bwp@ 48 - Juni 2025

Berufliche/betriebliche Weiterbildung

Hrsg.: Karin Büchter, H.-Hugo Kremer, Ina Krause & Lars Windelband

Berufsspezialist*innen und Master Professional – Begründungslinien und strukturelle Herausforderungen für neue Fortbildungen

Beitrag von Ariane Neu
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: Berufslaufbahnkonzepte, geregelte berufliche Weiterbildung, Aufstiegsfortbildung, höhere Berufsbildung

Im Anschluss an eine berufliche Erstausbildung kann im formalen deutschen Bildungssystem eine berufliche Aufstiegsfortbildung angeschlossen werden, die die vorhandene berufliche Handlungsfähigkeit um zusätzliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten ergänzen soll. Für diese höherqualifizierende Berufsbildung wurden mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes 2020 eine dreistufige Systematik gesetzlich verankert und neue Abschlussbezeichnungen (Berufsspezialist*in, Bachelor Professional und Master Professional) ermöglicht. Da sich die Mehrzahl der bislang existierenden Aufstiegsfortbildungen der zweiten Fortbildungsstufe dieser Systematik zuordnen lassen, geht der Beitrag den Fragen nach, inwieweit Akteure der beruflichen Bildung einen Bedarf an weiteren Aufstiegsfortbildungen insbesondere für die erste und dritte Fortbildungsstufe sehen, wie sie diesen Bedarf begründen und wo ihrer Ansicht nach ggf. strukturelle Herausforderungen bei der Implementierung solcher neuen Fortbildungsordnungen liegen. Empirische Basis bilden 40 Experteninterviews mit institutionellen Akteuren der beruflichen Bildung sowie vier problemzentrierte Interviews mit Teilnehmenden.

Berufsspezialist*innen und Master Professional – Lines of justifications and structural challenges for new upgrading trainings

English Abstract

Following initial vocational education and training, the formal German education system offers the opportunity to pursue an upgrading training, which is intended to supplement existing professional competence with additional knowledge, skills and abilities. For this higher vocational education and training, a three-tier system was enshrined in law in the course of the 2020 BBiG amendment, and new degree titles (Berufsspezialist*in, Bachelor Professional und Master Professional) were permitted. Since the majority of existing upgrading training can be assigned to the second level of this system, this article examines the extent to which vocational education and training stakeholders see a need for further upgrading trainings, particularly for the first and third levels, how they justify this need, and where they believe structural challenges may lie in the implementation of such new upgrading trainings. The empirical basis is formed by 40 expert interviews with institutional stakeholders in vocational education and training and four problem-centered interviews with participants.

1 Ausgangslage – Strukturen beruflicher Aufstiegsfortbildung in Deutschland

Im Anschluss an eine berufliche Erstausbildung (bspw. eine duale Berufsausbildung) kann im formalen deutschen Bildungssystem eine berufliche Aufstiegsfortbildung angeschlossen werden, die die vorhandene berufliche Handlungsfähigkeit um zusätzliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten ergänzen und damit einen beruflichen Aufstieg respektive die Übernahme von beruflichen Aufgaben mit höherem Schwierigkeits- und Komplexitätsgrad ermöglichen soll (§1 BBiG). Für diese höherqualifizierende Berufsbildung haben die Spitzenorganisationen der Sozialpartner (DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund und KWB – Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung) im Jahr 2000 eine Systematik erarbeitet, die drei verschiedene, aufeinander aufbauende Fortbildungsniveaus umfasst. 2014 wurde diese Systematik im Rahmen einer Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) fortgeschrieben (BIBB, 2014) und im Zuge der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) 2020 schließlich gesetzlich verankert.

Laut dieser Systematik sollen Fortbildungen der ersten Niveaustufe zum selbstständigen Planen und Bearbeiten umfassender Fachaufgaben in komplexen, spezialisierten und sich verändernden Tätigkeitsfeldern mit Budget- oder Bereichsverantwortung befähigen. Sie entsprechen damit den Kompetenzanforderungen der Niveaustufe 5 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR). Fortbildungen der zweiten Stufe sollen die Teilnehmenden auf die selbstständige Übernahme von komplexen Fach- und Führungsaufgaben in einem dynamischen Handlungsfeld mit einem deutlich erweiterten Verantwortungsbereich im Vergleich zur ersten Niveaustufe wie bspw. die Betriebsverantwortung vorbereiten. Sie kommen damit den Kompetenzanforderungen der DQR-Stufe 6 gleich. Dem DQR-Niveau 7 entsprechen wiederum die Fortbildungen der dritten Niveaustufe. Sie sollen die Absolvent*innen schließlich in die Lage versetzen, in einem vernetzten, komplexen und dynamischen Handlungsfeld selbstständig und eigenverantwortlich Projekte zu planen, zu steuern und/oder ein Unternehmen strategisch und nachhaltig zu führen (BIBB, 2014).

Mit Inkrafttreten des novellierten BBiG zum 1. Januar 2020 wurde aber nicht nur diese dreistufige Fortbildungssystematik gesetzlich verankert, sondern es wurden zugleich auch neue Abschlussbezeichnungen für eben diese ermöglicht. So können seitdem Fortbildungsabschlüsse der ersten Niveaustufe die Bezeichnung „Geprüfte*r Berufsspezialist*in“ tragen, Fortbildungsabschlüsse der Niveaustufe zwei die Bezeichnung „Bachelor Professional“ und Fortbildungsabschlüsse der Niveaustufe drei die Bezeichnung „Master Professional“. Diese neuen Abschlussbezeichnungen können dabei die bislang bestehenden Bezeichnungen wie bspw. „Fachwirt*in“ oder „Geprüfte*r Betriebswirt*in“ ergänzen oder gänzlich ersetzen (§§ 53a–53d BBiG).

Die Mehrzahl der bislang existierenden beruflichen Fortbildungsordnungen gemäß BBiG oder Handwerksordnung (HwO) lassen sich der zweiten Fortbildungsstufe dieser Systematik zuordnen. Insbesondere für die erste aber auch für die dritte Fortbildungsstufe existierte bislang hingegen eine deutlich geringere Anzahl an staatlich geregelten Fortbildungsordnungen (u. a. Wilbers, 2023a, S. 5). Bildungspolitisch wird jedoch ein Ausbau an Fortbildungsangeboten vor allem für die erste, aber auch für die dritte Fortbildungsstufe angestrebt, wie sich u. a. anhand der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekte im Rahmen des Innovationswettbewerbs InnoVET zeigt (BMBF, 2024; Wilbers, 2023b).

Vor diesem Hintergrund geht der Beitrag den Fragen nach, inwieweit Akteure und Akteurinnen der beruflichen Bildung einen Bedarf an neuen Fortbildungsangeboten/-ordnungen insbesondere für die erste und dritte Fortbildungsstufe sehen, wie sie diesen Bedarf begründen und wo ihrer Ansicht nach ggf. strukturelle Herausforderungen bei der Implementierung solcher neuen Fortbildungsordnungen liegen. Der Beitrag verfolgt damit das Ziel, Begründungslinien sowie strukturelle Herausforderungen für den Ausbau von Fortbildungsangeboten/-ordnungen vor allem auf den Niveaustufen eins und drei herauszuarbeiten.

Dazu wird auf empirische Befunde aus einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt zurückgegriffen (Projektlaufzeit 03/2023 bis 12/2025). Dieses beschäftigt sich mit der übergeordneten Frage, wie Akteure und Akteurinnen der beruflichen Bildung die derzeitigen institutionellen und curricularen Strukturen der höherqualifizierenden Berufsbildung einschätzen und inwieweit sie diesbezüglich Weiterentwicklungsbedarfe sehen.

Im nachfolgenden Kapitel zwei wird das Forschungsdesign dieses Projektes genauer vorgestellt. Kapitel drei liefert Informationen zum Curriculummodell von Merkens und Strittmatter sowie zum Berufslaufbahnkonzept, die als theoretische Anknüpfungspunkte für die Analyse dienen. In Kapitel vier und fünf werden anschließend die in den geführten Interviews identifizierten Begründungslinien sowie strukturellen Herausforderungen für den Ausbau von Fortbildungen auf der Berufsspezialisten- sowie der Master-Professional-Ebene präsentiert. Kapitel sechs liefert schließlich ein Fazit.

