbindliche Zusammenarbeit und Annäherung der Arbeits- an die Schulwelt und umgekehrt gewährleistet ist. Dahinter stand die Einschätzung einer bestehenden wechselseitigen Fremdheit zwischen beiden Teilsystemen Schule und Betrieb (Hurrelmann 2014).

Eine weitere wichtige Annahme war, dass nur eine enge und respektvolle fachliche Zusammenarbeit und das damit entstehende wechselseitige Vertrauen die Basis dafür bildet, diffizile Fragen von Interkulturalität und Diskriminierung anzugehen, aber auch zu einer Öffnung der Betriebe gegenüber Jugendlichen „aus der zweiten Reihe“ zu gelangen, d.h. Jugendlichen, die sich von alleine noch nicht auf den Weg in Richtung Berufsausbildung gemacht haben.

Mit dem Aufbau eines vierstufigen Systems von Betriebsbegegnungen einher ging die gemeinsame Arbeit von Schulen und Betrieben an der Dokumentation ihrer Erfahrungen in einem Handbuch für Betriebsbegegnungen (BQN Berlin 2011). Das zentrale Anliegen dieses Handbuchs ist es, Qualitätsstandards zu formulieren und in praktischen Schritten für die Durchführung von Praktika festzuhalten und zu beschreiben. Eine aktualisierte Fassung dieses Handbuches mit einer zusätzlich erstellten Praxishandreichung für Betriebe der Metall- und Elektroindustrie liegt seit Januar 2015 vor (BQN Berlin 2015 a und b). Schulen und Betriebe haben auf Grundlage ihrer Expertise aus dem jeweiligen Bereich formuliert, was die Qualität von Praktika ausmacht, die Jugendliche dabei unterstützen, sich Wege in die Arbeitswelt zu erschließen. Die Qualitätsstandards gelten dabei nicht allein für Jugendliche aus Einwandererfamilien, aber sie berücksichtigen durchgehend eine interkulturelle Perspektive im betrieblichen und schulischen Handeln.

Eine Grundlage für die Erstellung dieser Handbücher war eine explorative qualitative Studie, die seitens BQN durchgeführt wurde. Mittels leitfadengestützter qualitativer Interviews wurden Jugendliche, Lehrkräfte und Betriebsvertreter/innen im Zeitraum Januar bis Juni 2014 befragt. Zentraler Fokus aller Interviews war die Frage nach den Gelingensbedingungen für einen erfolgreichen Übergang in Ausbildung aus der Perspektive der unterschiedlichen im Rahmen von Berlin braucht dich! einbezogenen Akteure/innen. Die Interviews wurden transkribiert; zentrale Ergebnisse wurden in den Handbüchern aufgenommen. Auswählte Interviewpassagen wurden darüber hinaus auf der Seite www.berlin-braucht-dich.de veröffentlicht.

Der Ansatz von Berlin braucht dich! konzentrierte sich von Beginn an auf eine spezifische Konzeption, die von Schulen und Betrieben gemeinsam erarbeitet wurde. Dabei wurden Betriebsbegegnungen ins Zentrum des Konzeptes gerückt. Es wurde ein über die Klassen 7 bis 10 aufeinander aufbauendes System von Betriebsbegegnungen entwickelt und erprobt. Das beim Öffentlichen Dienst, den Betrieben mit Landesbeteiligung und seit 2013 bei Betrieben der Metall- und Elektrobranche breit gefächerte Angebot an qualitativ hochwertigen Betriebsbegegnungen hat für die Berlin braucht dich! Schulen (Integrierte Sekundarschulen bzw. Gemeinschaftsschulen mit einem über 50 %igen Anteil von Schülern/innen ndH) eine hohe Attraktivität, trotz der mit diesem Angebot verbundenen erhöhten Anforderungen an Vorbereitung, Nachbereitung und Koordinierung.

Die Qualität dieser Betriebsbegegnungen ergibt sich für die einzelnen Schülerinnen und Schüler aus einem interessenbasierten Matchingverfahren und der Durchführungsqualität der betrieblichen Kontakte. Bei dem Matching geht es nicht darum, dass Schüler/innen „irgendeinen“ Platz in einem Praktikum erhalten, sondern betriebliche und arbeitsbezogene Erfahrungen dort sammeln können, wo sie ihre eigenen Interessen formulieren oder zumindest vermuten. Ansatzpunkte des Matching sind also die Interessen und die Motivation der Jugendlichen selbst. Die unterschiedlichen Betriebsbegegnungen unterstützen demnach die Jugendlichen dabei, eigene Vorstellungen mit der Realität von Arbeitswelt und konkreten Berufen abzugleichen.

