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bwp@ 49 - Dezember 2025
Innovation und Transfer in der beruflichen Bildung
Hrsg.: , , &
Systemische Sprachförderung zur Entwicklung individueller Lernwege in der beruflichen Bildung – Ein Entwicklungsvorhaben zur nachhaltigen Implementation von Kompetenzrastern im Berufskolleg für Technik und Gestaltung der Stadt Gelsenkirchen
Kompetenzraster fördern in der beruflichen Bildung Lernprozesse, Zieltransparenz und Selbststeuerung, wenn sie adäquat an die sprachlichen und inhaltlichen Bedürfnisse der Lernenden angepasst sind. Ausgehend von einer formativen Evaluation am Berufskolleg für Technik und Gestaltung der Stadt Gelsenkirchen werden solche Raster als prozessbegleitende Instrumente konzipiert, die sprachliche Handlungen explizit machen und Feedbackkultur systematisch verankern. In zwei Pilotsettings aus dem Bereich der dualen Fachklassen und der Internationalen Förderklasse zeigen sich Effekte auf Transparenz, Selbsteinschätzung und Motivation; zugleich werden Gestaltungsrisiken identifiziert. Das Design folgt Prinzipien der Sprachsensibilität, triangulierten Einstufungen und einer klaren Trennung von Lern- und Bewertungssituationen; Innovationen umfassen vertonte und adaptive, niveaudifferenzierte Raster sowie arbeitsökonomische Vorlagen. Der Beitrag spricht sich für didaktisch reduzierte, kontextspezifische Raster, die kontinuierlich evaluiert und mit individuellen Coachings verknüpft werden, aus.
A Systematic Language Approach for the Development of Individual Learning in Vocational Education – A Development Project for the Sustainable Implementation of Comeptence Grids at the Berufskolleg für Technik und Gestaltung in the City of Gelsenkirchen
Competence grids enhance learning processes in a transparent way and promote learner autonomy in vocational education when adequately aligned with the linguistic and specific needs of the students. This contribution is based on a formative evaluation conducted at the Berufskolleg für Technik und Gestaltung in Gelsenkirchen, where competence grids were conceptualized as process-oriented instruments designed to render linguistic action explicit and to institutionalize a sustainable culture of feedback. Findings from two pilot implementations in dual vocational education classes and an international preparatory class indicate measurable effects on transparency, self-assessment and motivation while also highlighting design-related risks. The conceptual framework draws on principles of language sensitivity, triangulated assessment and the systematic separation of learning and evaluation contexts. Innovations include the development of adaptive audio-supported and differentiated grids as well as templates optimized for didactic efficiency. The study argues in favor of the integration of didactically reduced and context-specific grids that not only undergo continuous evaluation but are also directly connected to individualized coaching.
- Details
1 Einleitung und Handlungskontext
Berufsbildende Schulen stehen zunehmend vor der Herausforderung, sprachlich und kulturell heterogene Lerngruppen erfolgreich zu unterrichten. Gerade in urbanen Regionen mit hoher Migrationsquote, wie etwa in Gelsenkirchen, zeigt sich, dass sprachliche Kompetenzen entscheidend für den fachlichen Lernerfolg, die Ausbildungsfähigkeit und letztlich auch für den Übergang in den Arbeitsmarkt sind (Euler & Eckart, 2020). Vor diesem Hintergrund hat sich das Berufskolleg für Technik und Gestaltung der Stadt Gelsenkirchen (btg) im Bereich Schulentwicklung mit gezielten Fördermaßnahmen und der Teilnahme an Schulversuchen wie beispielweise „Talentschule NRW“ auf den Weg gemacht, Sprachförderung umfassend in allen Eckpfeilern des Systems Schule zu integrieren. Durch die durchgeführte formative Evaluation des Teams Unterrichtsentwicklung konnte so ein „blinder Fleck“ identifiziert werden, der den Erfolg vieler Maßnahmen im Kontext der Sprachförderung lange unerkannt blockierte: Reflektionen und Evaluation mit Lernenden führten im Nachgang zu keiner Verbesserung der weiteren Lernprozesse in Unterricht und auch bei außerschulischen Aktivitäten. Die für jedes Lehr-Lern-Setting wichtige Feedbackkultur muss vor diesem Hintergrund gezielt auf die systematische Förderung von Kommunikationskompetenzen ausgerichtet sein, welche nur durch Sprache und ihren adäquaten Gebrauch zu erreichen ist. Der zentrale Ansatz besteht darin, Sprachförderung nicht isoliert als Aufgabe einzelner Fächer oder zusätzlicher Fördermaßnahmen zu betrachten, sondern sie auf allen Ebenen des Unterrichts zu verankern – sowohl innerhalb spontaner als auch geplanter Rückmeldephasen. Methodik dieses Ansatzes ist am btg die Einführung von sprachsensiblen Kompetenzrastern in verschiedenen Unterrichtssituationen und ihr Einbinden in verschiedene Vorhaben zur Personalisierung und angeleiteten Selbstregulation des Lernens. Damit folgt das btg aktuellen bildungspolitischen Empfehlungen zur Sprachbildung wie auch bildungswissenschaftlichen Forschungsempfehlungen (Schniederjan & Lang, 2016), die den Einsatz von Kompetenzrastern als schülerzentrierte Evaluationsmöglichkeit betrachten.
Die didaktisch-pädagogische Zielsetzung dieser Vorhaben kann zusammenfassend auf folgende Fragen reduziert werden:
- Wie lassen sich sprachsensible Kompetenzraster so gestalten, dass sie Lernprozesse in heterogenen Lerngruppen beruflicher Schulen unterstützen?
- Welche Effekte zeigen sich auf Zieltransparenz, Selbstreflexion und Selbststeuerung?
- Welche Gestaltungsherausforderungen treten auf – und wie lassen sie sich diesen begegnen?
2 Grundlagen der Forschungsfragen
Die gezielte Förderung sprachlicher Kompetenzen in der beruflichen Bildung erfordert valide und praktikable Instrumente zur Erfassung individueller Lernstände und zur Strukturierung des Lernprozesses. In diesem Zusammenhang gewinnen Kompetenzraster zunehmend an Bedeutung. Sie bieten ein strukturiertes Raster aus Niveaustufen und Teilkompetenzen, an dem sich Lernende und Lehrende gleichermaßen orientieren können. Insbesondere für die Sprachförderung bergen sie Potenziale, etwa durch Visualisierung individueller Fortschritte, die Förderung von Selbststeuerung sowie die Anpassung an heterogene Lernvoraussetzungen. Zugleich zeigen aktuelle Studien, dass der Einsatz solcher Raster noch mit erheblichen Herausforderungen verbunden ist (Tredop, 2013). Staatliches Institut für Schulqualität und Bildungsforschung Baden-Württemberg, 2016, eher kritisch aufgrund fehlender empirischer Absicherung (Uhlig-Schoenian & Gessler, 2012).
Ein systematischer Review des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) von Rüschoff et al. (2022), liefert wichtige Einblicke in die aktuelle Praxis der Kompetenzerfassung im dualen System. Die Untersuchung zeigt, dass insbesondere papier- und digitalbasierte Tests, Selbsteinschätzungen sowie Fremdeinschätzungen verbreitet sind. Auch andere Studien (Schratz & Velten, 2020; Löhle, 2019) kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Multiple-Choice-Tests und Einschätzungsbögen dominieren, während Kompetenzraster lediglich punktuell und nicht lernprozessbegleitend eingesetzt und oft vorwiegend zur Erfassung fachlicher Kompetenzen herangezogen werden. Für sprachliche oder soziale Kompetenzen bleibt im relativ straffen Zeitplan des Schuljahres dabei wenig Raum, wie unsere qualitativen Abfragen innerhalb mehrerer Bildungsgänge am btg aufzeigten. Dabei ergaben sich in kollegialen Teambesprechungen wie auch Einzelrückmeldungen von Lehrkräften erhöhte Bedarfe, auf diese oft zurückgestellten Kompetenzen ein größeres Augenmerk zu legen, auch vor dem Hintergrund unserer Hypothese, dass gelingendes Lernen zwingend an die Förderung der beiden Kompetenzen gekoppelt sei.