2 Forschungsdesign

Um mit Bezug auf die leitenden Forschungsfragen das komplexe Erfahrungswissen von Akteuren und Akteurinnen der beruflichen Bildung zu rekonstruieren und deren Einschätzungen zu den institutionellen und curricularen Strukturen der höherqualifizierenden Berufsbildung herauszukristallisieren, wurden leitfadengestützte offene Experteninterviews genutzt. Diese gelten in der Bildungsforschung als bewährte Erhebungsmethode für genau solche Anwendungskontexte (u. a. Friebertshäuser & Langer, 2013, S. 438; Meuser & Nagel, 2013, S. 457). Konkret wurden seit Projektbeginn im März 2023 insgesamt elf Vertreter*innen von Unternehmen (Personalverantwortliche auf operativer und strategischer Ebene), fünf Arbeitnehmervertretungen (Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre), zwölf Vertreter*innen der zuständigen Stellen (Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern) und zwölf Vertreter*innen von in die höherqualifizierende Berufsbildung involvierten Bildungseinrichtungen im Rahmen von leitfadengestützten offenen Experteninterviews befragt (insgesamt also 40 Personen). Die Auswahl dieser Interviewpartner*innen knüpft dabei an das Verständnis von Expert*innen von Meuser und Nagel (1991) an. Demnach handelt es sich bei den zu interviewenden Expert*innen um Personen, die „selbst Teil des Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht“ (Meuser & Nagel, 1991, S. 443). Ebenso orientierte sich auch die konkrete Durchführung dieser Interviews an den Ausführungen von Meuser und Nagel (1991).

Ergänzend zu diesen Experteninterviews wurden seit Projektbeginn vier problemzentrierte Interviews mit Teilnehmenden und Absolvent*innen der höherqualifizierenden Berufsbildung geführt. Für die Durchführung dieser Interviews dienten in methodischer Hinsicht die Ausführungen von Witzel (1982; 1985; 2000) als Orientierungsrahmen, da er diese Methode entwickelt hat, um individuelle Handlungs- und Erfahrungszusammenhänge im Rahmen von Berufs- und Berufsfindungsbiographien unvoreingenommen zu analysieren (Witzel, 1982, S. 67; Witzel, 1985, S. 230).

Alle Interviews wurden digital per Videokonferenzsystem durchgeführt und unter Berücksichtigung des Datenschutzes und Einverständnisses der Teilnehmenden digital aufgezeichnet (reine Audioaufnahmen).

Die systematische Auswertung der geführten und vollständig transkribierten Interviews erfolgte mit Blick auf die leitenden Fragestellungen mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2015); wobei eine Kombination deduktiver und induktiver Verfahrensweisen zum Einsatz kam. Basierend auf der von Mayring (2015) beschriebenen Analysetechnik der inhaltlichen Strukturierung, wurden dabei zum einen anhand von zuvor aus dem bisherigen Forschungsstand respektive den theoretischen Anknüpfungspunkten (siehe nachfolgendes Kapitel drei) und den leitenden Forschungsfragen abgeleiteten Ordnungskriterien gezielt Inhalte aus dem Datenmaterial herausgefiltert. Ergänzend wurden anhand der von Mayring (2015) beschriebenen Analysetechnik der induktiven Kategorienbildung auch unvorhergesehene Themendimensionierungen sowie individuelle Deutungsmuster der Interviewten berücksichtigt. Als unterstützendes Instrument wurde die Software MAXQDA genutzt.

Die Untersuchung konzentriert sich auf Fortbildungsberufe der nach BBiG/HwO geregelten höherqualifizierenden Berufsbildung. Ferner wurden drei verschiedene Berufsgruppen gemäß Klassifikation der Berufe 2010 (überarbeitete Fassung 2020) ausgewählt, um auf diese Weise sowohl berufsgruppenspezifische Unterschiede berücksichtigen als auch berufsgruppenübergreifende Gemeinsamkeiten erarbeiten zu können. Die Auswahl der Berufsgruppen erfolgte dabei vor dem Hintergrund ihrer Spezifität. Das heißt, mit der Berufsgruppe „82 Nichtmedizinische Gesundheits-, Körperpflege- und Wellnessberufe, Medizintechnik“ wird einmal eine Berufsgruppe in den Blick genommen, deren Fortbildungsberufe (z. B. Hörakustikermeister*in, Orthopädietechnikermeister*in, Augenoptikermeister*in) mehrheitlich in einem relativ spezifischen Branchenspektrum vorzufinden sind. Hingegen handelt es sich bei den Fortbildungsberufen der Berufsgruppe „71 Berufe in Unternehmensführung und -organisation“ (bspw. Betriebswirt*in, Fremdsprachenkorrespondent*in und Personaldienstleistungsfachwirt*in) eher um Querschnittsberufe, die in prinzipiell allen Branchen angetroffen werden können und somit eine geringe Branchenspezifität aufweisen. Eine Zwischenposition nehmen in dieser Hinsicht die nach BBiG/HwO geregelten Fortbildungsberufe (z. B. Industriemeister*in [Mechatronik/Elektrotechnik], Elektrotechnikermeister*in und Prozessmanager*in [Elektrotechnik/Mikrotechnologie]) der Gruppe „26 Mechatronik-, Energie-, Elektroberufe“ ein. Das heißt, sie sind als nicht so branchenspezifisch zu betrachten wie die Berufe der Gruppe 82, sie weisen zugleich aber auch nicht eine so große Branchenunabhängigkeit auf wie die Berufe der Gruppe 71.

3 Theoretische Bezüge – Curriculummodell und Berufslaufbahnkonzept

Als theoretische Bezüge für die Erstellung der Interviewleitfäden sowie die inhaltsanalytische Auswertung dienten zum einen das Curriculummodell von Merkens und Strittmatter (1975) und zum anderen der Ansatz der Berufslaufbahnkonzepte.

Kennzeichnend für das Curriculummodell von Merkens und Strittmatter ist, dass diesem ein recht weit gefasster Curriculum-Begriff zugrunde liegt, der nicht nur die Lernziele und -inhalte, sondern auch die Lernorganisation sowie -evaluation umfasst (Merkens & Strittmatter, 1975; Elbers, 1975). Diese vier Elemente eines Curriculums beeinflussen sich laut Merkens und Strittmatter wechselseitig; sie stehen also in einem interdependenten Verhältnis zueinander. Darüber hinaus gehen die Autoren in ihrem Modell auch auf externe Variablen ein, die Einfluss auf die Ausgestaltung der curricularen Elemente haben. Hier benennen Merkens und Strittmatter (1975) insbesondere die subjektiven Bedingungen und Bedürfnisse der Individuen, die Bedürfnisse der Gesellschaft, kulturimmanente Wertsysteme sowie rechtliche und administrative Rahmenbedingungen. Auf diese Weise ermöglicht das Modell eine systematische Analyse von Bildungsformaten und deren Entstehungshintergründe.

