bwp@ 49 - Dezember 2025

Innovation und Transfer in der beruflichen Bildung

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, H.-Hugo Kremer, Karl Wilbers & Petra Frehe-Halliwell

Arbeitsorientierte Grundbildung (AoG) als Bildungsinnovation. Erkenntnisse aus dem Kölner Modell

Beitrag von Dominique Dauser & Sabine Schwarz
bwp@-Format: Aus der Praxis
Schlüsselwörter: Arbeitsorientierte Grundbildung, regionale Strukturentwicklung, formative Evaluation, nicht formal Qualifizierte, Grundkompetenzen

Der Beitrag verortet zunächst die Arbeitsorientierte Grundbildung (AoG) als Teilaspekt der beruflichen Weiterbildung und zeigt dann exemplarisch auf, wie eine Infrastruktur für AoG in einem regionalen Netzwerk auf- und ausgebaut werden kann. Dabei wird auf Erfahrungen aus dem Projekt „Arbeitsorientierte Grundbildung und Grundbildungsberatung in Köln“ (kurz: „AoG Köln“) zurückgegriffen (https://www.grundbildung-wirkt.de/aog-koeln/). Im Rahmen der formativen Evaluation konzeptionalisierte die wissenschaftliche Begleitung des Projekts AoG als Bildungsinnovation, die in einem moderierten Innovationsprozess in der regionalen Beratungs- und Trägerlandschaft etabliert wurde. Die am Projekt beteiligten Partner agierten dabei im Sinne des Educational Governance-Ansatzes als „institutional entrepreneurs“ und wirkten auf eine dynamische Interaktion zwischen Institutionen und Akteuren hin. Ansatzpunkte hierfür waren der Aufbau von grundbildungssensiblen Beratungs-, Unterstützungs- und Verweisstrukturen sowie die Entwicklung und Erprobung von förderfähigen Bildungssettings für Langzeitarbeitslose mit Grundbildungsbedarf.

Work-oriented basic education as an educational innovation. Findings from the Cologne model

English Abstract

The article first defines work-oriented basic education as a sub-aspect of continuing vocational training and then uses an example to illustrate how an infrastructure for work-oriented basic education can be established and expanded within a regional network. It draws on experience from the project „Arbeitsorientierte Grundbildung und Grundbildungsberatung in Köln“ („AoG Köln“) (https://www.grundbildung-wirkt.de/aog-koeln/). As part of the formative evaluation, the scientific support of the project conceptualized work-oriented basic education as an educational innovation that was established in a moderated innovation process in the regional advisory and provider landscape. The partners involved in the project acted as “institutional entrepreneurs” in the sense of the educational governance approach and worked towards dynamic interaction between institutions and stakeholders. The starting points for this were the establishment of basic education-sensitive advisory, support and referral structures as well as the development and testing of eligible educational settings for the long-term unemployed with basic education needs.

1 AoG als Teilaspekt beruflicher Weiterbildung

Arbeitsorientierte Grundbildung (AoG) nutzt die Arbeitswelt als Gelegenheitsstruktur für Grundbildung und eröffnet Personengruppen, die bisher weit unterdurchschnittlich an Weiterbildung teilnehmen, neue und niederschwellige Zugänge zu Weiterbildung. Der Gegenstand selbst hat in den letzten Jahren ein klares Profil gewonnen und aus der Bildungspraxis sowie der Forschung heraus wird zudem attestiert: AoG wirkt! (Koller et al., 2020). Es zeigt sich allerdings auch, dass AoG bisher nur bedingt marktfähig ist und die potenzielle Anbieterseite (z. B. Bildungs- und Beschäftigungsträger) und die Nachfrageseite (z. B. Unternehmen) nicht ohne weiteres zusammenkommen. Auch werden bestehende öffentliche Fördermöglichkeiten (z. B. Qualifizierungschancengesetz/Arbeit-von-morgen-Gesetz) von Unternehmen bislang eher selten für AoG bzw. für die Beschäftigtengruppe der nicht formal Qualifizierten genutzt (Biermeier et.al., 2023).

Seit 2012 haben vor allem die durch das BMBF (seit 2025 BMBFSFJ) geförderten Projekte im Rahmen der Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung (AlphaDekade) dazu beigetragen, AoG als Bildungsinnovation voranzutreiben: Sie haben lokale und regionale Strukturen geschaffen, Kooperationen zwischen Unternehmen, Arbeitsverwaltung, Sozialpartnern, Bildungs- und Beschäftigungsträgern und weiteren Akteuren ermöglicht, Konzepte und Materialien entwickelt, die praktische Umsetzung von AoG-Angeboten realisiert und Forschungserkenntnisse generiert.

Die AoG gestaltet sich dabei sowohl in ihren möglichen Inhaltsbereichen (Lesen, Schreiben, Rechnen, digitale Kompetenzen, Lern- und Arbeitstechniken, Schlüsselqualifikationen) als auch hinsichtlich ihrer Adressat*innen (Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte mit Grundbildungsbedarf) vielschichtig und kontextabhängig flexibel. Eine eindeutige Zuordnung ist deshalb schwierig, da AoG als Teil beruflicher und betrieblicher Weiterbildung gefasst werden kann, zugleich jedoch häufig im Kontext arbeitsmarktbezogener Integrationsprozesse wirksam wird und dabei enge Bezüge zur berufsbezogenen Sprachförderung aufweist. Die Schwierigkeit, eine Zuständigkeit für AoG festzulegen, wird dabei auch grundlegend durch die bestehende Organisationsstruktur der Weiterbildungslandschaft in Deutschland beeinflusst: Während Weiterbildung formal in die Kompetenz der Länder fällt, sind Teilbereiche wie berufliche Bildung, Arbeitsförderung oder Integration verschiedenen Bundesministerien und nachgeordneten Behörden zugeordnet. Die Umsetzung wiederum gestaltet sich auf regionaler Ebene stark abhängig von den jeweiligen kommunalen Haushalten, vorhandenen Infrastrukturen sowie den beteiligten Institutionen und Netzwerken vor Ort. Damit bleibt AoG in der Praxis oftmals an das Engagement einzelner Akteure gebunden und zeigt sich in hohem Maße durch lokale Konstellationen bestimmt.

Aufgrund der fehlenden institutionellen Verankerung gilt AoG trotz einiger Umsetzungserfahrungen und vorliegender Forschungserkenntnisse nach wie vor als ein relativ neues Feld im Bereich der Erwachsenenbildung. Nach Inhaltsbereichen lässt sich AoG, in Abgrenzung zur Allgemeinen und Politischen Weiterbildung, der Beruflichen Weiterbildung zuordnen.

Abbildung 1: Weiterbildung nach Inhaltsbereichen (Bundesinstitut für Berufsbildung, 1996)Abbildung 1: Weiterbildung nach Inhaltsbereichen (Bundesinstitut für Berufsbildung, 1996)

Hinsichtlich ihrer möglichen Funktionen kann AoG in Bezug zur dargestellten Abbildung folgendermaßen beschrieben werden:

AoG kann die Funktion einer Brückenqualifizierung übernehmen. Ziel ist dabei die Stärkung der Qualifizierungsfähigkeit, damit Beschäftigte oder Erwerbslose im Anschluss an das AoG-Angebot an betrieblichen Qualifizierungen oder berufseingliedernden Maßnahmen erfolgreich teilnehmen können. AoG bildet in diesem Verständnis eine Brücke in Regelangebote, wie etwa Umschulungen oder Fortbildungen.