Vor dem Hintergrund der Quellen und eigener qualitativer Evaluationen konstatieren wir: Kompetenzraster bieten ein hohes Potenzial für die Sprachförderung, insbesondere wenn sie als dynamische Lernbegleitungsinstrumente konzipiert sind. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen jedoch zentrale Anforderungen erfüllt sein:
Abbildung 1: Anforderungen an ein sprachsensibles Kompetenzraster (im btg)
Im Prozess des Erstellens und Nutzens der Kompetenzraster wurde dabei auf die Methodik der formativen Evaluation (Buholzer & Brovelli, 2023) zurückgegriffen, um die didaktische Ausgestaltung der Raster fortlaufend zu verbessern. Relativ schnell wurde klar, dass es keine einheitlichen Kompetenzraster geben sollte, die auf jeden Bildungsgang gleichermaßen angewendet werden. Was die bisher gestalteten Raster aber gemeinsam haben, ist der Aspekt der Sprachsensibilität in Gestaltung und Inhalt, wobei das Konzept der Sprachsensibilität deutlich weiter gefasst wird. Eben dieses weite Spektrum, das Sprache und ihre Verwendung für den Lernprozess sowie den beruflichen Bildungsweg der Lernenden beinhaltet, macht eine bedürfnisorientierte Herangehensweise an die Kompetenzraster notwendig, auch um die Risiken ihrer Verwendung zu umgehen. Ziel ist es daher in jedem Anwendungsbereich, dass Sprachsensibilität mehr als das bloße Durchdringen und das Verständnis des gedruckten Wortes ist. Mit Hilfe verschiedener Raster gibt es die Möglichkeit, nicht nur sprachlich zu rezipieren, sondern auch adäquat zu kommunizieren.
3 Design und Methodik der didaktischen Konzepte
Kompetenzraster mit Schwerpunkt auf sprachlicher Aus- und Weiterbildung sind wichtige Meilensteine im gesamtschulischen Prozess zur Umgestaltung des klassischen Unterrichts. Der Übergang vom lehrkraftzentrierten Unterricht hin zu selbst reguliertem Lernen wird durch graduelle, bewusst gesetzte Zwischenschritte navigiert. Eine Orientierung sind dabei bereits erfolgreich transformierte Bildungsgänge anderer Schulen wie beispielsweise im Rahmen des BLK-Modellversuchs segel-bs, NRW (Krakau & Rickes, 2007).
Mit Hilfe der formativen Evaluation haben in zwei Bildungsgängen des btg bereits erste Überarbeitungsschleifen stattgefunden und die Planung zur Weiterarbeit in den betreffenden Lerngruppen ist abgeschlossen. Dadurch entstand eine erste Festlegung von Meilensteinen, wie selbst reguliertes Lernen sukzessive als Bestandteil des Unterrichtsalltages von Lernenden integriert werden soll (siehe Abb. 2).
Abbildung 2: Geplante Meilensteine des btg auf dem Weg zu Selbst reguliertem Lernen (SRL)
3.1 The Principles of Design – Synthesen aus Erfahrung und Forschung
Damit die methodische Integration der sprachsensiblen Kompetenzraster gestalterisch optimal auf die Bedürfnisse der Lernenden zugeschnitten werden kann und sie gleichzeitig aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen, stellte das Team der Unterrichtsentwicklung einen vorläufigen Kriterienkatalog zur Gestaltung der Kompetenzraster auf. Grundlage hierfür bildet eine Synthese aus empirischer Bildungsforschung und praktischer Erfahrung im Unterrichtsalltag. In mehreren Entwicklungszyklen haben wir die theoretisch fundierten Anforderungen aus der Forschung mit den konkreten Bedarfen unserer Lernenden und Lehrkräfte abgeglichen. Das Ergebnis sind Designprinzipien, die wir als obligatorisch für ein gelungenes Kompetenzraster erachten.
Zunächst betonen einschlägige Studien die Bedeutung von Sprachsensibilität und Passgenauigkeit (Krille, 2016; Löhle, 2019). In der Praxis zeigte sich wiederholt, dass zu komplexe oder mehrdeutige Formulierungen Lernende mit geringen Sprachkenntnissen überfordern und den intendierten Reflexions- und Diagnoseprozess behindern. Daher fordern wir eine sprachlich reduzierte, klare und konsistente Gestaltung der Raster, die auf den jeweiligen Bildungsgang zugeschnitten ist und zwischen Teilkompetenzen wie Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben differenziert.
Ebenso folgt aus Forschung und Erfahrung die Notwendigkeit mehrperspektivischer Einschätzungen. Während Rüschoff et al. (2022) und Schratz & Velten (2020) auf die Defizite rein testbasierter Verfahren hinweisen, verdeutlichten unsere eigenen Erprobungen, dass eine Triangulation aus Selbst- und Fremdeinschätzung sowie formativer Evaluation den Lernprozess nachhaltiger unterstützt als summative Einzelbewertungen.
Ein weiteres obligatorisches Prinzip ist die Zieltransparenz. Hattie (2023) belegt, dass Lernende ihre Leistungen signifikant steigern, wenn Lernziele und Erfolgskriterien klar benannt werden. Im Schulalltag bestätigte sich, dass Kompetenzraster als Visualisierung von Lernzielen und Fortschritten Missverständnisse reduzieren und die Selbstwirksamkeit stärken, sofern sie regelmäßig in Coachinggespräche eingebettet werden.
Darüber hinaus erfordert eine gelungene Gestaltung didaktische Reduktion und visuelle Klarheit. Erfahrungen aus den Pilotklassen zeigten, dass zu viele Indikatoren oder verschachtelte Kategorien Lernende und Lehrkräfte gleichermaßen überfordern. Daher sehen wir eine begrenzte Anzahl präzise formulierter Deskriptoren als essenziell an, ergänzt um klare Niveaustufen und Raum für individuelle Zielformulierungen.
Schließlich folgt aus Sloane & Krakau (2021) und unseren iterativen Testzyklen die Forderung nach fortlaufender Validierung und Teamkonsens: Nur wenn Lehrkräfte sich auf Mindeststandards einigen und Rückmeldungen systematisch auswerten, können Kompetenzraster lernprozessbegleitend wirken und schulweit anschlussfähig bleiben.
Insgesamt verstehen wir diese Designprinzipien (Übersicht siehe Abb. 3) nicht als starres Regelwerk, sondern als evidenzbasierte Leitlinien, die wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfordernisse zusammenführen. Sie bilden das Fundament, um Kompetenzraster als wirksame Instrumente für Diagnose, Feedback und Sprachförderung nachhaltig in der beruflichen Bildung zu verankern.