Der Ansatz der Berufslaufbahnkonzepte lässt sich insbesondere auf Arbeiten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) zurückführen, der mit diesem Konzept Anfang der 2000er-Jahre vor allem auf den drohenden Fachkräftemangel im Bereich der beruflich qualifizierten Personen reagierte (Dobischat et al., 2016, S. 60, 67). Um diesem entgegenzuwirken sollen Berufslaufbahnkonzepte „einen systematischen Überblick zu sämtlichen Qualifizierungsoptionen in einem Beruf bzw. in mehreren verwandten Berufen“ liefern (Dobischat et al., 2016, S. 65; siehe auch Esser, 2009, S. 76–77). Gemeinsamer Kern von Berufslaufbahnkonzepten ist daher, dass sie aus einzelnen in sich geschlossenen Qualifizierungsbausteinen eines Berufs oder einer Berufsgruppe bestehen, die sich hinsichtlich des Anspruchsniveaus und des Lernumfangs unterscheiden können. Diese einzelnen Qualifizierungsbausteine können dabei sowohl auf einer horizontalen als auch auf einer vertikalen Achse zueinander angeordnet sein. Auf der vertikalen Achse sind die Qualifizierungsbausteine hinsichtlich des Anspruchsniveaus aufsteigend entlang unterschiedlicher Stufen abgebildet, die sich an den Kompetenzniveaus des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) orientieren (Dobischat et al., 2016, S. 64). Im Handwerk sehen die ursprünglichen Laufbahnmodelle hierzu die folgenden Entwicklungsstufen vor: Ausbildungsebene, Gesellenebene, Meisterebene und Meister-Plus-Ebene (Esser, 2009, S. 79). Der Zugang zu einer Niveaustufe setzt i. d. R. den Abschluss einer darunterliegenden Niveaustufe voraus. Je vertikaler Niveaustufe kann sich zusätzlich auf der horizontalen Achse eine weitere Binnendifferenzierung durch verschiedene, aber vom Anspruchsniveau her gleichwertige Qualifizierungsbausteine ergeben (Dobischat et al., 2016, S. 64). Dadurch können Berufslaufbahnkonzepte neben Führungskarrieren auch Fachkarrieren abbilden bzw. Verknüpfungen zwischen beiden offenlegen (Born, 2012).

Auf diese Weise wollen Berufslaufbahnkonzepte die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb eines Berufes/einer Berufsgruppe transparent machen und damit der weit verbreiteten Wahrnehmung, dass es sich beim beruflichen Bildungsweg um eine Sackgasse handele, entgegenwirken. Damit zielen Berufslaufbahnkonzepte vor allem auch darauf ab, die Attraktivität respektive Gleichwertigkeit beruflicher Bildung – insbesondere im Verhältnis zur hochschulischen Bildung – zu stärken (u. a. Dobischat et al., 2016, S. 62–64, 68). Die Attraktivität soll dabei für verschiedene Zielgruppen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gesteigert werden, indem Berufslaufbahnkonzepte an das jeweilige Leistungsvermögen angepasste berufliche Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen (Esser, 2009, S. 75–76; Dobischat et al., 2016, S. 67). Basierend auf einheitlichen Standards und im Sinne des Berufsprinzips wollen Berufslaufbahnkonzepte so eine Flexibilisierung und Individualisierung von beruflichen Entwicklungswegen ermöglichen (Born, 2012).

Berufslaufbahnkonzepte wollen ferner einen Beitrag dazu leisten, die Durchlässigkeit innerhalb des Bildungssystems zu erhöhen, indem sie sowohl auf der vertikalen als auch auf der horizontalen Ebene inhaltliche Verzahnungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Qualifizierungsbausteinen aufzeigen und dadurch Anrechnungsoptionen stärken wollen (Dobischat et al., 2016, S. 68). Dabei können Berufslaufbahnkonzepte im Hinblick auf die ordnungspolitische Arbeit des Weiteren dazu beitragen, Qualifizierungslücken oder -redundanzen aufzuzeigen (Dobischat et al., 2016, S. 67).

Während der ursprüngliche Ansatz des Berufslaufbahnkonzeptes des ZDH dabei auf die formalen Aus- und Weiterbildungsangebote des Berufsbildungssystems fokussierte, nahmen spätere Ansätze ergänzend auch non-formale sowie hochschulische Qualifizierungsbausteine mit auf (u. a. Rehbold & Heinsberg, 2011; Dobischat et al., 2016, S. 60). Im vorliegenden Beitrag wird jedoch auf die formalen Qualifizierungsbausteine des deutschen Berufsbildungssystems fokussiert und innerhalb dessen der Blick speziell auf die nach BBiG/HwO geregelte höherqualifizierende Berufsbildung gerichtet.

Die gesetzliche Verankerung der drei Fortbildungsstufen für diese höherqualifizierende Berufsbildung im novellierten Berufsbildungsgesetz bzw. der novellierten Handwerksordnung und den damit einhergehenden bildungspolitischen Bemühungen, diese drei Fortbildungsstufen auch entsprechend mit Leben zu füllen, folgen letztendlich den soeben geschilderten Grundgedanken von Berufslaufbahnkonzepten und den damit verbundenen Zielen (u. a. BMBF, 2024; Deutscher Bundestag, 2019).

Gegenstand der nachfolgenden Kapitel vier und fünf ist, inwieweit Akteure und Akteurinnen aus der beruflichen Bildungspraxis einen Bedarf sehen, durch den Ausbau von Fortbildungsangeboten insbesondere die erste und dritte Fortbildungsstufe zu stärken, wie sie dies ggf. begründen und wo sie evtl. strukturelle Herausforderungen für einen solchen Ausbau sehen. Die Ausführungen basieren dabei in erster Linie auf den bislang geführten und ausgewerteten (das diesem Aufsatz zugrunde liegende Projekt läuft noch bis 12/2025) Experteninterviews und weniger auf den geführten problemzentrierten Interviews mit Teilnehmenden (siehe hierzu Kapitel zwei). Letztere konnten sich zu den in diesem Aufsatz thematisierten Fragen nur geringfügig äußern, da ihnen die Berufsspezialisten- und in Teilen auch die Master-Professional-Ebene nicht bekannt waren.

4 Neue Fortbildungsberufe – Bedarf und Begründungslinien

Dem Ausbau an Fortbildungen auf der ersten und dritten Fortbildungsstufe steht die Mehrzahl der befragten Expert*innen grundsätzlich positiv gegenüber. Inwieweit auch ein entsprechender Bedarf an neuen Fortbildungsberufen für die einzelnen Fortbildungsstufen gesehen wird, gestaltet sich je nach Berufsgruppe teilweise etwas unterschiedlich und wurde in den Interviews auch mit unterschiedlichen Aspekten begründet. Anknüpfend an das in Kapitel drei vorgestellte Curriculum-Modell von Merkens und Strittmatter (1975) können diese Argumente einer gesellschaftsbezogenen, einer subjektbezogenen sowie einer wertebezogene Begründungslinie zugeordnet werden; wenngleich die Zuordnungen nicht immer trennscharf sind, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden.

Gesellschaftsbezogene Begründungslinie

Im Hinblick auf die gesellschaftsbezogene Begründungslinie respektive die Bedarfe der Gesellschaft lässt sich in den geführten Interviews vor allem der wirtschaftliche Fachkräftebedarf als Begründungslinie identifizieren. So wurde insbesondere im Bereich der Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe, aber in Teilen auch im Bereich der Berufsgruppe der Unternehmensführung und -organisation auf einen wachsenden Bedarf an höher qualifizierten Fachkräften für spezialisierte Tätigkeitsprofile hingewiesen, der u. a. in der digitalen sowie sozial-ökologischen Transformation begründet liegt. So schilderte bspw. ein*e interviewte*r Unternehmensvertreter*in:

„Ja, da, also diese Spezialisierung ist tatsächlich ein sehr guter Punkt. Wenn man allein sieht, wie viele verschiedene Berufsfelder sich in jedem Bereich neu gegründet haben, weil da halt überall Spezialisierungen stattgefunden haben, ist das genau das Thema. […] gerade durch digitale Medien und Portalbedienung usw., völlig neue Berufsfelder oder Untergruppen […] und dadurch steigt tatsächlich die Komplexität […].“ (EI-U26, Abs. 9)

Dieser Fachkräftebedarf lässt sich nach Auskunft der Unternehmensvertreter*innen durch die bislang bestehenden Aufstiegsfortbildungen nicht in ausreichendem Maße abdecken, da diese zum einen vor allem auf das Kompetenzniveau der zweiten Fortbildungsstufe (Bachelor Professional/DQR-Stufe 6) ausgerichtet seien und zum anderen vorrangig auf Führungslaufbahnen bzw. auf das Führen eines eigenen Unternehmens. So wurde in einem Interview mit einem/einer Unternehmensvertreter*in bspw. geschildert:

„Also wir merken das im Unternehmen schon sehr stark, dass der Fokus […] immer noch sehr stark auf Führung liegt. Und das ist gar nicht unbedingt das, was wir immer auch befürworten würden. […] Führung als Tätigkeitsbereich hat sich einfach auch so stark gewandelt, dass es künftig unbedingt nicht mehr sein sollte, dass die besten Fachexperten die Führungsrollen bekommen, sondern wir brauchen die Fachexperten ja in ihrer Expertenfunktion und eine gute Führungskraft, die einfach andere Qualifikationen und Fähigkeiten mitbringt.“ (EI-U16, Abs. 10) Daher sollte „man da wirklich auch spezialisierter drangehen.“ (EI-U16, Abs. 15)

Entsprechend wird insbesondere ein Bedarf an neuen beruflichen Aufstiegsfortbildungen für die erste (Berufsspezialist*in/DQR-Stufe 5) und dritte Fortbildungsstufe (Master Professional/DQR-Stufen 7) gesehen, die auf die Ausbildung von Fachexpertise ausgerichtet sein sollten und bspw. Absolvent*innen auf der DQR-Stufe 7 dazu befähigen, technisch komplexe Prozesse planen und betreuen zu können; wobei der Bedarf an Fachkräften auf der Berufsspezialisten-Ebene deutlich größer und relevanter sei als auf der Master-Professional-Ebene.

Subjektbezogene Begründungslinie

Mit Blick auf die subjektiven Bedingungen und Bedürfnisse der Individuen wurde von den befragten Expert*innen angeführt, dass sich durch den Ausbau an Fortbildungen auf der ersten Niveaustufe die Chance böte, insbesondere auch Leistungsschwächeren sowie Personen, die formale Lernsettings aufgrund langjähriger Berufstätigkeit nicht mehr gewöhnt seien, den Zugang zur höherqualifizierenden Berufsbildung zu erleichtern. So berichteten einzelne Unternehmensvertreter*innen, dass ihnen Mitarbeiter*innen bekannt seien, die sich eine Fortbildung auf der Bachelor-Professional-Ebene selbst nicht zutrauen würden, obwohl Vorgesetzte durchaus das Potenzial dazu sehen würden. Da eine Fortbildung der ersten Niveaustufe hinsichtlich des inhaltlichen Anspruchsniveaus sowie des Lernumfangs nicht so herausfordernd sei wie eine Fortbildung der zweiten Stufe, könne dies die Hemmschwelle senken und über Anrechnungsmöglichkeiten auch den Zugang zu einer Fortbildung der zweiten Niveaustufe erleichtern. So schilderte ein*e Experte/-in: „Als Vorstufe, klar, weil dann komme ich viel besser in das System rein. Dann werde ich da abgeholt, bei den Dingen, die ich fachlich auch mache.“ (EI-ANV19, Abs. 38) Ähnliches gilt für Personen, die aus persönlichen Gründen sich nicht zusätzlich mit einer umfangreicheren und anspruchsvolleren Fortbildung der zweiten Stufe belasten wollen, bspw. weil sie neben dem Beruf auch Care-Arbeit zu leisten haben. Auch für diese Personen werden Fortbildungen auf der Berufsspezialisten-Ebene als attraktiv eingeschätzt.

Aber nicht nur für diese Personengruppen kann der Ausbau an Fortbildungen auf der ersten Niveaustufe nach Ansichten einzelner Expert*innen Chancen bieten, sondern auch für Leistungsstärkere. So wurde von mehreren befragten Expert*innen berichtet, dass gerade bei Leistungsstärkeren die Absolvierung einer beruflichen Aufstiegsfortbildung zunehmend früher im Lebenslauf erfolge bzw. unmittelbar nach Ausbildungsabschluss. Da die bisherigen Aufstiegsfortbildungen vorrangig auf der zweiten Stufe angesiedelt sind, verfügen diese Personen dadurch bereits mit Anfang zwanzig über einen Abschluss der DQR-Stufe 6 ohne ggf. auch schon von der Persönlichkeit her entsprechende berufliche Tätigkeitsbereiche übernehmen zu können; zumal die bisherigen Aufstiegsfortbildungen der DQR-Stufe 6 vorrangig auf Führungsfunktionen ausgerichtet seien. So schilderte eine befragte Arbeitnehmervertretung:

„Jetzt sitzt einer vor Ihnen, der ist 20 Jahre alt und hat einen Meisterbrief. Überlegen Sie mal, der soll dann Menschen führen zwischen 30 und 60, die teilweise dreimal so alt sind […]. So, teilweise vier, fünf verschiedene Sprachen. Der muss ja Führung zeigen. Der muss mit den Leuten arbeiten können. Der muss die motivieren können. […] Verstehen Sie. Und das ist unser großes Problem.“ (EI-ANV19, Abs. 6)

Durch neue attraktive Fortbildungen auf der DQR-Stufe 5 kann nach Ansichten einiger Befragter auch diesen Fortbildungskandidat*innen unmittelbar nach Ausbildungsabschluss ein Fortbildungsangebot eröffnet werden, welches zum einen der Leistungsbereitschaft und zum anderen evtl. eher der persönlichen Entwicklung entspricht. Dies habe dann auch den „psychologischen Vorteil für die einzelnen Personen, dass man da sagen könnte, man ermöglicht ihnen etwas und die haben das Gefühl oder bekommen auch etwas, was deren Berufsentwicklung oder Karriereentwicklung entspricht. […] Ja, dann ist es nicht mehr dieses Gefühl, sag ich mal, höher, weiter, schneller. Dann ist aber wirklich, diese Zwischenschritte, dass da wirklich mal klare Zwischenschritte gegeben werden.“ (EI-U17, Abs. 54)

Zugleich sehen einige Befragte in einem Ausbau an Fortbildungen auf der Berufsspezialisten-Ebene aber auch neue Möglichkeiten der Verzahnung von Aus- und Fortbildung, so dass sich dadurch auch schon im Bereich der beruflichen Erstausbildung neue Optionen ergeben, diese an die subjektiven Bedingungen und Bedürfnisse der Lernenden anzupassen und damit attraktiver zu gestalten. Dies könne bspw. insbesondere für Studienabbrecher*innen in einer dualen Berufsausbildung interessant sein, die aufgrund des ggf. bereits fortgeschrittenen Alters von ihrer Persönlichkeitsentwicklung her evtl. auch schon weiter vorangeschritten sind.

Ergänzend spielt gerade für diese Leistungsstärkeren nach Auskunft einiger Befragter aber auch der Ausbau an Fortbildungen auf der dritten Fortbildungsstufe eine relevante Rolle, um diesen nach Erreichen der Bachelor-Professional-Ebene auch über den beruflichen Bildungsweg attraktive Weiterentwicklungsmöglichkeiten bieten zu können und sie nicht an das Hochschulsystem zu verlieren. Dieser Punkt hängt damit eng mit der nachfolgenden wertebezogenen Begründungslinie zusammen.

Wertebezogene Begründungslinie

So wurde insbesondere von Befragten der zuständigen Stellen sowie der Bildungseinrichtungen die Stärkung der Gleichwertigkeit von beruflicher im Verhältnis zur hochschulischen Bildung als eine weitere Begründungslinie benannt. Nach wie vor habe die berufliche Bildung damit zu kämpfen, dass die hochschulische Bildung in der Gesellschaft im Allgemeinen als höherwertiger angesehen werde als die berufliche Bildung und gerade von Leistungsstärkeren entsprechend häufiger gewählt werde. Aber auch ein*e Unternehmensvertreter*in äußerte:

„Und das ist auch das, was mich generell in unserem Bildungssystem ärgert. Uns wurde in der Schule schon immer gesagt: ‚Wenn du nicht studiert hast, dann wird ja aus dir nichts.‘ Also musst du auf jeden Fall Abitur haben und auf jeden Fall studieren. Sonst, ja, hast du eigentlich schon nicht den richtigen Schritt ins Berufsleben gefunden.“ (EI-U26, Abs. 1)