AoG kann in seiner zweiten Funktion auch ein begleitendes Angebot im Rahmen von individuellen beruflichen oder betrieblichen Umbruchsituationen sein. AoG läuft parallel oder integriert in andere Bildungsangebote (z. B. geförderte Maßnahmen, betriebliche Weiterbildungen, Nachholen von Schulabschlüssen) oder begleitend zu einer Umstrukturierungssituation im Unternehmen (z. B. Einführung eines neuen QM-Systems oder einer neuen Software). In dieser Funktion reduziert AoG etwa Drop-out aufgrund von Überforderungen der Teilnehmenden, erhöht die Aussichten einer erfolgreichen Bildungsteilnahme und unterstützt Menschen dabei mitzuhalten, wenn sich Arbeitsprozesse und Anforderungen ändern.

In seiner dritten Funktion kann AoG ein stärkendes Angebot mit der Zielsetzung sein, eine Beschäftigung nicht zu verlieren. Hier geht es dann vor allem darum, mit den bestehenden oder sich wandelnden Anforderungen an einem Arbeitsplatz oder einem Tätigkeitsfeld zurecht zu kommen. In Bezug auf die Abbildung handelt es sich dann etwa um Lernen am Arbeitsplatz oder Angebote, die auch Teil von Einarbeitungs- oder Upskillingprozessen sein können.

Insgesamt trägt AoG dazu bei, dass Menschen mit Grundbildungsbedarfen ihre beruflichen Handlungskompetenzen weiterentwickeln und so ihre Beschäftigungs- und Qualifizierungsfähigkeit sichern und stärken (Schwarz, 2021, S. 18-19).

1.1 Definitionen von AoG

AoG ist, wie bereits im vorherigen Abschnitt dargestellt, eine Bildungsdienstleistung, die zum Feld der Erwachsenenbildung gehört und sich an den Schnittstellen der beruflichen Weiterbildung, der betrieblichen Organisationsentwicklung, der Arbeitsförderung und als Teil von Integrations- und Sprachförderprozessen bewegt. AoG ist dabei bereits seit einigen Jahren nicht nur ein fachliches, sondern auch ein bildungspolitisches Thema (Tröster & Schrader, 2016, S. 42-58). Zumeist wird die Relevanz von AoG mit Verweis auf die LEO-Studien (2012 u. 2018) und die PIACC-Studien (2012 u. 2023) begründet. Diese Studien liefern einen empirischen Nachweis dafür, dass auch in Deutschland ein beträchtlicher Anteil der erwachsenen Bevölkerung (18 bis 64 Jahre) Schwierigkeiten mit dem Lesen, Schreiben, Rechnen und der Nutzung technologiebasierter Anwendungen hat. Gleichzeitig ist ein großer Anteil dieser Gruppe, wenn auch oft prekär, im Arbeitsmarkt integriert. Klassische Alphabetisierungs- und Grundbildungsangebote erreichen diese Zielgruppe jedoch kaum, weshalb in der AoG die Arbeitswelt als zentraler Lebens- und Lernraum in den Blick genommen wird (Frey & Menke, 2021, S. 7).

Grotlüschen et al. unterscheiden in der Begriffsdebatte um Literalität und Grundbildung drei Perspektiven: Die Hierarchiekontroverse versteht Grundbildung in Abgrenzung zu höherer Bildung, die Minimumkontroverse diskutiert notwendige Mindeststandards in verschiedenen Kompetenzfeldern, und die Kanonisierungskontroverse befasst sich mit der Frage nach einem Grundbildungskanon, der über Lesen und Schreiben hinausgeht (Grotlüschen et al., 2014).

Anschlussfähig für AoG ist vor allem der auch in Deutschland rezipierte angelsächsische Diskurs um Literalität als soziale Praxis (etwa Linde 2008 oder Pape 2021). Grundbildung trägt in diesem Verständnis zu einer Stärkung von Teilhabe- und Partizipationsmöglichkeiten in unterschiedlichen gesellschaftlichen Anwendungsfeldern bei. Grundbildung wird dabei immer kontextbezogen gedacht, etwa in Form von health, digital oder workplace literacy. Grundbildung befähigt Menschen dazu, sich in diesen Kontexten zu orientieren und handlungsfähig zu sein. Gleichzeitig trägt sie dazu bei, gesellschaftliche Integration zu fördern und Risiken von Ausgrenzung zu verringern.

Die drei Perspektiven sowie das Verständnis von Literalität als soziale Praxis bieten für eine Definition von AoG eine gute und anschlussfähige Orientierung. Gefragt wird zunächst danach, welche Kompetenzen Menschen mindestens benötigen, um an der Arbeitswelt teilhaben zu können. Dabei ist eine normative Festlegung eines festen Kanons wenig sinnvoll – stattdessen orientieren sich Inhalte der AoG an konkreten Arbeitsanforderungen und Anwendungskontexten, etwa Arbeitsplätzen oder branchenbezogenen Tätigkeitsfeldern. Spezifiziert wird, welche Anforderungen an Lesen, Schreiben, Rechnen, kommunikatives Verhalten, Problemlösen mittels digitaler Technik, Zusammenarbeit im Team oder Selbstorganisation in den jeweiligen Anwendungskontexten bestehen und welches Bündel an Grundkompetenzen zur Bewältigung dieser konkreten Aufgaben und Tätigkeiten mindestens erforderlich ist. So müssen etwa Arbeitsanweisungen gelesen, verstanden und im Team besprochen, die eigenen Arbeitshandlungen oder Beobachtungen entsprechend der unternehmensinternen Qualitätsvorgaben dokumentiert, Kundenanfragen hinsichtlich Größe oder Preis ausgerechnet und serviceorientiert kommuniziert, das eigenen Lernen organisiert oder Prüfungsaufgaben verstanden werden. Beschäftigte, auch im Helferbereich, müssen sich dabei zunehmend an digitalen Arbeits- und Kommunikationsprozessen beteiligen können. Solche konkreten Anforderungen werden als Bildungsanlässe und -inhalte begriffen, die didaktisiert und in AoG-Angebote überführt werden.

Ursprünglich wurde AoG als individualisierte Dienstleistung für Unternehmen und deren Beschäftigte konzipiert und in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit den Unternehmen entwickelt. Dies macht sie zu einer komplexen und beratungsintensiven Dienstleistung, die ein professionelles Bildungs- und Kooperationsmanagement erfordert (Klein & Reutter, 2021, S. 227-228). Trotz dieses individualisierten und oft unternehmensspezifischen Ansatzes wird darauf verwiesen, dass die Angebote nicht allein darauf abzielen, unternehmens- oder tätigkeitsgebundene Anforderungen zu bewältigen, sondern es geht um übertragbare Kompetenzen, die in anderen Kontexten nutzbar sind. AoG befähigt Individuen nicht nur dazu, an einem spezifischen Arbeitsplatz sicher zu agieren, sondern auch dazu, flexibel auf sich wandelnde Arbeitsanforderungen zu reagieren. Zudem eröffnet der Begriff „arbeitsorientiert“ in Abgrenzung zum Begriff „arbeitsplatzorientiert“ den Blick auf weitere Zielgruppen wie Arbeitssuchende, Personen in Umschulungen, Transfergesellschaften, Beschäftigungsmaßnahmen oder Personen im Übergang Schule-Beruf (Schwarz, 2021, S. 18).