Abbildung 3: Übersicht der Designprinzipien
3.2 Auswahl der Pilotgruppen
Seit 2023 arbeitet das btg an der Erprobung schülerzentrierter Kompetenzraster in zwei Bildungsgängen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. Als Pilotprojekt wurden zunächst zwei Lerngruppen des ersten Ausbildungsjahres der Fachklassen des dualen Systems der Berufsausbildung für „Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik“ ausgewählt. Diese zeichnen sich durch eine besonders hohe Heterogenität hinsichtlich Vorwissens, fachlicher Kompetenzen und Lernstrategien aus. Erste Ergebnisse bestätigten, dass Kompetenzraster hier eine differenzierende und strukturierende Funktion übernehmen können. Aufbauend auf diesen Erfahrungen wurde die Erprobung auf die Internationalen Förderklassen ausgeweitet. Diese unterscheiden sich von den dualen Fachklassen, da sie im Rahmen der Ausbildungsvorbereitung in Vollzeit beschult werden und die Sprachentwicklung eine zusätzliche Herausforderung darstellt. Gerade hier zeigte sich, wie stark Lernvoraussetzungen, Problemlösefähigkeit, Abstraktionsvermögen sowie Kommunikationsstile und Wertehaltungen variieren. Die daraus resultierende hohe soziokulturelle Diversität prägte die Lernatmosphäre in besonderem Maße.
Begleitende Einzelcoachings und Evaluationen durch Fachlehrkräfte verdeutlichten, dass sich die Lernenden nicht nur in ihrer fachlichen Kompetenz, sondern auch in Selbstorganisation, Motivation und Zielorientierung erheblich unterscheiden. Diese Beobachtungen unterstrichen die Notwendigkeit einer flexibleren und prozessorientierten Leistungsbewertung.
Eine zentrale Prämisse des Projekts ist daher, sich von der ausschließlichen Bewertung durch summative Einzelnoten zu lösen und stattdessen triangulierte Einstufungsverfahren einzusetzen. Auf diese Weise soll der Fokus stärker auf individuelle Lernprozesse gelegt und das „Teaching-to-the-test“ durch eine nachhaltigere Lernkultur ersetzt werden. Kompetenzraster bieten hierfür ein methodisches Instrument, das sowohl Transparenz schafft als auch die Gestaltung individueller und motivierender Lernwege unterstützt. Ausgangspunkt zur Erstellung, Erprobung und Evaluation von Kompetenzrastern waren bereits vorhandene, stark an den Bedürfnissen der Lehrkräfte orientierte Kompetenzraster, die eine möglichst faire Bewertung der Leistung der Lernenden abbilden sollten. Gleichzeitig ist die Wichtigkeit der Konfundierung von Lern- und Leistungssituationen als essentielles Designkriterium zu unterstreichen. Eine optische und inhaltliche Trennung beider Anlässe ist obligatorisch.
3.3 Bedürfnisanalysen der Pilotgruppen
Die Analyse der Bedürfnisse der Lernenden in den beiden Bildungsgängen „Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik“ sowie „Ausbildungsvorbereitung / Internationale Förderklasse“ zeigt sowohl signifikante Unterschiede als auch übergreifende Gemeinsamkeiten, die sich aus den jeweiligen Ausbildungszielen und den sprachlich-kognitiven Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ergeben.
3.3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Im Bildungsgang „Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik“ wird deutlich, dass viele Auszubildende bereits zu Beginn über ein solides Fundament an fachlicher Kompetenz verfügen. Dennoch offenbart sich ein Defizit in den weiteren, vom Bildungsplan geforderten Kompetenzbereichen, insbesondere im Bereich der sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten (Ciklasahin & Lang, 2020). Hierbei spielt weniger das fachliche Wissen an sich eine Rolle, sondern vielmehr die Fähigkeit, dieses Wissen, eigene Fragen oder Bedürfnisse sprachlich angemessen zu verbalisieren. Da eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit häufig dazu führt, dass vorhandene Stärken nicht sichtbar werden und so zu Fehlbewertungen und Frustration beitragen, steht die Förderung von Transparenz, Selbstwirksamkeit und Selbstbehauptung im Mittelpunkt. Diese drei Bedarfe greifen auf aktuelle empirische Befunde zurück: Transparenz schafft Klarheit über Lernziele und Bewertungskriterien, Selbstwirksamkeit stärkt die Motivation und Leistungsbereitschaft, während Selbstbehauptung die Fähigkeit zur Eigenvertretung im Sinne der Selbstbestimmungstheorie unterstützt (Hattie, 2023; DiBenedetto, 2016; Ryan & Deci, 2000)
Im Gegensatz dazu stellt sich die Ausgangslage in der „Ausbildungsvorbereitung / Internationalen Förderklasse“ deutlich heterogener dar. Hier bestehen größere sprachliche Unterschiede zwischen den Lernenden, die die Entwicklung von Reflexions- und Kommunikationsfähigkeiten in einem frühen Stadium der beruflichen Bildung erschweren. Ziel ist daher nicht primär die unmittelbare Förderung komplexer Selbstreflexionsprozesse, sondern die sprachliche Erstförderung bis mindestens zum Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (Goethe-Instituts, 2022) sowie ein Zugang zu den fachlichen Grundlagen beruflicher Bildung gewährleistet werden. Die Bedarfe wurden deshalb auf zwei zentrale Dimensionen verdichtet, die als elementar für den schulischen Kontext gelten: eine funktionale Sprachkompetenz sowie die basale Fähigkeit, sich im berufsvorbereitenden Umfeld zurechtzufinden.
Gemeinsam ist beiden Bildungsgängen, dass Sprache eine Schlüsselfunktion für den Zugang zu Lernprozessen und zur Sichtbarkeit vorhandener Kompetenzen einnimmt. In beiden Fällen zeigt sich, dass sprachliche Hürden maßgeblich über Lernengagement, Motivation und Leistungsentwicklung entscheiden. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass im Elektroniker-Bildungsgang sprachliche Förderung stärker mit dem Ziel der Transparenz, Selbstwirksamkeit und Selbstbehauptung verknüpft ist, um Lernende in ihrer fachlichen und persönlichen Entwicklung zu stärken, während im Bildungsgang „Ausbildungsvorbereitung / Internationale Förderklasse“ der Schwerpunkt zunächst auf dem sprachlichen Fundament (B1-Niveau) und der grundlegenden schulischen Handlungsfähigkeit liegt.
Während die Elektroniker-Ausbildung stärker die Erweiterung und Sichtbarmachung vorhandener Kompetenzen durch gezielte sprachlich-kommunikative Förderung adressiert, liegt in der Internationalen Förderklasse der Fokus auf dem Aufbau basaler sprachlicher und schulischer Kompetenzen, um überhaupt die Voraussetzungen für weiterführendes Lernen und berufliche Anschlussfähigkeit zu schaffen. Beide Bildungsgänge eint die Notwendigkeit einer bewussten Sprachförderung, unterscheiden sich jedoch in Reichweite, Zielrichtung und didaktischer Schwerpunktsetzung.