Elementar sei daher, dass auch die berufliche Bildung analog zur hochschulischen Bildung transparente Entwicklungsmöglichkeiten bis hin zu DQR-Stufe 7 biete (vereinzelt wurde auch die DQR-Stufe 8 angesprochen) bzw. „gleichwertige Abschlüsse über den beruflichen Bildungsweg bestehen“ (EI-ZS5, Abs. 73). Diese Begründungslinie rekurriert somit insbesondere auf den Ausbau der dritten Fortbildungsstufe. Diese sei nach Auskunft der Befragten nicht in erster Linie deshalb auszubauen, weil es eine entsprechende Nachfrage seitens der Individuen/Lernenden oder einen entsprechenden Qualifikationsbedarf in der Wirtschaft gäbe, der nicht auf andere Weise zu decken sei. Stattdessen sei es vielmehr die Stärkung des gesellschaftlichen Ansehens der Berufsbildung in ihrer Gesamtheit, die durch diese Entwicklungsoptionen bis in die höchsten DQR-Stufen an Attraktivität gewinne. Indirekt spielt dabei aber gleichwohl auch ein realer Fachkräftebedarf eine Rolle, denn mit einer solchen allgemeinen Attraktivitätssteigerung der Berufsbildung wird laut den Befragten die Hoffnung verbunden, dass sich wieder mehr junge Menschen für eine duale Berufsausbildung entscheiden und somit der vorhandene Fachkräftebedarf auf dieser Qualifikationsstufe wieder besser gedeckt werden kann; denn auf dieser Qualifikationsstufe der dual Ausgebildeten gibt es aktuell den größten Fachkräftebedarf.

Auch die neuen Abschlussbezeichnungen Bachelor Professional und Master Professional wurden in diesem Zusammenhang als wichtig benannt, um die Gleichwertigkeit von beruflicher und hochschulischer Bildung nach außen hin sichtbar zu machen.

5 Strukturelle Herausforderungen für die Implementierung neuer Fortbildungen

Die Sichtbarkeit respektive der Bekanntheitsgrad des beruflichen Fortbildungssystems scheint entsprechend auch eine recht grundlegende strukturelle Herausforderung für die Etablierung neuer Fortbildungen auf der Berufsspezialisten- und Master-Professional-Ebene zu sein. Sowohl im Rahmen der Akquise von Interviewpartner*innen für das diesem Aufsatz zugrundeliegende Forschungsprojekt als auch im Zuge der geführten Interviews wurde deutlich, dass es zahlreiche Unternehmen gibt, denen das System der beruflichen Aufstiegsfortbildung in Deutschland nicht in Gänze bekannt ist. Gleiches gilt für potenzielle Teilnehmende (siehe hierzu auch Born & Pollmer, 2016; Schneider et al., 2017; Mottweiler, 2018). So schilderte bspw. ein*e Vertreter*in einer zuständigen Stelle:

„Das ist auch gar nicht bekannt, dass es so was überhaupt gibt, also bei einer breiten Bevölkerungsschicht. Das merken wir eben auch, wenn wir jetzt hier in der Berufsorientierung so manches Elterngespräch oder bei Elternabenden sind. Dann sind die Gesichter immer ganz mit vielen Fragezeichen versehen, wenn wir dann vom beruflichen Bildungsweg und von Fachwirten und Meistern erzählen. Und von daher ist das leider viel zu wenig bekannt. Und das ist eben auch, eben den Schulabgängern, die dann sich dann entscheiden, gehen sie dann den akademischen oder vielleicht den beruflichen Weg, überhaupt nicht bekannt.“ (EI-ZS5, Abs. 69)

Der Ausbau an beruflichen Aufstiegsfortbildungen steht also erst einmal vor der Herausforderung, die Angebote in der Breite bekannt zu machen. Diesbezüglich sehen mehrere Befragte der zuständigen Stellen sowie der Bildungseinrichtungen noch einen deutlichen „Marketingrückstand“ (EI-ZS5, Abs. 42). Einzelne Unternehmensvertreter*innen äußerten zudem den Wunsch nach einer externen Beratung für sie als Unternehmen hinsichtlich der Möglichkeiten beruflicher Aufstiegsfortbildungen. Ein*e andere*r Unternehmensvertreter*in regte an, nicht nur in den allgemeinbildenden, sondern auch in den berufsbildenden Schulen das Thema Berufsorientierung zu stärken und im Rahmen dessen das System der höherqualifizierenden Berufsbildung bekannter zu machen.

Neben einem höheren Bekanntheitsgrad bedarf es nach Ansichten einzelner Befragter aber auch einer entsprechenden Berücksichtigung der verschiedenen Stufen und Ausrichtungen der höherqualifizierenden Berufsbildung in der betrieblichen Personalplanung bzw. -entwicklung, da die mit einem Bildungsweg verbundenen Karriereaussichten die Bildungsentscheidungen der Individuen maßgeblich beeinflussen (siehe hierzu auch Flake et al., 2017).

All dies benötigt eine gewisse Zeit, in der insbesondere die anbietenden Bildungseinrichtungen zunächst einmal in Vorleistung gehen, indem sie entsprechende Prüfungsvorbereitungskurse vorhalten, ohne ggf. bereits über eine wirtschaftlich ausreichende Nachfrage zu verfügen. Hierbei ist als Hintergrundinformation zu berücksichtigen, dass es im Bereich der höherqualifizierenden Berufsbildung anders als bspw. in der Hochschulbildung oder auch bei den berufsbildenden Schulen keine staatliche Finanzierung der Anbieter dieser Prüfungsvorbereitungskurse gibt. Stattdessen erfolgt die Finanzierung in diesem Bereich über Teilnehmendengebühren (für die Teilnehmende bspw. im Rahmen des Aufstiegs-BAföG staatliche Förderung in Anspruch nehmen können) auf einem für Anbieter offenen Bildungsmarkt. Zwar ist der Besuch eines Prüfungsvorbereitungskurses in der höherqualifizierenden Berufsbildung für Teilnehmende nicht verpflichtend, um zu einer Fortbildungsprüfung gem. BBiG/HwO zugelassen zu werden, doch die Mehrzahl der Fortbildungsprüfungskandidat*innen nimmt im Vorfeld an einem entsprechenden Vorbereitungskurs teil (siehe auch DIHK, 2023).

Inwieweit die Bildungseinrichtungen allerdings tatsächlich entsprechende Angebote vorhalten und bei einer eventuell steigenden Nachfrage ggf. auch ausbauen können, hängt laut den geführten Interviews im Wesentlichen auch von der Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl an fachlich und didaktisch-methodisch kompetenten Dozierenden ab. Nach Auskunft der befragten Bildungseinrichtungen verfügen die im Rahmen der Prüfungsvorbereitungskurse eingesetzten Dozent*innen i. d. R. mindestens selbst über einen fachlich passenden höherqualifizierenden Fortbildungsabschluss, teilweise auch über hochschulische Bildungsabschlüsse. In Zeiten des Fachkräftemangels gestaltet sich die Gewinnung solcher Dozierenden jedoch zunehmend schwieriger. So wurde von mehreren Bildungseinrichtungen berichtet, dass es zunehmend Probleme gibt, fachlich und didaktisch-methodisch kompetente Dozierende in ausreichender Anzahl akquirieren zu können; vor allem Dozierende, die selbst aus der betrieblichen Praxis kommen und über ein ausreichendes Maß an Berufserfahrung verfügen. Letzteres wird von der Mehrzahl der befragten Expert*innen als ein wichtiges Qualitätskriterium der Prüfungsvorbereitungskurse gesehen. Aber auch der didaktisch-methodischen Kompetenz der Dozierenden wird große Bedeutung beigemessen.