Die in Bildungsforschung- und Bildungspraxis gängige Kompetenzorientierung (Schrader & Brandt, 2020) sowie die in den letzten Jahren zunehmende stärkere Orientierung an Wirkungen (Schrader & Brandt, 2025) sind für die AoG ebenfalls wichtige Ausrichtungen. Sowohl Wirkungen als auch Kompetenzen werden durch die zu erwartenden Erträge (Outputs, Outcomes u. Impacts) bzw. Lernziele beschrieben. Eine solche Perspektive begleitet optimalerweise Planung, Durchführung und Evaluation der AoG-Angebote. Die zu erwartenden Ergebnisse, wie z. B. verbesserte Kommunikation mit Kunden, sichererer Umgang mit digitalen Anwendungen, leserlichere Dokumentationen, höhere Bestehensquoten bei Prüfungen oder mehr Selbstvertrauen und Beteiligung an Lern- und Arbeitsprozessen lassen sich mit geeigneten Instrumenten analysieren und liefern im Ergebnis belastbare Nutzenargumente für eine weitere Etablierung von AoG.

Auch wenn das Ringen um ein einheitliches Verständnis von AoG noch nicht abgeschlossen ist, kann nachfolgend die seit 2012 vor allem durch die vom BMBF geförderten Projekte eingebrachte und im weiteren Verlauf und unter Einbezug etwa der Sozialpartner sowie wissenschaftlicher Vertretungen geschärfte Definition als Grundlage genutzt werden:

Arbeitsorientierte Grundbildung…

  • befasst sich mit der Frage, was Menschen mindestens wissen und können sollten, um erfolgreich an der Arbeitswelt teilzuhaben.
  • schafft Lernmöglichkeiten, vor allem für Personen mit niedrigen formalen Qualifikationen.
  • orientiert sich bei der Entwicklung von Inhalten an realen Arbeitsanforderungen.
  • zielt auf die Steigerung und Stärkung der Qualifizierungsfähigkeit und die Aufrechterhaltung oder (Wieder-)Herstellung der Beschäftigungsfähigkeit (Schwarz, 2021, S. 19)

1.2 Herausforderungen und Ansätze zur Weiterentwicklung von AoG

Die Transformation der Arbeitswelt durch Digitalisierung, Demografie, Dekarbonisierung und Globalisierung führt auch im Helferbereich zu höheren Anforderungen. Denn alle Beschäftigten sind gefordert, notwendige Veränderungsprozesse mitzutragen. Wie verschiedene Studien zeigen, erwarten Unternehmen künftig verstärkt (IW-Unternehmensbefragung) und auch bereits heute schon (Jobmonitor-Kurzanalyse) von dieser Beschäftigtengruppe nicht nur Grund-, sondern auch Zukunftskompetenzen.

Nach den Ergebnissen der IW-Unternehmensbefragung, die Ende 2022 im Projekt „AlphaGrund vernetzt“ durchgeführt wurde, sind im Grundbildungsbereich in den nächsten fünf Jahren neben Lesen und Schreiben in Deutsch sowie Rechnen vor allem grundlegende EDV-Kenntnisse gefragt. Schlüsselkompetenzen wie Flexibilität, Kommunikations- und Teamfähigkeit werden von den Unternehmen sogar noch höher bewertet. Insbesondere Unternehmen mit Rekrutierungsproblemen stehen vor der Herausforderung, Qualifizierungsreserven unterhalb der Facharbeiterebene zu erschließen. Dazu bieten sie Grund- und Weiterbildung auch für nicht formal Qualifizierte an, bevorzugt in arbeitsplatznahen Lernformaten. Diese betriebs- und zielgruppengerechten Lernformate bedürfen aus Unternehmensperspektive eine flankierende staatliche Förderung (Kremers et al., 2023).

Die Jobmonitor-Kurzanalyse „Diese Future Skills suchen Unternehmen schon heute“ verdeutlicht, dass überfachliche Kompetenzen in Stellenanzeigen zwischen 2019 und 2023 zunehmend nachgefragt werden. Dabei unterscheiden sich die Anforderungen für Fach- und Hilfskräfte weiterhin deutlich: Während bei Fachkräften Einfühlungsvermögen, kritisches und kreatives Denken wichtiger werden, liegt der Fokus im Helferbereich vor allem auf Anpassungsfähigkeit, Verlässlichkeit, Sorgfalt und zunehmend auch auf Deutschkenntnissen. (https://jobmonitor.de/analysen/kurzanalyse-futureskills/). Das bedeutet, dass auch im Übergang von weisungsgebundenen Hilfstätigkeiten zur Fachkraftrolle entsprechende Zukunftskompetenzen oft erst ausgebildet werden müssen (Klemme & Noack, 2024).

Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass sich AoG nicht allein auf den Erwerb allgemeiner und berufsbezogener Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen sowie Fähigkeiten zur (digitalen) Kommunikation im Arbeitskontext) beschränken kann, wenn sie eine erfolgreiche und nachhaltige Arbeitsmarktintegration unterstützen will. Da Qualifizierungs- und Beschäftigungsfähigkeit zentrale Ziele von AoG sind und sich die Anforderungen in der Arbeitswelt stetig verändern, müssen auch Inhalte und Methoden der Grundbildungsangebote weiterentwickelt werden. Der Stellenwert von Zukunftskompetenzen wird daher in allen drei im vorigen Abschnitt skizzierten Funktionsbereichen der AoG (Brücken-, Begleit- und Stärkungsfunktion) an Bedeutung gewinnen. Insbesondere in der Brückenfunktion trägt AoG dazu bei, gezielte Zugänge zu beruflicher Weiterbildung auch für Personen mit Grundbildungsbedarf zu eröffnen. Solche Qualifizierungswege müssen dabei einerseits grundbildungssensibel gestaltet sein und andererseits bereits den Erwerb von Zukunftskompetenzen anbahnen.

Ein Ansatzpunkt hierfür bilden die Teilqualifizierungen, die dazu beitragen, dass Hilfskräfte perspektivisch Fachkräfte werden. Durch eine enge Verzahnung mit der AoG lassen sich diese speziell auf nicht formal Qualifizierte zugeschnittenen Formate zu einem zielgruppengerechten Einstieg in berufliche Weiterbildung auch für Personen mit Grundbildungsbedarf weiterentwickeln (Dauser & Fischer, 2024). Teilqualifizierungen sind modular aufgebaut, berufsabschlussorientiert und sie setzen auf arbeitsplatznahes Lernen. In den letzten Jahren haben sie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Analysen des IAB zeigen, dass die jährlichen Eintritte in geförderte Teilqualifizierungen von 3.200 bis 7.600 zwischen 2010 und 2015 auf über 16.500 im Jahr 2023 gestiegen sind. Entsprechend dem Arbeitsmarktbedarf fördert die Bundesagentur für Arbeit vor allem Teilqualifizierungen in den Bereichen Fahrzeugführung im Straßenverkehr, Objekt- und Personenschutz sowie Lagerlogistik (Kruppe et al., 2024a). Dass diese Qualifizierungsform wirkt, belegen deutliche positive Effekte auf Beschäftigungschancen und Einkommen der Geförderten (Kruppe et al., 2023 und Kruppe et al., 2024b).

Damit Teilqualifizierungen auch für Menschen mit Grundbildungsbedarf eine realistische Option werden, müssen potenzielle Teilnehmende grundbildungssensibel darauf vorbereitet und dabei begleitet werden. Das bedeutet: In die bestehenden Qualifizierungsangebote sollten verstärkt Grundbildungsaspekte integriert und durch eine begleitende Lernunterstützung ergänzt werden. Bislang sind viele Maßnahmenkonstellationen noch nicht in dieser Weise ausgerichtet, sodass Teilnehmende mit Grundbildungsbedarf häufig auf Barrieren stoßen. Durch eine grundbildungssensible Weiterentwicklung können Teilqualifizierungen auch für Personen mit Grundbildungsbedarf eine Brücke in berufliche Weiterbildung sein und auf diese Weise einen Beitrag zur Fachkräfteentwicklung leisten.