Tabelle 1: Synoptische Gegenüberstellung der Bildungsgänge
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Aspekt |
Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik |
Ausbildungsvorbereitung / Internationale Förderklasse |
|
Ausgangslage |
basisch fachliches Fundament und |
Stark heterogene Lernendenstruktur |
|
Herausforderung |
Defizite in sprachlich-kommunikativen Kompetenzen; Gefahr von Fehlbewertungen und Frustration |
Sprachliche Unterschiede erschweren die Entwicklung von Reflexions- und Kommunikationsfähigkeiten in frühen Bildungsphasen |
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Zentrale Bedarfe |
Transparenz, Selbstwirksamkeit, Selbstbehauptung |
Funktionale Sprachkompetenz bis B1-Niveau (GER), Basale schulische Handlungsfähigkeit im berufsvorbereitenden Kontext |
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Zielrichtung |
Erweiterung & Sichtbarmachung vorhandener Kompetenzen durch sprachliche Förderung |
Aufbau grundlegender sprachlicher & schulischer Kompetenzen als Basis für Anschlussfähigkeit |
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Didaktischer Schwerpunkt |
Förderung sprachlicher Kompetenzen zur Stärkung fachlicher & persönlicher Entwicklung |
Sprachliche Erstförderung und Zugang zu fachlichen Grundlagen beruflicher Bildung |
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Gemeinsamkeiten |
Sprache als Schlüsselfunktion für Lernprozesse und Sichtbarkeit von Kompetenzen, Sprachliche Hürden beeinflussen Engagement, Motivation & Leistung maßgeblich |
|
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Unterschiede |
Fokus auf Reflexion, Selbstwirksamkeit & Selbstbehauptung |
Fokus auf B1-Sprachniveau & schulische Basisfähigkeiten für weiterführendes Lernen |
3.3.2 Spezifische Bedürfnisse der Elektroniker/-innen
In den Lerngruppen der ersten Pilotgruppe (duale Fachklassen) wurden folgende Kernbedürfnisse der Lernenden exploriert und benannt:
(1) Transparenz der Zielvorstellungen durch Lehrkräfte
In der Arbeitswelt sowie speziell in der dualen Ausbildung zeigen Betriebe eine klare Erwartungshaltung ihren Auszubildenden gegenüber. Intern wird dies durch das Anzeigen von betrieblichen Regeln aufgezeigt, die auf anzustrebenden Verhaltensweisen und möglichen Grenzüberschreitungen aufbauen. Die Tätigkeit im Berufsfeld selbst liefert die inhaltlichen Ausbildungsziele und ist stark mit den Handlungen und Dienstleistungen im Beruf des „Elektronikers bzw. der Elektronikerin“ verbunden vgl. die Verordnung zur Neuordnung der Ausbildung in handwerklichen Elektroberufen (Bundesgesetzblatt, 2021). Eine einheitliche Transparenz im Hinblick auf Lernziele ist in der Berufsschule deutlich schwerer zu adressieren. In diesem Kontext betonen beispielsweise Hatties aktuelle Forschungssynthesen jedoch die Wichtigkeit von Zieltransparenz im Lernraum Schule:
The purpose of the success criteria, or we are successful when, is to make students understand what the teacher uses as the destination or notion of mastery. (…) Both learning intentions and success criteria are needed to maximize the impact on achievement. (Hattie, 2023, S. 313)
Bestehende Handlungspläne von Lernsituationen sind unserer Erfahrung nach häufig inhaltlich strukturiert, lassen aber die metakognitiven Kompetenzerwerbsziele weitgehend außen vor. Zur Vermittlung von transparenten Zielvorstellungen gibt es im Bildungsgang „Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik“ im Fach Deutsch/Kommunikation derzeit zwei verschiedene Arten von Raster:
(i) Zu Beginn des Schuljahres werden den Lernenden in einem Übersichtsraster die Einstufungen der Leistungen im Bereich „mündliche Mitarbeit“ und „Selbstorganisation“ präsentiert. Dieses ist sprachlich intuitiv und repetitiv mit geringer Varianz in der Wortwahl aufgebaut, um sprachlich schwächeren bzw. weniger vorgeschulten Schülerinnen und Schülern die Inhalte verständlicher zu machen. Nach einer aktuellen Evaluation sind wir im Begriff, in diesem Raster unklare Formulierungen wie „fast“ und „gelegentlich“ näher zu definieren. Überlegungen zu einer Reduzierung der Stufen, die sich momentan noch auf das Notengebungssystem beziehen, werden noch einmal überdacht, da gerade diese Unterteilung in den letzten beiden Schuljahren besonders gut durch die Lernenden bewertet wurde, weil ihr Fokus und ihre Motivation noch fast ausschließlich auf dem Erhalt guter Noten liegt. Bevor hier eine Änderung erfolgt, ist es unser primäres Ziel, bei den Schülerinnen und Schülern ein Umdenken zu erzielen und den Lernweg und die eigene Progression in den Vordergrund zu stellen.
(ii) Die zweite Art Raster im Bereich transparenter Zielvorstellungen wird als Ersatz für den Erwartungshorizont nach Klassenarbeiten verwendet. Auch hier wird im Sinne der Sprachsensibilität auf eine weniger komplexe Sprache sowie repetitiver Wortwahl gesetzt.
(2) Vermittlung von Kompetenzplanungen durch Lernende
Transparente Vorstellungen der Lehrkräfte im Hinblick auf inhaltliche Kompetenzziele und kooperatives Miteinander im Unterrichtsgeschehen sind nicht als „Einbahnstraße ohne Umwege“ und persönliche Lösungsstrategien zu betrachten. Ohne die zweite Perspektive der Lernenden mit ihren eigenen Zielen fehlt eine wichtige Komponente des individuellen Lernens.
Indem die Auszubildenden ihre Ziele formulieren, können betriebliche Praxiserfahrungen gezielt in den Unterricht integriert und theoretische Kenntnisse in den betrieblichen Kontext übertragen werden. Derzeit wird an der Gestaltung eines Kompetenzrasters gearbeitet, das auf die eruierten Bedarfe der Auszubildenden zugeschnitten ist und dabei gezielt das Verbalisieren von reflektierten Lernprozessen fördert. Dies kann mit sprachlichen Scaffolding-Methoden (Lei & Baker, 2025) erzielt werden. Scaffolding bezeichnet in der Sprachförderung eine stützende, vorübergehende Hilfeleistung durch Lehrkräfte oder Lernende. Sie geben sprachliche Impulse, strukturierende Hinweise oder Modellierungen, die den Lernenden das Verstehen und Produzieren von Sprache erleichtern. Mit zunehmender Sprachkompetenz wird diese Unterstützung schrittweise zurückgenommen, bis die Lernenden Aufgaben selbstständig bewältigen können.
Das bewusste Formulieren und Vermitteln von Kompetenzzielen wirkt motivationsfördernd, da Lernende ihre Fortschritte messbar nachvollziehen können und eine stärkere Bindung an den Lernprozess entwickeln. Schließlich wird durch eine transparente Zielkommunikation das gegenseitige Verständnis zwischen Lehrkraft und Lernenden gestärkt, Missverständnissen vorgebeugt und die Grundlage für individualisierte Lernwege geschaffen.
(3) Selbstreflexion durch Lernende
Individuell geplante Lernwege dürfen nicht als starre Unterrichtslandkarten verstanden werden. Forschung (Mittelbach, 2023; Merelo-Guervós, 2024) und eigene Erfahrungen zeigen, dass Lernen Agilität erfordert, da die Komplexität der Lernenden eine kontinuierliche Reflexion und Anpassung notwendig macht. Sprache fungiert hierbei als zentrales Bindeglied, um Lernschwierigkeiten sichtbar zu machen und zu bearbeiten.
Im Bildungsgang „Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik“ zeigte sich, dass Auszubildende praktische Handlungsanweisungen im Labor gut umsetzen können, jedoch Schwierigkeiten beim Transfer abstrakter Formeln haben. Rückmeldungen beschränken sich hier oft auf summative Noten, die kaum zur Selbstreflexion anregen. Da Kompetenzen der Selbsteinschätzung häufig fehlen, benötigen Lernende gezielte Hinweise auf metakognitive Fähigkeiten, die in der beruflichen Praxis unverzichtbar sind.
Zur Förderung der Selbstreflexion setzen wir offene Kompetenzraster ein, die eher einem Fragebogen ähneln und optisch von fachspezifischen Rasterstrukturen abgegrenzt sind. Sie sollen nicht als Bewertungssituation wahrgenommen werden, sondern als angeleitete, formative Begleitung zu Beginn der Ausbildung. Formative Evaluation ermöglicht fortlaufendes Feedback, macht Lernziele transparent und unterstützt Selbstregulation. Validieren Lehrkräfte die Selbsteinschätzungen, stärken sie zugleich metakognitive Kompetenzen. Eine klare Abgrenzung von Lern- und Bewertungssituationen ist dabei unerlässlich. Sobald Lernende sich in einer Benotungssituation wähnen, neigen sie dazu, Hilfsangebote auszuschlagen, um mögliche Defizite zu verbergen. Dies unterläuft jedoch den eigentlichen Zweck: das gemeinsame Aushandeln individueller Lernprozesse.