3.1 Interkulturelle Öffnung und der Fokus Migration bei Berlin braucht dich!

Der Fokus Migration wird bei Berlin braucht dich! nicht als ein Handlungsfeld im Übergang Schule-Beruf neben anderen verstanden, sondern als Querschnittsaufgabe, die aber einer besonderen Aufmerksamkeit und einer eigenen professionellen Bearbeitung bedarf. Dabei drückt Interkulturelle Öffnung grundsätzliche Wertehaltungen aus, und setzt sich als ein Paradigma durch, „das für praktisches Handeln und politische Orientierung tragfähig scheint“ (Schröer 2007, 12). Für die kommunale Ebene hält Filsinger (2009) fest, dass sich in den letzten Jahren eine große Bandbreite interkulturell ausgerichteter Integrationspolitiken herausgebildet haben: „Herauszustellen ist besonders die zumindest programmatische Abkehr von einer Defizitperspektive, die es erlaubt, die Ressourcen und Potenziale der (jungen) Menschen mit Migrationshintergrund zu erkennen. Eine solche Perspektive lässt sich freilich nicht verordnen; sie verlangt vielmehr einen Bildungsprozess, im Rahmen dessen etwa (kulturalistische) Deutungsmuster eine Modifikation  erfahren können.“ (ebd., 86)

Was hier mit Blick auf die kommunale Ebene formuliert ist, gilt entsprechend für Betriebe und ihr betriebliches Handeln in Rekrutierungs- und Ausbildungsprozessen und bezogen auf die Personalentwicklung der Unternehmen insgesamt.  Die interkulturelle Öffnung als Ansatz auf betrieblicher Ebene umfasst dabei ganz wesentlich die Fähigkeit, Angebote zu erarbeiten, die Chancengleichheit zum Ausgangspunkt nehmen und die „barrierefrei“ (Terkessidis 2010) sind.

Insofern gehören auch Qualifizierungsangebote für Beschäftigte von Berlin braucht dich! Betrieben fest ins Konzept: Mit Trainings zur interkulturellen Sensibilisierung eröffnet sich ihnen die Möglichkeit, eigene Haltungen im persönlichen und beruflichen Handeln kritisch zu reflektieren und sich mit eigenen Vorurteilsstrukturen auseinander zu setzen. Diese Möglichkeit ist fester Bestandteil der Angebote von Berlin braucht dich!, die sich an das betriebliche und schulische Personal richten. In einem nächsten Schritt ist hier verstärkt die strukturelle Ebene betrieblicher und schulischer Organisation zu addressieren, um Strukturen dauerhafter aufzubrechen und zu verändern.

3.2 Positive Erfahrungen in der Arbeitswelt

„Berufswahlkompetenz“ entsteht durch Informationen über Betriebe, über Berufe, aber eben ganz wesentlich auch über eigenes Kennenlernen der Arbeitswelt im Betrieb und eine bewusste und motivierte Auseinandersetzung mit ihr, so die Grundannahme des Berlin braucht dich! Konsortium.

Auf die Frage, welche Erfahrungen im Praktikum wichtig waren, sagt eine ehemalige Berlin braucht dich! Schülerin: „Ich habe … erfahren, was man für Kompetenzen braucht, um diesen Beruf ausüben zu können. Man hat uns zwar in der Schule den beruflichen Alltag vorgestellt … , doch praktisch war es dann doch ganz anders. In meinem ersten Praktikum habe ich festgestellt, dass eine Ausbildung im medizinischen Bereich für mich nicht in Frage kommt. Danach habe ich mich umorientiert und dann in der 10. Klasse durch das dreiwöchige Praktikum […] gemerkt, dass ich später gerne im kaufmännischen Bereich arbeiten möchte.“ (Ausschnitt aus transkribiertem Interview mit Auszubildender A.O., geführt am 12.02.2014)

Die Kontrastierung von schulisch erworbenem Wissen, das letztlich zunächst theoretisch bleibt, und der Wirklichkeit der Arbeitswelt in einem Betrieb hat für die oben zitierte Schülerin den Unterschied ausgemacht: erst durch das tatsächliche Praxiserleben in Betrieben war für sie eine orientierte Entscheidung möglich.  Wichtig war hierbei, dass es nicht nur einen Kontakt mit der Arbeitswelt gab, sondern dass mehrere Optionen des Ausprobierens zur Verfügung standen: So konnte die Erfahrung gemacht werden, dass die eigene ursprüngliche Annahme, was man gerne machen würde, nicht deckungsgleich mit der beruflich-betrieblichen Realität war. In einem nächsten Schritt konnte dann ein anderes Berufsfeld erprobt werden.