In der vom BMBF (ab 2025 BMBFSFJ) initiierten Förderlinie „Grundbildungspfade“, greifen seit Herbst 2024 von insgesamt 10 geförderten Modellprojekte einige der Vorhaben auch die Idee auf, Teilqualifizierung und andere Qualifizierungsformate hinsichtlich ihrer Ausrichtung auf die Zielgruppe der Personen mit Grundbildungsbedarf weiterzuentwickeln (https://www.alphadekade.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Projektsuche/Projektsuche_Formular.html?nn=806502&cl2LanguageEnts_Status=laufend). Die Förderrichtlinie hat zudem dazu aufgefordert, dass sich die Projekte bei der Entwicklung von Grundbildungspfaden in regionalen Netzwerken an den Leitlinien „höher, breiter, integrativer“ orientieren sollen. „Höher“ meint, dass auch Menschen mit Alpha-Level 4 Zielgruppen der Grundbildungspfade sein können. Unter „breiter“ ist zu verstehen, dass Grundbildung nicht nur Lesen, Schreiben, Rechnen, sondern etwa auch digitale, soziale, finanzielle, kulturelle, politische oder Zukunftskompetenzen umfassen kann. „Integrativer“ bedeutet, dass die Angebote sowohl zugewanderte als auch in Deutschland aufgewachsene Erwachsene adressieren. Eine zentrale Idee dabei ist: Grundbildungspfade sollen kein Nebeneinander einzelner Angebote sein, sondern ein durchlässiges System, das Brüche im Bildungsweg reduziert und immer wieder neue individuelle Anschlussmöglichkeiten eröffnet. Erstmals im Feld der Alphabetisierung und Grundbildung werden die Entwicklungsprozesse der Modellprojekte durch ein Metavorhaben begleitet: das Kompetenzzentrum GrundbildungsPFADE.

Mit Blick auf die aktuelle Situation zeigt sich, dass bestehende Zugangswege und mögliche Bildungsetappen in der Weiterbildungslandschaft bislang kaum auf Personen mit Grundbildungsbedarf zugeschnitten sind. Potenzielle Teilnehmende treffen häufig auf ein intransparentes Angebots- und Unterstützungssystem. Bildungs- und Beratungsangebote sind oft zuständigkeitsorientiert und zielgruppenspezifisch ausgerichtet, werden von unterschiedlichen Akteuren umgesetzt und sind dabei nur unzureichend aufeinander abgestimmt. Dadurch entsteht ein wenig durchlässiges System, das eher punktuelle Beratung leistet oder einzelne Lerngelegenheiten bietet und selten langfristige Bildungsperspektiven eröffnet. Damit hängt sicherlich auch zusammen, dass nicht formal Qualifizierte nach wie vor weit unterdurchschnittlich an Weiterbildung teilnehmen. Weitere Gründe hierfür sind vor allem Lernungewohntheit, fehlende zeitliche Ressourcen und Zweifel am Nutzen einer Bildungsinvestition (Osiander et al., 2018). Eine aktuelle IAB-Analyse auf Basis des Nationalen Bildungspanels zeigt jedoch auch, dass diese Beschäftigtengruppe deutlich seltener Unterstützungsangebote durch ihren Betrieb erhält als höher qualifizierte Beschäftigte (Heß et al., 2025).

Daraus ergeben sich mehrere Handlungsbedarfe: Zum einen gilt es, Bildungsangebote und Ansprachestrategien stärker an den Bedarfen dieser Zielgruppe auszurichten. Zum anderen müssen Unternehmen weiterhin dafür sensibilisiert werden, dass sich Investitionen in betriebliche Angebote auch für diese Beschäftigtengruppe lohnen und es hierfür entsprechende Fördermöglichkeiten gibt, die genutzt werden können. Des Weiteren sind Ansätze einer ressortübergreifenden und verzahnten Zusammenarbeit zwischen Bereichen der Arbeitsmarktförderung, der Weiterbildung sowie der Sprachförderung im Kontext der Integrationspolitik notwendig, um eine grundbildungssensible und aufeinander bezogene Strukturentwicklung zu ermöglichen.

2 Erfahrungen aus dem Projekt „AoG Köln“

Das Projekt AoG Köln (Arbeitsorientierte Grundbildung und Grundbildungsberatung in Köln von 10/2021 bis 09/2024) zeigt beispielhaft, wie in einem regionalen Netzwerk vor allem für die Zielgruppe der arbeitssuchenden Personen in Köln eine Infrastruktur für AoG entwickelt und erprobt wurde (https://www.grundbildung-wirkt.de/aog-koeln/). Im Projekt haben sich Lernende Region – Netzwerk Köln e.V. (LRNK), Amt für Arbeit, Soziales und Senioren mit der Abteilung der Arbeitsmarktförderung der Stadt Köln und Jobcenter Köln in einem Verbund zusammengeschlossen. Zudem wurde das Projekt von der Agentur für Arbeit Köln unterstützt. Darüber hinaus stellte die Stadt Köln Fördermittel aus dem Kommunalen Programm für Arbeit und Beschäftigungsfähigkeit (KomProArBeit) für die Entwicklung und Durchführung von AoG-Angeboten zur Verfügung. Das Vorhaben wurde im Zeitraum von 1/2022 bis 12/2023 vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) wissenschaftlich begleitet.

In der Projektlaufzeit entwickelten und implementierten ein Tochterunternehmen der Stadt Köln sowie weitere Beschäftigungs- und Bildungsträger in einem begleiteten Prozess Grundbildungsangebote für ihre jeweiligen Zielgruppen. Vorrangige Zielgruppen der Angebote waren erwerbsfähige Personen, die Leistungen der Arbeitsförderung beanspruchen konnten.

Das Tochterunternehmen übernimmt Bewachungsaufträge der Stadtverwaltung Köln. Dabei werden auch geförderte Beschäftigte nach § 16i SGB eingesetzt. Für diese Beschäftigtenzielgruppe wurden mehrteilige Module zur Stärkung der kommunikativen Kompetenzen im Bewachungsalltag umgesetzt und Angebote zur Vermittlung von Lerntechniken erprobt.

In der Zusammenarbeit mit zwei Bildungs- und Beschäftigungsträgern entstanden Angebote zur Förderung digitaler Grundkompetenzen. In einem offenen Gruppenformat – das parallel zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme angeboten wurde – stärkten langzeitarbeitslose Menschen ihre Problemlösungsfähigkeit mittels der Nutzung von Smartphones. Teilnehmende in Arbeitsgelegenheiten (AGH)-Maßnahmen (Lager, Küche, Betreuung) wurden ebenfalls in offenen Angeboten an digitale Themen herangeführt.

Mit einem weiteren Bildungsträger wurde ein Format konzipiert und umgesetzt, welches sich an Teilnehmende in Vorbereitungslehrgängen für Umschulungen richtete. Ergänzend zu den regulären Bildungsbausteinen wurde ein „Übungstag“ etabliert, an dem die Teilnehmenden ihre sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten in praxisnahen Szenarien trainieren konnten.

Neben den Lernangeboten für die Teilnehmenden zielte das Projekt in Workshops und Train-the-Trainer-Formaten auf eine Professionalisierung des pädagogischen und nicht-pädagogischen Personal (etwa Anleiter*innen) der kooperierenden Einrichtungen ab. Zusammen mit dem Jobcenter Köln wurden zudem Sensibilisierungsstrategien für die Integrationsfachkräfte des Jobcenter entwickelt und umgesetzt.

Ein wesentliches Element des Projekts war der partizipative Innovationsprozess, in dem AoG gemeinsam mit unterschiedlichen beteiligten Partnern entwickelt wurde. Anstatt fertige Konzepte „überzustülpen“, wurden die Angebote auf die Bedarfe der Träger und Zielgruppen zugeschnitten. Die wissenschaftliche Begleitung konzeptualisierte AoG dabei als Bildungsinnovation, die im Sinne des Educational-Governance-Ansatzes in moderierten Prozessen etabliert wurde.