3.3.3 Spezifische Bedürfnisse der Internationalen Förderklasse
Im Bildungsgang „Ausbildungsvorbereitung / Internationale Förderklasse“ wurden ähnliche Bedürfnisse wie im Bildungsgang „Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik“ identifiziert. Jedoch werden hier andere Schwerpunkte gesetzt, vor allem um auf den höheren Grad an individueller Förderung eingehen zu können. Die sprachlichen Unterschiede zwischen den Lernenden erschweren zu diesem Zeitpunkt der beruflichen Bildung noch den produktiven Prozess der Selbstreflexion, weshalb wir diese vorerst nicht als gesonderten Lern- und Coachinganlass betrachten. Das Ziel des Bildungsganges steckt in diesem Fall einen klaren Rahmen für die Kompetenzen, auf die der Fokus zu legen ist. Die sprachliche Erstförderung soll die Lernenden mindestens zum Sprachniveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Goethe-Instituts, 2022) begleiten, sodass sie in Wort und Schrift am alltäglichen Leben teilnehmen und sich rudimentär im semantischen Raum des Berufsanfangs bewegen können. Daher komprimierten wir die grundlegenden Bedürfnisse im Kontext Schule auf die beiden Aspekte, die uns am elementarsten erschienen.
(i) Orientierung im Lernen
Da sich die Schülerinnen und Schüler der Internationalen Förderklassen, beziehend auf unsere Erfahrungen der letzten sechs Schuljahre, nicht nur sprachlich, sondern auch im Allgemeinen in ihren individuellen Bildungsbiographien erheblich voneinander unterscheiden, stellen alle Aspekte des Unterrichts ein potentielles Hindernis dar. Hier möchten wir den Lernenden auf jede erdenkliche Weise entgegenkommen, um ihnen durch schnelle Resultate im Spracherwerb eine bestmögliche Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen. Um der Forderung in unserem schulweiten Stufenplan nach Transparenz besser nachkommen zu können, ist im Fach Deutsch/Kommunikation mit zwölf obligatorischen Unterrichtsstunden pro Woche verglichen mit anderen Unterrichtsfächern eine hohe Anzahl an Materialien zurechtzukommen. Der Umfang der zu bearbeitenden Aufgaben im Rahmen der Lernsituationen überfordert die Lernenden, sodass ein Materialübersichts-Raster eine iterative Kuration von Unterrichtsmaterialien darstellt und Lernprozesse konkret empfiehlt und gegebenenfalls navigiert. Diese Raster sollen zunächst eine Art Lernlandkarte darstellen, die die Deutsch-Lehrkräfte als Empfehlung an die Lerngruppe herausgeben und mit deren Hilfe ab dem kommenden Schuljahr eine persönliche, visuelle Fortschrittsanzeige für die Lernenden etabliert werden soll. Hier dient erneut das Konzept der Alemannenschule Wutöschingen als Vorbild. Durch farbige Aufkleber, welche die Fachlehrerinnen und Lehrer nach der Durchsicht oder Präsentation bearbeiteter Materialien in die entsprechenden Kästchen der Raster kleben, werden qualitative Rückmeldungen zu den gezeigten Kompetenzen gegeben, sodass die Lernenden einerseits Klarheit über ihren derzeitigen Entwicklungsstand haben und sie andererseits ihren bereits erfolgreich beschrittenen Lernweg dokumentieren (Schöler & Schabinger, S. 84–85). Dies soll die Selbstwirksamkeit stärken, motivieren sowie auch persönliche Herausforderungen und Hindernisse identifizieren, damit adäquate Lösungen gefunden werden können und Bildungschancen bestehen bleiben.
(ii) Engmaschige Begleitung im Lernprozess
Auch hier werden persönliche Coaching-Gespräche sowie sprachlich klare Bewertungsraster zur Vor- und Nachbereitung der Klassenarbeiten als Tools für eine zielführende Begleitung auf dem individuellen Lernweg der Lernenden verwendet.
In den Klassen der Internationalen Förderklassen sollen die Lerncoachings ab dem Schuljahr 2025/26 jedoch in einer weitaus höheren Frequenz stattfinden als bisher. Geplant sind persönliche Gespräche mit jeder Schülerin und jedem Schüler der Lerngruppe im zwei- bis dreiwöchigen Rhythmus.
Die zuvor angesprochenen Kompetenzraster zur Vor- und Nachbereitung von Klassenarbeiten sind bereits erprobt und sprachlich wie inhaltlich modifiziert worden. Was als Kann-Liste zur Vorbereitung auf eine kommende Klassenarbeit sowie als inhaltlicher Leitfaden für die für Sprachlernende relativ komplexen Lernsituationen begann, wurde so überarbeitet, dass Teile von ihr weiterhin der Vorbereitung einer Leistungsüberprüfung dienten, sie aber in angepasster und ergänzter Form die bisher verwendeten Erwartungshorizonte ersetzte. In zwei Evaluationszyklen entwickelten wir Stand heute, September 2025, den Prototyp eines Kompetenzrasters, der unter die Nutzerkategorie „für Lernende und Lehrkräfte“ fällt. Dieser vereint das Bedürfnis der Lehrkraft nach einer fairen Einstufung des Kompetenzstandes und versucht gleichzeitig, den Schülerinnen und Schülern einen möglichst genauen Erwartungsrahmen zu liefern sowie weiterführende Übungsaufgaben bzw. -Maßnahmen zu empfehlen, die zu einer Förderung der geforderten Kompetenzen führen. Dafür ist am Ende des Rasters ein separates Textfeld platziert, das von der Lehrkraft unter der Benotung auszufüllen ist. Damit werden konkrete Handlungsempfehlungen gegeben, wie nach der Klassenarbeit eine nachträgliche Erreichung der Kompetenzen möglich ist. Das Absolvieren der zusätzlichen Aufgaben und erkennbar erreichte Fertigkeiten und Fähigkeiten werden auf angemessene Weise bei der Notengebung am Ende des Schuljahres positiv berücksichtigt.
Abbildung 4: Beispiel eines Kompetenzrasters zur Einstufung des Leistungsstandes
Nach einer ersten Evaluation wurde in Kategorien eingeteilt, für welchen Personenkreis man welche Formate von Rastern vorsieht. Es wurde festgestellt, dass sie in ihrer Vielfalt an möglichen Einsatzszenarien die unterschiedlichsten Formen annehmen könnten.
Tabelle 2: Nutzerkategorien der Kompetenzraster im btg
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1 Kompetenzraster für Lehrkräfte und Lernende |
2 Kompetenzraster für Lehrkräfte |
3 Kompetenzraster für Lernende |
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3.4 Nutzerkategorien und richtungsweisende Parameter
3.4.1 Kompetenzraster für Lehrkräfte und Lernende
Das Potential für Kompetenzraster, die ihren Fokus auf den kommunikativen Austausch zwischen Lernenden und Lehrkräften legen, sollten eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Aspekten in einem gemeinsamen Gespräch anregen, damit auf kooperative Weise Fortschritte, Hindernisse und Ziele erkundet und festgehalten werden können, die den weiteren Lernweg der Lernenden sinnvoll unterstützen. Wir agieren hier erprobend mit modifizierten Coachingbögen, die auf die konkrete Lerncoaching-Situation angepasst worden waren. Erprobt wurden zwei situationsumrahmende Bögen; der Erste in regulären persönlichen Gesprächen anlässlich der „Sonstigen Leistungen“ im ersten Quartal, der Zweite in freiwilligen spontanen Coachinggesprächen als Planungshilfe weiterer Lernschritte.