Ein Auszubildender bei den Berliner Bäderbetrieben beschreibt seine Erfahrungen folgendermaßen: „In der 9. Klasse hat meine Lehrerin uns Praktika von Berlin braucht dich! vorgestellt. Da waren mehrere Angebote, einmal von der BSR und auch von der BVG und noch andere. Ich habe mich für die Berliner Bäderbetriebe entschieden. Die Ausbildung Fachangestellter für Bäderbetriebe kannte ich vorher überhaupt nicht. Erst durch Berlin braucht dich! habe ich davon erfahren. Im Praktikum ist mir klar geworden: Das gefällt mir, das will ich mal machen! […] Ich habe zwei Praktika gemacht. Das erste über Berlin braucht dich! und das zweite habe ich mir selbst besorgt. Wieder bei den Bäderbetrieben, weil es mir dort gefallen hat. Und dann habe ich noch den Bewerbertag von Berlin braucht dich! bei den Bäderbetrieben mitgemacht. […] Zwei Azubis haben uns vor Ort alles erklärt: Wie es bei der Ausbildung abläuft, wie lange sie dauert und was man verdient. Wir haben einen kleinen Einstellungstest geübt, der lief eigentlich ganz gut. Und dann haben die richtig Werbung gemacht: „Bewirb dich, bewirb dich, es ist richtig gut hier!“ Denn die suchen ja auch Leute mit Migrationshintergrund.“ (Ausschnitt aus transkribiertem Interview mit Auszubildendem M.H., geführt am 19.2.2014, veröffentlicht auf: http://www.berlin-braucht-dich.de/erfolgsgeschichten/auszubildende/mahmoud/)

Der Lernort Betrieb war auch für diesen Jugendlichen zentral, um mehr über einen Beruf zu erfahren, ja diesen überhaupt erst kennen zu lernen. Deutlich zeigt sich hier auch, wie die aufeinander aufbauenden Formate in den Betrieben wirken.

Für eine positive betriebliche Erfahrung seitens der Jugendlichen ist es nicht hinreichend, dass sie einen „Betrieb von innen“ sehen können, sondern die Qualität der betrieblichen Angebote. Aus Sicht eines Lehrers stellt sich dies so dar: „Das Besondere an Berlin braucht dich! ist, dass die Personalverantwortlichen der Betriebe dahinter stehen. Die Betriebsbegegnungen zeichnen sich deshalb durch überdurchschnittlich gute Konzepte aus - im Vergleich zu den Angeboten an Praktika, die die Schüler sonst so erleben.“ (Ausschnitt aus transkribiertem Interview mit M. M., geführt am 17.2.2014, veröffentlicht auf: http://www.berlin-braucht-dich.de/erfolgsgeschichten/lehrer-innen/michael-morsbach/)

Auch die Betriebe schätzen die neue Qualität von Berlin braucht dich! – für ihre Unternehmen und für die Jugendlichen. Ein Ausbildungsleiter formuliert dies so: „Das Besondere an Berlin braucht dich! ist für mich, die Vielfalt der unterschiedlichen Kulturen von Berliner Jugendlichen auch in die Unternehmen zu bringen. Berlin braucht dich! hilft Schülerinnen und Schülern, ihre Kompetenzen zu erkennen und diese für die Betriebe nutzbar zu machen.“ (Ausschnitt aus transkribiertem Interview mit C.K., geführt am 18.2.2014, veröffentlicht auf: http://www.berlin-braucht-dich.de/erfolgsgeschichten/ausbilder-innen/berliner-wasserbetriebe/)

