bwp@ 49 - Dezember 2025

Innovation und Transfer in der beruflichen Bildung

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, H.-Hugo Kremer, Karl Wilbers & Petra Frehe-Halliwell

Innovation oder Irritation? – Wie Lernende Learning Experience Platforms erleben und was das für die betriebliche Weiterbildung bedeutet

Beitrag von Sylvia W. Schweigler-Zitko
Schlüsselwörter: Learning Experience Plattform (LXP), agiles Lernen, betriebliche Weiterbildung, selbstgesteuertes Lernen

Digitale Lernumgebungen gelten zunehmend als Schlüsselkomponenten für moderne Weiterbildungskonzepte. Neben klassischen Tools, wie Lernmanagementsystemen (LMS), die zur Verwaltung von Lernenden und Kursen genutzt werden, rücken seit über zehn Jahren auch adaptive Lernumgebungen in den Vordergrund. Die Volkswagen AG hat im Jahr 2021 eine sogenannte Learning Experience Platform (LXP) in ihre digitale Weiterbildungslandschaft integriert, um individuelles und selbstgesteuertes Lernen zu fördern. Lernende sollen flexibel auf Lernangebote zugreifen und personalisierte Lernerfahrungen durchlaufen können. Die veränderte, digitale Lernlandschaft hat Auswirkungen auf die Tätigkeit des Bildungspersonals und auf das Design von Lehr-/Lernarrangements. Somit drängen sich einige Fragen auf: Wie wird die digitale Lernumgebung, insbesondre die LXP, im betrieblichen Kontext tatsächlich von den Lernenden angenommen und genutzt? Welche Fragen und Herausforderungen kommen auf das Bildungspersonal zu? Wo liegen die Chancen und Grenzen der Selbststeuerung im digitalen, betrieblichen Lernen? In diesem Beitrag sollen diese Fragen, ausgehend von den vorliegenden Teilergebnissen einer mehrjährigen Begleitforschung, reflektiert werden.

Innovation or Irritation? – How Learners Experience Learning Experience Platforms and What This Means for Corporate Continuing Education

English Abstract

Digital learning environments are increasingly regarded as key components of modern corporate continuing education. In addition to classical tools such as Learning Management Systems (LMS), which serve to organize learners and courses, adaptive learning environments have gained importance for more than a decade. In 2021, Volkswagen AG integrated a Learning Experience Platform (LXP) into its digital training landscape to promote individual and self-directed learning. Learners are expected to access resources flexibly and benefit from personalized learning experiences. This transformation of the learning environment has implications for educational staff and the design of teaching and learning arrangements. Central questions arise: How is the LXP perceived and used by learners in workplace settings? What challenges does this create for educational professionals? Where are the opportunities and limitations of self-directed learning in digital corporate contexts? This article reflects on these issues based on interim results of a multi-year accompanying study.

1 Transformation als Treiber von Bildungsinnovation: Die Learning Experience Platform (LXP)

Die digitale Transformation verändert die Arbeitswelt grundlegend. Das gilt insbesondere für große Industrieunternehmen wie die Volkswagen AG. Die Automobilindustrie steht bekanntermaßen vor großen Herausforderungen. Technologische Entwicklungen wie die Elektromobilität und die zunehmende Digitalisierung von Produkten und Prozessen verändern nicht nur die Geschäftsmodelle, sondern auch die erforderlichen Kompetenzen der Beschäftigten. Gleichzeitig wächst der Druck, Innovationszyklen zu verkürzen und Nachhaltigkeitsziele konsequent zu verfolgen. Aus Sicht des Unternehmens ist daher eine zentrale Frage, wie Mitarbeitende und Führungskräfte befähigt werden können, mit diesen schnellen Entwicklungen Schritt zu halten. Angesichts dessen tritt die zentrale Rolle des lebenslangen Lernens deutlich hervor. Die Volkswagen AG engagiert sich seit vielen Jahren in der aktiven Gestaltung von Lernprozessen im Arbeitskontext, um zukunftsorientierte Bildungsangebote bereitzustellen. Der Volkswagen Konzern betreibt seit 2021 erhebliche Anstrengungen, um seine Beschäftigten für die Anforderungen der Transformation zu qualifizieren. Dabei verfolgt das Unternehmen eine klare Strategie: Mitarbeitende sollen befähigt werden, den Wandel aktiv mitzugestalten und ihre langfristige Beschäftigungsfähigkeit zu sichern (Volkswagen AG, 2025, S. 375). Dies zeigt sich nicht nur im kontinuierlichen Ausbau klassischer Weiterbildungsangebote, sondern vor allem im Aufbau eines innovativen, umfassenden digitalen Lernökosystems – auch Learning Ecosystem (LES) genannt (Volkswagen AG, 2025, S. 170).

Abbildung 1: Schematischer Aufbau des (technologischen) Learning Ecosystems: Sowohl interne als auch externe digitale Lerninhalte werden in der LXP für Lernende sichtbar und nutzbar (eigene Darstellung)Abbildung 1: Schematischer Aufbau des (technologischen) Learning Ecosystems: Sowohl interne als auch externe digitale Lerninhalte werden in der LXP für Lernende sichtbar und nutzbar (eigene Darstellung)

Im Zusammenspiel von konzernweit implementierter Learning Management System (LMS), einer Learning Experience Platform (LXP) und weiteren digitalen Technologien entwickelt sich ein technologisches Learning Ecosystem. Die LXP bildet dabei das Herzstück, indem sie zeitlich flexibles Lernen eröffnet, während die betriebliche Weiterbildung die inhaltliche Steuerung und Koordination des Angebots verantwortet. Darüber hinaus fungiert die LXP als zentrale Eintrittsstelle zu einem vielfältigen und flexibel nutzbaren digitalen Lernangebot. Sie ermöglicht individuelles Lernen im Arbeitsalltag und soll Führungskräfte sowie Mitarbeitende beim Aufbau zukunftsrelevanter Kompetenzen unterstützen. Ziel ist es, Lernen im Unternehmen im „Moment of need“ zu ermöglichen sowie personalisierter zu gestalten. Die LXP offeriert Zugang zu internen und externen, exklusiven Lernressourcen, generiert KI-gestützte, nutzerbasierte Empfehlungen und liefert Echtzeitdaten zum Lern- und Nutzungsverhalten von Lernenden.

1.1 Bildungspersonal im Wandel: Neue Rollenprofile durch technologische Innovation

Die Lernangeboteseite wird nicht nur umfassend digitalisiert, auch die Rolle des Bildungspersonals verändert sich in dem Zuge. Mit der Einführung der LXP rückt neben der Frage nach einem zielführenden methodisch-didaktischen Design der Lerninhalte auch die Frage in den Vordergrund, welche Aufgaben Bildungsexpert/innen und Trainer/innen künftig übernehmen sollen. Zwischen 2019 und 2022 wurden daher die Rollen der Bildungsexpert/innen grundlegend neu definiert. Von insgesamt sechs unterschiedlichen Rollen, die in der betrieblichen Weiterbildung definiert sind, übernehmen vier Rollen im Hinblick auf die LXP eine relevante Funktion, da sie gestalterisch wirksam in die Entwicklung und Umsetzung eingreifen:

  • Lerntechnologie-Expert/innen unterstützen das Lernen, indem sie funktionale Anforderungen identifizieren und Lerntechnologien sowie -prozesse implementieren, steuern und weiterentwickeln.
  • Lernarchitekt/innen konzipieren digitale Lernangebote durch methodisch-didaktische Gestaltung und durch die Auswahl passender Formate.
  • Lernstrategie-Expert/innen prägen das Learning Ecosystem strategisch und schaffen Transparenz über Skill- und Weiterentwicklungsbedarfe.
  • Lernbegleiter/innen entwickeln Qualifizierungskonzepte, führen Trainings durch, tracken den Lernerfolg und betreuen im Rahmen von Lehr-/Lernarrangements Lernende sowie Lerngemeinschaften.