Nach diesem ersten Erprobungszyklus sind die modifizierten Coachingbögen so zu verändern, dass sie auf den Lernfortschritt innerhalb der verschiedenen Unterrichtsfächer und die mit Lernerfolg in Verbindung gebrachten Faktoren Motivation, Probleme und Zielsetzung versehen wurden.
Diese Aspekte strukturieren die geplanten Lernprozesse mit Hilfe des individuellen Coachings durch die Lehrkräfte und spiegeln den Lernenden ihren eigenen Lernfortschritt. In ersten Erprobungsdurchgängen des Coachings im letzten Schuljahr wurden die Gesprächstermine, die bewusst innerhalb des regulären Stundenplans eingebaut wurden, als sehr gewinnbringend auf Seiten von Schülerinnen und Schülern wie Lehrkräften wahrgenommen. Viele Sprachlernende scheuen im Unterrichtsgeschehen die mündliche Kommunikation, wohingegen sie sich in Einzelgesprächen mit der Option zur Nutzung eines digitalen Übersetzers bei Verständnisproblemen deutlich offener zeigen. Die für alle Lehrkräfte zugänglichen Coachingbögen sind dabei explizit kein Mittel zur Bewertung und Notengebung. Der strukturierte Wechsel der Coachinglehrkräfte für einen Lernenden soll dies gewährleisten. Sie sollen dem Bildungsgang auch als Evaluationstool dienen, mit deren Hilfe wir unsere Unterrichtsmaterialen weiter optimieren möchten.
Um diese Art der Raster von allgemeineren Coaching-Protokollen abzugrenzen, sollten auf Grundlage unserer Erprobungen aus unserer Sicht folgende Kriterien erfüllt sein:
- Klare Kompetenzen formuliert in klarer Sprache
- Mehrstufige Beschreibungen beobachtbarer Teilkompetenzen
- Selbst- und Fremdeinschätzung
- Sichtbare Fortschrittsdokumentation
- Platz für individuelle Zielformulierungen
- Visuell klare Rasterform
Abbildung 5: Ausschnitt aus einem Coaching-Bogen im btg
Da der Nutzungsschwerpunkt der Raster und der Gespräche jedoch noch klar auf der Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler, ihrem individuellen Lernweg und dessen gezielter Planung liegen soll, besteht hier ein Risiko der Überfrachtung, da zu viele Aspekte komprimiert auf kleinem Raum eine gestalterisch große Herausforderung sein würden.
Im Kontext der aktuell erfolgten Umstellung des Unterrichts im Bildungsgang „Internationale Förderklasse“ hin zu deutlich intensivierter Selbstregulation werden gerade gezielt Kompetenzraster sowie Material-Überblicksraster getestet, die unter Anleitung das Selbstmanagement der Lernenden fördern und den Unterricht selbst in eine stärker selbstregulierte Form lenken sollen. Da diese Entwicklung in allen Unterrichtsfächern eine Überarbeitung der Unterrichtsmaterialien nach sich zog, wurden so erstmals alle bereitgestellten Lernsituationen und Übungsmaterialien erfasst, pädagogische Kompetenzzielsetzungen benannt und in Niveaustufen eingeordnet. Als Orientierung und durchaus auch als Inspiration dient außerdem das Konzept der Alemannenschule Wutöschingen: Ein Beispielraster aus einer fünften Klasse, vorgestellt von Tanja Schöler und Verena Schabinger (Schöler & Schabinger, 2017, S. 83) übersetzten wir in unseren berufsbildenden Kontext und variierten auch mit Handlungssituationen, in denen die Lernenden die Planung des eigenen Lernweges besser strukturieren und dokumentieren
können.
Abbildung 6: Ausschnitt aus einem Materialübersichtskompetenzraster
3.4.2 Kompetenzraster für Lehrkräfte
Im Zuge der Entwicklung von Materialübersichten wurden im Bildungsgang „Ausbildungsvorbereitung / Internationale Förderklasse“ die vorhandenen didaktischen Jahresplanungen sowie die im laufenden Schuljahr genutzten Unterrichtsmaterialien verwendet, um die im Bildungsplan ausgewiesenen Ziele der jeweiligen Anforderungssituationen in Teilziele und empfohlene Lernschrittfolgen zu unterteilen. Es erfolgte eine Aufteilung in drei verschiedene Niveaustufen: Starter, Fortgeschritten, Experte. Diese Einteilung dient als Basis für die spätere Erstellung von deutlich komprimierten und sprachsensibel ausgestalteten Kompetenzrastern für Lernende. Für die Lehrkräfte haben diese Überblicksraster gleich mehrere Vorteile: Einmal erstellt, können mit wenig Zeitaufwand zur Vorbereitung auf Leistungsüberprüfungen oder Handlungspläne Kompetenzraster für Schülerinnen und Schüler generiert werden. Zudem wird das Sichten und Gestalten neuer Materialien erleichtert und der Fokus dieser Materialien auf die wesentlichen zu erlangenden Fertigkeiten und Fähigkeiten gelegt. An dieser Stelle kann auch KI eine gewinnbringende Hilfe darstellen, wenn es darum geht, in Bildungsplänen geforderte Kompetenzziele in verschiedene Teilschritte zu dekonstruieren. Wichtig ist laut Alexander Huber die Übereinkunft von Unterrichtenden in der Zuteilung von Deskriptoren innerhalb der Raster und ein Festlegen einer Kompetenz-Mindestanforderung im Unterrichtsfach.
Denn wenn nun im Kompetenzstrukturmodell eine Kompetenz weiter in Teilkompetenzen aufgeteilt und strukturiert ist und ihre Teilkompetenzen alle der Grundanforderung zuzurechnen sind, dürfte die lernende Person nach entsprechender Logik erst bei überwiegendem Erreichen aller grundlegenden Anforderungen positiv beurteilt werden. (…) Dies bedarf daher des Setzens einer sinnvollen Schwelle für ‚nichtkompensierbare‘ Kompetenzen, (…) da sonst der Informationsgehalt nach den wirklich wesentlichen Kompetenzen verloren geht. (Huber, 2023, S. 45–46 )
3.4.3 Kompetenzraster für Lernende
Nur wenige vorhandene Kompetenzraster aus dem Materialfundus der teilnehmenden Lehrkräfte waren in unserer Wahrnehmung tatsächlich auf die Nutzung durch Lernende ausgelegt. Häufig übernahmen sie sogenannte „Kann-Listen“ aus Online-Plattformen, die sich in der Praxis jedoch als wenig geeignet erwiesen. Schwierigkeiten zeigten sich etwa bei der Selbsteinschätzung in Kategorien wie „immer“, „manchmal“ oder „selten“, deren zeitliche Bedeutung von den Lernenden sehr unterschiedlich interpretiert wurde. Auch Aussagen wie „Ich kann unterschiedliche Einleitungsarten schreiben“ erwiesen sich als zu vage und boten zu viel Interpretationsspielraum vgl. die exemplarische „Ich-kann-Liste“ des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung des Landes Baden-Württemberg (2025).
Ein Abgleich von Selbsteinschätzung und Testergebnissen zeigte deutliche Abweichungen, die sich auch nach kritischer Diskussion und Wiederholung nicht verbesserten. Daraus leiteten wir die Prämisse ab, dass unpassende Listen nicht durch Vereinfachung oder Wiederholung optimiert werden können. Kompetenzraster müssen passgenau für Lernende entwickelt werden.