LRNK agierte dabei als „institutional entrepreneur“ (Schemmann, 2020) und schuf neue Strukturen, vernetzte Akteure, organisierte Ressourcen, betrieb Professionalisierung und Sensibilisierung und bearbeitete organisationale Widerstände. Das f-bb hat den Prozess der Implementierung von AoG als Bildungsinnovation als “critical friend” begleitet. Einleitend werden Ansatzpunkte für die Implementierung von AoG auf der Makro-, Meso- und Mikroebene skizziert. Daran anschließend werden Vorgehensweisen und erzielte Ergebnisse im AoG-Köln Projekt aus den beiden Perspektiven (institutional entrepreneur und critical friend) dargestellt.

2.1 Ansatzpunkte auf der Makro-, Meso- und Mikroebene

Damit AoG als Teilaspekt der beruflichen Bildung wirksam werden kann, braucht es eine funktionierende Infrastruktur und professionelle Akteure. Nach der Governance-Theorie entsteht diese über ein dynamisches Zusammenwirken zwischen Institutionen und Akteuren im Mehrebenensystem (Bickeböller, 2022; Herbrechter & Schemmann, 2018; Näpfli, 2019; Schemmann, 2020).

Auf der Makroebene wurden systemische Voraussetzungen in den letzten Jahren durch gesetzliche Vorgaben und vor allem durch die Bereitstellung geeigneter Förderinstrumente seitens Bund, Bundesagentur für Arbeit, Ländern und Kommunen ausgebaut (Bundesministerium für Arbeit und Soziales & Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2025a).

Um nachhaltige Beratungs- und Qualifizierungsstrukturen für AoG zu entwickeln und zu etablieren, gilt es auf der Meso- und Mikroebene Einrichtungen wie z. B. Unternehmen, Bildungs- und Beschäftigungsträgern aber auch Beratungsfachkräfte und Bildungs- und Fachpersonal weiter zu professionalisieren sowie Kooperationsstrukturen mit der Arbeitsverwaltung zu stärken. Denn für viele Akteure ist AoG nach wie vor eine Bildungsinnovation, die aktuell am besten über soziale Veränderungsprozesse in regionalen Netzwerken vorangetrieben werden kann. Eine Schlüsselrolle übernehmen dabei „institutional entrepreneurs“ (Schemmann, 2020), die als Impulsgeber zielgerichtete Innovationsprozesse anstoßen und in dem hier vorliegenden Verständnis für die Umsetzung sozialer Innovationen wirksam werden (Blättel-Mink & Menez, 2015; Hauschildt et al., 2016; Kehrbaum, 2009).

Auf der Makro- oder Systemebene setzten etwa die AlphaDekade und die Nationale Weiterbildungsstrategie Impulse, um strukturelle Rahmenbedingungen für die AoG zu stärken. Eingebunden sind dabei neben Bund, Ländern und Bundesagentur für Arbeit (BA) auch weitere Partner wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Sozialpartner, Wissenschaft und Bildungspraxis. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, aufeinander abgestimmte Angebote für die heterogene Zielgruppe, die deren unterschiedliche Lebenslagen berücksichtigen, zu entwickeln und bereitzustellen und diese in Einklang mit der Nachfrage und öffentlichen Fördermöglichkeiten zu bringen. Damit diese gelingt, muss die kooperative und zuständigkeitsübergreifende Zusammenarbeit der oben aufgeführten beteiligten Partner und Institutionen fortgesetzt werden. Dies unterstreicht auch der Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe 1 „Alphabetisierung und Grundkompetenzen“ der Nationalen Weiterbildungsstrategie (Bundesministerium für Arbeit und Soziales & Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2025b, S. 42 -54).

Die Länder beteiligen sich an der Strukturentwicklung z. B. durch Weiterbildungsgesetze, die Träger dazu anregen, Lernangebote in der Grundbildung umzusetzen, durch eigene auf die Zielgruppe zugeschnittene Förderprogramme sowie durch die Einrichtung von Grundbildungszentren (Bundesministerium für Arbeit und Soziales & Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2025a, S. 27 – 29). Ansätze zur regionalen Vernetzung und Kooperationen zwischen Akteuren der allgemeinen und der beruflichen Weiterbildung werden aktuell u. a. von den Projekten der laufenden Förderlinie „Grundbildungspfade“ intensiviert. Auch die Bundesagentur für Arbeit lotet Gestaltungsmöglichkeiten aus, wie arbeitsorientierte Grundbildungsanteile in eine Regelförderung integriert werden können. Grundkompetenzen können dabei bereits auf Basis bestehender Gesetze und Förderinstrumente (SGB II und III) sowohl für Erwerbslose als auch für Beschäftigte gefördert werden. Zu nennen sind hier insbesondere das Qualifizierungschancengesetz und das Teilhabechancengesetz sowie das Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz. Darüber hinaus besteht im Rahmen beruflicher Weiterbildung ein Rechtsanspruch auf eine geförderte Ausbildung zum Nachholen eines Schul- oder Berufsabschlusses.

Um insgesamt eine funktionierende Zubringer- und Abnehmerstrukturen für AoG zu entwickeln, ist ein koordiniertes Handeln auf allen drei Ebenen erforderlich.

Ziel ist es, Beratungssituationen grundbildungssensibel zu gestalten und durch eine Neuausrichtung bestehender Bildungsangebote erwerbsbiografische Entwicklungsperspektiven für die Zielgruppe zu eröffnen. Damit dies gelingt, müssen auf dem Bildungsmarkt entsprechende Angebote verfügbar und zugänglich sein (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Auf- und Ausbau von Zubringer- und AbnehmerstrukturenAbbildung 2: Auf- und Ausbau von Zubringer- und Abnehmerstrukturen

Zubringerstrukturen entstehen, wenn Beratungssituationen in allen beteiligten Einrichtungen grundbildungssensibel gestaltet werden – etwa durch Integrationsfachkräfte, Fallmanager*innen, Ausbildungsberater*innen, oder durch andere Beratungsfachkräfte bei Trägern der Beschäftigungsförderung oder in sozialräumlichen Einrichtungen, die engen Kontakt zur Zielgruppe haben. Diese Akteure müssen befähigt werden, Grundbildungsbedarfe zu erkennen, Kompetenzen einzuschätzen, Fördermöglichkeiten aufzuzeigen und passende Angebote zu vermitteln. Eine Neuausrichtung bestehender Beratungsangebote erfordert zudem die Verständigung auf Qualitätsstandards.

Abnehmerstrukturen entstehen, wenn auf dem Bildungsmarkt ausreichend Angebote verfügbar sind, diese zielgruppengerecht gestaltet sind und erwerbsbiographische Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen – von der Grundbildung über berufliche Kompetenzen bis hin zur abschlussbezogenen Weiterbildung. Diese Neuausrichtung muss sich an den Bedarfen der Zielgruppe, den Arbeitsanforderungen in den jeweiligen Branchen sowie den Fördervorgaben für Arbeitsmarktdienstleistungen orientieren. Zur Qualitätssicherung gehört dann auch eine weitere Professionalisierung der Bildungspraxis.

2.2 Die Rolle von LRNK als institutional entrepreneur

Zentrale Anliegen des Projektes waren: Beschäftigungs- und Bildungsträger zu professionalisieren und gemeinsam Grundbildungsangebote zu realisieren sowie einen nachhaltigen Beitrag zur grundbildungssensiblen Weiterentwicklung von Beratungs-, Unterstützungs- und Verweisstruktur in Köln zu leisten. Damit zielte das Projekt auf die Verknüpfung von Angebots- und Strukturentwicklung ab. Zudem sollten Erkenntnisse gewonnen werden, wie Instrumente der Arbeitsförderung gezielter für die AoG genutzt werden können.