Hinsichtlich der Strukturierung und des Aufbaus der LXP nehmen Lernstrategie-Expert/innen, Lernarchitekt/innen und Lernbegleiter/innen eine besondere Rolle ein: Lernstrategie-Expert/innen entwickeln auf strategischer Ebene Leitideen und -konzepte für den Aufbau und das Design der digitalen Lernangebotsseite. Lernarchitekt/innen (z. T. in Allianz mit Lernbegleiter/innen) sind für die konkrete Umsetzung und zielgruppenspezifische Umsetzung digitaler Lernreisen verantwortlich. So kuratieren sie Lernpläne und Lernpfade in der LXP, wählen relevante digitale Inhalte aus oder produzieren diese bei Bedarf selbst. Lernbegleiter/innen wiederum führen durch Lehr-/Lernarrangements durch, agieren als direkte Ansprechpersonen, bieten Sprechstunden an und sind oft in digitalen Settings als Community-Manager/innen tätig. Es wird deutlich, dass die Art und Weise, wie ein Lernangebot auf der LXP die Lernenden erreichen soll, maßgeblich durch das Handeln von Lernarchitekt/innen und Lernbegleiter/innen bestimmt wird.

An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass nicht alle hier aufgeführten Tätigkeiten als neu in der betrieblichen Weiterbildung bezeichnet werden können. So hat es z. B. Lernbegleiter/innen unter dem Begriff Trainer/innen auch schon vor Einführung der LXP gegeben.

1.2 Lernformate im Wandel: Zwischen Lerntechnologie und neuen Lehr‑/Lernarrangements

Mit der stattfindenden Transformation und dem strategischen Aufbau eines digitalen Lernökosystems wurde auch das Portfolio der Weiterbildungsmaßnahmen kritisch reflektiert. Das Ergebnis ist, dass klassische Qualifizierungsangebote, wie etwa Seminarreihen, nicht immer den individuellen Bedarfen entsprechen, oder nur mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen auf den Weg gebracht werden können. Um Mitarbeiter/innen auch innerhalb kürzester Zeit Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen zu erteilen, orientiert sich die Praxisorganisation an Empfehlungen aus praxisnahen Diskursen. Im Zuge der strategischen Neuausrichtung der organisationalen Lernarchitektur wurde und wird angestrebt, die bestehenden Lerndesigns zu überarbeiten. Dabei sollte insbesondere auf Prinzipien rekurriert werden, die kollaboratives, reflexives und praxisnahes Lernen in den Vordergrund stellen. Ansätze des „Agilen Lernens“ sowie Konzepte aus Diskursen rund um „New Learning“ bilden zentrale Bezugspunkte. Sie rücken eine stärkere Orientierung an realen Handlungsfeldern, iterative Lernprozesse und die partizipative Mitgestaltung durch Lernende in den Mittelpunkt. Ziel ist es, Lernumgebungen zu etablieren, die den Anforderungen einer dynamischen, komplexen und zunehmend selbstorganisierten Arbeitswelt gerecht werden und Raum schaffen für mehr selbstgesteuertes Lernen (vgl. De Bock et al., 2021).

Seit mindestens zehn Jahren wird in Diskursen rund um „New Learning“, „agiles Lernen“ und „Lernen 4.0“ intensiv – darüber diskutiert, wie betriebliches Lernen individuell, technologiegestützt, kontextbezogen, in einem sozialen Kontext eingebettet und iterativ ausgestaltet werden soll, um Lernen möglichst praxisnah auszugestalten (vgl. Graf et al., 2017; Foelsing & Schmitz, 2021; Korge et al., 2021). New Learning zielt darauf ab, Lernprozesse konsequent an den Anforderungen einer dynamisch-vernetzten und digitalisierten Arbeitswelt auszurichten, was bedeutet, dass im Zentrum selbstgesteuertes, kollaboratives und kontextbezogenes Lernen in flexiblen Lernumgebungen steht (Foelsing & Schmitz, 2021, S. 107–109). Gleichzeitig ermöglichen (Lern-) Technologien Vernetzung, soziales Lernen und den Zugang zu einem breiten Pool an Lernressourcen. Agiles Lernen verfolgt das Ziel „ein handlungskompetenzorientiertes, mediengestütztes Lernen im Arbeitsprozess zu ermöglichen.“ (Höhne et al., 2017, S. 110). Für die Praxisorganisation heißt das, dass Lehr-/Lernarrangements in Design und Ausführung stärker auf arbeitsbezogene Herausforderungen und die bestehenden Bedarfe der Lernenden abgestimmt werden sollen. Digitale und adaptive Technologien fungieren in diesem Zusammenhang als zentrale Werkzeuge, um individualisierte Lernpfade zu gestalten, die sich an den Interessen der Lernenden orientieren.

Beide Ansätze haben gemein, dass anstelle der reinen Wissensvermittlung erfahrungsbasiertes Lernen, Partizipation und ko-kreative Ansätze für die Wissensentstehung in den Vordergrund treten. Prinzipien und Handlungsempfehlungen aus dem Agilen Lernen sowie dem New Learning sollen künftig verstärkt in der Gestaltung der Lehr-/ und Lernarrangements innerhalb der Praxisorganisation Berücksichtigung finden.

Im Rahmen der Begleitforschung wurde deshalb das Format „LearningOutLoud“ (LOL) als neu implementiertes, innovatives Lehr-/Lernarrangement untersucht. Es wurde 2020 erstmals in der Organisation durchgeführt und von „DIE LERNFUTURISTEN“ entwickelt, mit dem Ziel, Mitarbeitende an selbstgesteuerte Lernprozesse heranzuführen und eine neue Lern- und Arbeitskultur zu etablieren. LOL bietet einen strukturierten Rahmen für selbstorganisiertes Lernen. In Gruppen von bis zu sechs Lernenden durchlaufen die Teilnehmenden iterative Lernprozesse, reflektieren kontinuierlich ihren Lernfortschritt und treten in kollaborativen Austausch. Ein LOL-Set erstreckt sich über sieben Wochen, in denen Lernenden ein für sie relevantes Lernziel definieren und ein konkretes, teilbares Lernprodukt entwickeln (DIE LERNFUTURISTEN, 2022). Das Format entspricht in vielerlei Hinsicht den Prinzipien des „Agilen Lernens“ sowie den Ansätzen des „New Learning“ und befürwortet beispielsweise den Einsatz zeitgemäßer Lerntechnologien. In der Praxisorganisation gilt es daher als innovatives Instrument, um selbstgesteuertes Lernen zu fördern und dieses nachhaltig im Betreib zu verankern (vgl. De Bock et al., 2021, S. 72).

Abbildung 2: Ablaufschema von LearningOutLoud in der Organisation (eigene Darstellung)Abbildung 2: Ablaufschema von LearningOutLoud in der Organisation (eigene Darstellung)

2 Forschungsvorgehen und theoretische Fundierung

Zwischen 2021 und 2025 war die Verfasserin in einem Bildungsprojekt der betrieblichen Weiterbildung der Volkswagen AG tätig. In der Rolle der Doktorandin hatte sie den Auftrag inne, zu untersuchen, wie selbstgesteuertes Lernen mit der LXP gelingen und was zu einer guten „learning experience“ im Umgang mit der Lernangebotsseite beitragen kann. Vor diesem Hintergrund rückte die Forscherin in ihrer Arbeit die Perspektive der Lernenden in den Mittelpunkt, um zu untersuchen, wie sich das Lernhandeln im Umgang mit der LXP gestaltet und welche betrieblichen wie auch individuellen Voraussetzungen zielgerichtetes, selbstgesteuertes Lernen fördern oder hemmen. Aus der betrieblichen Realität heraus wurden zwei Situationen ausgewählt, in denen die Forscherin das individuelle Lernen von Mitarbeitenden der Organisation mit der LXP untersuchte. Im Rahmen von zwei unterschiedlichen explorativ angelegten Fallstudien wurden Daten erhoben und ausgewertet. In beiden Studien sollte und wurde die LXP zum Zwecke des selbstgesteuerten Lernens verwendet. Die Studien erfolgten nacheinander in einem Abstand von zwei Jahren.