Um diese Passgenauigkeit zu erreichen, nutzten wir Elemente der Methode Design Thinking, um einen stärkeren Fokus der Kompetenzraster auf die Bedürfnisse der Lernenden zu richten. Diese Methode ist ein ursprünglich aus der Innovationsforschung stammender Ansatz zur kreativen Problemlösung (Novo, et al., 2023). Im Bildungsbereich wird sie zunehmend als Methode eingesetzt, um kooperative, schülerzentrierte Lernprozesse zu initiieren (Primavera & Kleibl, 2018). Charakteristisch ist der iterative Prozess, in dem Lösungen aus der Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer – im Kontext mit Kundinnen und Kunden, Kolleginnen und Kollegen oder betrieblicher Probleme – entwickelt werden. So schildern Feldhaus, Primavera und Kleibl, dass die Phasen im Design Thinking Lehrkräfte „bei der Gestaltung von nutzerzentrierten Unterrichtskonzepten unterstützen. So kann etwa das bewusste Eintauchen in die Empathie-Phase einen neuen Zugang zur Perspektive der Schüler ermöglichen. Dadurch entstehen Konzepte, die an konkrete Bedürfnisse der Schüler angepasst sind.“ (Feldhaus, Primavera & Kleibl, 2017, S. 28) In kreativ-explorativen Meetings der Lehrkräfte innerhalb des Teams wurden daraufhin erste sogenannte Persona erstellt, um vorhandene Potentiale unseres Durchschnittsschülers zusammenzutragen, aber auch auffallend häufig beobachtbare Schwierigkeiten der Lernenden auf ihren Lernwegen zu erfassen. Dabei stellten wir fest, dass die inhaltliche Rückmeldung über erlernte Kompetenzen das ist, was wir im schulischen Alltag am häufigsten kommunizieren.
Als Informationen, die für Lernende auf einem Kompetenzraster essentiell sind, antizipierten wir folgende Informationsbedarfe, ohne die ein Lernender nicht in der Lage wäre, seinen Lernstand zu erfassen und ihn in einen größeren Kontext zu setzen.
Abbildung 7: Ausgestaltung von Informationsbedarfen in Kompetenzrastern
Diese Informationsbedarfe erscheinen uns zum jetzigen Zeitpunkt als übertragbar auf Lernende aller Anlagen des Berufskollegs. Bei der Gestaltung weiterer Aspekte eines Rasters muss auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden der verschiedenen Bildungsgänge zwingend eingegangen werden. Das betrifft im besonderen Maße die Sprache sowie sprachliche Kompetenzziele. Wichtige Fragen und damit zukünftige Entwicklungsaspekte auf dem weiteren Weg der Ausgestaltung sind unter anderem:
- Dient das Raster ausschließlich zur Rezeption und Selbstreflexion? Oder ist ein Ausfüllen erforderlich?
- Fordert die Lehrkraft ein Ausfüllen durch Sätze, Worte oder Zeichensetzung bzw. Symbolik?
- Wendet die Lehrkraft Tools wie Skalierungen oder Multiple Choice an?
Das multiprofessionelle Team im btg hat sich auf verschiedene Diagnoseverfahren geeinigt und wendet diese gemeinsam mit den Fachlehrkräften gezielt an. So können die sprachlichen Nuancen der Lerngruppen systematisch erfasst und die Ergebnisse kontinuierlich evaluiert werden. Auf dieser Grundlage lässt sich einschätzen, in welcher Qualität und Quantität Sprache bereits eingefordert werden kann und welche weiteren sprachlichen Etappen durch gezielte Förderung erreichbar sind.
4 Geplante Innovationen zur Weiterentwicklung
4.1 Vertonung von Kompetenzrastern
Bislang dominieren in der Praxis schriftlich fixierte Raster, deren sprachliche Komplexität trotz sensibler Ausgestaltung immer noch erhebliche Barrieren aufwerfen können. Die Ergänzung solcher Raster um durch Lehrkräfte oder KI vertonte Varianten eröffnet aus unserer Sicht bedeutsame Potenziale, die sowohl in Sprachlernklassen als auch in Regelklassen nutzbar sind. Der Blick auf wissenschaftliche Modelle und Forschungsergebnisse (Chang, et al., 2020) bestärkt uns zusätzlich in unserem Vorhaben, in Lerngruppen mit Bedarfspotenzial auf Vertonungen zurückzugreifen. In verschiedenen Modellen zur multimodalen Informationsverarbeitung profitieren Lernende von einer parallelen visuellen und auditiven Darbietung von Informationen. Der zusätzliche Hörkanal erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Inhalte verstanden, verarbeitet und memoriert werden. In Kombination mit der Cognitive Load Theory (Sweller, 1994) wird deutlich, dass durch eine Entlastung des Arbeitsgedächtnisses – etwa wenn Lernende nicht gleichzeitig komplexe Satzstrukturen erschließen müssen – mehr Kapazität für die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kompetenzraster frei wird. Für Sprachlernklassen wie die Internationen Förderklassen erweist sich die Vertonung von Kompetenzrastern als besonders gewinnbringend. Empirische Studien zur Zweitspracherwerbsforschung (Cummins, 2017) zeigen, dass Hörverstehen sich in der Regel schneller entwickelt als Lesekompetenz. Vertonte Raster schaffen daher Zugänge für Lernende, deren Schriftsprachkenntnisse noch begrenzt sind. Hinzu kommt, dass Audiofassungen modellhafte Sprachvorbilder liefern: Fachbegriffe werden korrekt ausgesprochen, Satzmelodie und Betonung verdeutlichen Strukturen und erleichtern so den späteren aktiven Sprachgebrauch. Doch auch in Regelklassen, in denen die Mehrheit der Lernenden über eine solide deutsche Sprachkompetenz verfügt, zeigen sich Vorteile. Einerseits profitieren Lernende mit spezifischen Förderbedarfen, etwa mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, in besonderem Maße von auditiven Zugängen, wodurch die Instrumente barriereärmer werden. Andererseits können selbst Muttersprachlerinnen und Muttersprachler Schwierigkeiten mit abstrakten oder stark fachsprachlich geprägten Formulierungen haben. Hörfassungen wirken hier wie eine sprachliche Entzerrung: komplexe Inhalte erscheinen durch die lineare Struktur des Hörens flüssiger und weniger fragmentiert als beim reinen Lesen. Bisher wurde eine Vertonung eines Kompetenzrasters zur Bewertung einer Klassenarbeit in einer Internationalen Förderklasse produziert und erprobt und von der betreffenden Lehrkraft allgemein als positiv eingestuft, doch eine explizite qualitative, formative Evaluation steht dabei noch aus.
4.2 Adaptive Kompetenzraster Apps mit Sprachunterstützung
In dieser digital modifizierten Version eines bestehenden analogen Kompetenzrasters integrieren wir erneut die Vertonung der Inhalte. Jedoch erhalten hier die Lernenden die Möglichkeit, bei Bedarf auf eine Sprachaufnahme als Ersatz für die Schriftlichkeit in der Nutzung eines Kompetenzrasters zurückgreifen zu können. Um diese Option so organisch wie möglich einzubinden, planen wir auch vor dem Hintergrund der Ausstattung aller unserer Lernenden mit Tablets in den Sprachlernklassen einige Raster mit Hilfe einer Online-App zu digitalisieren. Zudem soll es die Möglichkeit geben, ein ausgewähltes Raster in verschiedenen Sprachniveaus auszuwählen. Während Lernende auf fortgeschrittenem Niveau (z. B. B2) Fachterminologie und komplexere Satzstrukturen rezipieren können, benötigen Lernende auf niedrigeren Niveaus (A2/B1) vereinfachte Sprachfassungen. Ein digitales, sprachsensibles Raster, das diese Differenzierung integriert, soll im Stande dazu sein, die Lernenden dort abzuholen, wo sie aktuell stehen, unabhängig davon, wie passgenau die Lehrkraft ihre sprachlichen Fähigkeiten gerade einschätzt. Diese Erweiterung soll langfristig zeitliche Ressourcen der Lehrkräfte schonen und gleichzeitig die Option der Schulung von Medienkompetenzen auf Seiten der Lernenden eröffnen. Momentan befinden wir uns im Prozess der digitalen Gestaltung eines Kompetenzrasters über die freie Online-App genially.com, weshalb wir in dieser Testreihe noch keinerlei Rückmeldungen durch Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler referieren können.