Dieser Mangel an entsprechend kompetenten Dozierenden führt bereits jetzt dazu, dass einige Bildungseinrichtungen die Nachfrage nach Prüfungsvorbereitungskursen im Bereich der höherqualifizierenden Berufsbildung nicht vollständig decken können. So schildert ein*e Vertreter*in einer Bildungseinrichtung:

„Wir können leider dem Bedarf nicht gerecht werden. Das halte ich auch im Moment für eine unserer größten Risiken und Herausforderungen. […] Weil wir das Problem haben, dass wir nicht genug Dozierende finden, die einfach der Nachfrage gerecht werden.“ (EI-BE23, Abs. 2)

Der Mangel an Dozierenden wird dabei auf unterschiedliche Aspekte zurückgeführt. Zum einen auf den allgemeinen Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt und zum anderen auf die geringe Attraktivität einer solche Dozententätigkeit. So sei bspw. „die Vergütungsstruktur nicht attraktiv genug.“ (EI-BE23, Abs. 8) Wobei beide Aspekte in gewisser Weise miteinander zusammenhängen, denn aufgrund des Fachkräftemangels bieten sich potenziellen Dozierenden häufig attraktivere respektive besser bezahlte Beschäftigungsalternativen. Hier steckt die höherqualifizierende Berufsbildung quasi in einem Dilemma, denn gerade in den Berufen mit einem besonders stark ausgeprägten Fachkräftemangel gibt es auch eine besonders große Nachfrage nach Aufstiegsfortbildungen, die aber aufgrund des Mangels an Dozierenden, der wiederum mit dem Fachkräftemangel in der Wirtschaft zusammenhängt, nicht gedeckt werden kann.

Ähnliches wie für die Dozierenden gilt auch für die Prüfer*innen, die für die Durchführung der Fortbildungsprüfungen unerlässlich sind. Auch hier wurde von mehreren Befragten von einem großen Mangel an fachlich und pädagogisch geeigneten Personen berichtet. Gemäß BBiG bzw. HwO sind für die Durchführung der Fortbildungsprüfungen im Rahmen der geregelten höherqualifizierenden Berufsbildung die Kammern (i. d. R. die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern) zuständig. Diese haben Prüfungsausschüsse einzurichten, die aus mindestens drei für das jeweilige Prüfungsgebiet sachkundigen Mitgliedern bestehen und sich in gleicher Zahl sowohl aus Beauftragen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer sowie (außer bei zulassungspflichtigen Handwerken) mindestens einer Lehrkraft einer berufsbildenden Schule zusammensetzen. Diese Mitglieder üben diese Funktion ehrenamtlich aus (§§ 56, 40 und 46 BBiG bzw. §§ 42h, 34 und 37a HwO). Für diese ehrenamtliche Tätigkeit nehmen die Befragten eine sinkende Bereitschaft bei entsprechend qualifizierten Fachkräften wahr. Dies wird u. a. auch darauf zurückgeführt, dass Arbeitgeber (u. a. aufgrund des allgemeinen Fachkräftemangels) immer seltener Mitarbeiter*innen für eine ehrenamtliche Prüfertätigkeit von der Arbeit freistellen und diese daher dann dafür ggf. Freizeit investieren müssen. Dies habe u. a. zu Folge, dass viele Prüfungsausschüsse vor allem durch ältere Personen geprägt seien, die Zeit haben oder sich nehmen können, um sich in einem Prüfungsausschuss zu engagieren. Nach Einschätzungen zahlreicher Befragter seien diese älteren Prüfer*innen allerdings häufig nicht mehr auf dem neuesten Stand der fachlichen Expertise. So schilderte ein*e Vertreter*in einer Bildungseinrichtung:

„Teilweise sind die Prüfer viel zu alt. Also wenn ich mir so vorstelle, ein Großteil der Prüfer ist im Rentenalter und wenn da ein 70-Jähriger einen Anfang 20-Jährigen oder Mitte 20-Jährigen was fragt, der macht dem Prüfer doch was vor, ganz ehrlich. Also das ist, also nicht in jedem Fall, aber kann ihm was vormachen, gerade wenn es um den Einsatz von digitalen Instrumenten, KI oder sonst irgendwas geht. Da werden dann Fragen gestellt, also das ist schwierig.“ (EI-BE25, Abs. 26)

Dies dürfte insbesondere für die Etablierung neuer Aufstiegsfortbildungen auf der ersten und dritten Fortbildungsstufe eine strukturelle Herausforderung darstellen, für die diese engagierten älteren Personen aufgrund der fehlenden fachlichen Expertise in diesen neuen Berufen vermutlich nur in begrenztem Maße als Prüfer*innen eine Option darstellen dürften.

Vor diesem Hintergrund des allgemeinen Mangels an geeigneten Prüfer*innen, wurde von einzelnen Befragten daher der Bedarf geäußert, das Prüfungswesen in der höherqualifizierenden Berufsbildung zu professionalisieren.

Eine weitere Herausforderung betrifft das Zusammenspiel zwischen dem ordnungspolitischen Rahmen beruflicher Aufstiegsfortbildungen und den Anforderungen der Arbeitswelt. So wird der ordnungspolitische Rahmen im Bereich der höherqualifizierenden Berufsbildung von mehreren Befragten als zu starr angesehen, um mit der hohen Dynamik der Arbeitswelt mithalten zu können.

„Einen ganz großen Schmerzpunkt habe ich mit dem Thema Geschwindigkeit. Also eine neue Verordnung aufzusetzen oder bestehende Verordnungen zu ändern, das dauert Jahre und das ist nicht zeitgemäß. […] Und das ist, ist ein Systemproblem aus meiner Sicht, weil einfach diese, so eine Rechtsverordnung zu erstellen, bis sich da die Sozialpartner geeinigt haben und das dann durch ist, das dauert, aus meiner Sicht, viel zu lange und da sind wir viel zu träge.“ (EI-BE25, Abs. 56)

Dies könnte insbesondere für die Etablierung neuer Fortbildungsangebote auf der Berufsspezialisten- und Master-Professional-Ebene, die weniger generalistisch, sondern eher spezialisierend ausgerichtet sind, Hemmschwellen mit sich bringen.

Dabei ist als Hintergrundinformation zu berücksichtigen, dass es in der höherqualifizierenden Berufsbildung neben den bundesweit einheitlich geregelten Fortbildungsordnungen auch so genannte Kammerregelungen bzw. Fortbildungsprüfungsregelungen der zuständigen Stellen/Kammern gibt. Bundesweit gültige Fortbildungsordnungen werden i. d. R. vom BIBB unter Beteiligung der Sozialpartner erarbeitet und vom zuständigen Bundesministerium als Rechtsverordnung erlassen (BIBB, 2023). Fortbildungsprüfungsregelungen der zuständigen Stellen werden hingegen als Rechtsvorschrift durch den Berufsbildungsausschuss (bestehend aus Vertreter*innen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie der Lehrkräfte der berufsbildenden Schulen) der jeweiligen Kammer bzw. bei Handwerkskammern durch die Vollversammlung (bestehend aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen) beschlossen und von der Kammer erlassen (HA des BIBB, 1979). Letztere haben keine bundesweite Gültigkeit, stattdessen beschränkt sich ihr Geltungsbereich auf den jeweiligen Bezirk der Kammer, die die Fortbildungsprüfungsregelung erlassen hat. Kammerregelungen können dadurch stärker ökonomische Besonderheiten der jeweiligen Region berücksichtigen; sie können aber andererseits auch zu mehr Intransparenz führen (Letzner & Tillmann, 1998, S. 3–4). Demgegenüber können Bundesregelungen eine größere Vergleichbarkeit der Inhalte und des Niveaus sicherstellen (Bundesausschuss für Berufsbildung, 1976, S. 1).