Der Lernort Betrieb entfaltet besonders dann motivierende Impulse, wenn in Betrieben Vorbilder sichtbar werden können. So resümiert eine Fachbereichsleiterin des Öffentlichen Dienstes in Berlin: „Der Vorsitzende unserer Jugend- und Auszubildendenvertretung ist ein ehemaliger Azubi mit türkischem Migrationshintergrund. Trotz einer wenig motivierten Schulendphase kam er zu der Erkenntnis: Ich muss mich auf eigene Beine stellen. Er hat die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten mit gutem Ergebnis absolviert, wurde übernommen, ist super engagiert - auch politisch. In unserer Öffentlichkeitsarbeit arbeiten wir eng mit ihm zusammen, weil er ein tolles Vorbild für alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist.“(Ausschnitt aus transkribiertem Interview mit A.O., geführt am 17.2.2014, veröffentlicht auf: http://www.berlin-braucht-dich.de/erfolgsgeschichten/ausbilder-innen/senatsverwaltung-fuer-inneres-und-sport/)

4 Systematisierung: Auf dem Weg zu einer “Qualifizierten Vierstufigkeit”

Berufsorientierung ist im schulischen Kontext ein verbindlicher Baustein, der für die unterschiedlichen Jahrgangsstufen ausdifferenzierte Angebote vorsieht; arbeitsweltbezogene Unterrichtsinhalte im Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik werden beispielsweise ergänzt durch Potenzialanalysen und anschließende Werkstatttage, Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit und die unterstützte Erstellung von Bewerbungsunterlagen und vieles mehr. Doch nicht nur in den Schulen, sondern auch in den öffentlichen wie privaten Betrieben Berlins gewinnt das Thema Berufsorientierung als ein Ansatz der vorausschauenden Fachkräftesicherung zunehmend an Bedeutung. Angesichts der immer schwächer ausgeprägten Orientierung der Jugendlichen in Richtung auf eine qualifizierte Ausbildung - bei gleichzeitigem Trend zum Abitur - hat im Betrieb stattfindende Berufsorientierung und das Lernen im Betrieb eine zunehmende und eigenständige Bedeutung für Betriebe.

Dies führte im Kontext von Berlin braucht dich! dazu, dass der praktizierte Ansatz einer Aufeinanderfolge verschiedener Formate von Betriebsbegegnungen ab Klasse 7 weiter systematisiert wurde. Es entstanden Anfänge eines übergreifenden Konzepts von durchgehender Berufsorientierung am Lernort Betrieb als wiederkehrendes Kernfeld. Die Konkretisierung dieses Ansatzes und seine konzeptionelle und praktische Ausgestaltung wurden und werden in Rahmen des konsortialen Zusammenwirkens von Schulen und Betrieben vorgenommen.  Dieses von Betrieben und Schulen gemeinsam getragene Konzept kann als „Qualifizierte Vierstufigkeit“ bezeichnet werden.

Die wichtigsten Elemente einer solchen „Qualifizierten Vierstufigkeit“ können wie folgt skizziert werden:

Betriebsbegegnungen, die aufeinander aufbauen

In der 7. Klasse: Der betrieblicher Erstkontakt, der in Form einer ersten Erkundungstour von drei bis vier Stunden einer Gruppe von maximal 12 Schüler/innen die Gelegenheit gibt einen Betrieb von innen kennenzulernen.

In der 8. Klasse: Das einwöchiges Schnupperpraktikum in einem Betrieb ermöglicht den Jugendlichen eine erste längere und systematische Erkundung eines Betriebes. Dieser berufliche Einblick dient als Beispiel für den Facettenreichtum der qualifizierten Facharbeit und für das erste Erkunden und Herausfinden von möglichen Zukunftsoptionen in der Arbeitswelt.

In der 9. Klasse: Das dreiwöchige Betriebspraktikum hat die entscheidende Funktion, im Hinblick auf die anstehende Berufswahl konkrete Berufsprofile zu vermitteln und gibt den Jugendlichen die Gelegenheit, sich bei beruflichen Tätigkeiten unter „Ernstbedingungen“ zu erproben.

In der 10. Klasse: Der Bewerbertag zielt auf eine konkrete Unterstützung im Bewerbungsprozess der Jugendlichen. Die Betriebe führen simulierte Bewerbungsverfahren durch mit dem Ziel für eine konkrete Bewerbung zu motivieren und Hemmungen und Ängste abzubauen (siehe dazu ausführlich das Handbuch für Betriebsbegegnungen, hrsg. BQN Berlin, 2015 a).