Abbildung 3: Ablauf der empirischen Untersuchungen im Rahmen der Begleitforschung (eigene Darstellung)Abbildung 3: Ablauf der empirischen Untersuchungen im Rahmen der Begleitforschung (eigene Darstellung)

Die Untersuchungsperspektive dieser Arbeit ist in einem gemäßigt konstruktivistischen Erkenntnisrahmen zu verorten. Dieser geht davon aus, dass Wirklichkeit nicht unabhängig vom Individuum besteht, sondern durch subjektive Wahrnehmungs-, Deutungs- und Sinngebungsprozesse aktiv konstruiert wird. Lernen, Handeln und Wahrnehmung sind demnach stets in soziale und materielle Kontexte eingebettet, die das Individuum einerseits prägen. Anderseits gestaltet und prägt es seine Umwelt ebenso sehr. Individuum und Umwelt stehen demnach in einem reziproken Verhältnis (vgl. Konrad, 2019, S. 31; Hurrelmann, 2006, S. 36). Wirklichkeit entsteht in einem Wechselverhältnis zwischen Individuum und Umwelt, das in individuellen Sinnzuschreibungen und Interaktionen mit der sozialen und materiellen Umwelt zum Ausdruck kommt (Reich, 2001, S. 368). Vor diesem Hintergrund zielt die Untersuchung darauf ab, individuelle Sichtweisen, Wahrnehmungen und Bewertungen von betrieblichen Lernangeboten – wie der LXP – aus der Perspektive der Lernenden zu rekonstruieren. Im Zentrum steht die Frage, wie betriebliche Lernprozesse von den beteiligten Mitarbeitenden bzw. Lernenden subjektiv erlebt und interpretiert werden. Ziel ist es, diese subjektiven Konstruktionen von betrieblichem Lernen nachvollziehbar nachzuzeichnen, um daraus Impulse für die Weiterentwicklung der Lernangebotsseite der Organisation zu entwickeln.

Die Wahl mehrheitlich qualitative Forschungsmethoden für die Studien heranzuziehen, folgt aus dieser erkenntnistheoretischen Positionierung. Qualitative Verfahren ermöglichen es, die individuellen Perspektiven der Lernenden in ihrer Kontextgebundenheit differenziert zu erfassen. Sie eröffnen darüber hinaus einen Zugang zu den zugrundeliegenden Handlungslogiken, Deutungsmustern und Erfahrungen, die z. B. während eines Lernprozesses motivieren und Handlungen veranlassen (vgl. Gläser-Zikuda, 2011, S. 110). Durch qualitative Forschung wird es möglich, den individuell empfundenen Sinn einer Handlung nachzuvollziehen und zu rekonstruieren.

Das Wissenschaftsverständnis der Studien orientierte sich an Prinzipien qualitativ orientierter, angewandter Wissenschaften. Aus dieser Perspektive wird Forschung nicht als Selbstzweck betreiben, sondern dient in besonderem Maße dazu, praktisches Handeln im Feld zu verstehen, zu reflektieren und fundiert weiterzuentwickeln. Angewandte Wissenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich konkreten Problemstellungen zuwenden und eine Offenheit für die Exploration komplexer sozialer Kontexte ermöglichen. Es geht nicht darum universelle Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, sondern kontextspezifisches, praxisrelevantes Wissen zu generieren. Vor diesem Hintergrund verfolgt die Begleitforschung einen doppelten Auftrag: Erstens sollen auf theoretischen Grundlagen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie Lernende in betrieblichen Kontexten selbstgesteuert mit der LXP lernen und welche Rahmenbedingungen sie dabei unterstützen oder hindern. Zweitens sollte auf dieser Basis ein praxisnaher Beitrag zur Weiterentwicklung der Lernangebotsseite geleistet werden, indem konkrete Gestaltungsansätze abgeleitet werden, um selbstgesteuertes Lernen besser zu ermöglichen.

Um der wissenschaftlichen Qualität der Forschung gerecht zu werden, wurde die Orientierung an anerkannten Gütekriterien qualitativer Forschung gesichert: Dazu zählen insbesondere Verfahrensdokumentation, Regelgeleitetheit, kommunikative Validierung sowie die Kombination unterschiedlicher Methoden (Gläser-Zikuda, 2011, S. 109–110; Flick, 2019). Die Kombination qualitativer und teils quantitativer Erhebungsverfahren diente dem Ziel, ein möglichst breites und differenziertes Verständnis der Lernprozesse sowie der Nutzungserfahrungen mit der LXP aus Sicht der Lernenden zu gewinnen.

Die Wahl qualitativer Methoden folgt konsequent aus dem Wissenschaftsverständnis. Sie ermöglichen es, subjektive Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungslogiken der Lernenden in ihrer spezifischen organisationalen Umwelt zu rekonstruieren und damit relevante Einblicke in das Lernen im betrieblichen Kontext zu gewinnen. Der Einsatz einzelner quantitativer Zahlen kann als Ergänzung verstanden werden und diente vor allem der Triangulation sowie der Validierung einzelner Befunde (Flick, 2020, S. 189). Die wissenschaftliche Güte wurde zudem durch eine systematische Dokumentation und Reflexion des gesamten Forschungsprozesses sichergestellt.

Die Forschungsergebnisse erheben keinen Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit, sondern liefern kontextspezifische Erkenntnisse, die wertvolle Einblicke in Lernprozesse und Angebotsstrukturen innerhalb einer konkreten Praxisorganisation eröffnen. Aufgrund der Einbettung in reale Lernsituationen, die durch die organisationalen Rahmenbedingungen geprägt waren, stellen die Ergebnisse Momentaufnahmen dar, die nicht ohne Weiteres auf andere Kontexte übertragbar sind. Basierend auf den empirischen Ergebnissen wurden Empfehlungen für die Weiterentwicklung der betrieblichen Lernangebotsseite erarbeitet. Diese orientieren sich an den konkreten Erfahrungen der Lernenden und zielen darauf ab, die betriebliche Weiterbildungspraxis unter den gegebenen Rahmenbedingungen gezielt zu verbessern.

Die ausführlichen Darlegungen rund um das methodologische Verständnis, das methodische Vorgehen und Informationen zu den Auswertungsschritten werden in der noch nicht veröffentlichen Dissertation vorgestellt.

Theoretische Annahmen

Zur Untersuchung zielgerichteten, selbstgesteuerten Lernens wurden handlungstheoretische Ansätze herangezogen und durch theoretische sowie empirische Erkenntnisse zum selbstgesteuerten Lernen ergänzt. Darüber hinaus fanden motivationstheoretische Annahmen Berücksichtigung, um die individuellen Antriebskräfte und Rahmenbedingungen des Lernprozesses differenziert zu erfassen. Um Lernprozesse auf deskriptiver Ebene beschreibbar zu machen, wurde das Konstrukt des Lernhandelns mit seinen Strukturkomponenten nach Tramm (1996) herangezogen: Zusammengefasst charakterisiert er Lernhandeln als eine Form adaptiv-konstruktiver Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt, welches zielorientiert, d. h. zielgerichtet erfolgt, hierarchisch-sequentiell organisiert ist, gesellschaftlich und sozial eingebundenes Handeln darstellt sowie gegenständlich – auf bestimmte Objekte bzw. Handlungsgegenstände ausgerichtet – erfolgt (Tramm, 1996, S. 204).