Um mit der Dynamik der Arbeitswelt besser mithalten zu können sehen einige Befragte die Notwendigkeit, diesen ordnungspolitischen Rahmen respektive die Ordnungsarbeit mit mehr personellen und finanziellen Ressourcen auszustatten. Ein*e andere*r Befragte*r regte hingegen eine gänzliche Reform des ordnungspolitischen Rahmens an und verwies in diesem Zusammenhang auf die Systemakkreditierungen im Hochschulsystem. Inwieweit dies allerdings tatsächlich zu mehr Aktualität in der höherqualifizierenden Berufsbildung führt, ist nach Ansichten der Autorin eine noch offene Frage. So können Bildungsanbieter auch heute schon die Lerninhalte ihrer Prüfungsvorbereitungskurse frei gestalten. Zwar existieren für die Mehrzahl der nach BBiG/HwO geregelten Aufstiegsfortbildungen Rahmenpläne bspw. der DIHK, des ZVEH oder der ZWH, diese sind für Anbieter von Prüfungsvorbereitungskursen jedoch nicht verpflichtend. Entsprechend äußerte die Mehrzahl der befragten Bildungseinrichtungen auch, dass sie die in den Rahmenplänen vorgesehenen Lerninhalte u. a. um Inhalte zu aktuellen Entwicklungen bzw. neuen Technologien und Innovationen etc. ergänzen, die sie für die berufliche Praxis für sehr relevant halten, zugleich aber durch die Rahmenpläne nicht ausreichend abgedeckt sehen. Die Bildungseinrichtungen verfügen somit bereits heute über entsprechende Gestaltungsspielräume. Vielmehr scheinen es daher die Prüfungen zu sein, denen es an Aktualität mangelt (u. a. aufgrund des bereits angesprochenen Mangels an kompetenten Prüfer*innen). Daran würde allerdings auch eine Systemakkreditierung von Bildungseinrichtungen nicht zwingend etwas ändern.

Insbesondere mit Blick auf den Ausbau von Aufstiegsfortbildungen auf der ersten Fortbildungsstufe äußerte ein*e Vertreter*in einer Bildungseinrichtung als weitere Hemmschwelle die Vermutung, dass diese Berufsspezialisten-Qualifikation bei potenziellen Teilnehmenden ggf. auf wenig Interesse stoßen könnte, da der Zugang zum Bachelor Professional i. d. R. auch ohne diese Vorstufe möglich ist und die Teilnehmenden lieber schnell den höheren Bildungsabschluss erlangen wollen. Zwar sieht das Berufsbildungsgesetz vor, dass jede Aufstiegsfortbildung der ersten Fortbildungsstufe auf eine Fortbildung der zweiten Stufe hinführen soll (§ 53a BBiG), dennoch stellt sich hier die Herausforderung, transparente Anerkennungs- und Anrechnungsverfahren zu schaffen (siehe hierzu auch Kuhlee et al., 2023, S. 88). Dies könnte dazu beitragen, dass die Absolvierung einer Berufsspezialisten-Qualifikation nicht als unnötiger Zeitverlust betrachtet wird.

Gleichwohl bleibt für die Berufsspezialisten-Ebene die Herausforderung, sich auf dem Bildungsmarkt erst einmal gegenüber den etablierten Fortbildungen der zweiten Fortbildungsstufe (insbesondere den Meistertitel im Handwerk) durchsetzen zu müssen. Hier nehmen einige Befragte eine gewisse Konkurrenzsituation zwischen diesen beiden Fortbildungsstufen wahr.

Darüber hinaus berichteten mehrere Befragte vor allem aus dem Bereich der kaufmännischen Fortbildungsberufe von der Wahrnehmung, dass bei jungen Erwachsenen vorrangig die generalistisch ausgerichteten Fortbildungen bspw. zum*zur Wirtschaftsfachwirt*in gefragt seien und weniger die spezialisierenden Fortbildungen bspw. zum*zur Personalkaufmann/-frau. So äußerte ein*e Experte/-in:

„Aber der Trend ist schon, aus meiner Sicht oder eigentlich auch zu meinem Leidwesen, geht schon dahin, dass die Leute eher diese großen Kisten wollen, also Wirtschaftsfachwirt, Industriemeister Metall und weniger auf diese spezialisierten Sachen gehen.“ (EI-BE25, Abs. 8)

Entsprechend birgt auch dies eine strukturelle Herausforderung insbesondere für Fortbildungen auf der Berufsspezialisten-Ebene. Gerade auf dieser ersten Fortbildungsstufe stehen potenzielle Teilnehmende noch am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn und können oder wollen sich zu diesem Zeitpunkt ggf. noch nicht auf einen spezifischen Tätigkeitsbereich festlegen, sondern sich stattdessen noch verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten offenhalten. Auch wenn die Absolvierung einer Berufsspezialisten-Qualifikation gleichfalls solche Weiterentwicklungsmöglichkeiten offenlässt, könnte die Wahrnehmung (u. a. aufgrund der Bezeichnung Berufsspezialist*in) bei potenziellen Teilnehmenden eine andere sein. Für die Master-Professional-Ebene könnte sich dies schon wieder anders gestalten, da potenzielle Teilnehmende zu diesem Zeitpunkt in ihrer beruflichen Laufbahn bereits weiter vorangeschritten sind und dadurch ggf. bereits eine klarere Vorstellung von ihren persönlichen beruflichen Zielen haben.

Auch auf Seiten der Unternehmen lassen sich trotz grundsätzlichem Interesse an der Berufsspezialisten-Ebene ebenfalls Entwicklungen beobachten, die die erfolgreiche Etablierung neuer Aufstiegsfortbildungen auf dieser Fortbildungsstufe hemmen könnten. So berichtete bspw. ein*e Vertreter*in einer Bildungseinrichtung, dass gerade größere Unternehmen verstärkt auf betriebsinterne respektive -spezifische Qualifizierungsmaßnahmen setzen:

„Das eine ist, wir nehmen wahr, dass die Industrie das in die eigenen Hände nimmt. Das ist tatsächlich unsere größte oder eine unserer größten Konkurrenten geworden in den letzten Jahren, dass viele größere Unternehmen sich eigene Akademien leisten und sehr bedarfsgerecht schulen. […]. Das ist natürlich was wir per se als Herausforderung empfinden und empfinden müssen. Die stellen aber eben damit uns auch als Bildungsträger und -anbieter zunehmend in Frage, weil wir, ähm, nicht in dem Umfang spezialisieren können, wie der Wunsch ist, weil Spezialisierung heißt häufig, zumindest die Beispiele, an die ich jetzt gerade denke, wirklich nicht branchenspezifisch, sondern markenspezifisch.“ (EI-BE23, Abs. 55)

Inwieweit also der von Unternehmensvertreter*innen geäußerte Bedarf an Fachkräften für spezialisierte Tätigkeitsbereiche und dem damit verbundenen Interesse an der Berufsspezialisten-Qualifikation tatsächlich bedeutet, dass diese Fortbildungen auch auf eine entsprechende Nachfrage stoßen, bleibt somit abzuwarten.

Bezüglich der dritten Fortbildungsstufe (Master Professional) wird eine weitere Hemmschwelle für die Expansion entsprechender Aufstiegsfortbildungen darin gesehen, dass diese Qualifikationsstufe insbesondere bei Großunternehmen bislang vorwiegend von Hochschulabsolvent*innen besetzt wird. Neue Angebote auf dieser dritten Fortbildungsstufe stehen somit vor der Herausforderung, sich in Konkurrenz mit hochschulischen Bildungsangeboten zu befinden, die gerade in den Großunternehmen zudem deutlich bekannter sind. Hinzu kommt, dass in klein- und mittelständischen Unternehmen aufgrund flacherer Hierarchien grundsätzlich ein geringerer Bedarf an entsprechend hochqualifizierten Personen besteht.

Eine weitere strukturelle Herausforderung findet sich in den Interviews mit Expert*innen aus dem Bereich der nichtmedizinischen Gesundheitsberufe. So äußerte ein*e Interviewpartner*in aus diesem Fachbereich die Sorgen, dass durch den Ausbau an Aufstiegsfortbildungen der ersten und dritten Fortbildungsstufe (Berufsspezialist*innen und Master Professional) eine Art künstlich erzeugter Fachkräftemangel entstehen könne. Begründet wurde dies damit, dass ein solcher Ausbau ggf. zur Folge haben könne, dass durch den Gesetzgeber/die Krankenkassen ein Master Professional für bestimmte Tätigkeiten vorausgesetzt wird, die heute noch ein Bachelor Professional durchführen darf.