Mindeststandards

Die Betriebsbegegnungen müssen qualitativen Mindeststandards genügen, denn es geht um positive, motivierende und aufbauende Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler im betrieblichen Alltag und nicht um „irgendwelche“ Arbeitswelterfahrungen. Für jede Jahrgangsstufe gibt es ein altersgerechtes Konzept, das Standards der Vor- und Nachbereitung enthält sowie die Qualität und Ziele der Betriebskontakte und Praktika beschreibt. (siehe dazu ausführlich: Handbuch für Betriebsbegegnungen, 2015 a).

Einbettung in die Schulische Berufsorientierung

Das Lernen im Betrieb in Form der vierstufigen Betriebsbegegnungen sollte in die Berufsorientierung der Schule eingebettet sein. Eine Vernetzung zwischen externen und internen BO-Trägern sowie mit Fachlehrern/innen der vier Jahrgänge ermöglicht ein Zusammenführen von schulischen Berufsorientierungsaktivitäten mit den unterschiedlichen praktischen Erfahrungen im Betrieb und  macht aus einzelnen Betriebskontakten eine persönliche Entwicklungsgeschichte. Der mehrjährige Prozess schafft Orientierung und gibt größere Sicherheit, wenn die Entscheidung ansteht: Welche Ausbildung ist die Richtige für mich?

Berufliche Erfahrungsbreite sichern

Hinter der qualifizierten Vierstufigkeit steht das Ziel, den Jugendlichen vielfältige Arbeitswelteinblicke zu gewähren, um das Berufswahlspektrum der Jugendlichen wirkungsvoll zu erweitern. Dafür wurden die Berufe der Betriebspartner in vier Berufsfeldgruppen gegliedert: Gewerblich-technische Berufe, Büro- und Verwaltungsberufe, Gesundheitsberufe und Berufe für Schutz- und Sicherheitsberufe. Im Schuljahr 2014/15 wird mindestens eine fünfte Gruppe hinzukommen, die die sozialen und kreativ-kulturellen Berufsfelder abdeckt.

Interkulturalität

Ein differenzsensibler, interkulturell orientierter Umgang mit den Jugendlichen im Betrieb bildet eine weitere Säule der qualifizierten Vierstufigkeit. Dieser zielt auf die Stärkung der Handlungsfähigkeit und Kompetenzentwicklung der Jugendlichen. Sie ist vor allem eine Haltung, „die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie stehen.“ Das bedeutet, der Betrieb muss sich auf junge Menschen einstellen.“ (Ausschnitt aus transkribiertem Interview C.K., geführt am 18.2.2014, veröffentlicht auf: http://www.berlin-braucht-dich.de/erfolgsgeschichten/ausbilder-innen/berliner-wasserbetriebe/)

“Peers”

Der kontinuierliche Einsatz von Auszubildenden als Paten/innen bzw. Begleiter/innen während der Betriebsbegegnung ermöglicht einen Kontakt auf gleicher Augenhöhe. Aus den Auswertungen der Betriebsbegegnungen im Rahmen von Berlin braucht dich! geht hervor, dass Bedenken, Bedürfnisse, Schwächen und Ängste gegenüber Auszubildenden offener und häufiger kommuniziert werden, wobei diese – ob mit oder ohne Migrationshintergrund –eine Vorbildrolle übernehmen, die von Lehrern/innen und berufsorientierenden Experten/innen wie Berufsberater/innen, nicht in gleicher Weise wirkungsvoll erfüllt werden kann.

5 Bessere Einbettung in die Schulische Berufsorientierung

Der Lern – und Begegnungsort Betrieb muss in die Schulische Berufsorientierung ab der 7. Klasse gut eingebettet sein: diese Überzeugung stand von Anfang an bei Berlin braucht dich! Pate. In den beteiligten Schulen erbrachten die angebotenen Berlin braucht dich! Betriebsbegegnungen allerdings nur einen – sehr begehrten – kleinen Teil dessen, was an Betriebskontakten für alle Schülerinnen und Schüler gebraucht wird. Somit wurde das, was von Berlin braucht dich! kam, oftmals in den Schulen als anspruchsvolles und z. T. für die Lehrkräfte aufwendiges Zusatzangebot erlebt.