Da das Konstrukt des Lernhandelns eine deskriptive Ebene für die Rekonstruktion von Lernprozessen offeriert, gilt es in einem weiteren Schritt die qualitativen Dimensionen zu definieren. In Anlehnung an Dyrna (2021) wird selbstgesteuertes Lernen wie folgt definiert: Selbstgesteuertes Lernen ist ein zielgerichteter, vielschichtiger, mehrdimensionaler Vorgang, bei dem Lernende die objektiv vorhandenen didaktischen Entscheidungs- und Handlungsspielräume in Bezug auf Ziele, Inhalte, Quellen, Methoden, Bewertungen, Lernpartner, Wege, Zeiten und Orte ihres Lernens subjektiv erkennen, beherrschen und nutzen. Je intensiver diese Spielräume von Lernenden bewusst genutzt werden, desto stärker ist der Lernprozess selbstgesteuert (Dyrna, 2021, S. 74). Die Untersuchungen haben in der betrieblichen Weiterbildung stattgefunden, was bedeutet, dass selbstgesteuertes Lernen unter spezifischen institutionellen Rahmenbedingungen betrachtet wurde (Schulze-Achatz, 2021, S. 390). Dies brachte mit sich, dass sowohl die sächlichen Voraussetzungen (Verfügbarkeit digitaler Medien, Lerntechnologien, Lernräume) als auch die personellen Bedingungen (Bildungspersonal) vorgegeben waren. Selbstgesteuertes Lernen fand dementsprechend auf einer Skala zwischen vorgegebenen Voraussetzungen (Fremdbestimmung) und individuellen wählbaren Aspekten (Möglichkeiten zur Selbststeuerung) statt.

Im Kontext selbstgesteuerten Lernens sind spezifische personale Voraussetzungen erforderlich insbesondere (meta-)kognitive, volitionale und motivationale Fähigkeiten seitens der Lernenden, um den Lernprozess erfolgreich zu bewältigen (vgl. Müller, 2021; Rheinberg, 2010; Kleinbeck, 2010). Mehr noch bedarf es spezifischer Strategien und regulativer Prozesse sowie der Fähigkeit, den Lernprozess an veränderte Bedingungen oder neue Voraussetzungen anzupassen (vgl. Traub, 2011). Auf Grundlage der theoretischen Vorüberlegungen entstand ein Analyseraster, das die Untersuchung von Lernprozessen in der Praxisorganisation ermöglicht und dabei die Dimensionen Person, Umwelt und Interaktion berücksichtigt.

Zur Rolle der Forscherin im Rahmen der Begleitforschung

Die vierjährige Begleitforschung erfolgte unter spezifischen Bedingungen, weswegen an dieser Stelle die Rolle der Forscherin transparent gemacht werden soll, die zugleich auch Praktikerin war: Als Doktorandin im Bereich der betrieblichen Weiterbildung war sie zugleich als Personalentwicklerin und Lernstrategie-Expertin tätig und damit unmittelbar in die betriebliche Praxis eingebunden. Dies hatte zur Folge, dass sie unmittelbar im Forschungsfeld agierte, indem sie etwa an der Systemintegration der LXP sowie an der Entwicklung von Design-Standards für Lernpläne und -pfade mitwirkte. Über die gesamten vier Jahre hinweg unterstütze sie Lernbegleiter/innen und Lernarchitekt/innen im Aufbau und der Kuration digitaler Lernumfänge in der LXP. Als Doktorandin und Forscherin verfolgt sie das Ziel, Strukturen und Abläufe der betrieblichen Wirklichkeit zu verstehen und Wege zu ergründen, diese theoriegeleitet weiterauszugestalten. Ziel war es, wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar zu machen, sie zu erproben und mithilfe wissenschaftlicher Methoden zu evaluieren. Darüber hinaus sollten handlungspraktische Ansätze entwickelt werden, um die Angebotsseite systematisch weiterzuentwickeln.

Die Eingebundenheit der Forscherin im Praxisfeld half dabei, kontextsensible Empfehlungen zu entwickeln. Um das (forschungsbezogene) Handeln kontinuierlich zu reflektieren, kamen sowohl kollaborative als auch individuelle Reflexionsinstrumente zum Einsatz. Es wurde z. B. eine Art Tagebuch geschrieben, worin Beobachtungen, Situationsbeschreibungen, vorläufige Hypothesen bzw. Interpretationen, aber auch Empfindungen und Wahrnehmungen dokumentiert wurden. Auch der kritisch-konstruktive und reflexive Austausch mit Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen trug zur Qualitätssicherung des Forschungsprozesses bei. Er half dabei, möglichen subjektiven Verzerrungen oder gar Verdrängungsmechanismen wirksam entgegenzuwirken (vgl. tiefgehend Dimai et al., 2017, S. 15–16; Berger, 2015, S. 230).

3 Untersuchung von Innovation

Im Folgenden werden die zwei Studien „Der Pilot“ und „Die Fallstudie“ vorgestellt, die im Rahmen der Begleitforschung durchgeführt wurden und in deren Mittelpunkt die Nutzung der LXP für das selbstgesteuerte Lernen steht. Zunächst werden die kontextuellen Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Zielsetzungen jeder Studie erläutert, um die Ausgangslage für die Untersuchung zu verdeutlichen. Anschließend erfolgt die Darstellung der zentralen Ergebnisse, wobei sowohl die methodische Vorgehensweise als auch die wichtigsten Erkenntnisse für die Praxis berücksichtigt werden. Auf diese Weise wird ein Überblick geschaffen, der die Grundlage für eine anschließende Entwicklung erster Handlungsempfehlungen bildet.

3.1 „Der Pilot“

Die erste Studie, „Der Pilot“ genannt, wurde zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Begleitforschung durchgeführt. Vor der offiziellen Einführung der LXP im Jahre 2021 wurden über 160 Mitarbeitende gebeten, die neue Lernumgebung innerhalb von ca. drei Wochen zu erproben. Es ging darum herauszufinden, wie die Lerntechnologie mit dem vorhandenen Lernangebot von Beschäftigten unterschiedlicher Fachbereiche wahrgenommen wird und welche Lernerfahrungen sie im Umgang damit machen. Sie erhielten Informationen zur Nutzung und zum Aufbau der kuratierten Bereiche der LXP sowie detailliertes Unterstützungsmaterial zu spezifischen Lernplänen und -pfaden in der LXP (näher ausgeführt bei King & Schweigler, 2023, S. 223–224). Zum Ende des Erprobungszeitpunkts wurden die Lernenden gebeten, ihre Lernerfahrung in einer Online-Befragung zu reflektieren. Nach Abschluss der drei Wochen hatten die Lernenden die Möglichkeit, ihre Lernerfahrungen im Umgang mit der LXP in Gruppensettings zu reflektieren. Die sogenannten Review-Gespräche wurden dabei durch eine Moderation begleitet, die den Austausch strukturierte und Fragen stellte. Die Auswahl der Beforschten erfolgte zufällig, sodass die Forscherin keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der untersuchten Personengruppen hatte. An der Studie „Der Pilot“ nahmen Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen der Organisation teil. Dazu zählten Beschäftigte aus der Produktion ebenso wie aus der IT. Hierbei wurde der berufliche Tätigkeitsbereich der Teilnehmenden – etwa ob sie in produktionsnahen oder administrativen Funktionen beschäftigt sind – nicht systematisch erfasst. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Mitarbeitende aus gewerblich-technischen Bereichen nur in geringer Zahl am Piloten teilnahmen.

3.1.1 Methodisches Vorgehen

Die empirischen Daten basierten auf offenen Antworttexten aus einer Befragung sowie Mitschriften aus den Review-Gesprächen mit den Lernenden. Die Auswertung konzentrierte sich darauf, die Nutzung der LXP sowie die damit verbundenen Lernprozesse zu analysieren. Ziel war es, das individuelle Lernhandeln differenziert zu erfassen und Nutzungsmuster zu identifizieren, um handlungsleitende Ideen für die didaktische und strukturelle Weiterentwicklung der Lernplattform zu entwickeln. Grundlage bildeten erstens anonymisierte Antworttexte auf offene Fragen im Rahmen einer strukturierten Befragung. Diese Texte wurden mithilfe von Mayrings (2015) qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Zweitens erfolgte die Auswertung detaillierter Mitschriften aus Review-Gesprächen mit Lernenden, welche entlang eines mehrdimensionalen Analyserasters systematisch ausgewertet wurde. Die Auswertung orientierte sich an drei Dimensionen, welche aus der Theorie abgeleitet wurden.