6 Reflexion und Fazit

Die in diesem Beitrag präsentierten Befunde aus den bisher geführten und ausgewerteten Interviews zeigen, dass sich sowohl berufsgruppenübergreifende zugleich aber auch berufsgruppenspezifische Begründungslinien sowie strukturelle Herausforderungen für die Implementierung neuer Fortbildungen auf den Niveaustufen eins und drei identifizieren lassen. Die aufgeführten Begründungslinien und strukturellen Herausforderungen weisen dabei die Limitation auf, dass sie sich auf die geführten Interviews in den genannten drei Berufsgruppen beziehen. Die systematische Betrachtungsweise kann dennoch helfen, die Entstehungshintergründe sowie mögliche Hemmschwellen für neue Fortbildungen besser zu verstehen, auch wenn sie sich in anderen Berufsgruppen jeweils anders zeigen.

Im Hinblick auf die gesellschaftsbezogene Begründungslinie konnte in den geführten Interviews insbesondere ein gestiegener Fachkräftebedarf für spezialisierte Tätigkeitsprofile auf höheren Qualifikationsniveaus identifiziert werden. Dieser wurde vor allem in der Berufsgruppe der Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe geäußert; hingegen seltener bei den nichtmedizinischen Gesundheitsberufen. Dies kann zum einen mit der bereits erwähnten Sorge vor einem künstlich erzeugten Fachkräftemangel in den nichtmedizinischen Gesundheitsberufen zusammenhängen; zum anderen aber ggf. auch damit, dass es sich bei den nichtmedizinischen Gesundheitsberufen um eine Berufsgruppe handelt, die bereits in einem recht spezifischen Branchenspektrum vorzufinden sind (vgl. auch die Ausführungen in Kapitel zwei) und daher ein geringerer Bedarf an weiterer Spezialisierung besteht. Allerdings scheint auch für die branchenübergreifend anzutreffenden Berufe im Bereich der Unternehmensführung und -organisation diese Begründungslinie des Fachkräftebedarfs für spezialisierte Tätigkeitsprofile auf höheren Qualifikationsniveaus nicht so ausgeprägt zu sein wie bei den Mechatronik-, Energie- und Elektroberufen. Gegebenenfalls spielt hierbei aber auch die Betriebsgröße eine Rolle, da für die Berufe im Bereich der Unternehmensführung und -organisation ein entsprechender Fachkräftebedarf vor allem von mittelgroßen Unternehmen (zwischen 50 und 249 Beschäftigte) geäußert wurde und weniger von Großunternehmen (mehr als 250 Beschäftigte). Dies mag damit zusammenhängen, dass gerade Großbetriebe verstärkt auch auf betriebsinterne und -spezifische Qualifizierungen setzen sowie für die Master-Professional-Ebene verstärkt auf Hochschulabsolvent*innen. Dies sind beides Qualifizierungs- respektive Rekrutierungsoptionen, die für kleine und mittelgroße Betriebe weniger in Frage kommen. Eventuell wurde im Bereich der Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe aber auch gerade deshalb am häufigsten von einem entsprechenden Fachkräftebedarf berichtet, weil aufgrund verschiedenster InnoVET-Projekte in diesem Berufsfeld bereits eine stärkere Auseinandersetzung mit dieser Thematik stattgefunden hat. So bewegen sich mehrere der durch das BMBF geförderten Projekte im Rahmen des Innovationswettbewerbs InnoVET im Berufsfeld der Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe und haben u. a. die Entwicklung neuer Fortbildungsangebote für die Berufsspezialisten-Ebene zum Gegenstand. Demgegenüber bezieht sich keines der InnoVET-Projekte auf die Entwicklung neuer Fortbildungen für die Stufe eins und/oder drei im Berufsfeld der nichtmedizinischen Gesundheitsberufe oder für die Berufe im Bereich der Unternehmensführung und -organisation (BMBF, 2024). Inwieweit somit aus der Perspektive der Wirtschaft ein Bedarf an neuen Fortbildungsangeboten/-ordnungen für die Berufsspezialisten- sowie die Master-Professional-Ebene gesehen wird oder gar besteht, scheint mit vielfältigen Faktoren zusammenzuhängen. Hier ist es Aufgabe der Akteur*innen der Ordnungspolitik, die genauen Qualifikationsbedarfe für einzelne Berufe/Berufsgruppen im Vorfeld von möglichen Neuordnungsverfahren zu erheben und daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen abzuleiten.

Die im Weiteren identifizierten subjektbezogenen und wertebezogenen Begründungslinien machen aber auch deutlich, dass sich ein Bedarf an neuen Fortbildungsangeboten/-ordnungen nicht nur aus einem eventuellen wirtschaftlichen Fachkräftebedarf ableiten lässt, sondern auch aus den subjektiven Bedingungen und Bedürfnissen der Individuen sowie dem kulturimmanenten Wertsystem. In den geführten Interviews weisen diese beiden Begründungslinien allerdings keine so ausgeprägten berufsgruppenspezifischen Unterschiede auf wie die gesellschaftsbezogene Begründungslinie des wirtschaftlichen Fachkräftebedarfs, sondern zeigen sich eher berufsgruppenübergreifend ähnlich. Die subjektbezogene Begründungslinie kam dabei von allen drei Begründungslinien am stärksten in den geführten Interviews zur Sprache, gefolgt von der wertebezogenen Begründungslinie. Beide Begründungslinien hängen jedoch wesentlich mit der gesellschaftsbezogenen Begründungslinie zusammen. So ist sowohl mit der wertebezogenen (wie weiter oben bereits geschildert) als auch mit der subjektbezogenen Begründungslinie die Hoffnung verbunden, durch den Ausbau von Fortbildungen auf der ersten und dritten Fortbildungsstufe und damit verbundenen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten das gesellschaftliche Ansehen beruflicher Bildung zu stärken sowie über die Orientierung an den subjektiven Bedingungen und Bedürfnissen der Individuen die Attraktivität der beruflichen Bildung für Teilnehmende zu erhöhen und dadurch letztendlich den Fachkräftebedarf im Bereich dual Ausgebildeter besser decken zu können. Die drei Begründungslinien hängen somit wechselseitig miteinander zusammen. So kann bspw. auch der unter der subjektbezogenen Begründungslinie beschriebene Aspekt, dass durch einen Ausbau an Fortbildungen auf der Berufsspezialisten- sowie der Master-Professional-Ebene der berufliche Aufstieg stärker an der individuellen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft ausgerichtet werden kann, ebenso unter einer wertebezogenen Perspektive verortet werden, da damit nicht zuletzt auch die soziale Durchlässigkeit des deutschen Berufsbildungssystems und damit das Thema der sozialen Gerechtigkeit angesprochen wird.

Inwieweit die mit dem Ausbau an Angeboten auf der ersten und dritten Fortbildungsstufe verbundenen Hoffnungen sich allerdings tatsächlich erfüllen werden, bleibt abzuwarten und wäre durch weitere Forschungsarbeiten (für die die vorliegende Systematisierung dienlich sein kann) zu untersuchen. Die in diesem Aufsatz aufgeführten strukturellen Herausforderungen machen deutlich, dass dafür zunächst noch einige Hemmschwellen zu überwinden sind; allen voran der Mangel an qualifizierten Dozierenden für die Prüfungsvorbereitungskurse sowie an kompetenten Prüfer*innen für die Durchführung der Fortbildungsprüfungen. Beides stellt bereits jetzt für die vorhanden Fortbildungsangebote ein nennenswertes Problem dar, welches die Qualität der höherqualifizierenden Berufsbildung gefährden und dadurch auch einen Einfluss auf das gesellschaftliche Ansehen beruflicher Bildung haben kann. Hier wäre daher ebenfalls weitere Forschung zu betreiben, wie diesem Mangel sinnvoll begegnet und zugleich eine einheitliche Qualität der höherqualifizierenden Berufsbildung gesichert werden kann. Anknüpfungspunkte könnten hier bspw. die wissenschaftlichen Diskussionen zur Professionalisierung des außerschulischen Berufsbildungspersonals sein.

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Zitieren des Beitrags

Neu, A. (2025). Berufsspezialist*innen und Master Professional – Begründungslinien und strukturelle Herausforderungen für neue Fortbildungen. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, 48, 1–20. https://www.bwpat.de/ausgabe48/neu_bwpat48.pdf

Veröffentlicht am 23. Juni 2025