Über diesen Stand  – so die gemeinsame Erkenntnis im Konsortium – könnte man nur hinaus gelangen, wenn man die Grundsätze, wie sie sich im Konzept der “Qualifizierten Vierstufigkeit” finden, in den beteiligten Schulen auf die gesamte dortige Berufsorientierung anwenden würde. Dies wird nun seit einem Jahr an mehreren Schulen erprobt.  

Hierfür wurden folgende Schritte und Maßnahmen von den Konsortialpartnern entwickelt und ihre Umsetzung begonnen:

Aufnahme der Vierstufigkeit im Schulcurriculum

Auf diesem Weg werden die Aufgaben der Schule und die entsprechenden Zeiten  für die Umsetzung der Betriebsbegegnungen von den Schulen für die Jahrgänge von 7 bis 10 festgeschrieben. Bereits für 7. Klässler/innen bekommt damit ein erster Kontakt mit der Arbeitswelt und das Reinschnuppern in Arbeitsprozesse eines Betriebes einen festen Bestandteil im Schulalltag.

Betriebe in die Schule: Berufsorientierende Workshops der Betriebe

Das Betriebsangebot in den Schulen wird zu bestimmten Zeitpunkten im Schuljahr angeboten, um die Übergänge ins Schnupperpraktikum, Betriebspraktikum oder Bewerbertag vorzubereiten. Vor den praktischen Erfahrungen in den Betrieben decken die Auszubildenden und weitere Betriebsvertreter  in den Schulen eine bestimmte Vorbereitung ab und klären Vorbehalte und  Fragen der Schüler/innen sowie Lehrer/innen. Die Entwicklung eines berufsorientierenden Angebots der Betriebe in den Schulen verfolgt folgende zentrale Ziele:
Es geht einmal darum, alle Schüler/innen der vier Jahrgänge zu erreichen und nicht nur ausgewählte, die Interesse für bestimmte Betriebserfahrungen bei den Lehrer/innen angemeldet haben. Zum anderen sollen die Workshops einen Überblick über berufliche  Angebote von  mindestens 4 Berufsfeldgruppen abdecken und über die Erfahrungsberichte der Azubis weitere Zugänge zur Arbeitswelt schaffen.

Abstimmung und Dialog zwischen allen Beteiligten der Berufsorientierung und dem Fachkollegium

Zur erfolgreichen Umsetzung der Vierstufigkeit sowie der  geeigneten Vor- und Nachbereitung gehört die Vernetzung, der Austausch und die Abstimmung zwischen allen Beteiligten der Berufsorientierung (BO-Lehrer/innen, Berufsberatern/innen und externen Berufsorientierungs-Trägern sowie Jahrgangsleitern/innen).

Austausch mit Betrieben: Betriebe als Kompetenzermittler der Schüler/innen
Betriebsvertreter aus dem Konsortium vermitteln oft positive Erfahrungen mit den Jugendlichen aus den Betriebsbegegnungen an die Lehrer/innen. Dies bestätigt die Ergebnisse einer Studie, dass Lehrer/innen ein eher pessimistisches Bild haben und der Meinung sind, dass ihre Schüler/innen in nahezu allen Bereichen nicht die nötigen Kompetenzen mitbringen (Rebmann et.al. 2007).

Schüler/innen als Multiplikatoren/innen in der Schule

Einige Schulen erproben seit einiger Zeit die Rolle der Schüler/innen als Multiplikatoren/innen von Betriebserfahrungen gezielt einzusetzen: Die eigenen Eindrücke, Erlebnisse  und Überlegungen zu den gemachten Erfahrungen im Betrieb werden systematisch aufgenommen und anderen Schülern/innen berichtet - sei es in der eigenen Klasse, in Parallelklassen sowie in unteren Jahrgängen.

6 Entwicklungen im Land Berlin

Die Entwicklung der Dualen Berufsausbildung in Deutschland unterliegt seit Jahren einem komplizierten Spannungsverhältnis, das sich gegenwärtig weiter zuspitzt: nämlich zwischen einem erhöhten Bedarf an Ausgebildeten zur künftigen Fachkräftesicherung, einem stagnierenden, bzw. abnehmenden Interesse von Jugendlichen an einer Berufsausbildung und fortbestehenden Zugangsbarrieren zu  ihr. Berlin steht hier aufgrund seines strukturschwachen Ausbildungsmarktes vor besonderen Herausforderungen, was u.a. den Regierenden Bürgermeister veranlasste, eine Sonderkommission Ausbildungsplatzsituation und Fachkräftebedarf einzuberufen.