-  Dimension Person: Zielsetzung, Lernmotivation, Lernprozess und -strategie,

-  Dimension Umwelt: Bildungspersonal und Lerntechnologie

-  Dimension Interaktion: soziales Lernen, Nutzung LXP

Die gewonnenen Daten wurden entlang dieser Dimensionen analysiert und interpretativ zusammengeführt.

3.1.2 Ergebnisse der Studie „Der Pilot“

Die Ergebnisse der ersten Studie aus 2021 lieferten wesentliche Impulse, wie die LXP intuitiv von Lernenden genutzt wurde, als sie selbstständig auf das digitale Lernangebot zurückgriffen.

Die Auswertung zeigte ein differenziertes Bild dahingehend, wie die Lerntechnologie wahrgenommen wurde. Überwiegend machten die Lernenden deutlich, dass die LXP mehr Selbststeuerung im Lernen ermöglichte: Nach der Anmeldung konnten Lernende jederzeit orts- und zeitunabhängig mithilfe von arbeitsbezogenen Endgeräten auf ein vielseitiges digitales Lernangebot zugriefen. So wurden sowohl die von der LXP algorithmisch gestützten Lernempfehlungen auf der persönlichen Startseite als hilfreich empfunden als auch die Lernpläne und -pfade, welche von Lernarchitekt/innen der betrieblichen Weiterbildung entwickelt bzw. kuratiert wurden. Der Zugang zu einem differenzierten Lernangebot wurde von den Lernenden als besonders attraktiv bewertet. Dies umfasste unter anderem die Möglichkeit, eine zusätzliche, exklusiv an die LXP angebundene Lernplattform zu nutzen, die außerhalb des Pilotrahmens kostenpflichtig gewesen wäre. Die Pilotstudie zeigte, dass die exklusiven Lerninhalte renommierter Content-Anbieter als positiv von den Lernenden wahrgenommen wurden.

Die Auswertungen der verbalen Antworten legen nahe, dass das Lernen mit der LXP in vielen Fällen nicht zielgerichtet, sondern eher explorativ oder impulsgetrieben erfolgte, angestoßen durch Systemvorschläge, Erinnerungsmails oder eine persönliche Neugierde, das neue System zu erkunden. Lernziele wurden selten aktiv formuliert. Die Befunde deuteten darauf hin, dass Lernpfade häufig nicht strukturiert genutzt wurden, sondern dass Lernende selektive Entscheidungen trafen, die stärker durch zeitliche Restriktionen oder persönliche Präferenzen geprägt waren als durch übergeordnete Lernziele. Die Reflexion über das eigene Lernen blieb in den schriftlichen Rückmeldungen oft aus und über eine bewusste Kontrolle des Lernfortschritts wurde entlang der vorliegenden Daten wenig ersichtlich.

In dieser Untersuchung konnte nicht nachvollzogen werden, mit welchen konkreten, individuellen Zielstellungen die Lernenden drei Wochen lang auf der LXP lernten. Es blieb offen, ob die Lernenden sich ein exaktes Lernziel definierten, oder die Plattform als solche erkunden wollten, z. B. weil sie Funktionalitäten des Systems testen wollten. Lernende beschrieben ihr Lernen selbst mit Begriffen wie „macht Spaß“, „[man konnte] stöbern“, bewerteten inhaltliche und technische Aspekte der LXP und gaben Auskunft zu den Hindernissen im Umgang mit der Lerntechnologie. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Lernen episodenhaft stattfand. Es bleibt unklar, ob Lernhandlungen im Sinne Tramms (1996) erfolgten. Was jedoch aus der Befragung und den Mitschriften des Reviews ermittelt werden konnte war, wie Lernende die LXP wahrnahmen und inwiefern sich Herausforderungen im Umgang mit ihr ergaben. Daraus ließen sich wiederum Ideen entwickeln, wie sich die Lernangebotsseite im Sinne der Lernenden-Bedürfnisse weiterstrukturieren lässt.

Einige Lernende verstanden zentrale Begriffe der LXP wie „Jobrolle“, „Skilllevel“ oder „Lernpfad“ nicht intuitiv und wünschten sich eine verständlichere Terminologie. Sichtbar wurde in einigen Rückmeldungen, dass manche Lernende Unsicherheit über den persönlichen und beruflichen Mehrwert der bearbeiteten Inhalte äußerten. Einigen fehlte es an einer nachvollziehbaren Strukturierung der Lernpläne und -pfade sowie an einem erkennbaren Nutzen für den eigenen beruflichen Alltag. Die Attraktivität der LXP wurde sowohl durch die Qualität als auch durch die Quantität der verfügbaren Lerninhalte beeinflusst.

Die Analyse gab zudem erste Hinweise dahingehend, dass externe Rahmenbedingungen – insbesondere Zeitmangel und Arbeitsdruck das selbstgesteuerte Lernen mit der LXP einschränkten. Es bestand Misstrauen gegenüber der tatsächlichen Akzeptanz von selbstgesteuertem Lernen in der betrieblichen Realität, welches sich wiederum negativ auf die Motivation und die Bereitschaft auswirkte, die LXP zum Zwecke des Lernens einzusetzen. Es ist demnach ein institutionell legitimierter Rahmen erforderlich, der auch von hierarchischer Instanz (bspw. direkten Führungskräften) unterstützt wird.

Ein ambivalentes Bild entstand bei der Frage nach Struktur und Orientierung innerhalb der kuratierten Bereiche der Lernplattform. Die einen bewerteten den Aufbau der kuratierten Bereiche als verständlich und ästhetisch, andere wiederum empfanden die Menge und die Verschachtelung von Plänen und Unterplänen als unübersichtlich. Lernende berichteten von fehlenden Ansprechpersonen, unklaren Zuständigkeiten und einem unklaren Supportkonzept, wenn Fragen zur Nutzung der LXP auftauchten. Es bestand der Wunsch, Hilfe vom Bildungspersonal zu erhalten. Deutlich wurde auch, dass soziales Lernen von der LXP kaum unterstützt wurde. Lernende äußerten den Wunsch nach Austausch mit Kolleg/innen, nach Feedbackfunktionen oder Community-Elementen.

Zur Einordnung: Zum Zeitpunkt der Pilotierung waren die Kommunikationsfunktionen auf der LXP noch nicht freigegeben, sodass das Lernen mit der LXP von Lernenden als ein isolierter Prozess wahrgenommen wurde – ohne Rückkopplungs- bzw. Interaktionsmöglichkeiten. Insgesamt wurde der Wunsch nach mehr Orientierung und sozialer Einbindung deutlich. Lernende wünschten sich mehr Anhaltspunkte zur Organisation ihres Lernens, sei es durch Bildungspersonal oder durch die LXP selbst. Der geäußerte Wunsch der Lernenden nach Austausch deutet darauf hin, dass die Steuerung der Dimensionen „Lernmethodik“ und „Lernpartner“ nicht vollständig ihnen überlassen werden sollte. Stattdessen erscheint ein ausgewogenes Verhältnis von Autonomie und strukturierter Unterstützung erforderlich, wie es auch Riedel & Möbius (2021) empfehlen (Riedel & Möbius, 2021, S. 130,137).

Aus den Befunden ließen sich Prinzipien entwickeln, die in einer Folgestudie tiefgehend untersucht werden sollten:

  • Zielorientierung: Lernende benötigen Unterstützung, um aus offenen Lernmöglichkeiten konkrete, individuell bedeutsame Ziele zu entwickeln.
  • Soziale Rahmung: Lernende habe das Bedürfnis nach Austausch und Feedback, auch mit anderen Lernenden.
  • Lernbegleitung: Es fehlte an Impulsen und methodischer Anleitung für das individuelle Lernen sowie an Möglichkeiten, Fragen zur Nutzung zur LXP zu klären.
  • Integration von Lernen in den Arbeitskontext: Lernende benannten die Herausforderung, dass Lernzeit und Arbeitszeit in Konkurrenz zueinanderstehen. In einer Folgestudie sollte daher sichergestellt werden, dass hier ein entsprechender Rahmen sichergestellt wird, um Lernprozesse abzuschirmen.