Die Umsetzung war durch einen durchgängig kooperativen Ansatz geprägt. In enger Zusammenarbeit mit Bildungs- und Beschäftigungsträgern wurden Angebote erarbeitet und in bestehende Organisationslogiken integriert. Durch die aktive Einbindung der kommunalen Partner (Jobcenter, Agentur für Arbeit, Stadt Köln) als Weiterleitungspartner mit eigenen Personalressourcen waren diese ebenfalls unmittelbar an den Entwicklungsprozessen innerhalb ihrer eigenen Organisationen und im Austausch mit weiteren Bündnissen und Netzwerken in Köln beteiligt.

LRNK nahm dabei die Rolle eines institutional entrepreneur ein, also eines Veränderungsagenten, der Innovationsprozesse nicht nur initiiert, sondern aktiv begleitet. Diese Rolle umfasste sowohl klassische Projektsteuerung als auch die Funktion eines Katalysators, der Akteure miteinander verbindet und Handlungsräume für Veränderungen eröffnet.

Die begleitende Angebotsentwicklung mit Bildungs- und Beschäftigungsträgern erwies sich als besonders tragfähig. Deutlich wurde, dass AoG kein standardisiertes Produkt darstellt, sondern nur in partizipativer Zusammenarbeit mit den beteiligten Akteuren zu bedarfsorientierten Angebotsformaten führte. LRNK konnte hier mit Expertise und methodischen Impulsen unterstützen, zugleich aber auch Lernprozesse innerhalb der Organisationen anstoßen. Eine wichtige Rolle spielte die Qualifizierung des pädagogischen Personals, etwa durch Train-the-Trainer-Formate, die nicht nur fachliche Kompetenzen stärkten, sondern auch halfen, Widerstände gegenüber Neuerungen zu überwinden. Die Erfahrungen mit den Trägern verdeutlichen zugleich, dass diese AoG als etwas Neues wahrgenommen haben: Sie mussten sich auf das Thema einlassen, Ressourcen aktivieren und gleichzeitig mit Unsicherheiten bezogen auf eine erfolgreiche Umsetzung umgehen. Vor allem die empfundene Unsicherheit konnte durch kontinuierliche Begleitung, gemeinsame Konzeptarbeit und durch die Möglichkeit, finanzielle Mittel über das kommunale Programm zu beantragen, reduziert werden. So gelang es, AoG Schritt für Schritt in bestehende Strukturen bei insgesamt fünf kooperierenden Trägern und einem Tochterunternehmen der Stadt Köln einzubetten.

Konkret bedeutete das:

  1. Sensibilisierung: Informationsveranstaltungen zu kommunalen Fördermöglichkeiten und Chancen von AoG.
  2. Ideenentwicklung: moderierte Workshops, in denen Bildungsträger eigene Ansätze für Grundbildungsangebote konkretisieren konnten.
  3. Umsetzungsbegleitung: enge Unterstützung bei Konzeptentwicklung, Antragsstellung beim kommunalen Förderprogramm, Organisation und Durchführung.
  4. Professionalisierung: Train-the-Trainer-Ansätze zur Qualifizierung des pädagogischen Personals.

Der Ansatz als institutional entrepreneur Impulse für die Weiterentwicklung von grundbildungssensibler Beratungs-, Unterstützungs- und Verweisstruktur zu setzen, erwies sich als komplexe Herausforderung. Zwar konnte das Thema durch die aktive Beteiligung des Arbeitgeber-Service Köln stärker in die Qualifizierungsberatung, die sich an Unternehmen richtet, eingebracht werden. Gleichwohl blieb die Nachfrage nach Grundbildungsangeboten im Rahmen des Qualifizierungschancengesetzes gering; auch in den Weiterbildungsdatenbanken finden sich nur wenige explizite Angebote. Eine weiter zu bearbeitende Frage ist deshalb, durch welche (risikoentlastenden) Anreize die potenzielle Anbieterlandschaft (Träger) dabei unterstützt werden kann, AoG in das eigene Angebotsportfolio zu integrieren.

Auch die Sensibilisierungsstrategien von Beratungsfachkräften (z. B. Integrationsfachkräfte im Jobcenter), die im direkten Kontakt mit Personen mit Grundbildungsbedarfen stehen, zeigten auf Mikro-Ebene Wirkung. Deutlich wurde aber auch, dass hierfür Top-down-Prozesse notwendig und nur auf Dauer angelegte standardisierte Sensibilisierungsformate zielführend sind, um ein breiteres Grundbildungsverständnis bei den Beratungsfachkräften zu erreichen. Denn bisher fokussieren diese nicht primär auf die Entwicklungspotenziale ihrer Kund*innen, sondern eher auf deren aktuelle Leistungsfähigkeit. Vorrangig geht es um eine möglichst schnelle Vermittlung in Arbeit, auch wenn diese langfristig weniger nachhaltig ist. Als großer und weit über die kommunalen Projektaktivitäten hinausgehender Erfolg kann die Initiierung einer Arbeitsgruppe der Bundesagentur für Arbeit gewertet werden, deren Zielsetzung darin besteht, dass Thema Alphabetisierung und Grundbildung als Qualifizierungsangebot in der BA-Lernwelt fest zu verankern. Die BA-Lernwelt ist eine Onlineplattform im Intranet, auf der sich eine Vielzahl an Selbstlernmedien und Onlineschulungen für Mitarbeitende der Agenturen für Arbeit sowie Jobcenter finden. LRNK war an der Initiierung beteiligt und ist mit seiner Fachexpertise in die aktuellen Entwicklungen eingebunden.

Insgesamt lässt sich resümieren, dass Systemveränderungen im Feld der Grundbildung nur dort gelingen, wo Prozesse gemeinsam mit den relevanten Akteuren gestaltet und dabei kontinuierlich begleitet werden. Die vorhandenen Kölner Netzwerkstrukturen, die Zusammenarbeit mit den Verbundpartnern sowie die Einbindung in die kommunale Arbeitsmarktförderung boten hierfür eine gute Ausgangsbasis. Gleichwohl hat sich gezeigt, dass AoG keine Selbstverständlichkeit ist: Um die Weiterentwicklung voranzutreiben, braucht es auch künftig „Kümmerer“, die die Netzwerke koordinieren und das Thema strategisch begleiten.