Seit einigen Jahren verstärken sich nun Bemühungen um eine Neugestaltung der Übergänge von der Schule in die Arbeitswelt. Erste wichtige Anregungen hierzu lieferten 2012 die Ergebnisse des Berliner Projekts aus der Bundesinitiative „Regionales Übergangsmanagement“. Parallel hierzu wurden die schulische Berufsorientierung curricular neu geordnet und „Duales Lernen“, also die Kombination des Lernorts Schule mit anderen außerschulischen Lernorten, eingeführt.

Gegenwärtig ist das unter breiter Beteiligung entstandene Berliner Landeskonzept zur Berufs- und Studienorientierung vor seinem Erlass. Dieses sieht eine deutliche Aufwertung des Lernorts Betrieb im Rahmen der schulischen Berufsorientierung und die – optimale – Etablierung einer „Qualifizierten Vierstufigkeit“ vor. Ergänzend wurde ein Vorschlag zu einem einfachen Berichtsformat für Betriebsbegegnungen/Praktika entwickelt und erprobt, das die Kompetenz der Schüler/innen zur Berufswahlentscheidung ins Zentrum rückt. Auch hiervon wird eine höhere Aufmerksamkeit und damit Aufwertung des Lern- und Erfahrungsortes Betrieb erwartet. Ein Senatsbeschluss zur Errichtung dezentraler Jugendberufsagenturen rundet das Bild ab: hierin ordnet sich Berlin braucht dich! auch im Sinne der Platzierung des Fokus Migration als wichtige Querschnittsaufgabe ein.

In dem Maße aber, in dem der als unverzichtbar angesehene Lern- und Erfahrungsort Betrieb im Rahmen einer wirkungsvollen Berufs– (und Studien-) Orientierung in die Aufmerksamkeit rückt, wird als Herausforderung immer sichtbarer werden, dass gute Praktikumsplätze – gemessen am Bedarf – ein knappes Gut sind. Dies gilt im Übrigen auch für das Vorhaben Berlin braucht dich! im engeren Sinne. Hier müssen – insbesondere zwischen Politik und Sozialpartnern – dringend Lösungen gefunden werden.

7 Resümee und Ausblick

Für die Etablierung eines Systems der Betriebsbegegnungen im Sinne der „Qualifizierten Vierstufigkeit“ ab Klasse 7 spricht die Erfahrung, dass früh einsetzende und sich erweiternde anregende Begegnungen mit der Welt der Betriebe und Berufe geeignet sind, die Distanz zur Arbeitswelt zu verringern und Berufsausbildung als eine reale Option bei den Jugendlichen zu etablieren. Vor dem Hintergrund, dass die Übergangsprozesse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund langwieriger  und die Einmündungschancen von Ausbildungsstellenbewerberinnen geringer sind als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund  (Ulrich, J.G./Enggruber, R. 2014 sowie Granato, M. 2014) wird die Bedeutung der qualifizierten Vierstufigkeit auch als ein integrationspolitischer Ansatz deutlich.

Für Berlin braucht dich! hat sich gezeigt, dass die enge Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Schulen in Form eines Konsortiums die Chance bietet, den Schülerinnen und Schülern ein breites Spektrum von Berufstätigkeiten als Erfahrungsfeld zu eröffnen und zugleich gemeinsam und verbindlich an der Qualität der Berufsorientierung zu arbeiten. „Gute Betriebsbegegnungen“ in dem Sinne, wie es in diesem Beitrag skizziert wurde, sind aber nach wie vor ein knappes Gut, vor allem, wenn man bedenkt, dass alle Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Jahrgangsstufen sie benötigen. Hierfür müssen dringend Lösungen gefunden werden.

Einmündung in Ausbildung und Sicherung von Ausbildungserfolg bleiben allerdings der „Prüfstein“. Insofern greift die “Vierstufigkeit” noch zu kurz; sie muss durch gemeinsame Anstrengungen der Partner, gelungene Orientierungen in Ausbildungseintritte und -erfolge umzusetzen, erweitert werden.

Literatur

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Zitieren des Beitrags

Von Oswald, A./Roehrig, A. (2015): Betriebsbegegnungen in der Berufsorientierung. Das Beispiel Berlin braucht dich! In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 27, 1-15. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe27/oswald_roehrig_bwpat27.pdf (15-03-2015).