Der Pilot gab Anhaltspunkte dahingehend, was in einem nächsten Studiendesign stärker in den Mittelpunkt treten sollte. In der Folgestudie wurde durch den Einsatz leitfadengestützter Interviews eine stärkere Nähe zu den Lernenden hergestellt. Dies ermöglichte einerseits tiefere Einblicke in deren Zielsetzungen, Motive und individuell gewählte Lernwege und andererseits eine gezielte Reflexion der oben genannten Befunde der Pilotstudie.

3.2 Untersuchung eines innovativen Lehr‑/Lernarrangements in Kombination mit der LXP: „Die Fallstudie“

Ziel der Fallstudie war es, die Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Erfolgsfaktoren des selbstgesteuerten Lernens im Rahmen des non-formellen Lehr-/Lernarrangements „LearningOutLoud“ (kurz: LOL) zu untersuchen. Ein besonderes Augenmerk lag auf der Frage, wie Lernende ihre Lernprozesse im Spannungsfeld zwischen individueller Motivation, organisationalen Erwartungen und didaktischen Rahmenbedingungen gestalten.

„LearningOutLoud“ (LOL) ist ein strukturiertes Lehr-/Lernarrangement, welches auf den Prinzipen des agilen Lernens basiert und Lernende dabei unterstützt, ein individuell gewähltes Lernziel zu entwickeln und zu verfolgen. Das Format bietet einen Rahmen und einen definierten Ablauf, wobei der Lernprozess in verschiedene Phasen unterteilt wird. Dazu gehören regelmäßige Gruppentreffen, die wöchentlich stattfinden, sowie methodische Anleitung durch Lernbegleiter/innen. Diese Elemente sollen Orientierung und Verbindlichkeit schaffen, während der Kern des Formats in der Selbststeuerung liegt: Jede teilnehmende Person ist aufgefordert, ein eigenes, berufsbezogenes Lernziel zu formulieren und dieses im Verlauf des LOL-Sets systematisch zu verfolgen. Das Ziel von LOL besteht darin, Fähigkeiten zum selbstgesteuerten Lernen zu fördern und Lernende dazu zu befähigen, ihre individuelle Skill- und Kompetenzentwicklung aktiv zu gestalten.

Abbildung 4: Ablauf eines siebenwöchigen LOL-Sets, in dem auch die LXP zum Einsatz kam (eigene Darstellung)Abbildung 4: Ablauf eines siebenwöchigen LOL-Sets, in dem auch die LXP zum Einsatz kam (eigene Darstellung)

Auch diese Untersuchung wurde im betrieblichen Umfeld unter realen Bedingungen durchgeführt. Die Zusammenstellung der Teilnehmenden erfolgte zufällig, wodurch eine gezielte Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Gruppe ausgeschlossen war. Im Gegensatz zum Piloten wurden für die Untersuchung „Die Fallstudie“ detaillierte Informationen zu den Teilnehmenden erhoben. Hier handelte es sich ausschließlich um Mitarbeitende aus administrativen Funktionen, die nicht in produktionsnahen Tätigkeiten eingebunden waren. Detaillierte Angaben zu den befragten Lernenden der zweiten Studie können der noch nicht veröffentlichten Dissertation entnommen werden.

3.2.1 Methodisches Vorgehen

Insgesamt nahmen sechs Lernende an dem LOL-Set teil. Sie kamen aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens. Die Auswahl der Teilnehmenden basierte auf freiwilligen Anmeldungen für das LOL-Set. Somit waren alle Personen, die sich zur Teilnahme am Programm entschieden, automatisch auch Teil der Untersuchung. Seitens der Forschenden wurden keine spezifischen Ein- oder Ausschlusskriterien definiert. Die Datenerhebung erfolgte durch fünf eigenständige Erhebungsverfahren über alle Phasen des Lehr‑/Lernarrangements hinweg. Im Sinne der Methodentriangulation wurde diese darauf ausgerichtet, unterschiedliche Perspektiven miteinander zu verbinden, um so die Aussagekraft und die Validität der Befunde zu erhöhen: So gab es eine Vorbefragung (Pre-Befragung), die Auskunft über die persönlich empfundene Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen geben sollte. Außerdem wurden alle Dokumente ausgewertet, die die Lernenden im Laufe des LOL-Sets bearbeitet hatten, sowie die Sitzungsprotokolle und die Abschlussdiskussion zum LOL-Set. Mithilfe der Auswertung der Lernaktivitäten der Lernenden auf der LXP konnten quantitative Daten herangezogen werden, um die tatsächliche Nutzung der LXP nachzuvollziehen. Das Herzstück der Untersuchung bildeten die leitfadengestützten, problemzentrierten Einzelinterviews mit den Lernenden, die das LOL-Set durchliefen.

Abbildung 5: Detaillierter Ablauf der Fallstudie (eigene Darstellung)Abbildung 5: Detaillierter Ablauf der Fallstudie (eigene Darstellung)

Das Lehr-/Lernarrangement LOL ist durch eine klare zeitliche und inhaltliche Struktur charakterisiert. Es umfasste regelmäßige Gruppentreffen, kuratierte Lernpläne und methodische Anleitungen. Diese gaben den Teilnehmenden einerseits Orientierung und eröffneten ihnen andererseits Freiräume für individuelles Lernen. Diese Kombination aus strukturierten Elementen und selbstgesteuerten Phasen bildete den Rahmen, innerhalb dessen die individuellen Lernprozesse analysiert wurden. Für die Datenauswertung wurde ein Analyseraster herangezogen, welches sich an den theoretischen Überlegungen zum Lernhandeln nach Tramm (1996) orientiert und um motivationale Aspekte (Rheinberg, 2010; Ryan & Deci, 2002) sowie Erkenntnisse zu unterstützenden sächlichen Rahmenbedingungen (Schulze-Achatz, 2021; Riedel & Möbius 2021) und (personalen) Fähigkeiten von Lernenden für das selbstgesteuertes Lernen ergänzt wurde (Traub 2011, S. 94; Müller, 2021; Kleinbeck 2010). Dieses Raster berücksichtigt sowohl personenbezogene Faktoren (z. B. Motiv, Motivation, Zielsetzung) als auch kontextbezogene Rahmenbedingungen (z. B. LXP und ihre Nutzung, die Rollen Lernbegleitung und Lerngruppe sowie die Interaktion mit den genannten Akteur/innen). Die Ergebnisse wurden anschließend inhaltlich kategorisch entlang der Dimensionen Person, Umwelt und Interaktion ausgewertet und kritisch reflektiert.