2.3 Die wissenschaftliche Begleitung als “critical friend”

Das f-bb sollte im Rahmen einer prozessbegleitenden externen Evaluation den Erfolg der regionalen Strukturentwicklung in Bezug auf die Projektziele und mögliche Hindernisse sichtbar machen und Optimierungspotenziale aufzeigen. Als „Critical Friend“ arbeitete es nicht nur Handlungsempfehlungen für den Transfer heraus, sondern unterstützte die Projektakteure durch Hinweise für das Innovationsmanagement bei der Implementierung der Bildungsinnovation AoG im laufenden Prozess. Als Evaluationsansatz für die Untersuchung diente ein Wirkungsmodell in Anlehnung an das IPOO-Modell von Brown und Svenson (1988). Als Gegenstand der Evaluation lassen sich hierbei Input, Process, Output und Outcome betrachten, die in gegenseitiger Wechselwirkung stehen. Dieses Modell wurde erweitert um Phasen von sozialen Innovationsprozessen (z. B. 4i-Prozess des Center for Social Innovation in Wien – „Idea“, „Intervention“, „Implementation“ und „Impact“). Um förderliche und hinderliche Bedingungen für die Institutionalisierung der AoG identifizieren zu können, wurden orientiert am Mehrebenenmodell die eingesetzten Ressourcen (Input) in den Blick genommen. Dabei lag der Fokus insbesondere auf Fördervorgaben oder geltende Rechtsnormen (Makroebene), auf in den Organisationen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen (Mesoebene) sowie auf Unterstützungsstrukturen und Anreizsysteme für die beteiligten operativ oder strategisch tätigen Akteure bei den Trägern und insbesondere auch in der Arbeitsverwaltung (Mikroebene). Um den (Veränderungs-)Prozess nachvollziehen zu können, wurde erhoben, wie die Akteure vorgehen und welche Aktivitäten sie entfalten; dabei wurden alle Phasen des Innovationsprozesses von der Ideengenerierung (Analysephase), über die Pilotierung (Experimentierphase) und den eigentlichen Strukturaufbau (Implementierungsphase) bis hin zur Sicherung notwendiger Ressourcen für die Initiierung des angestrebten „Systemwandels“ in den Blick genommen. Die erzielten Ergebnisse (Output) wurden aus Perspektive der mittel- und unmittelbar Beteiligten vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Wertesysteme, als deren subjektiver institutioneller Mehrwert erfasst. Angesprochen waren hier vor allem die durchführenden Bildungsanbieter und die Arbeitsverwaltung; wobei im Vordergrund der Analyse und Bewertung Aspekte der Verbesserung der Qualität von Maßnahmen sowie ihrer Passung zu vorhandenen Förderstrukturen standen. Über die Wirkungsanalyse (Outcome) konnte im Hinblick auf Handlungsempfehlungen aufgezeigt werden, welche förderrechtlichen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen erfolgsrelevant sind.

Zur Identifikation von Erfolgsbedingungen, Handlungs- und Entwicklungsbedarfen sowie Transferschritten für eine nachhaltige regionale Etablierung von AoG in den Strukturen der Arbeitsmarktförderung und Arbeitsverwaltung hat das f-bb qualitative (Gruppen-)Interviews mit allen am Projekt beteiligten Stakeholdern geführt (n=9). Zur wissenschaftlichen Analyse und Bewertung der Angebotsentwicklung und Umsetzung verschiedener Maßnahmenkonstellationen sowie zur Ableitung von Entwicklungs- bzw. Transfermöglichkeiten hat das f-bb qualitative Interviews mit Vertreter*innen der beteiligten Träger und durchführenden Trainer*innen geführt (n=7) sowie Konzeptvorlagen und Online-Protokolle zur Entwicklung und Umsetzung verschiedener Maßnahmenkonstellationen ausgewertet. Zudem fand kontinuierlich eine enge prozessbegleitende Abstimmung statt.

2.4 Erschließen von Förderstrukturen für AoG

Grundbildungssensible Bildungs- und Beratungsstrukturen entstehen nicht von selbst – sie benötigen passende Förderung, wirtschaftliche Attraktivität für Anbieter und Transparenz für potenzielle Teilnehmende. Zwar gibt es zahlreiche Fördermöglichkeiten, diese werden jedoch bislang nicht systematisch für AoG genutzt. Auch führen solche Möglichkeiten und Rahmenbedingungen auf einer Makroebene nicht automatisch zu regionalen Strukturentwicklungen. Prozesse müssen vielmehr, ähnlich wie im Fallbeispiel AoG Köln dargestellt, auf der Meso- und Mikroebene durch Organisationsentwicklung, Professionalisierung der Bildungs- und Beratungsanbieter sowie durch lokale Kooperationen vorangetrieben werden.

Ob regionale Arbeitsmarktakteure in die Weiterentwicklung von AoG investieren, hängt dabei jedoch maßgeblich von den bestehenden Fördervorgaben und deren Wirtschaftlichkeit ab. Nachfolgend wird deshalb der Versuch unternommen, bestehende gesetzliche Grundlagen und Förderinstrumente hinsichtlich möglicher Anschlüsse für AoG zu systematisieren:

  • Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 45 SGB III): Hier ist eine Förderung von Grundkompetenzen bereits vorgesehen, sofern berufsbezogene Inhalte überwiegen. Grundbildung umfasst dabei neben mathematischen und Schriftsprachkompetenzen auch die Vermittlung digitaler Kompetenzen, die Förderung von überfachlichen Kompetenzen und grundständigen berufsbezogenen Kompetenzen im Zusammenhang mit der eigenen Gesunderhaltung. Die Verzahnung mit Angeboten anderer Leistungsträger (z. B. Länder oder Gesetzliche Krankenversicherung) wird seitens der Arbeitsverwaltung als sinnvoll erachtet.
  • Förderung von Grundkompetenzen im Vorfeld abschlussbezogener Weiterbildung (§ 81 Abs. 3a SGB III): Ziel ist es, geringqualifizierten, langzeitarbeitslosen oder lernentwöhnten Personen den Zugang zu berufsabschlussbezogener Qualifizierung zu eröffnen.
  • Weiterbildung mit überwiegend berufsbezogenen Inhalten (§ 81 ff. SGB III): Auch hier können allgemeinbildende Inhalte wie digitale Grundkenntnisse oder Lern- und Arbeitstechniken vermittelt werden. Integriert werden können auch Formen der Lernprozessbetreuung sowie umschulungsbegleitende Hilfen (§ 131a Abs. 2 SGB III).

Besonders anschlussfähig für AoG sind Förderinstrumente zur Heranführung von langzeitarbeitslosen Personen an den Arbeitsmarkt. Zu nennen sind hier vor allem die Instrumente zur Beschäftigungsförderung aus dem Programm „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ auf der Rechtsgrundlage des §16i SGB II und Arbeitsgelegenheiten (AGH) nach § 16d SGB II. Adressiert werden in beiden Konstellationen sehr arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte.

Die Förderung ist gestaltungsoffen und zielt auf eine Verbesserung grundlegender Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmenden und soll ihre Arbeitsmarktchancen (mittelfristig) erhöhen. Ziel ist es, durch die Finanzierung von Arbeit statt von Arbeitslosigkeit die soziale Teilhabe der Betroffenen zu verbessern. Dabei richtet sich der erforderliche Betreuungsumfang nach dem individuellen Bedarf und kann auch für den Erwerb von Grundkompetenzen genutzt werden. Konkret können von der Arbeitsverwaltung pro gefördertem Beschäftigungsverhältnis Weiterbildungskosten in Höhe von insgesamt bis zu 3.000 Euro übernommen werden. Die ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung adressiert dabei auch arbeitsweltliche Aspekte wie Verhaltenserwartungen von Vorgesetzen sowie von Kolleginnen und Kollegen, darunter etwa Pünktlichkeit, die Einhaltung der Arbeitszeiten oder das Befolgen von Anweisungen (Bauer et al., 2021).

Arbeitsgelegenheiten bieten Tätigkeiten für Bürgergeldbezieher*innen mit Mehraufwandsentschädigung für bis zu 24 Monate. Sie dienen dem Sammeln von Arbeitserfahrung, dem Austesten von Belastungsgrenzen und können ebenfalls mit Grundbildungsanteilen angereichert werden.

Im Projekt AoG Köln wurden, wie oben skizziert, verschiedene geförderte Maßnahmen gemeinsam mit den jeweiligen Trägern um Grundbildungsanteile ergänzt oder durch Zusatzangebote begleitet. Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung war dabei zum einen die risikoentlastende Unterstützung über das kommunale Förderprogramm, das für die Träger einen wichtigen Anreiz bot. Zum anderen trug die zusätzliche Expertise des Projekts wesentlich dazu bei, die bestehenden Angebote grundbildungssensibel weiterzuentwickeln.