Abbildung 8: Ausschnitt aus einem interaktiven Kompetenzraster
4.3 Integration Arbeitsökonomie
Das größte Hindernis zur Umsetzung der vorgestellten Maßnahmen an anderen Schulen besteht im erhöhten Arbeitsaufwand. Hier setzt das btg auf arbeitsökonomische Hilfen wie einer Vorlagenbibliothek im schulinternen Lern-Management-System mit Versionierungen zum Nachvollziehen von Gestaltungsprozessen sowie KI-gestützte Entwürfe. Die Verwendung von KI wurde vor allem im Hinblick auf die sprachliche Untersuchung und Verbesserung von Deskriptoren innerhalb der Kompetenzraster getestet.
5 Implikationen für die Bildungsgangarbeit
Damit die Entwicklung und Nutzung sprachfördernder Raster ein konstantes und gewinnbringendes Tool auf dem Weg zu erfolgreich selbst reguliertem Lernen werden können, müssen die Kompetenzraster ähnlich wie in unseren Pilotlerngruppen individuell an die Nutzenden angepasst sein, also konkret bildungsgangspezifisch.
Dazu erforderlich ist eine innovative Bildungsgangarbeit, bei der ein effizienter Austausch stattfinden kann. An dieser Stelle sollten wir in Bezug auf Schulentwicklung auch einen Blick auf bestehende Programme und Projekte innerhalb unserer Bildungsgänge werfen, um kritisch zu hinterfragen, welche gemeinsamen übergeordneten Ziele es noch gibt und wo man an alten, nicht mehr dienlichen Strukturen festhält. Ein Überangebot an Maßnahmen und Angeboten hat das Potential, Bildungsgänge mit engagierten aber überforderten Lehrkräften handlungsunfähig zu machen (Wiesniewski & Gottschling, 2025). Was wir jedoch als dienlich für eine zielführende Bildungsgangarbeit erachten, ist der Aufbau eines induktiven didaktischen Arbeitsprozesses, wie beispielsweise Sloane und Krakau ihn beschreiben (Sloane & Krakau, 2021, S. 20). Orientiert an diesen Empfehlungen entstand folgende Vorgehensweise:
Abbildung 9: Innovative Bildungsgangarbeit am btg
Die Förderung sprachlich-kommunikativer Kompetenzen in der beruflichen Bildung erfordert einen systematischen, mehrstufigen Ansatz. Ausgangspunkt ist die Analyse von Bedarfen und Zielen: Neuralgische Kommunikationssituationen im schulischen und betrieblichen Kontext werden identifiziert, aktuelle Sprachkompetenzen erfasst und Soll-Zustände definiert, um konkrete Förderbedarfe sichtbar zu machen. Darauf aufbauend folgt eine Ressourcenanalyse, bei der vorhandene Kompetenzraster zugänglich gemacht werden. Schulen ohne Vorerfahrung können sich zunächst theoretisch mit Kompetenzmodellen auseinandersetzen, Literatur aufbereiten und praxisnahe Handlungsempfehlungen ableiten. Ergänzend ermöglichen Austausch, Hospitationen und Netzwerke Einblicke in erfolgreiche Umsetzung.
Empfohlen ist ein schrittweises Vorgehen: Zunächst erprobte Raster aus verwandten Bildungsgängen adaptieren, im Unterricht erproben und begleitend evaluieren, um passgenaue Anpassungen für die eigene Lerngruppe zu entwickeln. Ein zentraler Ablageort, z. B. ein Lernmanagementsystem, gewährleistet jederzeitige Verfügbarkeit und Datenschutz.
Der gesamte Prozess wird durch formative Evaluation begleitet: Ergebnisse werden kontinuierlich mit den Bildungszielen abgeglichen, Raster angepasst oder verworfen, und Feedback der Lernenden fließt in die Weiterentwicklung ein. Eine begleitende Arbeitsgruppe oder ein Team aus Qualitätsmanagement oder Unterrichtsentwicklung kann diese Prozesse unterstützen. So entsteht ein dynamischer Kreislauf aus Zieldefinition, Ressourcennutzung, Anpassung und Evaluation, der die Qualität sprachlicher Förderung stärkt und selbstreguliertes Lernen ermöglicht.
6 Limitationen und Ausblick
Die praktischen Erfahrungen, die bis dato im btg mit der Konzeption und Nutzung sprachsensibler Kompetenzraster gemacht wurden, weisen auf kurz- bis mittelfristige Limitationen hin, die langfristig aus unserer Sicht nur durch formative Evaluationen und damit verknüpfter Anpassung an neu entstandene Unterrichtssynapsen aufgehoben werden können. Der Einsatz von Kompetenzrastern zur Förderung sprachlich-kommunikativer Kompetenzen in der beruflichen Bildung eröffnet Chancen für Transparenz, Individualisierung und Selbststeuerung. Gleichzeitig birgt er Risiken, die in der didaktischen Planung berücksichtigt werden müssen. Eine Überfrachtung mit zu vielen Indikatoren verwandelt Raster schnell in komplexe Bewertungsmatrizen, die Lernende wie Lehrkräfte überfordern. Umgekehrt erschwert eine zu geringe Anzahl an Kriterien eine zuverlässige Einstufung. Auch der zeitliche Aufwand ist erheblich: Die Entwicklung, Pflege und Abstimmung der Raster sowie die vorgeschaltete Sprachdiagnose beanspruchen besonders in der dualen Ausbildung viele Ressourcen. Hinzu kommt, dass ohne kontinuierliche Rückmeldungen und Fördermaßnahmen kein nachhaltiger Kompetenzzuwachs erfolgt. Werden Raster lediglich dokumentarisch oder spontan und situationsunangemessen genutzt, verlieren sie ihren pädagogischen Wert.
Damit Kompetenzraster wirksam sind, müssen sie didaktisch reduziert, prozessbegleitend und ressourcensensibel eingesetzt werden. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind ausreichend Zeit für individuelle Rückmeldungen und die qualitative Evaluation ihrer Passung zu den realen Lernprozessen. Gerade in heterogenen Lerngruppen können Lehrkräfte so gezielt auf Stärken und Defizite eingehen.
Besondere Relevanz erhält dieser Ansatz im Bereich der Sprachförderung: Durch die explizite Beschreibung beruflich relevanter sprachlicher Handlungen – etwa im Umgang mit Fachtexten, bei Präsentationen oder Kundengesprächen – wird Sprache systematisch in den beruflichen Kontext eingebettet. Lernende erhalten dadurch klare Orientierung, während Lehrkräfte sprachliche Fortschritte sichtbar machen und gezielte Fördermaßnahmen ableiten können.
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Zitieren des Beitrags
Brück, L. & Kirch, A. 2025). Systemische Sprachförderung zur Entwicklung individueller Lernwege in der beruflichen Bildung – Ein Entwicklungsvorhaben zur nachhaltigen Implementation von Kompetenzrastern im Berufskolleg für Technik und Gestaltung der Stadt Gelsenkirchen. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, 49, 1–24. https://www.bwpat.de/ausgabe49/brueck_kirch_bwpat49.pdf