3.2.2 Ergebnisse der Studie „Die Fallstudie“

Die Ergebnisse lassen sich anhand zentraler Themenfelder darstellen, die für das Verständnis des selbstgesteuerten Lernens im betrieblichen Kontext relevant sind. Die Fallstudie zeigte, dass die Lernenden mit sehr unterschiedlichen motivationalen Ausgangslagen in den Lernprozess eintraten. Nur zwei Person starteten mit einem explizit persönlich-intrinsischen Interesse. Eine von ihnen berichtete sogar von einem Flow-Erleben im Sinne Csikszentmihalyis (1999), welches sie während der Erarbeitung ihres Lernergebnisses erlebt hatte. Die vier weiteren Teilnehmenden nannten konkrete arbeitsbezogene Gründe, die sie zur Teilnahme motivierten: So verwies eine Person auf eine anstehende berufliche Veränderung im Rahmen der Transformation, während eine andere den Bedarf sah, sich vertieft mit einem Thema aus der eigenen beruflichen Praxis auseinanderzusetzen. Demnach handelte es sich vornehmlich um extrinsisch motivierte Anlässe, da die Teilnahme nicht aus einem spontanen persönlichen Lerninteresse erwuchs, sondern aus wahrgenommenen beruflichen Erfordernissen resultierte. Zwar sind die Teilnahmegründe extrinsischer Natur, da sie in beruflichen Anforderungen begründet liegen; sie lassen sich jedoch nicht allein als äußerlich kontrollierte Motivation fassen. Die Befunde sprechen vielmehr für eine introjizierte oder identifizierte Regulation im Sinne der Selbstbestimmungstheorie von Ryan & Deci (2002). Dabei werden externe Anforderungen internalisiert und zu einem persönlichen Anliegen weiterentwickelt.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass intrinsische Motivation allein nicht ausreicht, um den Lernprozess erfolgreich zu steuern. Das Beispiel einer Teilnehmerin zeigte, dass eine eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstregulation – vor allem in Bezug auf das Durchhaltevermögen – selbst bei hoher Anfangsmotivation zum Abbruch des Lernprozesses führen kann. Sie begründete dies mit der Hektik und Belastung durch ihre beruflichen Aufgaben, die keinen ausreichenden Raum für die Teilnahme am LOL-Set zuließen.

Zu Beginn fiel es allen Teilnehmenden schwer, konkrete Lernziele zu benennen. Mithilfe der Lernbegleitung und durch die methodische Rahmung (z. B. definierte Arbeitsaufträge, regelmäßig stattfindende Treffen mit Zeit für Reflexion) gelang es den meisten jedoch innerhalb der ersten zwei Wochen, für sich relevante Lernziele zu entwickeln. Dieser Befund stützt die theoretische Annahme von Tramm (1996), dass Lernhandeln als gegenständliches Handeln nur dann wirksam wird, wenn es intentional auf einen Lerngegenstand gerichtet ist und über die Auseinandersetzung mit konkreten Lernobjekten strukturiert wird (Tramm, 1996, S. 225). Die Zielorientierung bildet dabei den Rahmen, innerhalb dessen Lernhandlungen als Sequenz von Modalzielen vollzogen werden, die wiederum auf das Erreichen des übergeordneten Finalziels ausgerichtet sind (Tramm, 1996, S. 226–227). Der strukturierte Ablauf des LOL-Sets mit klaren Phasen, Meilensteinen und Reflexionsschleifen wurde von allen Teilnehmenden als hilfreich empfunden. Er trug dazu bei, Orientierung zu schaffen, Fortschritte sichtbar zu machen und die eigene Lernaktivität aufrechtzuerhalten.

Die Lernbegleitung stellte sich als ein entscheidender Unterstützungsfaktor im Lernprozess heraus. Sie trug dazu bei, Unsicherheiten abzufangen, Impulse zur Strukturierung des Lernwegs zu setzen und die Selbststeuerung der Lernenden im Sinne von Scaffolding (unterstützen durch gezielte Hilfestellungen) und Fading (schrittweiser Abbau von Hilfestellungen, sobald die Lernenden selbstständiger werden) zu fördern (Riedel & Möbius, 2021, S. 137). Die Lernenden berichteten, dass ihnen insbesondere die Kombination aus fachlicher Unterstützung und sozialem Feedback half, ihren Lernprozess durchzuhalten und zu reflektieren. Ein weiterer zentraler Befund betrifft die Bedeutung des sozialen Rahmens. Lernende, die die sozialen Austauschformate (z. B. regelmäßige Meetings, Peer-Feedback) aktiv nutzen, zeigten eine höhere Persistenz und waren eher bereit, ihre Strategien anzupassen. Zur Erinnerung: In der Pilotstudie wurde kritisiert, dass diese sozialen Austauschmöglichkeiten fehlten. Die Aussagen der Fallstudie machen deutlich, dass der soziale Kontext einen relevanten Einfluss auf die Motivation und das Durchhaltevermögen im Lernprozess hat.

Obwohl das Lernen formal gerahmt war, – die Teilnahme erforderte ein Anmeldeverfahren, in das die direkte Führungskraft einbezogen und über den zeitlichen Aufwand informiert wurde – zeigte sich in mindestens vier Fällen, dass Teilschritte des Lernprozesses dennoch in die private Zeit verlagert wurden. Die Gründe hierfür waren heterogen: Eine Person berichtete, Zeitnot nicht gegenüber der Führungskraft kommuniziert zu haben und eine andere gab an, dem Lernen trotz besseren Wissens nicht dieselbe Priorität einzuräumen, wie dem Tagesgeschäft. Diese Aussagen verweisen auf eine betriebliche Lernkultur, in der Lernen zwar formal erlaubt ist, in der Praxis jedoch nicht gleichwertig neben anderen Arbeitsaufgaben steht. Die Nutzung und Wahrnehmung der Lernenden hinsichtlich der LXP ist deutlich geworden: Alle setzten die LXP zur Bearbeitung ihres Lernziels ein und nutzten sie, um Lerninhalte für ihre Lernzwecke zu finden. Aus der Datenanalyse zur Lernaktivität der Lerngruppe ging jedoch hervor, dass überwiegend Lerninhalte aus dem speziell für das LOL-Set entwickelten, kuratierten Lernplan genutzt wurden. Eine explorative Nutzung der LXP konnte aus der Datenauswertung der LXP nicht nachvollzogen werden. Auch die Auswertung der Interviews zeigte, dass vor allem die vom LOL-Set kuratierten Inhalte des Lernplans zur Anwendung kamen.

4 Zwischen Innovation und Praxis: Handlungsempfehlungen für Akteure der betrieblichen Weiterbildung

Die Implementierung neuer Lerntechnologien, wie der LXP, ist zweifellos ein innovativer Schritt in der betrieblichen Weiterbildung. Durch die Erweiterung der Lernangebotsseite um jederzeit abrufbare digitale Lerninhalte eröffnen sich vielfältige Lernmöglichkeiten und informelles Lernen wird in einer bislang nicht gekannten Breite ermöglicht. Dies ist nicht nur aus individueller Perspektive wertvoll, sondern erweist sich aufgrund der hohen Skalierbarkeit auch für die Organisation als zukunftsweisend. Ähnlich innovativ ist das didaktische Konzept von „LearningOutLoud“: Es eröffnet Lernenden nicht nur größere Autonomiespielräume, sondern stellt zugleich die individuellen Bedarfe und Zielsetzungen in den Mittelpunkt. Das ist ein Fortschritt gegenüber stärker standardisierten Lehr-/Lernarrangements, die seminaristischen Prinzipien folgen.

Während die LXP eine technologische Innovation darstellt, ist das Lehr-/Lernarrangement „LearningOutLoud“ (LOL) eine didaktische Innovation auf der Ebene der Lernangebotsseite der innerbetrieblichen Weiterbildung. Die Plattform eröffnet den Zugang zu individuellen Lerngelegenheiten. So stellt die LXP auf technologischer Ebene eine vielfältige Lernressource dar und bietet personalisierte Empfehlungen und Explorationsmöglichkeiten. Das non-formelle Lehr-/Lernarrangement LOL hingegen schafft durch klare Phasen, regelmäßige Reflexionsgelegenheiten und eine soziale sowie organisationale Rahmung eine Struktur in der das Lernen in den Arbeitskontext eingebettet werden kann. Es bietet damit einen Rahmen, in dem Lernprozesse zeitlich, methodisch und strukturell eingebettet werden.

Deutlich wurde in beiden Studien, dass Innovation im Bildungsbereich nicht allein durch die Einführung neuer Technologien oder didaktischer Konzepte realisiert werden kann. Vielmehr bedarf es einer Übersetzung in die konkrete Arbeits- und Lebensrealität der Lernenden. Lernplattformen wie die LXP oder Formate wie LOL entfalten dann erst ihr Potenzial, wenn sie von den Adressaten akzeptiert, in den Alltag integriert und organisational legitimiert werden. Innovation bedeutet somit nicht nur technologische oder didaktische Erneuerung, sondern erfordert auch die Schaffung von Bedingungen, die es Lernenden ermöglichen und sie dazu ermutigen, die neuen Möglichkeiten auch wirksam zu nutzen.