Deutlich wurde im Fall Köln aber auch, dass eine systematische Erschließung bestehender Förderinstrumente nicht einfach ist. Sie ist geprägt von individuellen und institutionellen Entscheidungs- und Ermessensspielräumen sowie von kommunalen Besonderheiten und lässt sich somit nicht unmittelbar auf andere Regionen übertragen.

2.5 Regionale Angebots- und Strukturentwicklung im Netzwerk

Damit AoG in bestehende Aus- und Weiterbildungsstrukturen eingebunden und Transparenz über Fördermöglichkeiten und Lernangebote geschaffen werden kann, müssen regionale Netzwerke gezielt auf das Thema ausgerichtet werden. Ziel ist esdie Abstimmung und die Zusammenarbeit relevanter Institutionen zu verbessern. Beteiligt an solchen Prozessen sind regionale Arbeitsmarktakteure (Kammern, Innungen, Bildungsdienstleister, Unternehmen) sowie Jobcenter und Arbeitsagenturen. Mit dazu zählen aber auch kommunale Einrichtungen und sozialräumliche Partner (wie Beratungsstellen, Familienzentren und Volkshochschulen), die bisher vorwiegend wichtige Akteure in der lebensweltorientierten Grundbildung sind. Eine strategische Verständigung allein reicht jedoch nicht aus – auch die operativ tätigen Akteure müssen sich vernetzen und in den Austausch treten.

Die Beziehungen in solchen Akteurskonstellation sind durch rechtliche, organisatorische und kulturelle Bedingungen geprägt. Veränderungen können durch externe Impulse, interne Initiativen, kollektive Entscheidungsprozesse (top-down, bottom-up, Konsens) oder durch Veränderungsdruck und -anreize angestoßen werden. Es empfiehlt sich, diese Dynamiken im Mehrebenenmodell zu verorten und fördernde sowie hemmende Faktoren („Promotoren“ und „Inhibitoren“) für die Institutionalisierung von AoG herauszuarbeiten (Näpfli, 2019, S. 132-145).

Damit Förderinstrumente tatsächlich stärker für AoG genutzt werden konnten, wurden im AoG Köln Projekt grundbildungsorientierte Maßnahmenkonstellationen entwickelt, die zu bestehenden Förderlogiken und Organisationsstrukturen der beteiligten Institutionen passten. Dabei begleitete LRNK in der Rolle als institutional entrepreneur interessierte Träger über Workshops und Organisationsentwicklungsprozesse bei der Professionalisierung und Ausgestaltung von Angeboten.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Institutionalisierung von AoG war die Unterstützung der Bildungspraxis bei der Angebotsentwicklung. Dafür entwickelte AoG Köln ein Verfahren, mit dem Bildungsträger von der Grundbildungsidee bis zur Pilotierung und Verstetigung begleitet wurden.

Dieser Ansatz erwies sich als zielführend: Maßnahmen konnten grundbildungssensibel ausgestaltet werden, ohne dass das bekannte „Not-invented-here-Syndrom“ (die Ablehnung externer Ideen) zum Hindernis wurde. Unterstützt wurde dies durch risikoentlastende Innovationsnetzwerke (Kowol & Krohn, 1997) und den Zugang zu kommunalen Fördermöglichkeiten. Dies reduzierte bei den Trägern Unsicherheiten und stärkte die Bereitschaft zur Erneuerung (Blättel-Mink & Menez, 2015; Kehrbaum, 2009).

3 Fazit

Im Rahmen der regionalen Angebots- und Strukturentwicklung konnte AoG Köln auf bestehende Unterstützungsstrukturen und kommunale Anreizsysteme zurückgreifen. Förderliche und hemmende Bedingungen ergaben sich vor allem aus der Frage, ob Einrichtungen personelle und kontinuierliche Ressourcen bereitstellen konnten. Zudem hing das Engagement der Träger stark von Förderbedingungen und deren wirtschaftlicher Attraktivität ab. Durch die modellhafte Entwicklung von Maßnahmenkonstellationen entstanden Beispiele guter Praxis, die dokumentiert, nutzergerecht aufbereitet sowie publiziert wurden (Hamann, 2024; Sass, 2024; Sass & Schwarz, 2024; Schwarz & Morales 2024).

Für die Institutionalisierung von AoG erwies sich ein „institutional entrepreneur“ als zentral. Er nutzt bestehende und initiiert neue Netzwerke, verbindet ressourcenstarke Partner, macht regionale Bedarfe sichtbar, unterstützt die Professionalisierung der Akteure und sorgt für Qualitätssicherung. Zudem sorgt er für die Verbreitung legitimierender Erzählungen (Schemmann, 2020, S. 112). Darüber hinaus hilft er, Fördermöglichkeiten für AoG zu erschließen und in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen. Dabei muss er auch individuelle, organisatorische und externe Widerstände abbauen und Innovationsprozesse partizipativ steuern.

Tabelle 1: Institutional Entrepreneur: Aufgabenaspekte und Zielstellungen (eigene Erstellung)

Aufgabenaspekt

Zielstellung

Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage

Transparenz von Bedarfen herstellen

Professionalisierung des Beratungs- und Bildungspersonals

Qualität sichern

Organisationsentwicklung bei Beratungs- und Bildungsanbietern

Grundbildungsorientierte Angebotsentwicklung unterstützen

Strukturentwicklung für AoG über Verzahnung von verschiedenen Fördermöglichkeiten

Zubringer-, Abnehmer- und Förderstrukturen in ein kohärentes Zusammenspiel bringen

Auf- und Ausbau sowie Neuausrichtung von Beratungs- und Bildungsangeboten

Kommunikations- und Vertriebsstrategien für AoG in der Region abstimmen

Vernetzung

Nachhaltige (über-)regionale Netzwerke für AoG knüpfen

Eine Strukturentwicklung für AoG bezogen auf die drei Ebenen lässt sich stichwortartig folgendermaßen systematisieren:

  • Makroebene (System): Abstimmung von Förderstrukturen und Ausrichtung gewachsener Netzwerke der Wirtschafts- und Arbeitsmarktakteure auf AoG.
  • Mesoebene (Organisation): Aufbau von Beratungs- und Angebotsstrukturen sowie begleitende Angebotsentwicklung entlang institutioneller Entwicklungslogiken.
  • Mikroebene (Individuum): Sensibilisierung und Professionalisierung von Fachpersonal, um dort ein erweitertes Verständnis von Grundbildung zu fördern, das Potenziale zur Beschäftigungs- und Qualifizierungsfähigkeit in den Blick nimmt.

Eine Erkenntnis war im Falle von AoG Köln auch, dass die Rolle eines institutional entrepreneurs eine Daueraufgabe ist, die optimalerweise trägerneutral ausgefüllt wird. Dabei bleibt AoG ein erklärungsbedürftiges Produkt mit hohen Entwicklungskosten und begrenzter Kompatibilität zu bestehenden Strukturen. Zentral ist dabei, dass Jobcenter, Agenturen für Arbeit und Arbeitsmarktförderung als beteiligte Partner mit im Boot sind und AoG als zentrales Handlungsfeld erkennen. Damit das Thema präsent bleibt, sind zudem dauerhafte Netzwerkaktivitäten und aktuell auch kontinuierliche Sensibilisierung und Professionalisierung von Fachkräften notwendig.

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Zitieren des Beitrags

Dauser, D. & Schwarz, S. (2025). Arbeitsorientierte Grundbildung (AoG) als Bildungsinnovation. Erkenntnisse aus dem Kölner Modell. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, 49, 1–21. https://www.bwpat.de/ausgabe49/dauser_schwarz_bwpat49.pdf

Veröffentlicht am 18. Dezember 2025