Doch wie werden die innovativen Ansätze der betrieblichen Weiterbildung von den Lernenden angenommen? Im Piloten wurde deutlich, dass die anfängliche Motivation durch den Neuheitswert der LXP schnell nachließ, da es an Zielklarheit, begleitender Unterstützung und Möglichkeiten zum sozialen Austausch fehlte. Dies führte dazu, dass die Lernaktivitäten häufig fragmentiert blieben.

Die Fallstudie machte hingegen deutlich, dass das Bildungspersonal eine zentrale Rolle dabei einnimmt, zielgerichtetes Lernen zu unterstützen. Aus den Ergebnissen kann geschlossen werden, dass das Bildungspersonal als Brückenakteur zwischen individueller Lernperspektive und organisationalem Kontext agieren kann. Lernende benötigen jedoch nicht nur Unterstützung bei der Nutzung der digitalen Lernumgebung, sondern beispielsweise auch die Gewissheit, dass sie ihre Lernzeit tatsächlich aus der Arbeitszeit entnehmen können.

Um innovative Ansätze – sei es die Einbindung einer LXP in die Lernlandschaft oder die Integration non-formeller Lehr-/Lernarrangements – wirkungsvoll und im Einklang mit den Bedarfen der Lernenden in der betrieblichen Weiterbildung zu verankern, müssen auf sächlicher und personeller Ebene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die zielgerichtetes Lernen ermöglichen und zugleich absichern. Im Folgenden werden einige pragmatische Empfehlungen für die Praxis dargelegt:

Durch die Integration der LXP und die damit verbundene Erwartung des Unternehmens, dass Mitarbeitende informelle Lernangebote gezielt für ihr Selbstlernen nutzen, verändern sich die Anforderungen an die Lernenden grundlegend. Sie sind nun in weit stärkerem Maße gefordert, Verantwortung für die Planung, Steuerung und Reflexion ihrer individuellen Lernprozesse zu übernehmen. Damit verschiebt sich der Fokus der betrieblichen Weiterbildung, denn die Fähigkeit zur Selbststeuerung rückt zunehmend in den Mittelpunkt. Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, Lernende systematisch bei der Entwicklung von Selbstlernkompetenzen zu unterstützen. Dies umfasst etwa die Fähigkeit, realistische Lernziele zu formulieren, Lernaktivitäten zu strukturieren, Zwischenergebnisse kritisch zu reflektieren und Rückschläge produktiv zu verarbeiten. Für Lernarchitekt/innen und Lernbegleiter/innen ergibt sich daraus die Handlungsempfehlung, neben digitale Lernräumen auch Trainings- und Unterstützungsangebote zur Förderung von Selbstlernkompetenzen zu etablieren. Dazu gehören beispielsweise kurze Einführungs- und Orientierungsformate (z. B. „Onboarding“ ins Selbstlernen), begleitende Reflexions- und Feedbackschleifen sowie der Aufbau von Lern-Communities, die soziale Rückversicherung und Motivation bieten. Nur wenn Lernende gezielt in ihrer Fähigkeit zur Selbststeuerung gestärkt werden, können innovative Ansätze in der betrieblichen Weiterbildung ihr volles Potenzial entfalten und zu einer nachhaltigen Lernkultur im Betrieb beitragen. Während Lernende zunehmend ihre Selbststeuerungsfähigkeiten ausbauen müssen, sind zugleich die Gestalter/innen der Lernumgebung gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen bereiten zustellen.

  • Bezogen auf die LXP bedeutet dies, dass Lernarchitekt/innen erstens die kuratierten Lernumfänge (Lernpläne und -pfade) gezielt auf die Bedarfe ihrer Zielgruppen abstimmen, zweitens den Aufbau und die Struktur möglichst konsistent gestalten und drittens klare Supportstrukturen schaffen müssen, über die Lernende Rückfragen stellen können. Dies ließe sich konkret umsetzen, indem Best Practices aus bestehenden Kurationen systematisch aufbereitet und anderen Lernarchitekt/innen zugänglich gemacht werden, verbindliche Standards für die Kuration nach und nach entwickelt werden und dass regelmäßige Sprechstunden für Lernende eingerichtet werden, in denen sie sowohl Unterstützung bei Fragen als auch Impulse für die Gestaltung ihres Lernens auf der LXP erhalten.
  • Im weiteren Ausbau non-formeller Lehr-/Lernarrangements gewinnt die Rolle der Lernbegleitung an Bedeutung. Lernbegleiter/innen sind stärker als bisher in methodisch-didaktischer Anleitung und Moderation gefordert. Sie übernehmen eine zentrale unterstützende Funktion: Sie helfen den Lernenden bei der Formulierung individueller Lernziele und geben durch gezieltes Feedback und Impulse kontinuierlich Anstöße zur Reflexion. Damit sichern sie die Prozessqualität und tragen dazu bei, dass die Potenziale selbstgesteuerter Lernprozesse tatsächlich ausgeschöpft werden können.
  • Auf einer übergeordneten Ebene richtet sich die Anforderung an Lernstrategie-Expert/innen, selbstgesteuertes Lernen im Betrieb strategisch zu verändern. Dies umfasst zum einen, auf organisationaler Ebene, Wege der Legitimation zu entwickeln, etwa durch das explizite Anerkennen von Lernzeiten als Arbeitszeit oder die Integration von Lernzielen in Personalentwicklungs- und Transformationsstrategien. Zum anderen gilt es, Führungskräfte gezielt einzubinden, um diese für die Bedeutung selbstgesteuerter Lernprozesse zu sensibilisieren und sie in einer Rolle als Ermöglicher und Multiplikatoren zu stärken. Konkrete Handlungsempfehlungen bestehen darin, Führungskräfte in die Konzeption und Kommunikation von Lernformaten einzubeziehen, klare Erwartungshorizonte zu formulieren und durch Pilotprojekte mit sichtbarem Nutzen, Vertrauen in die Wirksamkeit der LXP-gestützten Lernprozesse aufzubauen.

Aus den Untersuchungen ging hervor, dass Innovationen, wie die Einführung von Lerntechnologien und die Ausweitung informeller Lernmöglichkeiten veränderte Anforderungen an Lernende und Bildungspersonal stellen. Für weiterführende Forschungsarbeiten ergibt sich daraus die Frage, wie das Bildungspersonal in innovativen Lernumgebungen unterstützt werden kann, den Balanceakt zwischen der Ermöglichung hoher Freiheitsgrade und einer zugleich professionellen Rahmung von Lernprozessen zu bewältigen.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie spiegeln vor allem die Sichtweise administrativer Mitarbeitender wider. Produktionsnahe Beschäftigte mit ihren spezifischen Arbeitsrealitäten – wie Schichtbetrieb, eingeschränkter Zugang zu digitalen Endgeräten und lärmintensive Umgebungen – sind weniger berücksichtigt worden. Gerade im Kontext der digitalen Transformation industrieller Arbeitswelten ist es wichtig, die Perspektiven von Mitarbeitenden aus der Produktion auf Innovation in der betrieblichen Weiterbildung in Folgeuntersuchungen systematisch zu erfassen und differenziert zu analysieren.

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Zitieren des Beitrags

Schweigler-Zitko, S. W (2025). Innovation oder Irritation? – Wie Lernende Learning Experience Platforms erleben und was das für die betriebliche Weiterbildung bedeutet. bwp@ Berufs- und Wirt­schaftspädagogik – online, 49, 1–22. https://www.bwpat.de/ausgabe49/schweigler-zitko_bwpat49.pdf

Veröffentlicht am 18. Dezember 2025